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Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen
Als seine Tochter ihn an die Hand nahm und zu dem Spielplatz führte an dem sie jeden Sonntag spielten, kam ihm seine Kindheit in Erinnerung. Er erinnerte sich daran, was für ein Gefühl es war, wenn sein Vater ihn an die Hand nahm. Es war ein Gefühl der Wärme und Geborgenheit, ein Gefühl des bedingungslosen Vertrauens und unvorstellbarer Sicherheit.
Dass ein Kind sich bei seinem Vater sicher aufgehoben fühlt ist nichts außergewöhnliches.
Dass das Kind allerdings nur durch das Halten der Hand des Vaters sämtliche Zuneigung und Liebe erlebt, die ein Vater für sein Kind empfindet, ist für das Kind ein nicht einzuordnendes Gefühl.
Mit der Zeit weicht das Empfinden der Normalität, der Routine. Und schließlich kommt man in ein Alter, in dem der Vater nicht mehr die Hand hält. Und man vergisst das Gefühlspotpourri, welches alleine durch das Halten der Hand des Vaters entzündet wurde.
Doch er erinnerte sich daran.
„Ob sie das gleiche fühlt, wie ich damals?“, fragte er sich während sie ihn zum Spielplatz führte.
Ihr erstes Zielobjekt war heute die Rutsche. Sie hielt sich am Geländer fest und kletterte die Stufen hoch. Zur Absicherung stand er hinter ihr und führte sie mit seinen Händen mit.
„Papa nicht hinten. Vorne,“ sagte sie dann auf der Mitte der Stufen angekommen. Sie liebte es, wenn sie am Ende der Rutsche von ihm abgefangen und dann im Kreis gedreht wurde.
„Kletter erst mal rauf, Schatz. Dann geht Papa nach vorne.“
„Vorne“, sagte sie dann wieder, als sie oben angekommen war.
Erst als sie sich hingesetzt hatte, ging er ans Ende der Rutsche und hockte sich hin. Schließlich hätte sie im Stehen ja noch nach Hinten fallen können.
„Papa auf“, sagte sie dann und öffnete die Arme um ihm zu demonstrieren, was sie von ihm wollte.
„Na komm“, sagte er während er seine Arme öffnete. Hochkonzentriert hielt sie sich am abgerundetem Geländer fest und zog sich nach vorne, rutschte dann lachend runter und fiel in die sicheren Arme ihres Vaters. Er drehte sie zweimal in der Luft im Kreis und setzte sie wieder ab.
„Nochmal“, sagte sie und lief zur Leiter zurück. Er ging ihr hinterher.
„Papa vorne,“ sagte sie bevor sie die erste Stufe erklommen hatte.
„Papa geht gleich nach vorne, mein Schatz. Papa muss aufpassen, dass du nicht hinfällst.“
„Nein, Papa vorne.“ Das war neu. Er hatte sie die Stufen noch nie alleine hochgehen lassen.
„Ok, Papa geht nach vorne. Aber du bist schön vorsichtig, ja?“
Er stellte sich nicht ganz ans Ende der Rutsche, sondern etwas seitlich von ihr, so dass er noch schnell genug zu ihr eilen konnte, wenn es sein musste. Doch das musste nicht sein.
Völlig unbedacht, jedoch mit allerhöchster Konzentration meisterte sie die Leiter, setzte sich hin, sagte wieder „Papa auf“, und rutsche dann runter. Ein unbeschreibliches Gefühl von Stolz stellte sich bei ihm ein. Seine Kleine hatte die Leiter zum ersten Mal alleine gemeistert.
Er wollte schon seine Frau anrufen, erinnerte sich dann aber, dass sie im Fitness Studio war.
„Ellen hat die Leiter alleine geschafft :-)“ tippte er dann in sein Handy und schickte die SMS an seine Frau.
Noch völlig von der Freude über das eben Geschehene beflügelt schoss ihm ein ernüchternder Gedanke durch den Kopf.
„Was, wenn sie jetzt gar nicht mehr meine Hilfe braucht und alles alleine machen will?“
Die Freude wich kurz der Wehmut. Denn genauso sehr wie Ellen es liebte, wenn ihr Vater sie am Ende der Rutsche abfing, liebte er es, sie in seine Arme zu nehmen und zu drehen.
„Vielleicht will sie das ja bald auch nicht mehr?“
Er setzte sie wieder ab, weil er dachte, dass sie nochmal rutschen wollen würde.
„Papa hoch“, hörte er dann seine Kleine sagen.
Er schaute sie an.“Möchtest du auf Papas Schultern?“
„Ja“, sagte sie und streckte sich in die Höhe.
In einer Bewegung setzte er sie auf seine Schultern und ging mit ihr über den Spielplatz. Er hielt sie an ihren Händen, während sie ihre Wange auf seinen Kopf ablegte.
Ein vertrautes und wohliges Gefühl machte sich in ihm breit. Er erinnerte sich wieder an seine Kindheit. Wie sein Vater ihn auf seinen Schultern trug, mit ihm spielte, an die Zeit in der er mit seinem Vater Meinungsverschiedenheiten und kein Verständnis für einige Sichtweisen seines Vaters hatte.
Und dann erinnerte er sich an die Geburt von Ellen und an die Worte seines Vaters.
„Ich hatte immer den Anspruch, dir ein guter Vater zu sein. Und ich bin mir sicher, dass ich dem nicht immer so gerecht geworden bin, wie ich es mir vorgestellt habe und wie du es vielleicht gebraucht hättest.
Trotzdem finde ich, dass du ganz gut gelungen bist.
Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.
Der Spruch ist von Goethe.Ich finde, in diesem Satz steckt eine gewisse Wahrheit. Vielleicht siehst du das ja genau so.“
„Tja Paps, meine Kleine möchte wohl jetzt das Fliegen lernen,“ sagte er sich, nahm seine mittlerweile eingeschlafene Tochter wieder runter, hielt sie in seinen Armen fest, legte behutsam ihren Kopf auf seine Schulter und ging mit ihr nach Hause.