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Zwölftausend Fuß
Der Flugzeugrumpf war eiskalt und sie spürte das scharfkantige Metall der offenen Kabinentür. Und ihre entsetzliche Angst. Sie schnürte ihr die Kehle zu. Ihre Muskeln verkrampften in der hilflosen Suche nach festem Halt, ihre Gedanken rasten. Der Fahrtwind übertönte das betäubende Dröhnen der vier Triebwerke und zerrte an ihr. Beinahe hätte er sie aus dem Flugzeug gerissen. In die Kälte und die Tiefe.
Mühsam zwang sie sich, die Augen zu öffnen. Der Fahrtwind füllte sie sofort mit Tränen, in der Dämmerung konnte sie fast nichts erkennen. Dennoch war sie sich der endlosen Leere unter sich bewusst. Das große Militärflugzeug hatte schon vor Minuten die Wolkengrenze erreicht und ihre Flughöhe musste schon deutlich über zwölftausend Fuß betragen. Schreckliche viertausend Meter.
Ihre Gedanken gerieten außer Kontrolle und sie verlor die Orientierung, bis sie hinter sich eine Bewegung spürte. Sie drehte den Kopf, versuchte über die Schulter zu schauen. Er stand direkt hinter ihr. Der Fahrtwind verzerrte sein Gesicht zu einer grotesken Grimasse. Hinter der Brille sah sie seine stahlgrauen Augen und erkannte darin nichts als Entschlossenheit. Das Gesicht eines Psychopathen, schoss es ihr durch den Kopf. Sie versuchte, ihn zurückzuschieben, aber die Muskeln unter seiner Uniform gaben keine Handbreit nach. Noch einmal öffnete sie den Mund, aber ihr Schrei verwehte im Fahrtwind. Dann spürte sie seine Hand an ihrer Schulter. Unerbittlich schob er sie vom Flugzeug weg. Ihr linker Stiefel rutsche kurz unter ihr weg und ihre Hände verloren den Halt, bevor sie kopfüber in die Tiefe stürzte.
Sie hatte immer gedacht, der freie Fall sei etwas Friedliches, Erhabenes. Die Realität war so ganz anders. Ihr Magen hob sich, der Körper verkrampfte sich, während sie immer schneller in die Leere trudelte. Der Fahrtwind presste die Luft in ihre Lungen und das Atmen wurde immer schwerer. Die Wolkendecke raste auf sie zu.
Dann spürte sie seine Hand um ihren Brustkorb. Die andere hielt ihr den Höhenmesser vor die Augen. Der Zeiger drehte sich schnell nach links, während sie tiefer und tiefer fielen. Mit den Beinen stabilisierte er ihren Fall, bis sie gleichmäßig Kopf voran durch die Wolkendecke rasten. Kurz bevor der Höhenmesser zweieinhalb tausend Fuß anzeigte, spürte sie noch einmal den Druck seiner Hand unter ihren Rippen. Fest und kurz. Sie ahnte, was jetzt kommen würde.
Als er den Fallschirm mit einem Ruck auslöste, passierte für einen atemlosen Augenblick nichts. Sie fielen unverändert weiter, ihr Herz raste, bis sich endlich der Schirm über ihnen entfaltete und sie mit einem Ruck in die Gurte gedrückt wurde. Und dann war da Ruhe und dieses ungeheure Glücksgefühl. Sie waren durch die Wolken gefallen und schwebten fast lautlos über der Landschaft.
Sie fühlte sich so frei, wie schon lange nicht mehr und erinnerte sich zurück an ihren Abend im italienischen Restaurant. Romantische Atmosphäre, teurer Wein und vor allem die Hoffnung, ihre Beziehung doch noch retten zu können. Sie erinnerte sich an die Überzeugung in seiner Stimme. »So ein Abenteuer wird uns gut tun. Die Versöhnung vertiefen. Wir werden uns nah sein wie noch nie, Liebling« hatte er gesagt. Seine Stimme mit dem verführerischen texanischen Akzent war voller Wärme. Er hatte recht behalten.
Die Wolken über ihr färbten sich rot und es wurde heller um sie herum. In ihrem Kopf entstand ein Schrei, zuerst körperlos, dann bahnte er sich unaufhaltsam einen Weg bis zu ihrer Kehle und sie schrie ihre Begeisterung und ihr Glück in den Sonnenaufgang hinein.