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Zwei Ehefrauen
Vor Erleichterung aufseufzend, sank ich auf den Stuhl und schob meine zahlreichen Tüten unter den Tisch. Der vormittägliche Einkaufsbummel war auf jeden Fall erfolgreich gewesen, und wenn das Treffen später genauso erfolgreich sein würde, dann wäre es ein perfekter Tag. Das Wetter mochte trübe und wolkig sein, meine Stimmung war ungetrübt. Ich streckte die Beine aus und verlangte einen Capucchino.
In einer meiner Tüten waren zwei wunderschöne Blusen, in der anderen ein riesiger Schuhkarton. Wo waren die Bücher? Hier, zusammen mit verschiedenen kosmetischen Anschaffungen und einer Kette aus dunkelroten Steinen. Ich fand es einfach herrlich, zu verdienen und Geld ausgeben zu können, wofür ich wollte. Nun ja, zumindest einen Teil des Geldes. Neugierig schälte ich die Folie von einem der Bücher.
Ich genoss es, mir eine Stunde mit einem Kaffee, hochgelegten Füßen und einem neuen Buch in einem Café zu vertreiben. Hätte ich nicht auf meine Verabredung gewartet, dann hätte ich gar nicht hochgeschaut, als die junge Familie das Lokal betrat. Fremde – oder? Kannte ich den Mann? Ja. Fast hätte ich ihn nicht wiedererkannt. Er hatte zwar ungefähr mein Alter, nämlich fünfzig, gab sich aber äußerste Mühe, das zu verbergen. Ich hatte ihn zuletzt mit Glatze gesehen, jetzt bedeckten blonde Löckchen seinen Skalp. Was war wohl dafür verantwortlich, Propecia, eine Transplantation oder ein Toupet? Enge Jeans, ein modisches Polohemd, Lederjacke, alles ganz jugendlich. „Jemine, Harald“ dachte ich, „du hast dich ja mächtig herausgemacht!“
Die Frau, die ihn begleitete, war kaum dreißig, die beiden Kleinkinder unter drei. Es gab ein wenig Lärm und Gerenne, bis die Familie ihren Nachwuchs in zwei Kinderstühlen untergebracht hatte. Der Kellner schaute unbehaglich drein, als das Baby den Zuckerstreuer nahm und begann, ihn rythmisch auf den Tisch zu schlagen. Dann erblickte es den dekorativen Obstkorb auf der Bar. „Da“, sagte es und zeigte mit dem Finger. „Da? Da? Da? Da? Daaa?“
Der ältere Junge redete schon ganz nett. „Mama, Eis!“ verlangte er. Die Mutter ließ sich gerade auf ihren Stuhl plumpsen und war abgelenkt, weil sie mich bemerkt hatte. „Mama! Maa - maaa!“ Und von der anderen Seite, immer lauter werdend: „Da! Da! Da! Daaa!!“
„Herrgott nochmal, Simone, so bring sie doch zur Ruhe!“ verlangte der Mann.
„Sie tun doch gar nichts, Harry!“ sagte die junge Frau gekränkt. „Das ist nun einmal so mit kleinen Kindern! Du hast doch schon mal welche gehabt, ich verstehe dich wirklich nicht!“ Sie stand seelenruhig auf und nahm vor den unglücklichen Augen des Kellners eine Banane aus dem Obstkorb, um sie dem Kleinen zu geben. Dann starrte sie wieder mich an.
Mich mit meinen Fältchen und dem Pfeffer-und-Salz-Haar, mich und meine Tüten mit den Aufschriften teurer Läden, meinen fleckenlosen Hosenanzug, die luxuriöse Handtasche, die neben mir auf dem Stuhl stand. Ihr Mann drehte sich um, um zu sehen, was da ihre Aufmerksamkeit so fesselte. Sonst hätte er mich wahrscheinlich nicht bemerkt. Das Baby nützte die Gelegenheit, um ihm mit seinen von Bananenbrei und Speichel verschmierten Händchen auf die Jacke zu patschen. Er fuhr zurück und griff entnervt nach einer Serviette. Der arme Harald! Heute so schlecht zum Vater geeignet wie schon sein ganzes Leben lang. Seltsam, dass es immer diese egoistischen, nervenschwachen Typen sind, die zwei Würfe produzieren und für eine übermäßige Verbreitung ihrer Gene sorgen.
„Margaret!“ sagte er verblüfft und stand langsam auf. „Hallo ...“
„Schönen guten Tag, Harald“, antwortete ich mit leicht spöttischem Unterton. „Schön, dich mal wieder zu sehen!“
„Du siehst gut aus!“ sagte er, und der Blick, mit dem er mich betrachtete, machte mich misstrauisch.
„Du auch!“ erwiderte ich freundlich. „Du bist in den – wieviel? – dreieinhalb Jahren, seit wir uns das letzte mal gesehen haben, um mindestens zwanzig Jahre jünger geworden.“
Was nicht der Wahrheit entsprach. Aus der Nähe betrachtet sah man, dass seine junge Familie ihren Tribut forderte: Trotz der flotten Aufmachung sah der Mann nicht gut aus, müde und gehetzt. Viel schlechter als ich, die ich mit Mitte Vierzig verlassen worden war, weil ich zu alt gewesen und als Frau keine Rolle mehr gespielt habe. Viel schlechter. Seine Frau musterte unser Gespräch aus zusammengekniffenen Augen.
„Hast du denn eigentlich dein Studium beendet?“ fragte er unvermittelt.
„Ja natürlich“, erwiderte ich, „und nun praktiziere ich munter drauflos.“
„Ich glaube, ich habe etwas darüber gelesen“, sagte er sinnend. „Du hast dich auf unterdrückte Weiber spezialisiert, so war es doch?“
Das war unverändert der alte Harald, herabsetzend und feindselig wie eh und je.
„So ist es“, bestätigte ich. „Und du? Bist du noch bei P & G?“
„Nein“, gab er zu, „ich bin jetzt bei der Rudloff KG Key Account Manager.“
Mit eisernem Willen behielt ich einen ernsten Gesichtsausdruck bei. Key Account? Bei Rudloff? Den Laden kannte ich. Standardprodukte, Niedrigpreis, Commodities, regionale Ausrichtung. Key Account, von wegen! Harald war auf seine alten Tage wieder zum gewöhnlichen Verkäufer geworden. Vorbei war es offensichtlich mit der Herrlichkeit des mittleren Managements, mit Spesenrittertum, Riesen-Dienstwagen, dreifachem Vorzimmer und all dem übrigen Zeug, das dem guten Harry immer so viel bedeutet hatte. Und - das kann ich sagen, denn ich kenne ihn - was ihm die Möglichkeit verschafft hatte, auf seine nächste Umgebung einen nicht unerheblichen Druck auszuüben. Der Herr Manager, nach dem sich Frau und Kinder und sogar seine eigenen Eltern zu richten hatten...
„Fantastisch!“ lobte ich. „Nicht jeder fällt in diesen Zeiten so auf die Füße wie du!“
„Oh, ich – ich kann nicht klagen. Und du, Frau Advokatin“, fragte er, „du verdienst offensichtlich richtig Geld mit deiner Praxis?“
Es war wohl an der Zeit, ihm eine Abfuhr zu erteilen. „Keinen Cent“, erwiderte ich freundlich lächelnd. „Ich bin genauso am Existenzminimum wie du vor fünf Jahren warst.“
Auch die junge Frau fand wohl, es sei an der Zeit, den Mann zurückzupfeifen. Sie stellte das zappelige Baby auf den Boden. Es stolperte in unsere Richtung, einem Reifenmännchen nicht unähnlich. Voller Genugtuung, die deshalb nicht geringer war, weil ich ein Vierteljahrhundert darauf hatte warten müssen, sagte ich: „Tu bitte dein Kind weg, Harald, ich habe noch einen Termin und wünsche mir keine Bananenschmiere auf der Hose.“ Ohne ein Wort zu sagen, hob Harald das Baby am gestreckten Arm hoch und tat es wieder in den Kinderstuhl.
Frau Dr. Brigitte Ferny zählt nicht unbedingt zu meinen besten Freundinnen; sie ist fast ungenießbar selbstbewusst und hat etwas von einem Showgirl. Jetzt passte sie aber gut in die Szene, als sie mit gekonntem Hüftschwung das Café betrat, sich auf dem freien Stuhl neben mir niederließ und hörbar fragte: „Wer war denn der Loser eben?“
„Der?“ erwiderte ich. „Das war mein Exmann.“