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Zwei Hände
Ich würds gern Pulp-Fiction-mäßig durchziehen. Sie wissen schon, mit anklagendem Bibelspruch, erst ganz sachte, dann allmählich lauter. Schließlich der langsame Griff zur Waffe, das donnernde Finale und: Bäng!
Ich habs aber leider nicht drauf. Kenne keine Bibeltexte außer dem Vaterunser, und das scheint mir eher unpassend. Möchte mir auch nichts raussuchen, nachher komm ich noch ins Grübeln.
Deswegen sitz ich jetzt hier im Dunkeln und warte. Wenn schon nicht Pulp Fiction, dann wenigstens so lässig wie möglich. Sein Türschloss war ein Witz, hat mich nicht mal eine Minute aufgehalten. Naja, wenn man sich seine Zweizimmerbude so anschaut, weiß man, warum er nicht in Sicherheit investiert.
Der Mann wohnt allein, keine Frage. In der Spüle stapelt sich Geschirr aus vergangenen Äonen, mit Essensresten dran, die ihre Grünschimmelphase schon lange hinter sich haben. Den Teppich im Wohnzimmer sollte er mal umdrehen, der Ästhetik zuliebe.
Überall liegen Klamotten rum, ungewaschen vermutlich, habs nicht überprüft. In einer Ecke des Raumes stapeln sich alte Zeitschriften, ungeöffnete Post und abgegriffene Bücher. Diese Konzentration ähnlichen Mülls an nur einem Ort verblüfft, es passt nicht zum Gesamtambiente. Die überquellenden Aschenbecher hingegen sind logisch, betrachtet man den Füllgrad des einzigen Mülleimers in der Wohnung.
Über seinem Schreibtisch mit dem Computer hängt ein Bild von Escher. Kennen Sie bestimmt, diese paradoxen Zeichnungen mit Wasser, das bergauf fliesst und sowas. Sein Bild hier zeigt zwei Hände, die sich gegenseitig zeichnen.
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Er ist da.
Als er die Wohnung betrat, rührte ich mich nicht, hielt nur die Waffe in seine Richtung. Er schloss die Tür wieder und stand ebenfalls im Dunkeln, denn das Licht in seiner Diele funktioniert seit heute nicht mehr. Er tastete sich zum Wohnzimmer vor, fand den Lichtschalter und drückte ihn.
"Hi", begrüßte ich ihn.
Seine Reaktion überraschte mich. Er erstarrte kurz, dann antwortete er lächelnd: "Hallo".
"Sie kommen spät heute."
Mein lässiger Auftritt war zwar schon Geschichte, aber ich durfte trotzdem nicht die Initiative verlieren. Irgendwie musste ich das Lächeln aus seinem Gesicht entfernen. Das alte Machtspielchen funktioniert nur, wenn das Opfer Angst zeigt.
"Früh genug, wie es aussieht." Er zog vorsichtig seine Jacke aus und warf sie über einen Sessel. "Wollen Sie mich töten?"
Der Kerl war mir nicht geheuer. Welcher Mensch lächelt, während er diese Frage stellt und in ein Mündungsrohr mit jemand Ernsthaftem dahinter starrt?
"Ich fürchte ja", log ich. Ich hatte das noch nie gefürchtet.
"Warum?"
Dauernd erwischte er mich auf dem falschen Fuß. Natürlich erfuhr ich so gut wie nie, warum ich jemanden von hier nach dort verbringen sollte. Das war nicht das Problem. In diesem Fall jedoch erinnerte ich mich nicht mal daran, wer der Auftraggeber war.
"Spielt das eine Rolle? Sie sind jemandem im Weg, der weiß, wie man den Weg freimacht." Ich verdrehte innerlich die Augen. Hatte ich jemals so dämliche Sprüche draufgehabt? Das war nicht annähernd Jules oder Vince, das war Eddie Murphy.
Er setzte sich auf den Stuhl vor seinem Rechner und sah mich nachdenklich an.
"Habe ich einen letzten Wunsch?", fragte er plötzlich ernst.
"Was schwebt Ihnen vor?"
"Ich möchte eine Geschichte zu Ende bringen, die ich gestern angefangen habe."
"Geschichte?"
Er deutete auf den PC. "Ich schreibe Geschichten."
Das Ganze nahm langsam absurde Züge an. Ich sollte ihm die Birne wegpusten, sein Hirn an... Ich holte tief Luft und fing nochmal von vorne an: Ich sollte ihn erledigen und dann verschwinden. Warum hielt ich mich so lange mit dem Typen auf?
"Ok", antwortete jemand. Dieser Jemand war ich, wie sich herausstellte.
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Natürlich hatte ich als erstes den Telefonstecker gezogen, als ich in die Wohnung eingebrochen war. Falls er also dran gedacht hat, per E-Mail um Hilfe zu rufen, wird er eine Enttäuschung erleben.
Er scheint aber tatsächlich an seiner Geschichte zu schreiben. Von hier aus, wo ich sitze, erkenne ich nur den fett gesetzten Titel: "Zwei Hände". Er schreibt schnell, klack klack klack.
"Wie lange wirds dauern?", will ich wissen.
"Etwa eine Seite noch, dann bin ich fertig."
"Worum gehts in der Geschichte?"
Er antwortet, ohne zu unterbrechen: "Es ist ein Versuch, das da", er deutet auf das Escherbild und tippt weiter, "in Form einer Geschichte darzustellen."
Enttäuschend. Pseudointellektuelles Geschreibe ist mir zuwider. Ich mags deutlich, gradlinig und schnörkellos. Am liebsten mit Typen, die sich mit Bibelsprüchen und Knarren auskennen.
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Er hat sich einen Kaffee geholt. Bin ihm nicht in die Küche gefolgt. Warum eigentlich nicht?
Er sitzt wieder vor der Tastatur und macht sein Tipptipptipp. Langsam wirds mir zu bunt. In meiner Branche braucht man viel Geduld, aber meist nur für die Observation. Im entscheidenden Moment geht es dann immer sehr schnell, ein leises Plöpp aus dem Schalldämpfer und ab nach Hause.
"Es reicht jetzt", erkläre ich und stehe auf.
Er reagiert nicht, tippt einfach weiter. Ich gehe langsam auf ihn zu. Er dreht sich nicht um, ignoriert mich. Ich stehe jetzt hinter ihm, hebe die Waffe und richte sie auf seinen Hinterkopf. Noch immer kann er die Finger nicht von der Tastatur lassen.
Was ist das bloß für ein Typ? Selbst kurz vor seinem Exitus schreibt er weiter. Er scheint zu keinem Ende zu kommen, tippt immer schneller. Ich werfe einen Blick auf seinen Bildschirm.
Ich lese:
Er reagiert nicht, tippt einfach weiter. Ich gehe langsam auf ihn zu. Er dreht sich nicht um, ignoriert mich. Ich stehe jetzt hinter ihm, hebe die Waffe und richte sie auf seinen Hinterkopf. Noch immer kann er die Finger nicht von der Tastatur lassen.
Was ist das bloß für ein Typ? Selbst kurz vor seinem Exitus schreibt er weiter. Er scheint zu keinem Ende zu kommen, tippt immer schneller. Ich werfe einen Blick auf seinen Bildschirm.
Ich lese:
Er reagiert nicht, tippt einfach weiter. Ich gehe langsam auf ihn zu. Er dreht sich nicht um, ignoriert mich. Ich stehe jetzt hinter ihm, hebe...