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Zwei Hände

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07.09.2003
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Zwei Hände

Ich würds gern Pulp-Fiction-mäßig durchziehen. Sie wissen schon, mit anklagendem Bibelspruch, erst ganz sachte, dann allmählich lauter. Schließlich der langsame Griff zur Waffe, das donnernde Finale und: Bäng!

Ich habs aber leider nicht drauf. Kenne keine Bibeltexte außer dem Vaterunser, und das scheint mir eher unpassend. Möchte mir auch nichts raussuchen, nachher komm ich noch ins Grübeln.

Deswegen sitz ich jetzt hier im Dunkeln und warte. Wenn schon nicht Pulp Fiction, dann wenigstens so lässig wie möglich. Sein Türschloss war ein Witz, hat mich nicht mal eine Minute aufgehalten. Naja, wenn man sich seine Zweizimmerbude so anschaut, weiß man, warum er nicht in Sicherheit investiert.

Der Mann wohnt allein, keine Frage. In der Spüle stapelt sich Geschirr aus vergangenen Äonen, mit Essensresten dran, die ihre Grünschimmelphase schon lange hinter sich haben. Den Teppich im Wohnzimmer sollte er mal umdrehen, der Ästhetik zuliebe.

Überall liegen Klamotten rum, ungewaschen vermutlich, habs nicht überprüft. In einer Ecke des Raumes stapeln sich alte Zeitschriften, ungeöffnete Post und abgegriffene Bücher. Diese Konzentration ähnlichen Mülls an nur einem Ort verblüfft, es passt nicht zum Gesamtambiente. Die überquellenden Aschenbecher hingegen sind logisch, betrachtet man den Füllgrad des einzigen Mülleimers in der Wohnung.

Über seinem Schreibtisch mit dem Computer hängt ein Bild von Escher. Kennen Sie bestimmt, diese paradoxen Zeichnungen mit Wasser, das bergauf fliesst und sowas. Sein Bild hier zeigt zwei Hände, die sich gegenseitig zeichnen.

---

Er ist da.

Als er die Wohnung betrat, rührte ich mich nicht, hielt nur die Waffe in seine Richtung. Er schloss die Tür wieder und stand ebenfalls im Dunkeln, denn das Licht in seiner Diele funktioniert seit heute nicht mehr. Er tastete sich zum Wohnzimmer vor, fand den Lichtschalter und drückte ihn.

"Hi", begrüßte ich ihn.

Seine Reaktion überraschte mich. Er erstarrte kurz, dann antwortete er lächelnd: "Hallo".

"Sie kommen spät heute."

Mein lässiger Auftritt war zwar schon Geschichte, aber ich durfte trotzdem nicht die Initiative verlieren. Irgendwie musste ich das Lächeln aus seinem Gesicht entfernen. Das alte Machtspielchen funktioniert nur, wenn das Opfer Angst zeigt.

"Früh genug, wie es aussieht." Er zog vorsichtig seine Jacke aus und warf sie über einen Sessel. "Wollen Sie mich töten?"

Der Kerl war mir nicht geheuer. Welcher Mensch lächelt, während er diese Frage stellt und in ein Mündungsrohr mit jemand Ernsthaftem dahinter starrt?

"Ich fürchte ja", log ich. Ich hatte das noch nie gefürchtet.

"Warum?"

Dauernd erwischte er mich auf dem falschen Fuß. Natürlich erfuhr ich so gut wie nie, warum ich jemanden von hier nach dort verbringen sollte. Das war nicht das Problem. In diesem Fall jedoch erinnerte ich mich nicht mal daran, wer der Auftraggeber war.

"Spielt das eine Rolle? Sie sind jemandem im Weg, der weiß, wie man den Weg freimacht." Ich verdrehte innerlich die Augen. Hatte ich jemals so dämliche Sprüche draufgehabt? Das war nicht annähernd Jules oder Vince, das war Eddie Murphy.

Er setzte sich auf den Stuhl vor seinem Rechner und sah mich nachdenklich an.

"Habe ich einen letzten Wunsch?", fragte er plötzlich ernst.

"Was schwebt Ihnen vor?"

"Ich möchte eine Geschichte zu Ende bringen, die ich gestern angefangen habe."

"Geschichte?"

Er deutete auf den PC. "Ich schreibe Geschichten."

Das Ganze nahm langsam absurde Züge an. Ich sollte ihm die Birne wegpusten, sein Hirn an... Ich holte tief Luft und fing nochmal von vorne an: Ich sollte ihn erledigen und dann verschwinden. Warum hielt ich mich so lange mit dem Typen auf?

"Ok", antwortete jemand. Dieser Jemand war ich, wie sich herausstellte.

---

Natürlich hatte ich als erstes den Telefonstecker gezogen, als ich in die Wohnung eingebrochen war. Falls er also dran gedacht hat, per E-Mail um Hilfe zu rufen, wird er eine Enttäuschung erleben.

Er scheint aber tatsächlich an seiner Geschichte zu schreiben. Von hier aus, wo ich sitze, erkenne ich nur den fett gesetzten Titel: "Zwei Hände". Er schreibt schnell, klack klack klack.

"Wie lange wirds dauern?", will ich wissen.

"Etwa eine Seite noch, dann bin ich fertig."

"Worum gehts in der Geschichte?"

Er antwortet, ohne zu unterbrechen: "Es ist ein Versuch, das da", er deutet auf das Escherbild und tippt weiter, "in Form einer Geschichte darzustellen."

Enttäuschend. Pseudointellektuelles Geschreibe ist mir zuwider. Ich mags deutlich, gradlinig und schnörkellos. Am liebsten mit Typen, die sich mit Bibelsprüchen und Knarren auskennen.

---

Er hat sich einen Kaffee geholt. Bin ihm nicht in die Küche gefolgt. Warum eigentlich nicht?

Er sitzt wieder vor der Tastatur und macht sein Tipptipptipp. Langsam wirds mir zu bunt. In meiner Branche braucht man viel Geduld, aber meist nur für die Observation. Im entscheidenden Moment geht es dann immer sehr schnell, ein leises Plöpp aus dem Schalldämpfer und ab nach Hause.

"Es reicht jetzt", erkläre ich und stehe auf.

Er reagiert nicht, tippt einfach weiter. Ich gehe langsam auf ihn zu. Er dreht sich nicht um, ignoriert mich. Ich stehe jetzt hinter ihm, hebe die Waffe und richte sie auf seinen Hinterkopf. Noch immer kann er die Finger nicht von der Tastatur lassen.

Was ist das bloß für ein Typ? Selbst kurz vor seinem Exitus schreibt er weiter. Er scheint zu keinem Ende zu kommen, tippt immer schneller. Ich werfe einen Blick auf seinen Bildschirm.

Ich lese:

Er reagiert nicht, tippt einfach weiter. Ich gehe langsam auf ihn zu. Er dreht sich nicht um, ignoriert mich. Ich stehe jetzt hinter ihm, hebe die Waffe und richte sie auf seinen Hinterkopf. Noch immer kann er die Finger nicht von der Tastatur lassen.

Was ist das bloß für ein Typ? Selbst kurz vor seinem Exitus schreibt er weiter. Er scheint zu keinem Ende zu kommen, tippt immer schneller. Ich werfe einen Blick auf seinen Bildschirm.

Ich lese:

Er reagiert nicht, tippt einfach weiter. Ich gehe langsam auf ihn zu. Er dreht sich nicht um, ignoriert mich. Ich stehe jetzt hinter ihm, hebe...

 

Hallo,

es handelt sich hier um ein "Remake" einer Geschichte, die ich vor Jahren mal geschrieben und im de.alt.geschichten veröffentlicht habe. Leider ging der Text irgendwann mal verloren, deshalb hab ich ihn neu geschrieben. Diese Version hat nicht mehr allzu viel mit der ursprünglichen zu tun, ausser der Idee.

Gruß
Rainman

 

Hallo Rainman,

Deine Geschichte ist echt originell (ich kenne die Bilder von Escher, das paßt genau dazu). Vermutlich steht der Killer jetzt noch hinter ihm und liest ... Ich fand manche Passagen ein bißchen lang, ich meine die Gedanken des Killers. Aber irgendwie gehören sie ja auch hinein. Jedenfalls ist die Idee klasse.

vio

 

Hallo Vio,

das ging ja schnell. :)

Da das Ganze aus subjektiver Perspektive erzählt wird, müssen die Gedanken rein, denke ich. Ich hab aber versucht, sie etwas locker darzustellen.

Freut mich sehr, dass dir die Geschichte gefallen hat.

Gruß
Rainman

 

Hi rainman,

zunächst der Reihe nach ein paar Details:

Möchte mir auch nichts raussuchen, man soll ja keine schlafenden Hunde wecken. -> deplatzierte Floskel

ausser, weiss -> hinter au und ei gehört kein ss, sondern ß.


Du beginnst nicht mit Handlung, sondern mit einer länglichen, wenngleich immerhin etwas farbigen Ortsbeschreibung, dadurch nimmt Deine Geschichte kein Tempo auf.

Welcher Mensch lächelt, während er diese Frage stellt und in das falsche Ende eines Schalldämpfers schaut? -> gut, wenngleich leicht abgegriffen.

In diesem Fall jedoch erinnerte ich mich nicht mal daran, wer der Auftraggeber war! -> Das ! ist überflüssig. Punkt ist besser. Cooler. Pulp-fiction-mäßiger ;)

"Ok", antwortete jemand. Dieser Jemand war ich, wie sich herausstellte. -> gute Umsetzung von Unsicherheit bzw. widerstreitenden Absichten.

"Es ist ein Versuch, das da" Er deutet auf das Escherbild und tippt weiter. "in Form einer Geschichte darzustellen." -> "Es ist ein Versuch, das da", er deutet auf das Escherbild und tippt weiter, "in Form einer Geschichte darzustellen."

Ich mags deutlich, gradlinig und schnörkellos. Am liebsten mit Typen, die sich mit Bibelsprüchen und Knarren auskennen. -> gute Wiederaufnahme dieses Gesichtspunkts zum richtigen Zeitpunkt

Das Ende ist genauso überraschend und seltsam wie sinnlos. Du arbeitest auf diese Pointe hin, hast sie lange vorher angekündigt, aber sie hinterlässt mich unzufrieden. Ich habe den Eindruck, dass jenes Escher-Bild (hängt bei uns im Büro im Flur) keine Endlosschleife in Form einer zeitlichen Wiederholung ausdrückt (im Gegensatz zu anderen von ihm), sondern die Vermischung von Realität und Fiktion. Will sagen: Ich finde es passend, dass das Opfer die Geschichte des Killers schreibt, aber der Killer müsste auch die Geschichte des Opfers schreiben. Das würde aber aufgrund der Situation überhaupt nicht funktionieren, daher hast Du die Endlosschleife gewählt, die nun weder den Killer zur Erfüllung seines Auftrags bringt noch den Autor rettet, jedenfalls wüsste ich nicht wie. Naja, genug philosophiert.

Mit den ganzen Tempuswechseln bin ich nicht so recht glücklich. Ich glaube, da ist zwischendurch mal was durcheinander geraten, vielleicht solltest Du da nochmal drüberschauen.

Fazit: Sprachlich okay, ein paar gute Stellen, inhaltlich allein auf die Pointe ausgerichtet.

Uwe
:cool:

 

Hallo Uwe,

immer wieder ein Vergnügen, seinen Text von dir zerlegt zu bekommen. :)

Danke für die Hinweise auf Rechtschreibfehler, ich werd das heute abend korrigieren.

Will sagen: Ich finde es passend, dass das Opfer die Geschichte des Killers schreibt, aber der Killer müsste auch die Geschichte des Opfers schreiben.
Lässt man sich auf das Bild ein, dann sieht man ein Paradoxon, beide Hände sind für die Existenz der jeweils anderen nötig. Der Widerspruch löst sich erst auf, wenn man einen Schritt zurückgeht und sieht, dass natürlich nicht die Hände sich gegenseitig zeichnen, sondern Escher beide.

In der Geschichte ist der Killer eine Figur in der Geschichte des Autors. Umgekehrt gilt das aber auch, denn der Autor existiert nur in der Ich-Erzählung des Killers. Löst man sich hier von der Geschichte, bin natürlich ich es, der beide zum Leben erweckt.

Die Rekursion am Ende ist eigentlich garnicht so wichtig. Sie soll das Paradoxon nur deutlich machen.

Mit den ganzen Tempuswechseln bin ich nicht so recht glücklich. Ich glaube, da ist zwischendurch mal was durcheinander geraten, vielleicht solltest Du da nochmal drüberschauen.
Der Gedanke dahinter war, nur dann im Präsenz zu schreiben, wenn der Autor die Geschichte in Echtzeit schreibt. Wenn er sich Kaffee holt z.B., kann er nicht gleichzeitig tippen. Ist mir aber wirklich nicht ganz gelungen, da der Anfang dann eigentlich in Vergangenheitsform stehen müsste. Ich denk da noch mal drüber nach.
Fazit: Sprachlich okay, ein paar gute Stellen, inhaltlich allein auf die Pointe ausgerichtet.
Danke dir fürs Lesen und die ausführliche Kritik.

Gruß
Rainman

 

Hallo rainman,

prima Geschichte, die du da schreibst. Möchte zustimmen, dass der anfang etwas zuu lang dauert (ich begann quer zu lesen) aber ansonsten fan dich idee und umsetzung super gut. und der schluß gab etwas zum nachdenken - auch für nicht escher-kenner sehr interessant...

die geschichte wirkt durch ihre originelle idee..

viele grüße, streicher

 

Hallo rainman,

Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen! Zum einen begeisterte mich Deine schnodderige Sprache, die ausgesprochen gut zu dem Berufskiller passt, zum anderen gefiel mir die Kombination des Escherbildes mit dem Autor Deiner Geschichte ausgesprochen gut. Die Pointe, auf die Du natürlich lange hinarbeitest, hat mich richtig zum Lachen gebracht. Ich hatte den Eindruck, dass der Autor um sein Leben schreibt und es schaffen wird.

Viele Deiner Formulierungen brachten mich zum Lachen, ich fand sie sehr gelungen.
Z.B.:
"Die überquellenden Aschenbecher hingegen sind logisch, betrachtet man den Füllgrad des einzigen Mülleimers in der Wohnung."
oder:
""Ich fürchte, ja", log ich. Ich hatte das noch nie gefürchtet."

Liebe Grüße
Barbara

 

Mensch Streicher & al-dente,

hätte nicht erwartet, jetzt noch Äußerungen zu der Geschichte zu bekommen. Danke für die netten, motivationsfördernden Worte. Ich werde mich jetzt in eine stille Ecke zurückziehen und meine drohende Selbstüberschätzung bekämpfen :)

@Streicher:
Den Anfang wollte ich noch etwas kürzen, konnte mich aber bisher noch nicht richtig aufraffen, noch mal dranzugehen. Kommt aber ganz sicher irgendwann.

Gruß
Rainman

 

Hallo rainman!

Als kurze „Zwischendurchunterhaltung“ fand ich die Geschichte nicht schlecht. Da mir die Pointe aber bei dem „letzten Wunsch“ irgendwie schon klar war, hat sich der Lesespaß ein bisschen in Grenzen gehalten. Vielleicht hab ich zu viele Stories gelesen, in denen eine erfundene Figur ihren Autor malträtiert.

Geschrieben ist die Geschichte aber recht ordentlich. Der Stil ist flüssig und angenehm zu lesen.

Ich hab nur ein paar kurze Anmerkungen:

„Den Teppich im Wohnzimmer sollte er mal umdrehen, kann nur gewinnen dadurch.“
>>> Manche dieser Teilsätze mit weggelassenem Subjekt lesen sich ganz gut, dieser hat mir aber nicht gefallen, weil er missverständlich sein kann (wer kann gewinnen: Das Wohnzimmer oder „er“?).

„Welcher Mensch lächelt, während er diese Frage stellt und in das falsche Ende eines Schalldämpfers schaut?“
>>> Welches ist denn das „falsche“ Ende eines Schalldämpfers? Ebenfalls nicht ganz glücklich in der Formulierung finde ich.

„das war Eddy Murphy.“
>>> Der Gute schreibt sich „Eddie“ ;)

Viele Grüße
Christian

 

Hallo Criss,

Vielleicht hab ich zu viele Stories gelesen, in denen eine erfundene Figur ihren Autor malträtiert.
kannst du da Beispiele nennen (gern auch per PM)? Würde ich gerne mal lesen.
(wer kann gewinnen: Das Wohnzimmer oder „er“?)
Äh.. Weder noch, ich meinte den Teppich :-) Wenn das wirklich so missverständlich rüberkommt, muss ich da wohl noch mal ran.
Welches ist denn das „falsche“ Ende eines Schalldämpfers? Ebenfalls nicht ganz glücklich in der Formulierung finde ich.
Ja, da bist du nicht der Einzige, Uwe Post hat die Stelle auch als etwas abgedroschen empfunden. Mal schauen.
„das war Eddy Murphy.
>>> Der Gute schreibt sich "Eddie"
Stimmt. Aber Google ist da völlig leidenschaftslos und sogar cinema.de kontrovers :)

Danke dir fürs Lesen und deinen Kommentar.

Gruß
Rainman

 

Geschrieben von rainman
kannst du da Beispiele nennen (gern auch per PM)? Würde ich gerne mal lesen.
Hier in SELTSAM steht eine ähnlich geartete Geschichte ("Giftmord"). An die Titel der anderen Geschichten kann ich mich nicht erinnern, waren auch zu uninteressant.
Stephen Kings "Das heimliche Fenster, der heimliche Garten" (bei uns mit "Langoliers" in einem Band erschienen) ist ein bekannteres Beispiel.

Meine Bemerkung sollte keine Kritik am Storyplot sein, da gibt es Plots, die weiß Gott viel viel öfter verwendet wurden. Nur war mir bei dem "letzten Wunsch" klar, was Sache ist, und dann verliert die Geschichte einfach einiges.

 

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