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Zwei Blätter

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05.10.2002
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Zwei Blätter

Zwei Blätter

Zwei Blätter hingen am Baum, nebeneinander, aber an verschiedenen Zweigen. Der Wind wehte um die zwei Blätter, es war ein kalter Herbstwind, der durch die warme Herbstsonne nur ein klein wenig freundlicher wurde. Die zwei Blätter waren alleine, alle anderen waren schon zu Boden gefallen und verfaulten dort unten im naßkalten Gras. Doch die zwei Blätter hingen noch, sie waren noch mit ihren Zweigen verbunden, zwar nicht fest aber immerhin mußten sie noch nicht fallen.
„Los“, sagte der Wind, „laßt schon los, irgendwann müßt ihr ohnehin dort hinunter ins Gras!“ Doch die Blätter hielten sich fest, mit aller Kraft. Da begann der Wind wütend zu werden und immer heftiger zu wehen. „Wir müssen durchhalten!“, schrie das eine Blatt zum anderen hinüber. „Ja, der Wind wird es nicht schaffen, uns auf den Boden zu wehen!“, antwortete das andere. Da dachte sich der Herbstwind: „Irgendwann müssen sie loslassen, irgendwann werden ihre Stiele, mit denen sie sich festhalten, so kalt sein, daß sie abfrieren, dann werden sie zu Boden fallen." Also hörte der Wind auf zu wehen und wartete bis der Winter kam.

Als der Winter da war, fragte er die beiden Blätter, warum sie denn nicht herunterfallen wollten. Da antworteten die beiden Blätter: „Wir wollen nicht im kalten Gras liegen und dort verfaulen, wir wollen hängenbleiben bis zum Frühling und die schöne Früh-lingswärme spüren.“ „Also gut“, sagte der Winter, „ich werde Euch verschonen. Ihr sollt am Baum bleiben bis der Frühling da ist, auch wenn es dem Lauf der Natur widerspricht.“ So verschonte der Winter die beiden Blätter und ließ ihre Stiele nicht erfrieren, sodaß sie sich weiterhin am Baum festhalten konnten, bis der Frühling kam.

Da kam der Frühling und mit ihm die warme Frühlingssonne, die auch den letzten Schnee wegschmolz. Als der Schnee weggeschmolzen war, schauten die beiden Blätter nach unten und sahen dort ihre Freunde, zu einem braunen Brei zusammengepreßt, vom schweren Schnee des Winters. „Siehst du,“ meinte das eine Blatt erleichtert, „wir mußten nicht so enden wie die.“ Und die Frühlingssonne schmolz nicht nur den Schnee, sie ließ auch den Baum sprießen. Es entwickelten sich neue Blätter und vor allem: Blüten, wunderschöne, gelbe Blüten, die beinahe so schön waren wie die Frühlingssonne. Da schauten die beiden Blätter in die Landschaft und sahen, wie überall in ihrer Umgebung die Bäume blühten und wieder wunderschöne neue Blätter bekamen, auch neben ihnen wuchsen wieder schöne, grüne Blätter. Da bemerkten sie, daß sie vom Herbst und Winter so braun geworden waren, daß sie nicht mehr wie Blätter aussahen, sie sahen eher so aus wie ihre Freunde, die am Boden lagen und mit dem Boden verschmolzen. Und als die neuen Blätter groß waren sprachen sie nicht mit den beiden. Sie schauten sie nur mißbilligend an und unterhielten sich schlecht über sie. Genauso die Blüten: Sie waren so begeistert von ihrer eigenen Schönheit, daß sie die beiden braunen Anhängsel nicht beachteten.

Da kam plötzlich ein Kind den Weg entlang und schaute den blühenden Baum an, all die wunderschönen Blüten, die gesunden, grünen Blätter und auch die zwei braunen Blätter, die schon seit dem letzten Herbst dort hingen. Das Kind stellte sich unter den Baum und wunderte sich, warum da noch zwei braune Blätter hingen, das beschäftigte das Kind so, daß es die beiden Blätter abriß. Das störte die beiden nicht, sie waren froh endlich von Baum wegzukommen, wo ohnehin niemand mit ihnen sprach. Auch die warme Frühlingssonne spürten sie nicht, weil die Blüten zu viel Schatten warfen. Das Kind nahm die beiden Blätter mit nach Hause, und weil es die Blätter in der offenen Hand hielt, spürten sie die Frühlingswärme in sich eindringen, all die Wärme, auf die sie so lange gewartet hatten. Das Kind mußte weit gehen, also konn-ten die Blätter lange die Wärme in sich aufnehmen, sie erfüllte sie geradezu.
Als das Kind zu Hause ankam legte es die beiden Blätter in ein Buch, es war ein dickes, altes Lexikon. Es legte die beiden nebeneinander auf eine Seite und schlug das Buch zu. So lagen die beiden Blätter nebeneinander und mußten sich nicht über einen Abstand von einem Zweig miteinander unterhalten. Sie lagen nebeneinander, auf einer Seite. Dort starben sie glücklich, mit der Erinnerung an die warme Frühlingssonne. Auf dem Baum unterhielt man sich noch lang über die beiden, und der Herbstwind und der Winter hatten auch einiges über sie zu erzählen. Sie gerieten lange nicht in Vergessenheit und man erzählt sich, daß sie in einem Lexikon liegen, und über ihnen lag das Wort: Frühling.

 

Schön geschrieben und die Geschichte hat auch ein schönes Ende auf seine weise. Es ist auch sehr unerwartet (für mich jedenfalls) und das machte mich während des lesens auch neugierig, was denn nun geschehen wird. Das Ende kommt einfach treffend mit einem Wort, und löst alles auf :) . Mir hats gefallen :)

bis dann

-kristijan

 

sehr schön - besonders das letzte Wort!

hat sich flüssig gelesen, daher gibts dazu nix zu sagen

 

Hallo SaschaWausk,

eine sehr hübsche, kleine poetische Geschichte hast Du hier geschrieben! Sie würde genauso gut in die Rubrik "Kinder" passen. Besonders schön ist der Schluß: Die beiden Blätter sind auf immer vereint. Das hat mich gerührt.

Zweimal hast Du vergessen, den Trennungsstrich zu entfernen:
"schöne Früh-lingswärme" und "also konn-ten die Blätter "

Liebe Grüße
Barbara

 

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