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Zuflucht

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18.06.2003
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Zuflucht

Es war einer dieser scheinbar endlosen Regentage, die den grauen Morgen unbemerkt in den späten Nachmittag übergehen lassen, ohne eine klare Linie zu ziehen, die es erleichtert hätte, den Tag zu überstehen. Doch keine noch so kleine Veränderung erlöste von der Langeweile.
Das drängende Verlangen, irgendetwas - und sei es noch so unbedeutend - zu unternehmen, um der seelischen Zermürbung zu entgehen, wurde unerträglich und mündete fast in Wut.
Der Vorhang des endlosen Regenschleiers bewegte sich nicht und Chris empfand die graue, scheinbar unendliche Weite des Flachlandes vor ihm eher als bedrückend denn befreiend. Die fast unsichtbaren Berge am Horizont schienen zumindest Abwechslung zu versprechen, auch wenn sie unerreichbar schienen.
Chris’ rastloser Blick aus grünen Augen suchte die Umgebung nach Bewegungen ab, doch jedes Tier, jeder Mensch schien den schier endlosen Regenstrom zu meiden. Die kurzen Momente, wo er glaubte, eine Bewegung aus dem äußersten Augenwinkel zu erkennen, entpuppten sich als Täuschung. Er wusste nicht, auf was genau er wartete, aber von dem großen Haus mit den hohen Fenstern hatte er einen so endlosen Blick über ehemals grünes Grasland, das es einfach dafür gebaut sein musste, auf Ankommende zu warten. Das gleich bleibende Bild vor ihm verschwamm im ständigen Regen und wütende Rastlosigkeit erfüllte Chris mit solcher Wucht, dass er sich ruckartig abwandte und ziellos durch die menschenleeren Räume streifte, als erwartete er dort etwas vollkommen anderes vorzufinden als sonst.

Doch der Flachbau war perfekt.
Antike Mahagonimöbel, in deren Politur sich seine Gestalt widerspiegelte, exklusive Kunstdrucke von Magritte und van Gogh an den Wänden, frischer Flieder in dickbauchigen Vasen auf Glastischen, teure Polstermöbel im Wohnzimmer, zahllose Bücher in der Bibliothek.
Aber nirgendwo etwas Persönliches, keine Postkarten am Kühlschrank, kein Nippes auf der Kommode, keine Fotos an der Pinnwand, kein Radio auf der Anrichte, keine Büro-Kaffeetasse im Schrank.
Chris hatte nicht die geringste Ahnung, wer in diesem genauso stilvollen wie unpersönlichen Haus lebte, noch warum er hier war.
Manchmal fürchtete er mit einem glühenden Schreck, bereits sein ganzes Leben hier sinnlos zu vergeuden, ohne das Haus jemals verlassen zu haben und eine Unruhe erfasste ihn, die an Panik grenzte. Es konnte doch nicht der Sinn seines Lebens sein, hier vor sich hin zu existieren?! Gleichzeitig erschien es absurd, in diese graue, nasse Welt vor den Fenstern fliehen zu wollen, in der ihn nichts zu erwarten schien. Das Haus war edel und schön genug, um selbst hohen Ansprüchen zu genügen und Chris wollte - wem gegenüber auch immer - nicht undankbar erscheinen.
Er hätte nur gerne gewusst, wo er war.
Oder was er gestern getan hatte.
Vage erinnerte er sich, wie er eines Tages die gesamte ach so geschmackvolle Inneneinrichtung mit Hilfe eines Stuhls zertrümmert hatte: fliegende Scherben, splitterndes Holz, berstendes Glas und die immense Befriedigung, Chaos in diese perfekte Umgebung gebracht zu haben. Doch als er am nächsten Morgen erwachte war alles wieder wie zuvor, als wäre sein Akt der Zerstörung nur ein Traum gewesen.

Als Chris sich auf die ermüdende Suche nach seinem Zimmer und seinem Bett machte, verfolgte ihn ein starkes Déjà-vu Gefühl, dass er diese Suche schon öfters ohne Erfolg durchgeführt hatte. Er entsann sich schwach, die letzte Nacht auf einem teuren Sofa verbracht zu haben.
Enttäuscht blieb er schließlich vor einem Spiegel stehen und musterte sein Erscheinungsbild.
Alles schien in Ordnung: Seine Haare waren gewaschen, seine Wangen rasiert, seine Zähne geputzt, aber er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, das getan zu haben. Seine Kleidung bestand aus blauer Jeans, braunem Hemd und hellem Pullover. Er schien weder jemals etwas anderes getragen, noch diese Kleidung gewechselt, gewaschen oder überhaupt angezogen zu haben.
Wenn er es genau bedachte, konnte er sich an sehr wenig erinnern.
Irgendwie schien er sein Gedächtnis verloren zu haben – er hatte keine Ahnung, wann und wo er geboren war oder wer seine Eltern waren.

Die zurückgehaltene Wut brach sich ihre Bahn und Chris griff den kleinen Beistelltisch neben dem Spiegel und zertrümmerte eben jenen mit einem Schlag.
Die präzise Erinnerung, genau das schon mal getan zu haben, stand im krassen Gegensatz zu dem diffusen Rest seiner Vergangenheit und er schrie zornig. Er musste hier raus, musste das einzige wagen, was er, eingeschüchtert durch die Endlosigkeit seiner Umgebung, bisher noch nicht getan hatte:
Dieses Haus, das mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit sein Gefängnis war, auch wenn die Wächter fehlten, sofort verlassen.
Chris lief los, auf der Suche nach der Eingangstür und spürte, wie die Wut langsam aus ihm floss, wie Blut aus einer offenen Wunde. Unsicherheit über seinen Entschluss schlich sich ein und er stellte panisch fest, dass er jetzt handeln musste, oder er würde seinen Entschluss im nächsten Moment vergessen haben.
Er griff wahllos den Küchenstuhl und schlug verzweifelt das Fenster ein.
Peitschender, kalter Regen traf ihn wie scharfe Glassplitter, heftiger, schneidender Wind brach gewaltsam in seine Welt ein und Donner grollte über ihm wie eine Drohung, als er auf das Fensterbrett stieg und aus dem Haus sprang, als sei das Vergessen in Form eines Höllenhundes hinter ihm her.
Er rannte über den Rasen, während der Regen seinen Pullover und sein Haar durchnässte. Nur kurz verschwendete Chris einen Gedanken an fehlenden Proviant, dann wollte er nur noch von dem Haus wegkommen. Sein Ziel waren vorerst die im Dunst verschwimmenden Berge, die er kaum erkennen konnte.

Die schweren Regentropfen verwandelten sich in leichten Nieselregen, der schließlich völlig endete, als er schnellen Schrittes weiterlief. Obwohl er nass geworden war, fror Chris nicht; er war zu begierig voranzukommen und das Feuer der Abwechslung brannte heiß in seinem Herzen. Graue und beige Pflanzen säumten seinen Weg, behinderten ihn aber nicht.
Nach einer Weile, die Chris zeitlich schwer abschätzen konnte, kam ihm ein schrecklicher Gedanke und er fuhr nervös zum Haus herum. Obwohl es noch gut sichtbar war und einladend zu locken schien, hatte er sich entgegen Chris’ Befürchtungen von ihm entfernt.
So konnte er sich beruhigt abwenden, in der Gewissheit, seinem Gefängnis zu entkommen.

Die Zeit verstrich unbemerkt und erst als die graue Eintönigkeit des Tages sich in das Halbdunkel der Abenddämmerung verwandelte, legte Chris eine kurze Pause ein. Er konnte das Haus nicht mehr sehen, allerdings waren auch die Berge nicht nennenswert näher gekommen.
Verzweiflung schlich sich seinen Nacken hoch, auch wenn er nach wie vor sicher war, seinem Ziel schon sehr nah zu sein. Es kam ihm so vor, als müsse er lediglich den Vorhang der Täuschung zerreißen, um die Wahrheit vor sich zu sehen. Tatsächlich hatte er das Gefühl, als wäre seine gesamte, detaillierte Umgebung - begonnen bei dem Haus - nur eine Lüge, ein Hirngespinst eines Unbekannten. Es war eine Scheinwelt, die extra für ihn geschaffen worden war, um ihm zur Unterkunft zu dienen. Irgendwer hatte sich das alles nur für ihn ausgedacht.
Nur wer?
Und warum sperrte man ihn hier ein?
Chris schloss die Augen und konzentrierte sich. Seine angespannten Finger schienen den Nebel der Illusion zu zerreißen, sein Wille die Landschaft zu verändern. Er spürte, dass er die endlose Ebene verließ und durch grauen Dunst auf einen hellen Punkt zuschwebte.
War das der Himmel?
Etwas änderte sich.
Etwas kroch aus der Nebel auf ihn zu.
Es war nicht halbdunkel wie seine Umgebung, sondern tiefschwarz und böse, lauernd und ihn jagend, so entsetzlich, dass Chris hastig die Augen öffnen musste, um es zu sehen, um der Ungewissheit zu entkommen. Im nächsten Moment schrie er grell und in Panik auf, als er die grausame und furchterregende Wahrheit vor sich sah:
Die leeren Augenhöhlen seiner Freunde, die Pfützen von Blut überall, herausquellende Gehirnmasse aus gespaltenen Schädeln, abgeschlagene Extremitäten.
Der Gestank von brennender, aufgeplatzter Haut, verwesenden, fliegenumschwärmten Leichenbergen und der schwülen Hitze eines Dschungels.
Die Berührung einer gehäuteten Hand.
Er schrie und flehte darum, sein überlasteter Geist könne in die Zuflucht zurückkehren, die er selbst sich geschaffen hatte, in die sein Bewusstsein vor der Wahrheit geflüchtet war.
Aber jetzt konnte er nichts mehr tun, um der Hölle der Realität zu entkommen.

 

Hi Teffa!

Die Idee fände ich nicht schlecht, und es wäre auch eine gelungene Darstellung der Situation und der Atmosphäre, aber Du verhaspelst Dich in zu langen, verschachtelten und zum Teil mühsam konstruierten Sätzen.

Doch keine noch so kleine Veränderung erlöste die Langeweile.
erlöste von der Langeweile

wurde unerträglich und mündete fast in Wut.
Warum fast? Lass ihn doch wütend werden!

Die Schatten des endlosen Regenschleiers bewegten sich nicht
Schatten? Wo kommen die her, wenn alles grau in grau ist? Und warum sollten sie sich bewegen?

Die fast unsichtbaren Berge am Horizont schienen zumindest Abwechslung zu versprechen, auch wenn sie unerreichbar schienen.
Sicht bar oder nicht sichtbar?
unerreichbar erschienen

Chris’ rastloser Blick aus grünen Augen suchte die Umgebung nach Bewegungen ab, doch jedes Tier, jeder Mensch schien den schier endlosen Regenstrom zu meiden und die kurzen Momente, wo er glaubte, etwas aus dem äußersten Augenwinkel zu erkennen, entpuppten sich als Täuschung.
Zu lang!
Kann ein Moment sich als Täuschung entpuppen? Oder meinst Du die Bewegung?

Er wusste nicht, auf was genau er wartete, aber von dem großen Haus mit den hohen Fenstern hatte er einen so endlosen Blick über ehemals grünes Grasland, das es einfach dafür gebaut sein musste, auf Ankommende zu warten.
auf was genau... Wartet er denn überhaupt?
Und gibt es Häuser, die dafür gebaut sind, um auf Ankommende zu warten? Mir ist das Ganze zu konsruiert.

als erwarte er
als erwartete er

in dickbäuchigen Vasen
dickbauchigen

keine Büro-Kaffeetasse im Schrank.
Im Schrank würde man sie auch nicht sehen, oder?

in diese graue, nasse Welt vor den Fenstern fliehen zu wollen, wo es nichts gab, was ihn dort zu erwarten schien.
in der ihn nichts zu erwarten schien

Vage erinnerte er sich, wie er eines Tages die gesamte ach so geschmackvolle Inneneinrichtung mit Hilfe eines Stuhls zertrümmert hatte
Wieder so umständlich. Entweder "dass er", oder: ... die gesamte Inneneinrichtung ... zertrümmert zu haben.

und musterte sein eigenes Erscheinungsbild.
Wessen sonst? "eigenes" weg.

Die zurückgehaltene Wut brach sich ihren Bann und Chris griff den kleinen Beistelltisch neben dem Spiegel und zertrümmerte eben jenen mit einem Schlag.
brach sich Bahn
ergriff oder griff nach
eben jenen ... Besser: ihn

zu dem diffusen Rest seiner Vergangenheit
Welcher Rest? Ich denke, er erinnert sich an nichts?

Dieses Haus, das mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit sein Gefängnis war, auch wenn die Wächter fehlten, sofort verlassen.
Wie kommt er auf Gefängnis? Deutet etwas darauf hin? Gitter vor den Fenstern? Abgeschlossene Haustür?

Chris lief los, auf der Suche nach der Eingangstür
Das lässt Du einfach so stehen - warum findet er sie nicht?

Er griff wahllos den Küchenstuhl
ergriff oder griff nach

heftiger, beißender Wind
beißender Qualm, aber beißender Wind?

Sein Ziel waren vorerst die im Dunst verschwimmenden Berge,
Vorerst?

der schließlich völlig nachließ,
Völlig? Er ließ nach, oder er ließ nicht nach.

Graue und beige Pflanzen säumten seinen Weg, behinderten ihn aber nicht.
Gibt es keine Straße, keine Zufahrt? Läuft er querfeldein auf sehr weit entfernte Berge zu?

Obwohl es noch gut sichtbar war und einladend zu locken schien, hatte es sich entgegen Chris’ Befürchtungen von ihm entfernt.
Ich nehme an, Du meinst, dass er sich vom Haus entfernt hat, bzw. dass die Entfernung größer geworden ist.

seinem Ziel schon sehr nah zu sein.
Welchem Ziel? Im Satz davor schreibst Du, dass die Berge nicht näher gekommen sind.

den Vorhang der Täuschung zerreisen,
zerreißen
Welche Täuschung? Aus seiner Sicht läuft er sehr real durch den Regen.

um ihm zur Unterkunft
als Unterkunft

Chris schloss konzentriert die Augen.
Äh ... Wie geht das?
... er versuchte, sich zu konzentrieren und schloss die Augen

sein Wille die Landschaft zu ändern.
verändern

und Furchterregende Wahrheit
furchterregende

Fliegenumschwärmten Leichenbergen und der schwülen Hitze eines Dschungels.
fliegenumschwärmten
Welcher Dschungel? Jetzt verliere ich die Orientierung.

Die Berührung einer skelettierten Hand.
Blutpfützen stammen aus jüngerer Zeit, skelettiert ist eine Leiche erst nach ziemlich langer Zeit. Dieser ganze Hintergrund ist mir zu verworren.


Wie ich schon sagte, die Idee finde ich nicht schlecht, aber ich würde es nochmal überarbeiten.

LG
Aragorn

 

Sers Teffa!

Tja, deine Geschichte...

Der Anfang ist wirklich sehr sehr gut, dichte Atmosphäre, die Situation wirkt glaubhaft und nacvollziehbar. Auch die Gefühle kommen gut rüber. Die Flucht ist sogar so gut, dass ich sie mir bildlich vorstellen konnte. Also so richtig! :D

Alles in Allem ein starker Anfang.

Allerdings lässt die Geschichte ebenso stark nach, ab dem Moment wo das "schwarze Unheil" auftaucht. Ich kann beim Besten Willen keinen Zusammenhang zum Rest finden, obwohl der Schluß durch die aussagekräftigen Wörter und geschickten Satzkonstruktionen (die ich auch im restlichen Text bis auf ein paar ausrutscher exzellent gelungen finde)... mist, ich hab mich verzettelt.

Jedenfalls finde ich den Schluß gut, allerdings nicht für diese Geschichte.

greetz
JAy

 

Hallo!

Danke für die vielen stilistischen Anregungen, einige habe ich umgesetzt.

Was das Ende angeht: natürlich passt es nicht zum ersten Teil der Geschichte, es ist ja auch ein ganz krasser Unterschied, wo der Protagonist sich vorher befand und wo danach. Und gerade dieser Unterschied und das verbundene Entsetzen soll durch diesen Wechsel deutlich werden. Wo Chris am Ende ist, bleibt eurer Fantasie überlassen; Vietnam, ein Flugzeugabsturz, wer weiß?
Ist das Ende eher irritierend oder verstörend?

Teffa :D

 

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