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Serie Zwanghaft

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02.02.2009
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Zwanghaft

6:00 Uhr – Wecker klingelt.
Tic, tac … – … tic, tac… – …tic, tac
Ein neuer Tag – eine neue Qual

6:03 Uhr – aufstehen.
Zuerst hieve ich das rechte, dann das linke Bein aus dem Bett.
- Zähne putzen -> 3 Minuten

Tic, tac … - … tic, tac … - … tic, tac
- Duschen -> 3 Minuten
Tic, tac … - … tic, tac … - … tic, tac
Langsam und mit bedacht trockne ich meinen noch feuchten Körper mit einem schwarzen Handtuch ab. 3 Mal.
Anschließend ziehe ich meine Unterwäsche an. Schwarze Unterhosen, schwarze Socken. Immer. Eine schwarze Hose und ein schwarzes Hemd vervollständigen das Bild. Wie immer.
Krawatte, gestreift… nicht kariert.
- Haare kämen -> 3 Minuten

Tic, tac … - … tic, tac … - tic, tac

6:20 Uhr – Frühstück
Stufe 2 des Wahnsinns.

Herd einschalten, Herd ausschalten, Herd einschalten, Herd ausschalten, Herd einschalten.
Hitzegrad 3.
Kaffeemaschine einschalten, Kaffeemaschine ausschalten, Kaffeemaschine einschalten, Kaffeemaschine ausschalten, Kaffeemaschine einschalten.
Kaffeebechergröße 3.

Warten.

Tic, tac - … tic, tac … - tic, tac
Ich schmeiße 3 Eier in das kochende Wasser. Braune, keine weißen. Am Ende esse ich nur eines davon und werfe die anderen in die Biotonne. Ebenfalls braun.
Kaffee auskühlen lassen …
3 Scheiben Brot schneiden. Schwarzbrot, kein weißes. Ist sowieso gesünder.
Kühlschrank öffnen, Kühlschrank schließen, Kühlschrank öffnen, Kühlschrank schließen, Kühlschrank öffnen.
Nougatcreme, keine Butter.



WO IST DIE NOUGATCREME???
Tictactictactictactictactictac

1. …
2. …
3. …
4. …
5. …
6. …
Tic tac, tic tac, tic tac

7. …
8. …
9. …
10. …

Tic tac …, - … tic, tac … - … tic tac
Zählen. Durchatmen. Noch zweimal.
Ich habe gestern vergessen neue zu kaufen.

Kaffee ist fertig. Schwarz, ohne Milch.
Teller und Messer aus der Besteckschublade ziehen.
Eines der Eier liegt auf der oberen Hälfte des Tellers. Die drei nackten Brotstücke auf dem unteren. Die Brotstücke in jeweils 3 gleiche Teile schneiden.
Essen …

Tic tac, … tic tac, … tic tac …

6:45 Uhr
Stufe 3 des Wahnsinns – Die Hölle

Ich trete aus dem Haus.
Tic tac, tic tac, tic tac
Haustür abschließen, Haustür abschließen, Haustür abschließen, Haustür aufschließen, Haustür abschließen.

Ich trete in das Leben.
Tic tac, tic tac, tic tac
Lärm, Schmutz und Menschenmengen schwirren um mich herum.
Angst …
1. …
2. …
3. …
Ich trete wie jeden morgen an die Straße.
Die Fußgängerampel springt auf grün.
Tic tac, tic tac, tic tac
Das Männchen springt wieder auf rot.
Tic tac… tic tac… tic tac…
Grün
Tic tac, Tic tac, Tic tac
Rot
Wieder grün
Tic tac, tic tac tic tac
Ich schaue 3 Mal nach links und 3 Mal nach rechts.
Ich trete auf die Straße.
Schritt 1…
Schritt 2
Schritt 3….. tictactictactictactictactictac


Ich höre ein quiteschen.

Ich sehe den Himmel.

Ich rieche Gummi.
...
Ich schmecke Blut.

Ich fühle nichts.

1. …
2. …
3. …
4. …
5. …
6. …
7. …
8. …
9. …
10. …

Tic……..(einatmen) …..tac (ausatmen)…..tic (einatmen)….tac(ausatmen)…….tic (einatmen)…….tac (ausatmen)……

….
Weiß umgibt mich.



Die Nougatcreme ist Schuld.

 

Bitte unbedingt die Pausen beachten. Der Text ist nämlich eher zum Vortragen gedacht.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo HideH und willkommen auf kg.de!

Ich mache hier mal den Anfang - leider nicht ganz und gar angetan von Deiner Geschichte, aber thematisch immer interessiert an den Geschichten über neurotische Seelen ;).

Dein Text schildert anschaulich einen Teil des Alltags eines Menschen mit Zwangshandlungen - bzw. falls das "Tic tac" keine Hintergrundmusik ist, Zwangshandlungen und Zwangsgedanken.
Als Kurzgeschichte hat mir der Text jedoch nicht sehr gut gefallen. Da finde ich ihn zu direkt, ja, plakativ. Der Titel ist bereits so sehr Programm, dass man von nichts im Text mehr überrascht wird. Die Qual des Zwangs etwas subtiler und weniger aus introspektiver Sicht des Protagonisten darzustellen, würde mir glaube ich besser gefallen.
Schön finde ich, dass die Unruhe und der empfundene Kontrollverlust dargestellt werden, die eine Abweichung im so nötigen Ablauf für Menschen mit Zwangsstörungen bedeuten (wobei bestimmte Lebensmittel da nicht unbedingt das Typischste sind, aber das ist ok). Die Unruhe bzw. vor der Tür dann auch wirklich Angst, die vom Prot bewusst nur für einen kurzen Moment wahrgenommen wird, dann aber doch sehr deutlichen (negativen) Einfluss auf seine Aufmerksamkeit hat. Hier könnte, wenn schon so introspektiv, die Gedankenwelt näher dargestellt werden. Z.B. die irrationale Verzweiflung über die Nougatcreme, Selbstvorwürfe und -anklagen, weil er sie vergessen hat o.Ä.
Man erfährt also etwas über ein Symptom und das Bild des Zwangs an sich, der Mensch, der daran leidet, taucht im Grunde nicht auf. Seine Person fehlt.
Insgesamt ist mir das zu straight forward, man taucht nicht ein und schon ist es wieder vorbei.

Die letzten beiden Sätze hätte ich gestrichen:

….
Weiß umgibt mich.



Die Nougatcreme ist Schuld.

Diesen Satz fand ich a) ein bisschen seltsam (abtrocknen impliziert ja bereits, dass der Körper "noch feucht" ist) und b) sollte "mit bedacht" ein großes "B" bekommen :)

Langsam und mit bedacht trockne ich meinen noch feuchten Körper mit einem schwarzen Handtuch ab.

Und noch ein zwanghafter Hinweis ;) :
Ich höre ein quiteschen.

ein Quietschen.

Viele Grüße,

Sister Vigilante

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sister Vigilante.
Danke erstmal für deine anschauliche Kritik. Ich kann vollkommen nachvollziehen, was du da sagst und mir würde es ähnlich gehen wenn ich nicht der Verfasser des Textes wäre.
Vielleicht einige Anmerkungen zu deinen Kommentaren:
- Die Direkthit und Emotionslosigkeit sind völlig bewusst so straight dargestellt. Ein Neurotiker ist meißtens sehr empathielos und somit finde ich diesen abgehackten nüchternen Stil für die Geschichte sehr nützlich. Gedanken des Protagonisten würden nur unnötig stören. Es ist eine bewusste Reduktion meinerseits. Ich beschreibe lieber durch Taten als durch Worte. Vorallem in diesem Text scheint es mir ausnahmslos richtig gewesen zu sein.
- Als Kurzgeschichte hat dir mein Text nicht gefallen? Seh ich genauso wenn ich den Text als Kurzgeschichte betrachten würde. Mir fällt jetzt im nachhinein auf, dass es hier auch eine Unterrubrik "Experimente" gibt, wo er wahrscheinlich eher hineingehört. Mein Fehler.
- Die letzten beiden Sätze streichen? Sie sind doch gerade das was den Text ausmacht. Zumindest meiner Meinung nach. "Weiß umgibt mich." Stell dir vor ich hätte geschrieben: "Schwarz umgibt mich." Wäre die Reaktion (Der letzte Satz) die gleiche gewesen? Was denkst du? ;-)

 

Hallo HideH,
gerade habe ich mir den Text vorgelesen und ich bin auch der Meinung, dass es seine eigentliche Bestimmung ist! Die Not des Menschen kommt allerdings auch rüber, wenn man ihn leise liest, doch ich finde, es bleibt als Geschichte zu fleischlos. Als Thema interessant, sehr viel rauszuholen, doch hier passt es eher in die Rubrik Experimente.
LG,
Jutta

 

Hallo HideH,

Ich kann vollkommen nachvollziehen, was du da sagst und mir würde es ähnlich gehen wenn ich nicht der Verfasser des Textes wäre.
Ja, die Leserperspektive ist nicht zu vernachlässigen beim Schreiben ;)

Die Direkthit und Emotionslosigkeit sind völlig bewusst so straight dargestellt. Ein Neurotiker ist meißtens sehr empathielos und somit finde ich diesen abgehackten nüchternen Stil für die Geschichte sehr nützlich.

Der grundsätzlichen Empathielosigkeit von Menschen mit sogenannten neurotischen Reaktionsweisen möchte ich grundsätzlich (und vehement) widersprechen. Zudem ist Dein Prot. ja bereits relativ selbstreflektorisch, aber er beschreibt und beschreibt eben vor allem seine Symptome. Was ich meinte war, dass es die Geschichte stärken könnte, wenn der Verfasser selbst etwas um das Zwangssyndrom herum darlegen würde, etwas zur Person des Prot, etwas, was die Zwangsstörung vielleicht verstehen läßt, vielleicht etwas Biographisches. Oder eben einen aktuellen Konflikt.

Ich beschreibe lieber durch Taten als durch Worte. Vorallem in diesem Text scheint es mir ausnahmslos richtig gewesen zu sein.

Das nenn' ich Selbstbewusstsein ;) ist ja auch gut so, und eine Beschreibung ist Dir ja auch gut gelungen. Zu einer Geschichte gehört für mich aber eben mehr (ich neige selbst zum reinen Beschreiben und habe u.a. hier im Forum gelernt, dass Leser sich dabei zu Tode langweilen können).
Warum musste er sich diesen rigiden Regeln unterwerfen? Welche Angst halten die Zwänge im Zaum? Warum braucht er dieses (wenig sinnvolle) Übermaß an Sicherheit? Solche Fragen stellten sich mir beim Lesen bzw. Antworten darauf hätte ich gern gefunden :)
Ich verstehe schon, so war Dein Text gar nicht intendiert, das ist ja auch ok. Aber als Kurzgeschichte fehlt mir da eben "was Fleisch".
Und um Kurzgeschichten geht es hier in allen Rubriken - siehe Titel der Website ;)

Und die letzten beiden Sätze, hm, sie haben für mich irgendwie dieses straight-forward-Ding nochmal auf die Spitze getrieben. Damit meine ich, dass es an dieser Stelle schon klar ist, dass er einen Unfall hatte und seine Zwanghaftigkeit zu diesem Unfall geführt hat. Ich meine, man hätte das nicht nochmal schreiben müssen.

Soweit nochmal mein Senf dazu ;)

Viele Grüße,

Sister

 

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