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Zuspätgespräch 1 - Von Orthographie und sprachlichem Ausdruck
Ein Zimmer. Ein Computer, ausgeschaltet. Vier volle Aschenbecher. Drei leere Bierflaschen. Zwei halbvolle, jeweils mit angehängtem Konsumenten. Draußen kläfft ein Hund, es geht los.
Kurt: Der Hund.
Paul: Was?
K: Ach, was weiß ich, das war draußen.
P: Und draußen zählt nicht. Wir sind drin.
K: Und reden.
P: Genau.
Die beiden schweigen einen Moment. Kurt dreht eine Zigarette. Die Orthographie-Diskussion beginnt.
P: Interpunktion ist wichtig, und Rechtschreibung auch. Egal, ob alt oder neu. Man kann sich ja einmal vetrippen, aber bei einer Häufung ist es eine Zumutung.
K: Weshalb eine Zumutung?
P: Da drängt mir jemand einen Text auf...
K: Niemand drängt dir einen Text auf, es steht dir völlig frei, ob du ihn lesen willst, oder nicht.
P: Aber dann lese ich ihn eben nicht.
K: Aber weshalb dann eine Zumutung?
P: Vielleicht ist der Text ja gut, vielleicht bin ich auf den Autor aufmerksam geworden, was weiß ich.
K: Aber noch immer zwingt dich niemand, ihn zu lesen. Kann also auch keine Zumutung sein, es sei denn, du mutest es dir selbst zu. Dann hast du aber selbst schuld.
P: Nein, das sehe ich nicht so. Ich finde es einfach frech, wenn ich anfange, einen Text zu lesen und der von Fehlern nur so stinkt.
K: Du weichst nur auf ein anderes Wort aus!
P: Aber die Autoren tun sich doch selbst keinen Gefallen damit.
K: Vielleicht wollen sie ja nicht gelesen werden.
P: Genau.
Paul öffnet eine weitere Flasche Bier. Die Orthographie-Diskussion wird ausgeweitet.
P: Seltsamerweise ist es mir in den Kommentaren egal. Slogane scih in eneim Txet nhcit so vleie Fleher bfedenin, daß er vllokmoemn uslbaner wrid, snid mir die Kmemontrae eagl.
K: Das hast du geklaut. Stand mal in der FAZ.
P: Stimmt, aber ändert nichts an meiner Aussage: in Kommentaren ist es mir egal.
K: Das ist aber merkwürdig. Ich mochte deine 'Zumutungs'-Argumentation nicht, aber ich finde, wer sich keine Mühe gibt, der fällt bei mir einfach durch. Egal ob innerhalb einer Geschichte oder eines Kommentars.
P: Da entgeht dir aber vieles.
K: Das kümmert mich nicht, wer sich keine Mühe gibt, will nicht gelesen werden.
P: Weitest du das auch auf die Handlung aus?
K: Nicht unbedingt. Wenn ich auch gegen eine gute Handlung nichts einzwenden habe. Aber in erster Linie muß die Sprache stimmen. Dazu gehört auch die Orthographie.
Kurt greift nach seinem Bier, Paul kratzt sich. Die Diskussion dreht sich plötzlich um sprachlichen Ausdruck.
P: Aber du gibst zu, daß ein Text, der nur dieses Kriterium erfüllt, noch nicht gut sein muß.
K: Kann ich mir nicht vorstellen. Was meinst du?
P: Naja, einen Text eben, der über eine gewaltige Sprache verfügt, in dem auch alle Kommata an der richtigen Stelle stehen.
K: Wieso soll das schlecht sein?
P: Soll es doch gar nicht.
K: Genau.
Paul schüttelt den Kopf und gähnt, Kurt beginnt zu pfeifen. Die Diskussion um sprachlichen Ausdruck kommt ins Rollen.
P: Also, ein perfekter Text, nach diesen Kriterien. Was aber, wenn er überhaupt keine Handlung hat, oder eine derartig triviale Handlung, daß man nicht wirklich von einer sprechen kann.
K: Jede Handlung ist trivial.
P: Wir haben das literaturtheoretische Phänomen der unerhörten Begebenheit.
K: Goethe, ich weiß. Aber auch das ist trivial. Held kommt in Stadt, trifft wie durch ein Wunder seine Eltern, die er noch nie gesehen hat, weil er als Kind, blablabla. Alles trivial.
P: Gibt es irgendetwas, das nicht trivial ist?
K: Nein.
P: Gibt es irgendetwas, das noch nicht erzählt wurde?
K: Nein.
P: Warum schreiben diese Hirnis denn dann Geschichten?
K: Wollen sich alle nur profilieren. Sie wollen haufenweise Kommentare kriegen die lauten: "Also, hat mir voll toll gefallen"
P: So einfach?
K: So einfach.
P: Da muß ich dir widersprechen. Es gibt Autoren, die etwas zu erzählen haben, die Geschichten mit sich herumtragen, die andere Leute hören wollen, lesen wollen!
K: Was, hier?
Kurt lacht und verschüttet sein Bier. Draußen kläfft wieder ein Hund. Weder das eine noch das andere Ereignis kann die Autor-Kommentar-Diskussion aufhalten oder hinauszögern.
P: Menschen lieben Geschichten.
K: Das ist wahr. Sie gehen ins Kino, sie lesen Bücher, sie tratschen über ihre Mitmenschen. Alles wunderbare Geschichten.
P: Und sie wollen Geschichten erzählen, nicht nur hören.
K: Und das tun sie hier?
P: Ja, um auch mal eine fremde Meinung dazu zu hören.
K: Das heißt, sie schreiben die Geschichte nicht, damit andere sie lesen können, sondern damit sie eine Antwort darauf erhalten?
P: Vielleicht. Ist ja auch verständlich, oder?
K: Weshalb?
P: Naja, wenn man anderen Menschen etwas präsentiert, sie mit etwas beschenkt, so will man doch wissen, ob es ihnen gefällt, oder nicht?
K: Kann ich nachvollziehen, ja. Wenn man sich Mühe gegeben hat mit einer Sache.
P: Genau.
Jetzt endgültig ist der Punkt überschritten, an dem die Diskussion einen anderen Verlauf hätte nehmen können.
K: Aber würde es dir guttun, wenn einer käme und sagte: "Also, hat mir sehr gut gefallen."
P: Ja.
K: Auch, wenn er sonst nichts anzumerken hätte?
P: Ja.
K: Auch, wenn du selbst nicht weißt, ob die Geschichte wirklich gut ist?
P: Schwierig, ich glaube auch dann.
K: Brauchst du Streicheleinheiten?
P: Bleib weg.
K: Aber wirklich gut sind doch nur Kritiken, die den Eindruck erwecken, der Mensch hat sich mit meinem Text auseinandergesetzt, hat versucht, ihm gerecht zu werden.
P: Du bist viel eitler, als ich immer dachte.
K: Genau.
Die letzten beiden Flaschen Bier werden geöffnet, was die Diskussion leider nicht vorzeitig beendet.
P: Und bei jedem einzelnen bedankst du dich dann per pn. Oder ziehst du es vor, jedem ein eigenes posting zu widmen?
K: Weder noch. Ich denke, wenn ich eine Geschichte geschrieben habe, sollte ich gar nichts mehr dazu sagen.
P: Kommen sich da die, die die Geschichte kommentieren nicht unerhört vor?
K: Möglich, aber es ist nicht meine Sache.
P: Wieso nicht deine Sache? Vielleicht haben sie gar nicht verstanden, was du mit dem Text ausdrücken wolltest.
K: Gerade dann nicht. Vielleicht muß ich den Text überarbeiten, aber wenn ich eine Geschichte veröffentlicht habe, überlasse ich sie den Lesern. Ich darf gar nichts mehr dazu sagen.
P: Wieso darfst du nichts mehr dazu sagen. Du weißt doch am besten über die Geschichte bescheid!
K: Falsch. Die sollen sie lesen, sie auslegen...
P: Oho, der Herr schreibt heilige Schriften.
K: Na von mir aus interpretieren. Und dann untereinander übereinkommen, was sie darin sehen. Und ob die Geschichte gut ist.
P: Machst du es dir nicht ein bißchen einfach damit?
K: Nein, eigentlich darf ich gar nicht anders. Denn als einziger Leser habe ich keine Möglichkeit, zu lesen, was im Text steht.
P: Das ist doch Unsinn.
K: Ganz und gar nicht. Guck, ich weiß, was ich geschrieben habe. Ich weiß vielleicht sogar, was ich damit ausdrücken wollte. Was noch nicht heißt, daß das, was ich wollte mit dem, was ich geschrieben habe, übereinstimmt.
P: Willst du damit sagen, daß dir ein objektives Lesen unmöglich ist? Das ist doch trivial. Niemand kann objektiv lesen.
K: Alles ist trivial.
P: Genau.
Es geschieht nichts. Ein anderer Faden wird begonnen.
P: Vor kurzem hatte ich ein lustiges Erlebnis.
K: Erzähl es mir.
P: Die Menschen lieben Geschichten, ich sage es doch.
K: Hast du das etwa nur gesagt, um eine Theorie zu beweisen?
P: Nein.
K: Dann erzähl deine Geschichte.
P: Siehst du, genau was ich sage.
K: Langsam nervt das. Ich will deine Geschichte gar nicht mehr hören.
P: Sie ist aber lustig.
K: Du hattest ja auch Spaß, als das Öl auf dem Herd Feuer fing.
P: Sie ist wirklich lustig.
K: Glaube ich nicht, aber erzähle sie ruhig, ich habe eh nichts besseres zu tun.
P: Vor kurzem unterhielt ich mich mit einem Bekannten während wir einen Film im Fernsehen ansahen.
K: Beides gleichzeitig? Gehörst du zu den Menschen, die im Kino...?
P: Ruhe jetzt. Ich hatte den ganzen Tag im Forum verbracht und war irgendwie völlig gaga.
K: Kann ich verstehen. Und weiter?
P: Er sprach mit mir und ich sagte plötzlich: "Ich habe inzwischen Schwierigkeiten zu verstehen, was Menschen sagen, wenn sie keine smileys zwischen den Sätzen verwenden."
K: Das ist deine Geschichte.
P: Ja.
K: Und die ist also... lustig?
P: Genau.
K: Genau.