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Zuspätgespräch 2 - Von smileys und Problemen in der Kommunikation
Was bisher geschah:
Zwei unterhalten sich. Beide sind sie Mitglied in einem Internet-Forum, in dem literarische Texte veröffentlicht und diskutiert werden. Und beide haben sie nichts zu sagen.
Kurt schweigt, Paul grinst. Die Diskussion wird sich zwangsläufig um kommunikationstheoretische Aspekte von smileys drehen.
K: Ich weiß gar nicht, was du gegen smileys hast.
P: Smileys sind albern.
K: Weshalb? Weil sie deiner Meinung nach doof aussehen?
P: Ja, auch. Aber vor allem, weil sie zum Ausdruck bringen, wie schwer sich die Benutzer damit tun, etwas mit Worten allein zum Ausdruck zu bringen.
K: Die hohe Schule des Ausdrucks. Sollten vielleicht eines deiner Seminare besuchen.
P: Wer smileys benutzt, weiß sich nicht besser zu helfen.
K: Aus gutem Grund.
P: Du stimmst mir zu?
K: Quatsch.
P: Hätte mich auch verwundert. Du, der nervtötende "Geist, der stets verneint".
K: In der Kommunikation spielen neben verbalen auch nonverbale und paraverbale Aspekte eine entscheidende Rolle.
P:
K: Du hast es getan!
P:
K: Laß die Albernheiten und hör mir zu.
P: Also plötzlich ist es doch albern, smileys zu verwenden oder was?
K: Ja, jetzt schon. Aber eigentlich: nein. Ach, was weiß ich, jetzt hör mir einfach zu.
P: Na gut.
K: Durch die Kommunikation in der Form der Beiträge entfallen Möglichkeiten wie Betonung, Gestik und Mimik; diese entstehende Lücke wird durch smileys gefüllt.
P: Vollkommen.
K: Nun, nicht vollkommen, sagen wir, ergänzt.
P: Beispiel!
K: Ich schreibe: "Hier hast du dir ganz schön was geleistet".
P: Blöder Satz.
K: Ja, aber seine Bedeutung variiert, je nachdem, welchen smiley ich hinzufüge.
P: Du fügst smileys hinzu?
K: Natürlich nicht.
P: Warum dann der ganze Sermon? Wolltest dich bloß mal wieder aufspielen, oder?
K: Genau.
Die Diskussion verheddert sich dadurch zwangsläufig noch einmal in den Nicht-Aufgaben eines Autors. An diesem toten Punkt angekommen, erscheint Schnaps unausweichlich.
K: Wir haben noch Schnaps?
P: Du kannst doch nicht den Zwischentext adressieren!
K: Weshalb nicht?
P: Weil er nur ein Zwischentext ist!
Da liegst du aber vollkommen falsch, ich habe durchaus ein Eigenleben. Ich kann direkt angesprochen werden. Und ich kann sogar singen!
K: Na siehst du.
P: Ich gebe auf. Jetzt wird es endgültig albern.
Hey, das war mein Text! Ich kann euch aus dem Fenster springen lassen, das wißt ihr, oder?
P: Gut, wir machen einen deal. Du besorgst uns einen Schnaps, und jeder konzentriert sich wieder auf seinen part, ok?
K: Immer diese Anglizismen...
Na gut.
Das Gespräch der beiden nimmt wieder Vernunft an. Plötzlich geschieht etwas. Ein harmloser Blitz im Zimmer und das sanfte Halleluja eines russischen Knabenchores verraten, daß gerade ein Wunder geschieht. Paul greift unter seinen Stuhl und zieht eine Flasche Wodka hervor. Kurt hält zwei Gläser bereit.
K: Es hätte ruhig besseres Material sein dürfen, aber gut: trinken wir.
P: Genau.
Sie stoßen an, ein drittes Mal kläfft draußen ein Hund. Die anschließende Diskussion über Anglizismen folgt nun.
P: Cool stuff.
K: Diese Anglizismen gehen mir auf den Nerv.
P: Da sag ich doch mal: relax.
K: Kann man sich in seiner eigenen Sprache nicht mehr ausdrücken?
P: Natürlich, though, manchmal kann es auch belebend sein, etwas peppigeres zu verwenden.
K: Die englische Sprache, Quell aller Peppigkeiten.
P: Naja, es ist immerhin besser, als "Quell" zu sagen, weshalb denn nicht gleich "Born"?
K: Ich finde, die deutsche Sprache ist eine schöne Sprache.
P: Ist sie.
K: Und sie ist mächtig...
P: Mächtiger als, sagen wir: Dänisch. Nein, sagen wir ruhig: mächtiger als Französisch.
K: Definitiv mächtiger als Französisch. Zumindest wenn ich es spreche.
P: Genau.
Die ...
K: Stop, stop, stop. Wir müssen jetzt einmal mit dieser lächerlichen Angewohnheit brechen, jeden halbwegs sinnvollen Dialogblock mit "Genau." zu beenden.
P: Gut, was schlägst du vor?
K: Bleiben wir beim Thema: Anglizismen, ja oder nein?
P: Na, wenn sie Sinn machen. Sie werden doch verwendet. Wie andere Worte, die früher oder später in eine Sprache wandern, doch auch. Wie z.B. 'Fenster' oder 'Motor' oder 'Rendezvous' oder ...
K: Ja, spar dir diese Aufzählung. Kennen wir doch alles.
P: Und was stört dich dann an Anglizismen?
K: Ich denke, in dem Fall, in dem es ein äquivalentes Wort in der deutschen Sprache gibt, das genauso verwendet werden kann, ist ein Anglizismus deplaziert.
P: Gleichwertiges.
K: Was?
P: Gleichwertiges. Du hast "äquivalentes" gesagt.
K: Aber ich spreche doch von Anglizismen.
P: Aha, aber seine philologischen Klugscheißereien, die darf der Herr natürlich...
K: Das ist widerlich. Bring endlich dein "Genau."
P: Genau.
Etwas verstimmt leeren die Helden ihre Gläser, schenken sich nach, stoßen versöhnlich an. Paul, sich seiner immensen Schuld bewußt, sucht nach einem unbelasteten, vermittelndem Thema. Die beiden tuscheln.
K: Psst, psst, er hört wieder...
P: (blickt mit spitzen Lippen um sich)
K: Du wolltest gerade...
P: Ich? Ja, ich wollte... Genau, ich wollte mit einem neuen Thema beginnen.
K: Ja, bitte, dann beginne doch damit.
P: Also... der Autor. Der Text... Stellen wir uns einen Autor vor, der einen Text geschrieben hat.
K: Vorstellbar.
P: Er veröffentlicht ihn, sagen wir: in einem Forum im Internet, und dort schlummert der Text eine Weile, bis irgendwelche Spürhunde ihn wieder ausgraben.
K: Wie einen Knochen?
P: Ja, genau, einen Knochen. Alt, vergammelt, vergessen.
K: Gut. Und?
P: Und jetzt merkt der Autor, der den Text selbst ganz vergessen hat, daß er den Text heute ganz anders schreiben würde. Daß ihm der Stil nicht zusagt, die Sprache, er seinen Ausdruck bemängelt, und so weiter.
K: Und warum ist ihm das nicht schon früher aufgefallen?
P: Sagen wir, er hat eine Entwicklung durchgemacht. Er ist besser geworden.
K: Also er hat nicht einfach seine Meinung geändert?
P: Nein. Also natürlich schon. Aber nicht wie der Wind seine Richtung...
K: und im goldenen Lichte des Morgens erkannte der wohlgestalte Ritter in schimmerndem Nachthemd...
P: Sehr konstruktiv.
K: Entschuldige. Aber ich habe eine Schleim-Allergie.
P: Sehr schön ausgedrückt.
K: Soll ich jetzt auf dem Boden robben, "mea culpa, mea maxime culpa" ächzen? Jetzt sprich einfach weiter.
P: Wo war ich?
K: Beim Wind?
P: Depp.
K: Ok, ok, sorry, ok. Du warst bei der Entwicklung eines Autors.
P: Also Anglizismen sind in jedem Fall zu unterlassen.
K: Sag mal, willst du überhaupt fortsetzen, oder willst du nur rumnerven?
P: Ich will noch einen Schnaps.
K: Ich auch.
Mein Einsatz? Ihr habt vergessen...! Die beiden gießen Wodka nach.
P: Wie verfährt ein Autor mit seinem "Frühwerk"? Das ist meine Frage.
K: Du meinst mit alten Texten, von denen er sich distanziert?
P: Ja, genau.
K: Er sollte sie verbrennen.
P: Ehrlich, das denkst du? So wie Orff?
K: War ja kein Schriftsteller.
P: Anderes Spiel, gleiches Stadion.
K: Gut, einverstanden. Ja, ich denke, er sollte sie dem Feuer überantworten.
P: Also löschen.
K: Ja.
P: Das finde ich dem Leser gegenüber irgendwie unverantwortlich.
K: Das ist doch, im Gegenteil, höchst verantwortlich. Er bewahrt den Leser vor der Lektüre eines schlechten Textes.
P: Sagtest du nicht in einer früheren Diskussion einmal, daß dem Autor das Interpretationsrecht an seinem eigenen Text abgesprochen werden muß?
K: Ja, und?
P: Wie kann er dann sagen, daß der Text nicht gut ist? Haben das nicht die Rezipienten zu entscheiden?
K: Guter Punkt.
P: Also doch nicht verbrennen?
K: Doch.
P: Aber das ist doch vollkommen inkonsequent!
K: Mir doch egal!
P: Also manchmal es wirklich sinnlos, mit dir zu diskutieren.
K: Ich fürchte, häufig sogar.
P: Er kann doch auch einfach den Text mit einer Bemerkung versehen: "Hallo lieber Leser, sorry, mit dem Text bin ich nicht mehr einverstanden. Lesen auf eigene Gefahr."
K: Ja, das klingt nach einer Möglichkeit. Aber entgegen dem, was ich zuvor gefordert habe: weshalb überarbeitet er den Text nicht einfach?
P: Das klingt gut. Aber vielleicht ist der Text so rabenschlecht, daß das unmöglich erscheint.
K: Dann soll er ihn neu schreiben, die neue Version als Antwort anhängen und in die erste Zeile schreiben: "Aktuelle Version siehe da und da".
P: Warum den alten Text stehen lassen?
K: Damit die Kommentare nicht sinnlos erscheinen, die darauf geschrieben wurden.
P: Verstehe. Klingt nach Arbeit.
K: Und wir hassen Arbeit.
P: Deine Verbrennen-Taktik erscheint mir immer einleuchtender.
K: Sage ich doch schon die ganze Zeit.
P: Genau.
Die halbleere Wodkaflasche wird bemüht, Müdigkeit breitet sich in den Gesichtern der Beteiligten aus, wir verlassen den Ort der Nichthandlung.