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... zurück ins Licht ...
Antwort
Hier gibts die Neufassung!
Plötzlich wurde es mir schwarz vor Augen. Ich konnte gerade noch meine Sitznachbarin Karin auf mich aufmerksam machen, als ich auch schon in Ohnmacht fiel. Ich fühlte mich schon seit einiger Zeit nicht sehr wohl, hatte immer wieder Schwindelanfälle, hatte zu nichts Lust und war nur noch müde. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich umkippen würde. Vor allem nicht in der Schule.
Ich erwachte wieder, als ich ein ungewohntes Piepsen hörte.
„...neue Flasche... bald wieder zu Bewusstsein...“
Mehr konnte ich nicht von den geflüsterten Worten verstehen. Ich versuchte mich aufzurichten um den anderen zu zeigen, dass ich schon wieder bei Bewusstsein war, aber das war schon eine zu große Anstrengung. Außerdem hatte ich auf einmal Schmerzen an meinem Beckenknochen. Ich wurde wieder bewusstlos.
Als ich wieder zu mir kam dämmerte es draußen. Ich lag in einem weißen Bett in einem fremden Zimmer. In dem dusteren Licht, dass wohl aus dem Flur kam, konnte ich erkennen, dass Karin neben meinem Bett stand und aus dem Fenster blickte. Als ich sie fragen wollte warum sie hier sei und was überhaupt passiert war, versagte mir die Stimme. Ich brachte nur ein heißeres Krächzen zustande. Sofort drehte sich Karin zu mir um. Als sie merkte das ich wach war glitt ein erleichtertes Lächeln über ihr Gesicht.
„Endlich wirst du wach! Ich dachte schon du kommst überhaupt nicht mehr zu dir! Aber jetzt muss ich sofort die Schwester rufen, die Nachtdienst hat.“ Schon hatte sie nach der Schwester geklingelt, die auch sofort kam.
„Hanna! Stephie ist endlich aufgewacht!“ rief Karin ihr entgegen
Schwester Hanna war noch sehr jung, und hatte, wie ich später erfuhr, gerade drei Wochen vorher ihre Prüfung als Krankenschwester abgelegt.
„Endlich! Da hat sie ja echt noch mal Glück gehabt! Und wie geht’s dir?“ Sie kam zu mir und maß meinen Puls, Blutdruck und steckte mir ein Thermometer in den Mund. Alles war im normal Bereich. Ich war nur sehr schwach und heiser.
„Warte, ich bringe dir einen Tee. Der hilft dir, dass dein Hals wieder frei wird.“ Die Schwester hatte gehört wie ich immer wieder versuchte zu sprechen. Aber es misslang jedes Mal. Schon war sie auf dem Weg zur Küche.
„Wo bin ich?“ brachte ich endlich unter Krächzen zustande.
„Im Krankenhaus in Stuttgart.“
Inzwischen war die Schwester mit dem Tee zurück, der mir wirklich binnen weniger Minuten half. Das Kratzen im Hals war bis auf ein Minimum zurückgegangen.
„Wie komm ich denn hierher? Und wieso muss ich an diese dämliche Infusion da angeschlossen werden?“ Erst jetzt hatte ich gemerkt, dass ich an einer Infusion hing. Und als ich mich bewegte hatte ich wieder diese Schmerzen an meinem Beckenknochen und jetzt auch in der linken Schulter und neben meiner linken Brust. „Außerdem tut mir alles weh. Was ist hier eigentlich los?“ Ich war zwar kein wandelndes, aber trotzdem ein sitzendes Fragezeichen.
„Wir erklären dir später alles. Jetzt schlaf noch mal. Du bist noch zu erschöpft und darfst dich nicht aufregen.“
Aber damit gab ich mich nicht zufrieden. Ich hätte nicht einschlafen können ohne zu wissen warum ich hier war und was überhaupt los war. Außerdem hatte ich ja gerade erst geschlafen und war nicht müde.
„Ich weiß nur noch, dass ich in der Schule einfach umgekippt bin. Aber was ist dann passiert?“ Ich bedrängte Schwester Hanna und Karin, bis sie sich breitschlagen ließen.
„Ja, das war vorgestern.“
„Was so lange war ich bewusstlos!“
„Ja, aber du wolltest ja wissen was passiert ist. Der Herr Weber hat erst mal voll den Schock gekriegt, als ich ihm gesagt hab, dass du bewusstlos geworden bist. Aber die Klasse und ich genauso. Wir haben dich erst mal hingelegt mit den Beinen nach oben, aber als du nicht aufgewacht bist haben wir den Krankenwagen gerufen. Die haben dich dann mit nach Pforzheim ins Krankenhaus genommen. Dort haben sie versucht rauszufinden warum du umgekippt bist und sie haben alles getan um dich wieder zu Bewusstsein zu kriegen. Aber nichts hat funktioniert. Ich war die ganze Zeit mit dabei. Nachdem sie dann deine Blutwerte gesehen haben, haben sie dich sofort hierher überwiesen. Deine Eltern sind auch gleich dort hingekommen. Gestern haben sie dich dann operiert.“
„Was haben sie denn operiert?“
„Das erzählen wir dir dann morgen. Jetzt wird geschlafen und Karin muss jetzt auch nach Hause.“
„Aber was hab ich denn jetzt?!“
„Das kann ich dir erst sagen, wenn die Ergebnisse der Untersuchung da sind.“
Ich war auch wirklich schon wieder extrem müde. Als die beiden draußen waren, schlief ich sofort ein.
Ich erwachte am nächsten Morgen, als Schwester Andrea reinkam um Puls, Blutdruck und Temperatur zu messen und mir beim Waschen zu helfen. Aber ich brauchte ihre Hilfe eigentlich gar nicht. Ich fühlte mich richtig fitt. Während ich mich wusch, bemerkte ich an beiden Seiten von meinem Beckenknochen einen Verband, sowie an meiner linken Schulter. Neben meiner linken Brust war ebenfalls ein Verband. Die Schwester erklärte mir, dass ich voraussichtlich für längere Zeit hier im Krankenhaus in Behandlung bleiben müsste und mir deshalb ein „Schlauch“ von neben der linken Brust in die Schulter und dann Richtung Herzen durch eine Ader gelegt worden war. Sie müssten mir dann nicht jedes Mal eine neue Infusion in den Arm legen. An den Beckenknochen hatten sie mir das Knochenmark punktiert. Ich verstand aber nicht, was das bedeutete.
Nach dem Frühstück kamen meine Eltern. Sie sahen aus als hätten sie vor Sorgen in der Nacht kein Auge zugetan. Aber als ich sie darauf ansprach erzählten sie einfach, dass sie noch so viel zu tun gehabt hatten, dass sie nicht früher ins Bett gekommen waren.
Gegen Mittag kamen dann die gerade diensthabenden Schwestern und die Ärzte zu mir ins Zimmer. Ich war davor noch nie im Krankenhaus gewesen, deshalb war ich erst mal ganz schön erschrocken. So viele „Weißkittel“ auf einmal und dann alle wegen mir. Das sah ja nicht gut aus.
Der Oberarzt ergriff das Wort.
„Wir haben jetzt die Ergebnisse von den Untersuchungen und unser Verdacht hat sich bestätigt.“ Meine Mutter sackte bei diesen Worten in sich zusammen und bemühte sich krampfhaft die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. „Stephanie, du hast Leukämie.“ In diesem Moment wurde er von einer anderen Schwester dringend zu einem Patienten gerufen. „Ich komm dann später noch mal. Dann können wir uns noch über alles weitere unterhalten.“ Ich war erst mal total vor den Kopf gestoßen. Leukämie? Das ist irgendeine schwere Krankheit. Aber was für eine? Die anderen Ärzte und Schwestern waren inzwischen wieder rausgegangen. Nur ein noch junger Arzt war noch im Raum. Er setzte sich zu mir ans Bett und erklärte mir, was Leukämie ist und wie man es behandeln kann.
„Du wirst jetzt mit Chemotherapeutika behandelt. Da werden dir die Haare rausfallen, dir wird voraussichtlich jedes Mal schlecht werden, wenn dir die Medikamente gegeben werden. Außerdem kann es sein, dass du mit dem Gehen Probleme haben wirst und Bauchschmerzen. Es gibt leider noch keine schonendere Art und Weise wie man Krebserkrankungen heilen kann. Ich sage dir das nicht um dir Angst zu machen, sondern, damit du weißt worauf du dich einstellen musst. Du wirst außerdem für Infekte stark anfällig sein und musst deshalb große Ansammlungen von Leuten meiden.“
„Darf ich dann nicht zur Schule?“
„Nein, das geht erst mal nicht. Wir werden an deine Schule eine Broschüre darüber schicken wie man sich am besten Krebskranken gegenüber verhält – du darfst sie selbstverständlich auch lesen – und wir werden deine Lehrer bitten dir Privatstunden zu geben. Sie werden zu dir nach Hause kommen und dich da unterrichten. Wenn du gut lernst kannst du nach der Chemo wieder in deine alte Klasse zurück. Du kannst auch in den Therapiepausen deine Klasse besuchen gehen. Aber nicht wenn du gerade besonders infektgefährdet bist.“
Ich fing an zu heulen und war fix und fertig. Der Boden wurde mir unter den Füßen weggezogen und ich stürzte in die schwarze Tiefe der ohnmächtigen Verzweiflung. Ich wollte mich wehren, gegen mein Schicksal kämpfen.
Nach der ersten Verzweiflung wurde mir aber bewusst, dass das unmöglich war. Mein Schicksal hatte mich unbarmherzig ergriffen und nichts konnte mich davon befreien. Als mir das bewusst wurde, sank ich in eine dumpfe Gefühllosigkeit, nahm nichts mehr um mich herum wahr und ließ alles über mich ergehen. So ging das die ganzen nächsten Tage. Eigentlich bin ich eher jemand, der es nicht aushalten kann rumzusitzen ohne etwas zu tun, aber jetzt konnte ich stundenlang einfach nur so dasitzen ohne etwas zu tun oder zu denken. Manchmal stellte ich mir vor gesund zu sein. Aber solche Augenblicke kamen nur selten. Ich ließ einfach alles über mich ergehen. Immer wieder bekam ich Besuch von Bekannten und Klassenkameraden und alle ließen sich etwas besonderes einfallen, um mich aufzumuntern. Aber niemandem gelang es. Ich war die ganze Zeit nur in meinem Zimmer oder auf dem Krankenhausflur. Mit den anderen Patienten hatte ich nicht viel zu tun.
Während dem ersten Block war es mir eigentlich nicht wirklich schlecht. Als ich dann zur Therapiepause zu Hause war, wollten mich alle aufmuntern endlich mal die Klasse zu besuchen. Aber niemand konnte mich dazu motivieren. Dann kamen meine Lehrer, um mir Hausunterricht zu geben. Mein Englisch – Lehrer, meine Französisch – Lehrerin und meine Deutsch – Lehrerin waren bald total frustriert weil ich zu absolut nichts Lust hatte. Mein Mathe – Lehrer war krank und konnte deshalb noch nicht mit mir Mathe pauken. In der Zwischenzeit fingen meine Haare an rauszufallen. Dadurch wurde ich noch frustrierter.
„Das Leben hat doch sowieso keinen Sinn. Wieso soll ich mich dann mit Schule plagen?“ Darum drehten sich meine Gedanken die ganze Zeit. Mein Englisch – Lehrer, meine Französisch – Lehrerin und meine Deutsch – Lehrerin waren die ganze Zeit total mitleidig und fragten mich immer, ob ich auch dies und jenes mitmachen wolle, oder ob ich zu müde sei. Ich war nach einer Weile dann schon aus Prinzip zu müde.
In dem zweiten Therapieblock musste ich nicht mehr so lange am Stück im Krankenhaus beleiben. Aber bei diesem Block war es mir total schlecht. Ich war nur noch am Brechen. Meine Lustlosigkeit machte dadurch einer starken Gereiztheit Platz gemacht. Meine Haare waren inzwischen vollkommen rausgefallen. Mein Mathelehrer, Herr Weber, war inzwischen wieder gesund. Aber wenn ich bei ihm mit meinen Launen anfing sagte er mir klipp und klar, dass es so nicht geht, auch wenn ich krank bin und dass ich mich in den Stunden benehmen muss. Zuerst war ich stinksauer auf ihn. Ich machte zwar mit und strengte mich an, aber danach war ich total wütend. Aber mit der Zeit freute ich mich schon die ganze Woche auf die Mathe – Stunden. Dort wurde ich nicht wie irgendeine zerbrechliche Vase, sondern wie ein Mensch behandelt. Wenn es mir mal wirklich nicht gut ging, nahm er auch Rücksicht darauf und erzählte mir. Manchmal aus seinem Leben, aber auch Geschichten die mir halfen mich zu vergessen.
Ich hatte inzwischen wieder mehr Tatendrang und pflegte auch meine verbliebenen Freundschaften wieder. Karin war mich eine Weile regelmäßig besuchen gekommen, aber da ich so launisch war, hatte sie bald genug davon. Aber Anita, eine sehr ruhige Klassenkameradin, die erst neu auf unserer Schule war, ließ sich von meinen Launen nicht vertreiben. Gerade wenn ich wieder ein Tief hatte, kam sie zu mir und half mir darüber hinwegzukommen.
Trotzdem quälte mich die Frage „Warum nur ich?“ die ganze Zeit. Als ich eines Tages mit Anita darüber diskutierte, erzählte sie mir, dass sie gläubig sei und erklärte mir, dass wir Menschen zwar oft nicht wissen warum uns etwas passiert, aber Gott weiß das, und er lässt nur zu, dass das passiert, was gut für uns ist. Jedes Unglück hilft uns doch in irgendeiner Weise weiter. Das kam mir zuerst sehr absurd vor, aber ich fing an in der Bibel zu lesen – ich hatte ja nicht viel zu tun. Eine direkte Antwort auf die Frage „Warum nur ich?“ bekam ich zwar nicht, aber ich lernte zu vertrauen, dass Gott mein Leben lenkt. „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“ (Römer 8,28). Als ich diese Sicherheit hatte, war ich wieder ausgeglichener. Die Chemotherapie tat zwar ihren Teil dazu, dass ich manchmal psychisch „down“ war, aber lang nicht mehr so wie ich es davor manchmal war.
Als ich langsam wieder auf dem Weg der Besserung war und wieder manchmal in meine Klasse kam, hatte sich vieles verändert. Karin war längst nicht mehr meine beste Freundin. In schwierigen Situationen war einfach kein Verlass auf sie. Dafür hatte sich Anita immer mehr zu meiner besten Freundin entwickelt. Auch heute noch können wir uns alles erzählen und egal wie brenzlig es wird auf uns zählen. Und ich hatte in der Religion eine wirkliche Hilfe gefunden. So hatte auch dieses Unglück seine guten Seiten. Um ehrlich zu sein, heute möchte ich diesen Teil meines Lebens nicht irgendwie missen.