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Zwei Linden
An einem wunderschönen, sonnigen Tag hielt die Maus mit ihrem Mäuserich Hochzeit. Nicht nur das schöne Wetter erheiterten sie, sondern auch die neue, große Wohnung, die sie beziehen konnten. Die Tür lag im Schatten zweier großer Linden, die den Eingang zum Stadion der Stadt säumten. Dort sollte das große Hochzeitsfest sein.
Es kamen alle Verwandten, Bekannten, Nachbarn und Freunde. Und alle brachten einen kleinen Teil von dem, was sie übers Jahr an Vorräten eingelagert hatten, zum Fest mit, denn die Vorratskammern des jungen Paares waren noch leer.
Ach, wie freuten sich alle, als beide ihr Jawort gegeben und geschworen hatten, sich zu lieben bis an ihr Lebensende. Schneeweiße Taschentücher trockneten große Freudentränen. Wer kein Taschentuch hatte, nahm einfach ein Tischtuch. Es wurde geschnäuzt und geschluchzt aus lauter Freude und Rührung.
Und dann wurde getafelt. Berge von feinstem Weizen und die besten Samen und Gräser wurden aufgetragen. Noch Wochen später gab es kaum ein anderes Thema, über das auf Feldwegen, Wiesen und Feldern gesprochen wurde.
Bald nach dem Hochzeitsfest stellte sich bei den Jungvermählten reicher Kindersegen ein. Es war allerliebst anzusehen: Für jedes Mäusebaby stand eine kleine Wiege mit frischem Bettzeug bereit. Die jungen Eltern hatten alle Hände oder Pfötchen voll zu tun, die kleinen Mäuschen satt und in ihre Wiegen zu bekommen.
Und als alle im Bettchen waren, sagte die Maus: „Wenn ihr ganz leise seid, könnt ihr die zwei Linden hören, wie sie Geschichten erzählen.“
Und wirklich. Die Linden erzählten, wie sie vor beinahe einhundert Jahren zu beiden Seiten des Eingangs zum Stadion gepflanzt worden waren und was sie seit dem alles erlebt hatten. Und das hörte sich so an:
„Einmal hatten sich in unsere Kronen ein rotes und ein schwarzes Eichhörnchen eingenistet. Wenn im Stadion Fußball gespielt wurde, war das rote Eichhörnchen für die schwarz-gelbe und das schwarze für die blaue Mannschaft. Sie fieberten heftig mit, welche der Mannschaften das Spiel für sich entscheiden würde. Wenn das Spiel unentschieden endete, war schnell Frieden zwischen den beiden, aber gewann eine Mannschaft das Spiel, rauften sich die zwei Eichhörnchen um ihren Vorrat an Eicheln und Nüssen. Manchmal war das so laut, dass die Mäuse in ihren Bauen keine Ruhe hatten.“
Die Linden hatten viele schöne Geschichten zu erzählen. Meistens schliefen die Mäuschen schon ein, bevor die Geschichte zu Ende war. Die Mäuseeltern verließen sich auf die Linden. Und nachdem die Kleinen eingeschlafen waren, gingen sie aus, um ihre Vorratskammern zu füllen.
Die kleinen Babys wuchsen zu Kleinmäusen heran und die Familie war glücklich in ihrer neuen Umgebung.
Bis eines Tages die Erde bebte und alle Mäuse ängstlich in die hinterste Ecke des Baus flüchteten. Es dauerte nicht sehr lange. Nur einen halben Tag. Dann war alles wieder so, wie immer.
Als die Kinder am Abend in ihren Bettchen lagen und die Eltern wieder gehen wollten, Futter zu suchen, waren auf einmal alle beunruhigt. Die Linden erzählten an diesem Abend keine Geschichten, dafür hörten die Mäuse ein Wimmern und Klagen und wussten am Anfang nicht, woher das kam. Weil sich nicht einer allein traute, nachzusehen, gingen sie alle gemeinsam zum Eingang.
Ach, oje, wie groß war da der Schmerz! Von den zwei Linden standen nur noch Stümpfe. Die Bäume waren gefällt worden. Die Stämme und Kronen lagen mit gebrochenen Ästen daneben.
Aufgeregt kam ein Nachbar der Mäusefamilie angelaufen und berichtete von großen Maschinen, die kommen würden, um den Hang, in dem die Mäuse wohnten, abzutragen. Seine Familie habe ihre Sachen schon gepackt und würde gleich morgen ausziehen.
Die zwei Mäuseeltern hatten auf ihren Streifzügen durch die Felder und Wiesen einen wunderschönen Birnbaum an einem Feldweg gesehen und dort war eine Wohnung frei geworden.
Die Kinder waren traurig, fortgehen zu müssen, aber die Mutter tröstete sie:
„Kinder, ich weiß, dass Birnbäume bestimmt genauso schöne Geschichten erzählen können.“
Und so machten sie sich am nächsten Tag auf die Reise. Und die Mäusekinder waren gespannt, was der Birnbaum Aufregendes erlebt hatte.