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Zucker

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16.04.2018
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Zucker

Das Café liegt an einer Ecke zweier sich kreuzender Gassen der Altstadt, draußen Tische, ich sitze jedoch stets im Café.
Schrieb ich 'das Café'?
Es ist 'mein Café'; ich halte mich hier beinahe jeden Tag auf, außer sonntags, denn dann hat es geschlossen.
Ich habe keinen Hund, keine Zimmerpflanzen und meine Frau liegt längst auf dem Hauptfriedhof, ein natürlicher Tod, Sie verstehen.
Hunde dürfen nicht ins Café, Frauen schon. Eine vernünftige Anordnung, man sollte nicht nur die Kirche im Dorf lassen, sondern auch Tier und Ungetier vor den Toren.
Es dürfte Ihnen nicht allzu schwerfallen, zu ermessen, dass ich ein recht unterhaltsamer Zeitgenosse bin.

Obwohl ich Zimmerpflanzen nicht sonderlich schätze, pflege ich im Café neben einer solchen zu sitzen, genauer, neben einem Gummibaum aus Echtblatt. Die Pflanze sieht dermaßen künstlich aus, dass ich Mal um Mal mit meinem Fingernagel Kerben in ihre dicken Blätter ritze, mich immer wieder aufs Neue zu vergewissern, ob sie tatsächlich natürlichen Wuchses ist. Sie hat unterdessen schon jede Menge bräunlich verfärbte Narben im Grün. Ich kann nicht sagen, dass ich das bedaure, im Gegenteil, es ist wie eine Art Signatur, mit der ich meinen Stammplatz oder überhaupt das Café markiere.
Aber wirklich mögen tue ich den kargen Baum nicht.
Eigentlich ist mir das ganze Café ziemlich zuwider, seine brave Bestuhlung, die teilnahmslose Bedienung, die albernen Tiffanylampen, der Ausblick, der nach fünf Metern an einer Betonwand zerschellt - ja sogar der Kaffee, der weder flau noch stark ist, sondern, wie ich es nennen würde: feige.
Nichts ändert sich hier von einem auf den anderen Tag, kaum etwas, alles bleibt und ich habe keine Ahnung, was mich stets und wieder in diesen mäßigen Stillstand verschlägt. Ich ertappe mich dabei, die hölzernen Beine der Tische und Stühle nach neuen Anstoßungen oder Ratschern hin abzusuchen.
Jede neue Herpeskruste der von hässlicher Routine gegerbten Bedienungen kenne ich aus dem Effeff. Den Existenzekel dieser Alleinerziehenden schmeckt man bis tief in den Mokka.

Manchmal habe ich dunkle Absichten, natürlich theoretischer Natur, nachts an diesen Ort zu schleichen, Benzin zu verschütten, eine Feuersbrunst zu entfesseln und abzuhauen.
Gut, dann wäre erstmal eine Weile Feierabend, die Versicherung würde irgendwann überweisen, das Café komplett renoviert, neue Wände, Böden, Stühle, Tische, Tresen und Zierpflanzen.
Ein Spaß, natürlich - ich halte mich an die Regeln.
Eines, ein einziges, vielleicht genau das, weswegen ich immer wieder einkehre, das ist ...
der Zuckerstreuer. Er hat eine unglaubliche Form und Grazie, sanfte Rillen im weichen Glas, eine silberne Krone, sich keck verjüngend - der süßeste Traum von einem Streuer!
Ich habe sinnliche Fantasien. Ich möchte ihn packen, in meinen beiden Händen halten, zärtlich, hart, ihn liebkosen, fühlen, überall belecken, vom Schaft bis zur Streuauslassung, in wilder Lust den tropenheißen Tanz der Liebe tanzen, ihn einführen, mich mit ihm vereinigen, verschmelzen, für immer - auf dass das nie ende!
Der Knackpunkt: Es ist eine weibliche Fantasie, und ich bin ein Mann, ein Exporteur. Ich sollte mich, Sie lachen bestimmt schon, sollte mich für die Vase mit den authentischen PVC-Blumen begeistern.
Sie steht genau neben dem Streuer. Aber sie lässt mich mehr als kalt; stets schiebe ich sie so weit weg, wie es mir möglich ist, ans andere Tischende. Gern würfe ich sie diesem Mittdreißiger und Caféinhaber an den Schädel, einem brillentragenden Schleimbeutel mit, worauf ich wette, BWL-Vergangenheit. Oft stelle ich mir vor, wie er im Hinterzimmer vor seiner gelangweilten Belegschaft herum doziert; Sachen wie:

'Ich bin der festen Ansicht, dass wir davon absehen können, Investitionen in das Interieur zu tätigen. Das macht nach wie vor einen guten Job.'

Gestern trug sich etwas zu, das mich davon ferngehalten hat, heute mein Café zu besuchen. Und ich fürchte, dass ich auch nicht morgen und übermorgen und jemals wiederkehren werde.
Ich trank meinen Kaffee, hatte bereits den Baum gekerbt und untersuchte die Tischdecke auf Gewebsverschleißspuren, als die Bedienung kam, 'Ich darf doch?' mehr sagte als fragte und im Begriff war, mir den Zuckerstreuer abzuräumen. Unsere Hände erreichten ihn zur gleichen Zeit.
Zur gleichen Zeit wurde er gehalten und an ihm gezogen.
"Ich ... ", sagte ich, obwohl ich 'Nein' dachte.
"Sie nehmen doch keinen Zucker zum Kaffee?", sagte die scheinbar verblüffte Schürzenfrau.
"Das ist nur die halbe Wahrheit", sagte ich, worauf sie mir hart den Streuer entwand und entgegnete: "Das ist mir bekannt, mein Herr. Und die andere Hälfte habe ich."

Es waren nicht ihre Worte, nicht nur. Es war das Gesicht, das diese Worte sprach, der Blick, der in mich drang.
Er ist in mir. Er kerbt mir mein Hirn.

 
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Hola Cantarellus,

ich bin noch ganz benommen vom Lesen Deines Textes. Was soll das? Willst Du die Leser auf den Arm nehmen, oder geht es Dir mehr ums Fabulieren, wie hier (aus Deiner Antwort an Friedel zu ‚Melanie’:

Cantarellus: schrieb:
... von himmelblickend-forschenden humanoiden Landsäugetieren ihrer Geistaftigkeit beraubt zu werden.
Das mein Herr, ist Gewäsch. Sulz. Soll das beeindrucken oder geht’s nur darum, innere Unruhe in einen Text zu zwängen? Was fange ich an mit solchem Stuss:
Es war mir hier wohl an einen phantomhaften Charakter gelegen, vermengt mit einer etwas distanzlosen Inbrunst in der Anbetung. Oder daran, die supersymetrischen Vorgänge einmal aus der literarischen Kurzperspektive anzuleuchten.
Cantarellus, um es frei und ungeschminkt zu sagen: Wie sind eine Schreibwerkstatt und kein Spiegel(lach)kabinett. Diese ‚Zucker’-Geschichte entbehrt mMn jeglicher Handlung. Wer im Forum einen Text veröffentlicht, muss alles geben, was er hat – das heißt: Mühe muss er sich geben, sich anstrengen, seinen Text von allen Seiten prüfen. Schließlich will er zeigen, was er kann, will gelobt werden und nicht zerrissen.
Bei Deinem ‚Zucker’ hab ich das starke Gefühl, der Autor habe es mehr zum eigenem Plaisir geschrieben, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob das verehrte Publikum etwas davon hat.
Es wäre mir jetzt zu lächerlich, jeden Absatz durchzugehen, um auf die mMn reichlich vorhandenen Unzulänglichkeiten hinzuweisen. Dass Du schreiben kannst, ist klar – aber das rechtfertigt kein eitles Geschwafel ohne die geringste Aussage.

Und was Du dem Friedel schreibst:

Wer wüßte schon um das 'Warum' dessen, was er treibt und schreibt.

... heißt im Klartext, dass es Dich einen feuchten Kehricht interessiert, wie Dein 'Text' aufgenommen wird. Aber ich sag's Dir trotzdem.


Selten, dass ich nach einer Lektüre so stocksauer bin.
José

PS.: Mein Komm ist mir im Zorn auch unter 'Melanie' gerutscht.

 

Hallo, Cantarellus

Ich gehe mal direkt ins Detail.

Das Café liegt an einer Ecke zweier sich kreuzender Gassen der Altstadt, draußen Tische, ich sitze jedoch stets im Café.
Schrieb ich 'das Café'?

Das ist ein bisschen lustig. Weil Du „im“ betonst, rechne ich damit, dass das irgendwie wichtig ist, und im nächsten Satz lenkst Du die Aufmerksamkeit auf den Artikel „das“. Meine erste Antwort auf die Frage Deines Prots war: „Nope!“, bis ich darüber nachgedacht und erkannt habe, dass Du das tatsächlich getan hast. Ich weiß aber nicht genau, wieso Du zuvor den Fokus auf „im“ legst.

Es ist 'mein Café'; ich halte mich hier beinahe jeden Tag auf, außer Sonntags, denn dann hat es geschlossen.

Semikolons braucht man nicht. Ein Punkt passt besser. „sonntags“ wird klein geschrieben.

Schuster bleib bei deinen Leisten

Komma nach „Schuster“.

Die Pflanze sieht dermaßen künstlich aus, dass ich Mal um Mal mit meinem Fingernagel Kerben in ihre dicken Blätter ritze, mich immer wieder aufs Neue zu vergewissern, ob sie tatsächlich natürlichen Wuchses ist.

Vor dem „mich“ fehlt ein „um“.

Eigentlich ist mir das ganze Café ziemlich zuwider, seine brave Bestuhlung, die teilnahmslose Bedienung, die albernen Tiffanylampen, der Ausblick, der nach fünf Metern an einer Betonwand zerschellt - ja sogar der Kaffee, der weder flau noch stark ist, sondern, wie ich es nennen würde: feige.

„ganze“, „ziemlich“, das sind umgangssprachliche Füllwörter. Füllwörter benutzt Du im Übrigen jede Menge. Da solltest Du nochmal draufschauen, ob Du das wirklich alles brauchst. Diese beiden könnten, nein, sie sollten weg. Komma nach „ja“.

Jede neue Herpeskruste der von hässlicher Routine gegerbten Bedienungen kenne ich aus dem Effeff. Den Existenzekel dieser Alleinerziehenden schmeckt man bis tief in den Mokka.

Wow, sieben Nomen und zwei Verben. Das ist komplett unleserlich. Am besten Aufdröseln und ein paar mehr Prädikate einsetzen.

Eines, ein einziges, vielleicht genau das, weswegen ich immer wieder einkehre, das ist ...
der Zuckerstreuer.

Wenn Du einen Zeilenumbruch machst, würde ich die drei Punkte wiederholen, also „… der Zuckerstreuer.“

"Ich ... ", sagte ich, obwohl ich 'nein' dachte.

Du verwendest den Gedanken wie eine wörtliche Rede. Dann wäre es doch nur konsequent zu schreiben: „… obwohl ich dachte: ‚Nein.‘“ Wenigstens würde ich das Nein auf jeden Fall groß schreiben.

"Sie nehmen doch keinen Zucker zum Kaffee?", sagte die scheinbar verblüffte Schürzenfrau.

„Scheinbar“ ist ein raffiniertes Wörtchen. Vielleicht ist es Dir ja bewusst (die meisten Leute wissen das nicht). Diese Schürzenfrau ist echt eine Bitch.

Ach ja, was soll das?


Verstehe ich nicht. Den Teaser trickst Du dadurch nicht aus - und ich wüsste auch nicht, wozu man das tun sollte.

Puh, also ich mag Deinen Prot nicht. Das ist wahrscheinlich der Sinn der Sache. Ich finde, Du hast viele Details da drin, die wirklich schön sind, z.B. die Pflanze und den feigen Kaffee. Den Twist mit dem Zuckerstreuer fand ich ganz schön, allerdings frage ich mich da direkt:

Dein Prot ist doch nicht auf den Kopf gefallen? Wieso fragt er nicht, wo man solche Zuckerstreuer kaufen kann, oder kauft den Zuckerstreuer dem Kaffee ab? – Überall, wo mir bisher etwas sehr gut gefallen hat, war das möglich. Dann müsste er nicht mehr jeden Tag an einem Ort abhängen, den er hasst. Da zerschellte für mich die Geschichte so ein bisschen an der Logik, weil ich es einfach nicht glauben kann.

Ich würde Dir wirklich raten, den Text nochmal auf Füllwörter und übermäßig lange und verschachtelte Sätze abzusuchen. Das Aufgeblasene ist wohl Teil Deines Prots, aber man muss es ja nicht schmerzhafter machen, als es ist, oder? Zumal ich beides nicht für Stilmittel halte, sondern für Stilblüten von Leuten, die, ja, beim Schreiben ihre Leser/innen vergessen.

Ansonsten fand ich das atmosphärisch gut gemacht, und es ließ sich rasch runterlesen. Erklären lässt sich das Verhalten Deines Prots jedoch nicht, und das ist ein Problem. Also: Make it work!

Zuckersüße Grüße,
Maria

PS: Du kannst sehr viel darüber lernen, wie es ist, für Leser/innen zu schreiben, wenn Du hier auch andere Texte liest und kommentierst. Allein dadurch wird sich Dein Blick auf Literatur verändern, das kann ich Dir versprechen.

 

WIDERRUF!

Hola Cantarellus und hola AWM,

da bin ich wohl doch ausgerutscht. Schon beim Anlesen vom ‚Zucker’-Text sah ich rot statt schwarz:

... keine Zimmerpflanzen und meine Frau liegt längst auf dem Hauptfriedhof, ein natürlicher Tod, Sie verstehen.
oder
Hunde dürfen nicht ins Café, Frauen schon. Eine vernünftige Anordnung, man sollte nicht nur die Kirche im Dorf lassen, sondern auch Tier und Ungetier vor den Toren.
Tja, da hatte ich schon die Nase gestrichen voll. Dass mir der Autor, wie mir AWM liebenswürdigerweise erklärt, einen verknarzten Neurotiker vorführen will, kam mir nach diesem Entree nicht in den Sinn (ich hatte wohl Autor und Prota in eine Tüte getan:shy:) – aber nun, aus neuem Winkel betrachtet, hat der Autor ganze Arbeit geleistet und es tatsächlich geschafft, mich – wie auch immer – mit seinem Text zu erreichen. Das mit dem Nicholson-Film war ein gutes Beispiel, AWM. Bedankt
und schöne Grüße!

José

 
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Hallo @ AWM,

vielen Dank zunächst fürs Reingelesenhaben und Rückmelden.
Kurzform des Rekomms: 'Nein. Ja.'

Das Nein bezüglich des Wegkürzens von:

, man sollte nicht nur die Kirche im Dorf lassen, sondern auch Tier und Ungetier vor den Toren.
Es dürfte Ihnen nicht allzu schwerfallen, zu ermessen, dass ich ein recht unterhaltsamer Zeitgenosse bin.

Der Prot ist ein Schwadroneur, ein Cafè-Dampfplauderer und als solchen möchte ich ihn einführen. Er hält sich offenbar für schwer unterhaltsam, so sehr, dass es ihm ein Anliegen ist
diese Situation in direkter Ansprache an den Leser zu benennen. Im Folgenden wiederholt er solches

Sie lachen bestimmt schon, [...]

- ein Mittel der Charakterisierung des Prots.

Ja - der Schuster wird nebst Leisten rausgeschubst, das er im Grunde die bereits vorgenommene Attitüde des Protagonisten, auf den Gebrauch abgeschmackter Volksmetaphern abzufahren, notlos wiederholt. Er stand bereits auf der Liste;ich wartete beinahe darauf, dass jemand mich bestärkt, ihn zu kegeln ...

Sonst top und gerne gelesen.

Freut mich!
Gruß
- C -


josefelipe

Rekomm siehe dort ..

Moin TeddyMaria,
sei bedankt fürs Lesen und dieTextbeschäftigung; und wenn ich Dir im folgenden deshäufigeren widersprechen werde, so nicht aus schnöder wagenburgscher Eigentextverteidigung, die mich nämlich, wie Du zukünftig dann auch erkennen dürftest, mitnichten motiviert.
Auf Deine orthografischen und interpunktionellen Hinweise werde ich nicht weiter eingehen sondern, sie still und dankbar der Korrekturabteilung zur Abarbeitung zuteilen.
Mit einer kleinen Ausnahme:

"Es ist 'mein Café'; ich halte mich hier beinahe jeden Tag auf, außer Sonntags, denn dann hat es geschlossen."

Semikolons braucht man nicht. Ein Punkt passt besser.


Doch, Semikolons braucht man doch! Es gibt mMn im Universum der Interpunktion durchaus einen sinnbehafteten Raum zwischen Komma und Punkt. Wenn das Komma zu schwach, der Punkt aber zu rabiat, schlägt die Stunde des Semikolons. Es ist eine Feinheit, eine Freiheit, eine Verfeinerung der Satzgliederung, die - plausibel benutzt - durchaus einen Gewinn verspricht. Im vorliegenden Fall zum Beispiel, wie ich meine.

"Die Pflanze sieht dermaßen künstlich aus, dass ich Mal um Mal mit meinem Fingernagel Kerben in ihre dicken Blätter ritze, mich immer wieder aufs Neue zu vergewissern, ob sie tatsächlich natürlichen Wuchses ist."

Vor dem „mich“ fehlt ein „um“.


WIrklich? Für mich ist das 'um' hier kein Muss. Es liest sich für mich auch ohne es korrekt. Allerdings bin ich mir dessen nicht sicher, ein grammatisches Bauchgefühl sozusagen. Hier wäre ich um Fakten dankbar, die mir die Nutzung des 'um' vorschreiben bzw. mein Gefühl
sprachrechtlich unterfüttern.

"Das Café liegt an einer Ecke zweier sich kreuzender Gassen der Altstadt, draußen Tische, ich sitze jedoch stets im Café.
Schrieb ich 'das Café'?"

Das ist ein bisschen lustig. Weil Du „im“ betonst, rechne ich damit, dass das irgendwie wichtig ist, und im nächsten Satz lenkst Du die Aufmerksamkeit auf den Artikel „das“. Meine erste Antwort auf die Frage Deines Prots war: „Nope!“, bis ich darüber nachgedacht und erkannt habe, dass Du das tatsächlich getan hast. Ich weiß aber nicht genau, wieso Du zuvor den Fokus auf „im“ legst.


Hintergrund dieser Eröffnung ist u.a. die obsessive Verbundenheit des Prots mit der Lokalität
herauszustellen. Er ist eben nicht irgendwie vorm/am Cafè, sondern mittendrin. Und es handelt sich nicht einfach um das Cafè an der Ecke, nein, es ist 'seines'. Psychologisch wird hier die egozentrich-verschrobene Charakteristik des Caféhockers aufs Gleis gesetzt.

"Schuster bleib bei deinen Leisten"

Komma nach „Schuster“.


Das stimmt. Er wurde aber zwischenzeitlich getilgt (siehe Rekomm zu AWM)

"Eigentlich ist mir das ganze Café ziemlich zuwider, seine brave Bestuhlung, die teilnahmslose Bedienung, die albernen Tiffanylampen, der Ausblick, der nach fünf Metern an einer Betonwand zerschellt - ja sogar der Kaffee, der weder flau noch stark ist, sondern, wie ich es nennen würde: feige."

„ganze“, „ziemlich“, das sind umgangssprachliche Füllwörter. Füllwörter benutzt Du im Übrigen jede Menge. Da solltest Du nochmal draufschauen, ob Du das wirklich alles brauchst. Diese beiden könnten, nein, sie sollten weg.


Die Füllwörter sind immer wieder und reichlich gern Gegenstand der Diskussion. Allzuoft wird von Puristen pauschal der Gebrauch derselben verdammt. Ich finde das falsch. Neben der Tatsache, das -genau!- FW ein häufiges Element der Umgangssprache sind, und/also hier unentbehrliches Stilmittel sind, kommt ihnen auch die Rolle einer textlichen Feinjustierung zu. Einerseits eigen sie sich dazu, einen Text ironisch feinstuflich einzufärben. Andererseits dimmen oder verstärken sie Sachverhalte oft geschickt und kaum merklich.
Der Satz oben ohne FW hieße:

'Das Cafe ist mir zuwider, [...]'

Was keineswegs dieselbe Aussage beinhaltet wie:

"Eigentlich ist mir das ganze Café ziemlich zuwider, [...]"

Die FW 'ganze' bzw. 'ziemlich' stehen hier in einem eigentümlichen sprachlichen Kleinklinsch; das eine Mal überhöhend, das andere Mal relativierend. Nimmt man noch das 'eigentlich' dazu, erwirkt sich eine spezielle Sprachnuance - wegen der verwendeten FW.
Natürlich bedeutet dieses Lanzebrechen für das FW nicht, es sei geraten, seine Texte mit möglichst vielen davon vollzumüllen, dann würden sie ganz feine solche.
Andererseits sollte man Vorsicht walten lassen und einen vllt pavlowschen Reflex erst einmal hinterfragen - in jedem Fall.

"Jede neue Herpeskruste der von hässlicher Routine gegerbten Bedienungen kenne ich aus dem Effeff. Den Existenzekel dieser Alleinerziehenden schmeckt man bis tief in den Mokka."

Wow, sieben Nomen und zwei Verben. Das ist komplett unleserlich. Am besten Aufdröseln und ein paar mehr Prädikate einsetzen.


Ich stimmte Dir ja zwischendurch auch gern mal zu, aber leider, leider ..
... stehe ich doch recht schrotflintig auch hinter diesem verb-armen Konstrukt. In meinen Augen befördert die Komprimierung hier den Zweck, den Prot etwas lakonisch abkotzend mitteilen zu lassen aufs Güteste. Leserlichkeit, gar flüssige ist nicht in jedem Falle ein angemessener Leitfaden der Textur. Stell Dir nur vor, es gäbe lediglich tanzbare Musik?
Wäre das nicht fürchterlich?
Natürlich kann ich nicht verhindern, dass Du diesen Satz als 'unleserlich' empfindest. Und insofern kann ich Deine Kritik nicht kritisieren bzw. schreiben 'da liest Du falsch'. Einzig erklären, weshalb ich so schrieb, ist mir möglich. Und das tat ich.

""Sie nehmen doch keinen Zucker zum Kaffee?", sagte die scheinbar verblüffte Schürzenfrau."

„Scheinbar“ ist ein raffiniertes Wörtchen. Vielleicht ist es Dir ja bewusst (die meisten Leute wissen das nicht). Diese Schürzenfrau ist echt eine Bitch.


Ja isses. Auch, dass seine schöne Bedeutung schon seit Zeiten im Verröcheln liegt.

Puh, also ich mag Deinen Prot nicht. Das ist wahrscheinlich der Sinn der Sache. Ich finde, Du hast viele Details da drin, die wirklich schön sind, z.B. die Pflanze und den feigen Kaffee. Den Twist mit dem Zuckerstreuer fand ich ganz schön, allerdings frage ich mich da direkt:
Dein Prot ist doch nicht auf den Kopf gefallen? Wieso fragt er nicht, wo man solche Zuckerstreuer kaufen kann, oder kauft den Zuckerstreuer dem Kaffee ab? – Überall, wo mir bisher etwas sehr gut gefallen hat, war das möglich. Dann müsste er nicht mehr jeden Tag an einem Ort abhängen, den er hasst. Da zerschellte für mich die Geschichte so ein bisschen an der Logik, weil ich es einfach nicht glauben kann.

Ja, den zu mögen wäre ein harter Job.
Und klar, er könnte sich ganze Batallionen von Zuckerstreuern erwerben und sie kreisförmig um sein Sofa platzieren. Allein, was nach meiner Intention den Streuer für ihn mit solcher (erotischen) Fantasie aufläd, ist der Bezugsrahmen, in welchem dieser sich befindet.
Insofern ist der Logik-Gedanke hier vllt unschlüssig, wobei 'Logik' im Rahmen der verschrobenen Welt des Prots ja möglicherweise auch eine ohnehin gebeutelte sein muss, oder?

Ich würde Dir wirklich raten, den Text nochmal auf Füllwörter und übermäßig lange und verschachtelte Sätze abzusuchen. Das Aufgeblasene ist wohl Teil Deines Prots, aber man muss es ja nicht schmerzhafter machen, als es ist, oder? Zumal ich beides nicht für Stilmittel halte, sondern für Stilblüten von Leuten, die, ja, beim Schreiben ihre Leser/innen vergessen.

Wie Du ja bereits ahnst, gehe ich hier nicht mit. Ich denke schlicht nicht an den Leser, wenn ich eine KG schreibe, sondern nur und ausschliesslich an den Text.
Wäre mir andersherum nicht eher Gefallsucht zu unterstellen?

Nochmals großer Dank für Deinen Komm
Honiglichst
-C -

 

Hallo, Cantarellus

Ich fange mal da an, wo wir uns einig sind. Das ist doch schön.

Ja isses. Auch, dass seine schöne Bedeutung schon seit Zeiten im Verröcheln liegt.

Ja, nicht wahr? Mann! Good job. Auch ich bin früher oft drüber gefallen, heute bewundere ich gekonnt eingewebte Scheinbarkeiten, die doch nur durchschimmern lassen, was wir zu sehen hoffen, zugleich jedoch niemals wirklich zu Gesicht bekommen.

Und dann da, wo Du mich missverstanden hast:

Hintergrund dieser Eröffnung ist u.a. die obsessive Verbundenheit des Prots mit der Lokalität
herauszustellen. Er ist eben nicht irgendwie vorm/am Cafè, sondern mittendrin. Und es handelt sich nicht einfach um das Cafè an der Ecke, nein, es ist 'seines'.

Ich habe das beides verstanden. Da aber zuvor das Konstrukt „im Café“ kommt und danach: „Schrieb ich ‚das Café‘?“, wehrte ich mich als Leserin automatisch gegen diese Frage. Ich schlage vor, Du streichst sie einfach. Oder Du gestaltest den vorherigen Satz so um, dass „das Café“ vor der Frage kommt.

Ich denke schlicht nicht an den Leser, wenn ich eine KG schreibe, sondern nur und ausschliesslich an den Text.
Wäre mir andersherum nicht eher Gefallsucht zu unterstellen?

Das ist, wissenschaftlich ausgedrückt, Bullshit. Schrift ist ein Medium. Wir schreiben Dinge auf, um sie anderen Menschen mitzuteilen. Wenn Deine Worte sich lediglich Deinen Worten mitteilen wollten, könntest Du sie in Deinem Kopf behalten. Dort wären sie gut aufgehoben, und niemand würde sie missverstehen. Du schreibst sie ja aber auf, damit andere Leute an dem, was vormals nur in Deinem Kopf war, teilhaben können. Die Worte selbst, die interessieren sich nicht dafür, was Du mit ihnen machst. Sie sind auch nur ein Medium. Und wenn Du sie nur nutzt, um nicht zu vergessen, was in Deinem Kopf ist – um dich also Deinem späteren Selbst mitzuteilen –, bleibt immer noch die Frage, warum Du sie veröffentlichst. Denn eine Veröffentlichung dient doch, wie das Schreiben, dazu, Informationen mit anderen Menschen zu teilen.

Und ich habe nie gesagt, dass das, was Du schreibst, mir gefallen soll. Das, was Du schreibst, darf polarisieren. Aber das kann es nur, wenn es auch leserlich ist. Jemandem gefallen und leserlich schreiben, das sind zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe.

Doch, Semikolons braucht man doch! Es gibt mMn im Universum der Interpunktion durchaus einen sinnbehafteten Raum zwischen Komma und Punkt. Wenn das Komma zu schwach, der Punkt aber zu rabiat, schlägt die Stunde des Semikolons.

Tatsächlich habe ich darüber im Verborgenen bereits eine kleine Diskussion geführt, nachdem ich Dir diesen Kommentar dagelassen habe, also gebe ich freimütig zu, dass das Semikolon mich in aller Regel nur deshalb in Rage versetzt, weil es in vielen Fällen ein Zeichen von Aufgeblasenheit ist, beziehungsweise, ich dieses Vorurteil pflege. Deshalb: Setze sie, wie Du willst. Ich versuche, mich nicht darum zu kümmern.

Zu dem Rest werde ich nichts mehr sagen, nur fragen: Willst Du Dich weiterentwickeln? Oder warum bist Du hier? Denn, um herauszufinden, dass „sonntags“ klein geschrieben wird und man keine Punkte vor den Beginn einer Geschichte stellt, dafür musst Du ja nicht hierherkommen, oder? Mir hat dieser Ort hier wieder und wieder geholfen, meine eigene Einstellung kritisch zu reflektieren. Aber gut, manch einer ist womöglich zufrieden, da, wo er steht. Ich möchte Dich dabei nicht stören.

Leserliche Grüße,
Maria

 
Zuletzt bearbeitet:

Geht das: 'Sich nicht weiterentwickeln'? Ich meine jetzt, ohne sich an eine Eiche zu knüpfen?

Ich denke, unser kleiner Disput - jetzt mal ab von Beistrichpunkten - changiert irgendwo zwischen Missverständnis, eventuell zu raschem Überfliegen, dort, wo ein kreisender Tiefflug vllt günstig wäre und der bloßen Tatsache differierender Ansichten.
Na klar, maria, Sprache ist ein Medium, da sind wir beisammen, Kunststück. Jedoch, schrieb ich, ich habe beim Schreiben nicht den Leser sondern den Text im Kopf, so ist das Entgegnen mittels eines wissenschaftlichen 'Bullshit' wohlfeil; und auch das dann folgende kommt nicht über die These hinaus, dass, wenn man etwas veröffentlicht, es dem Austausch von 'Informationen' anderen gegenüber dient.
Davon ab, dass ich argwöhne, es handele sich sogar um mehr als 'den Austausch von Informationen', sehe ich hier keinen entkräftenden Widerspruch zu dem von mir behaupteten.
Ich versuche es Dir noch einmal aufzudröseln:
Die Analogie mit der Produktion von Musik scheint mir hilfreich. Wenn Du Musik schaffst, so kannst Du dieses Unterfangen unter die Prämisse stellen, es möge den Rezipienten gefallen oder es möge den Regeln der Tanzbarkeit genügen. Deine Komposition würde insofern also versuchen, diese Kriterien zu matchen. Du hättest die Wirkung, die deine Arbeit erzielen soll, mithin zur Maxime erhoben. In diesem Bestreben, das leuchtet ein, verengt sich die potentielle Gestalt des Werkes naturgemäß, da Du sie den geschilderten Prämissen unterwirfst.
Sich davon frei zu machen, bedeutet im Sinne dessen, was ich postulierte, keinesfalls seine eigenen Worte widerzukäuen, sondern schlicht die Nutzung des gesamten Spektrums an geistiger Freiheit im Hinblick auf das Schaffensprodukt.
Sich vermeindlichem Pop zu widersetzen ist eben keine egozentrische Trotzhaltung und die resultierenden Produkte sind genauso diskutabel wie ein Dieter-Bohlen-Song.
Übrigens habe ich im zweiten Anlauf denn doch noch gerallt, was Dein Einwand in der Einleitung war und tatsächlich; da ist nicht nur dies pretentiöse Semikolon, sondern tatsächlich eine überdenkenswerte Situation...
Aber erst nach 3 Kugeln in der Waffel...
Gern gestört
- C -


Freut mich josefelipe und ehrt Dich (der Meinungswechsel), dass du dem 'Zucker' doch noch etwas abgewinnen konntest. Möge er Dir den Groll über 'Melanie' lindern, sie ist womöglich tatsächlich kein Weit-Wurf ...
Gruß
- C -

 

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