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Zug der Liebe

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11.07.2016
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Zug der Liebe

ZUG DER LIEBE

Ich sitze im Zug. Ich stand genug im Leben.
Der Zug fährt nach Norden in Richtung Süden. Ich liebe den Süden, vor allem, wenn man durch den Norden dahin kommt. Das hilft mir, das Ziel nicht zu verlieren. Es ist eine sehr lange Strecke. Dies ist das Drama meiner Kindheit, das mich zum besten Wurstverkäufer der Stadt gemacht hat.
Meine Eltern kauften mir keine elektrische Eisenbahn. Seit diesen Tagen habe ich einen Längenkomplex. Ich mag alles, was lang ist, lang im Vergleich zu dem, was ich verpasst habe. Ein Zug ohne elterliche Liebe funktioniert nicht. Eine väterliche Liebe ohne Batterien oder Strom ... zündet nicht. Ich sitze im Zug. In der zweiten Klasse. Zug Nr. B52.
Es ist ein roter Zug. Der Lokführer muss ein Baron oder ein ehemaliger Präsident sein. Ich bin allein in einem Wagen für sechzig Fahrgäste. Die Sitze sind blau mit schwarzen Flecken. Die Bepolsterung sieht aus wie ein verstopfter Tiger und die potenziellen Passagiere kennen bestimmt das Sprichwort: "Berühren Sie nie den Rücken eines Tigers, dessen Darm streikt“.
Sicherlich bin ich deswegen allein.
Zum Frühstück habe ich zu viel Bier getrunken. Mein Innenraum wird gründlich gereinigt. Ich muss auf die Toilette gehen. Das blinkende Licht ist rot. Besetzt. Doch ich habe niemandem dorthin gehen sehen.
Ich war allein in meinem Abteil, allein im Waggon und sicherlich allein im Zug. Ich versuche, die Tür zu öffnen. "Es ist besetzt", antworte eine Stimme. Der Zug hat einen Geist und ich denke an meinem Kampf gegen den Längenkomplex und möchte nicht mit einer tiefen Geschichte konfrontiert werden...
Die Länge bezeichnet die Ausdehnung physikalischer Objekte oder die Abstände physikalischer Objekte zueinander. Die Länge eines Objektes ist, sagen wir, der Abstand zwischen den zwei Enden dieses Objektes, die am weitesten voneinander entfernt sind. Die Länge als Abstand zweier Punkte wird in der klassischen Physik als konstant betrachtet. In der speziellen Relativitätstheorie ist die Länge jedoch abhängig vom relativen Bewegungszustand des jeweiligen Beobachters, man spricht von einer relativistischen Längenkontraktion. Die Länge ist keine unveränderliche Eigenschaft. Die Temperatur, die Zeit, die Stimmung, die Träume oder die Gegenwart eines anderen Objektes können sie beeinflussen. Die Wellenlänge regt mich auf. Ich fühle mich manchmal Zentimeter, Zoll, Spanne oder Fuß.
Ich bin in dem Nordzug Richtung Süden. Ich hätte auch einen längeren Weg nehmen können, durch Langendembach fahren. Entlang der Länge meiner Wirbelsäule, ohne Teleskop.
Ich sitze im Zug. Die Toilettentür öffnet sich. Eine junge Frau kommt heraus. Sie ist 1,65 m, wiegt 62,3 kg. Sie hat blondes Haar. Ich mag Blondinen. Sie sind die Zusammenfassung aller Farben. Sie sind weder braun noch rot noch braun noch blond ... und sie sind alle diese auf einmal. Sie setzt sich mir gegenüber und lächelt. Ein Lächeln in der Länge. Ich mag Frauen, die in die Länge lächeln. Ich fühle mich dadurch auch länger. Ich denke zurück an den Wettbewerb der besten Wurstverkäufer in meinem Dorf. Nach einem sehr engen Kampf trugen mich 49 Leute im Triumph. So kam ich der Lösung meines Längenproblems näher.
Die blonde Dame äußert sich überrascht darüber, jemanden in diesem Zug zu finden. Sie verreist oft und ist immer allein. Sie hatte sich an die Einsamkeit des Zuges gewöhnt. Sie fragt, was ich in dem Zug tue. Ich erzähle ihr von meinem Längenproblem. Sie erzählt mir von ihrem Tiefenproblem. Ihre Schwierigkeiten mit dem Ausmaß der Dinge vom Boden der Öffnung bis zu ihrer Kante. Sie weiß nie, wann man mit dem Sturz aufhören soll. Sie kommt aus Tiefensee aber lernte nie zu schwimmen. Nach vielen Stürzen, Schrammen, Wunden, Knochenbrüchen, ausgerenkten Wirbeln entschied sie sich, die Sache tiefer zu ergründen. Tiefenpsychologie war nötig. Die Länge der Tiefe.
Sie sagt mir, dass sie Lokih heißt. Lokih mit einem "H" am Ende. Also nichts zu tun mit dem germanischen Gott Loki, der in der Tat ein Wesen zwischen Gott und Dämon war. Er hatte bestimmt auch Definitionsprobleme.
Lokih mit einem "H" ist ein mir unbekannter Vorname. Jeder weiß, dass Frauen oft falsche Namen nennen, wenn sie auf unbekannte Männer treffen. Auf den Straßen, in Zügen, Taxis, Tankstellen, Garagen, Booten, Flugzeugen, auf Rolltreppen, in Aufzügen, gemischten Toiletten, Diskotheken, Bars, Swimming Pools, Seen, auf Autobahnen, Parkplätzen, in Parks, am Rande des aufzählerischen Infarkts.
Ich öffne mein Wörterbuch der deutschen Namen - natürlich sind wir in Deutschland. Ich habe so ein Wörterbuch für alle Länder, mit Ausnahme Bangladeshs. Ich blättere und finde kein „Lokih“. In einem anderen Land wäre dies unerheblich gewesen, aber nicht in Deutschland. Hier darf man nicht erfinden, was nicht schon existiert. Ich schließe daraus, dass sie einfach eine Außerirdische ist. Außerdem spielt es keine Rolle. Wir sind allein in diesem Nordzug in Richtung Süden. Wir sind allein, sitzen Angesicht zu Angesicht. Ihre Augen sind in meiner Zukunft verloren. Ich würde gern ihren Blick verstehen, aber anscheinend habe ich am Rand meiner Längenprobleme auch Tiefenschwierigkeiten.
Ich fange an, sie für drei Jahre zu lieben. Ich fange an zu denken, dass wir Länge und Tiefe verbinden können. In die Tiefe der Länge gehen bis zur Bodenlosigkeit, bis zum Höhepunkt. Ja, ich muss an diesen Punkt kommen, um weiterzukommen. Die Tiefe unserer Wesen erkunden. Sie schaut mich an und lächelt. Ich fühle mich länger als je zuvor. Ich fühle mich breiter. Ich bin nur Höllentiefe, flüstert sie. Ihr Haar ist nicht mehr blond. Nur leer.
Ich sitze im Zug. Wir fahren nach Norden, Richtung Süden. Der Lokführer ist sicherlich ein Graf oder ein ehemalige Priester. Ich möchte beichten.

Samuel A. Wilsi
2015
Lomé (Togo); Bonn

 

Hallo@wilsi,

Willkommen bei den Wortkriegern. Du schreibst in deinem Profil, dass du deine Geschichten mit anderen teilen möchtest. Ich möchte gerne mit dir teilen, aber dazu müsste ich deinen Text erst einmal verstehen. Es ist nämlich so, dass er mich irgendwie berührt, ohne dass ich weiß, warum. Deshalb werde ich einfach aufzählen, was mich berührt. Da ist ein Mensch auf einer Reise, die

Nach Norden. Richtung Süden

führt.
Er hat einen Längenkomplex und trifft im Zug eine Frau, die ein Tiefenproblem hat. Diese Gegensätzlichkeit ist für beide so anziehend, dass er anfängt sie für drei Jahre zu lieben. Und die Hoffnung aufkeimt, all die Gegensätzlichkeiten vereinen zu können.

Ich glaube zu verstehen, dass es um Zeit und Raum und die Relativität allen Seins geht. Da ist es auch zu akzeptieren, dass der Lokführer ein Graf und der Protagonist überall und nirgendwo ist.

Auch der Autor sieht sich an gleichzeitig an zwei Orten: Togo und Deutschland.

Es sind diese "Gedankenbilder", die für mich nicht so sehr die Sinne herausfordern als vielmehr das Spekulieren.

Insofern hat mir den Text gut gefallen, auch wenn ich ihn eventuell total missverstanden hätte.

Freundliche Grüße
wieselmaus

 

Hej wilsi,

beim ersten Lesen dachte ich, es handelt es sich um eine Traumsequenz.
Beim zweiten Lesen weiß ich dann nicht, was ich von diesen Längen- und Tiefenkomplexen halten soll.
Ich find die halt nicht so spannend, weil sie für alle möglichen Problematiken stehen können. Vielleicht sollen die auch nur ein Witz sein, eine freud'sche Verarsche, ich weiß es nicht.

Wenn Dein Erzähler über Tigergedärm, die Länge als physikalische Größe, seine Vorliebe für Blondinen, den Namen Lokih oder das, was man in Deutschland darf berichtet, dann haut mich das jedes Mal mehr aus der ohnehin nicht so arg packenden (weil unkonkreten) Handlung und am Ende funktioniert das als Geschichte für mich nicht gut.

Eigentlich wollte ich beim Lesen mitschreiben, aber ich hab gemerkt, dass ich dafür zu wenig Anhaltspunkte finde (auch mal ein Trick. ;)).
Zwei Anmerkungen sind übrig geblieben:

Ich liebe den Süden, vor allem, wenn man durch den Norden dahin kommt.
Geht das je anders?

Sie weiß nie, wann man mit dem Sturz aufhören soll. Sie kommt aus Tiefensee aber lernte nie zu schwimmen. Nach vielen Stürzen,
Auch wenn man schwimmend (tauchend) irgendwelche Tiefen ausloten könnte, stürzen geht da eher schlecht. Warum aber sonst das Schwimmen da mit hineinbringen?

Vielleicht findet sich jemand anders besser hinein.
Ich wünsche Dir jedenfalls noch viel Spaß hier.

Gruß
Ane

 

Hej wilsi,

natürlich komme ich nicht klar mit deinen Gedanken, surrealen Anspielungen und philosophischen Themen. Auch weil ich mir nicht die Zeit nehme, darüber nachzudenken.
So lese ich und gewinne eine Vorstellung von der Szene. Die gefällt mir. Das Paar, der Lokführer, die Lokih, all das Seltsame und lasse mich darauf ein, mag die Absurdität.
Ich liebe deine ersten beiden Sätze!
So wird es sogar lustig.

Sie sagt mir, dass sie Lokih heißt. Lokih mit einem "H" am Ende. Also nichts zu tun mit dem germanischen Gott Loki, der in der Tat ein Wesen zwischen Gott und Dämon war. Er hatte bestimmt auch Definitionsprobleme.

Falls das gar nicht zum Lachen war, mach' dir nichts draus. Ich lache im Kino auch oft an den falschen Stellen.

Es war mir ein Vergnügen und vielleicht erfahre ich ja im Laufe der Kommentatoren noch mehr.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

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