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Zugezogen
Werte Mutter, werter Vater,
es schmerzt mich, euch mitteilen zu müssen, dass ich mir wohl ein Gebäude ohne Fenster ausgesucht habe. Hätte ich von Möglichkeiten gewusst, die hinter meinem Heim auf mich warteten, so wäre ich wohl noch etwas weiter auf den unebenen Furchen gewandert, die stolze Traktoren einst in diese Felder gerissen haben mussten. Doch es liegt eine Stille über den endlosen Rapsflächen da draußen. Sie schien mir ungesund.
Und da ich schon so lange Zeit von diesen hellen Scheuklappen geführt worden war, ertrug ich zu einem Zeitpunkt die leise Unsicherheit nicht mehr. Ein kurzer Moment schwacher Gedanken. In der Erinnerung so fein und unscheinbar wie ein Haar in frisch-kühlen Laken.
Dass ich mir mittlerweile wohl einen Verfolger eingefangen hatte, erfüllte mich mit Unbehagen. Blieb ich stehen, so hörte ich Schritte hinter mir nachklingen, die kurz darauf zum Stillstand kamen. Nennt mich einen Feigling, aber ich wählte die erstbeste Behausung, die mir Schutz vor meiner Außenwelt gewähren konnte.
Ein toter Hirsch zierte die Auffahrt. Das Geweih in den Boden gedrückt, als wäre das gesamte Fleisch dahinter aus dem Untergrund gewachsen und gestorben. Das Haus. Mächtig und unauffällig von außen wie ein Fabrikgebäude, drang es aus den gelben Blüten. Fremdartig, außerirdisch, als ob es dort gar nicht hingehörte. Aber dennoch stolz und sicher aufgrund der schieren Größe.
Schmale Schlote, mannsbreit und schwarz, schmückten das hohe Dach wie Zinnen. Doch es kam kein Rauch aus ihrem Inneren, also war ich mir sicher, dass dieses Haus unbesetzt sein musste. Und ehe ich mich versah, liefen meine müden Füße auf den Eingang zu, denn ich hörte soeben wieder, wie die Schritte hinter mir hektischer geworden waren.
Jedoch, ob nun Freund oder Feind, mittlerweile glaube ich, dass dieser Fremde sich vielleicht über die Umstände meines neuen Zuhauses bewusst gewesen war und mir eine Warnung hatte zukommen lassen wollen.
Dieses Haus ist nicht zu verlassen.
Und ich glaube, ich habe noch hören können, wie die Schritte weiter Richtung Osten zogen, wo auch mein Weg mich hingeführt hätte.
Ich wohne nun hier. Der Boden auf den Fluren ist glatt und die Wände sind so hoch, dass man die Decken in manchen Gängen kaum erkennen kann. Umso weiter ich den schwarz bemalten Räumlichkeiten folge, umso mehr verflüchtigt sich das Tageslicht des Türspaltes hinter mir. Es ist dunkel aber es ist jetzt Mein.
Ich sollte es mit Anstand beziehen.