- Anmerkungen zum Text
Eine kleine Kurzgeschichte über innerliche Leere und Einsamkeit.
Zu wenig Worte
Ich habe mich heute für die Stille beim Duschen entschieden. Keine Musik. Lieber Ruhe. Erst schaut mein Fuß aus der Badezimmer Tür und jetzt läuft mein ganzer Körper Richtung Schlafzimmer. Das süße Parfum spritzt aufs Handgelenk und an den Hals. Ich ziehe mir meine dunkelblaue Hose und grau-weiß gestreiftes Hemd an.
Brotdose, Buch, Kopfhörer, Portmonaie und Schlüssel. Ich habe alles und renne vom 1.Stock runter zur Bushaltestelle vor der Haustür.
Diesmal war ich während der Bahnfahrt besser beim Lesen. 2 x 8 Minuten und 1 x 3 Minuten Artikel in einer 30 Minuten Fahrt geschafft. Ich lächle angespannt und steige aus.
In der zweiten S-Bahn Richtung Düsseldorf- Benrath ist es immer leerer. Ich lese hier selten, da ich nicht zu spät aussteigen möchte. Ich schaue fixiert zum Fenster hinaus. Dann fällt mir wieder ein, dass es zu lange ist und ich drehe meinen Kopf eine Weile nach links und dann nach rechts. Eine immer hilfreiche Übung bevor ich bei der Arbeit ankomme.
„Nächster Halt Düsseldorf- Benrath".
Ich laufe die Treppe hinunter und senke meinen Blick. Laufe die nächste hoch und blicke wegen der Dame vor mir nach links, um nicht ihren Po im Visier zu haben. Der Parkplatz vorm Bahnhof ist lang. Ich laufe immer am grünen Stück entlang und biege in eine schmalere Gasse mit Bepflanzung ab. Schaue nochmal nach hinten, aber sehe niemanden. Die beiden Männer im Gespräch waren wohl erneut bloße Einbildung meiner Psychose.
Ich trete in die Buchhandlung ein. Ein sanftes „guten Morgen“ hallt aus meinem Mund. Zwei Kollegen erwiedern es. Ich merke mir selbst ein Grinsen an.
Die Ruhe der Buchhandlung hat wieder die Wirkung auf Nils. Nathalia merkt er kann wieder still stehen. Es ist besser als die Tage zuvor. Er denkt weniger. „Nils, wie läuft's in der Schule ?“ ,fragt sie ihn.
„Ganz gut.“ Schon wieder antwortet er nur so kurz. Dann lassen wir's. „Sehr schön“, sagt Nathalia während sie die historische Abteilung ordnet. Die Kunden kommen so langsam rein und jetzt blüht Nils auf. Er muss einfach nur arbeiten und helfen.
Nathalia beobachtet wie Nils eine Mutter berät. „Ich würde Ihnen das hier vorschlagen. Durch den Tag und die Nacht. Die drei Geschwister wachen auf vom Sonnenaufgang und gehen sofort nach draußen aufs Feld und spielen fangen. Dann wechselt sich die Ansicht und es werden Tiere beobachtet. Später finden sie im Wald einen neuen Weg und kleinen Bach. Es wird langsam dunkel und die Taschenlampe für den Rückweg wird ausgepackt. Die Kinder haben im Freien eine tolle Aussicht auf die Abenddämmerung. Das Buch nimmt uns mit wie Kinder gern entdecken, spielen und in der Natur ihre Neugier vom Tag bis zur Nacht ausleben können. Ein schönes illustriertes Werk !"
Die Mutter merkt wie es ihn berührt und kauft es. Nils lächelt die Mutter an. Sie wünschen sich gegenseitig einen schönen Tag.
Nathalia's Mann Josef ist mittlerweile mit den Telefonaten fertig und steht neben ihr. „Ihm macht's einfach nur Spaß“, sagt sie ihm. Josef stimmt ihr zu.
Der Laden ist wieder leer. Ich gehe zu Nathalia und frage : „Wie hast du das damals mit der Gruppe 47 wahrgenommen ? Was hältst du von dem Buch „Einige Herren sagten etwas dazu"?".
„Ich sage mal so. Es war noch immer eine Gruppe der Nachkriegszeit. Männer dominiert. Hart im Urteil. Wenn die männlichen Autoren wie Paul Celan schon nervös waren und sich mit Günter Grass in die Haare bekommen haben, dann war es für Frauen wie Ingeborg Bachmann oder Ilse Aichinger noch unerträglicher. Du musst dir mal vor Augen führen, dass da ein Mann ist nh... der Einladungen verteilt; Herr Hans-Werner Richter, der damit automatisch schon bestimmt wer in seinen Augen gelesen werden sollte und dazu erstmal nur Frauen einlädt, die in einem Verhältnis zu den Autoren stehen. Das war nie ganz meine Welt.“
„Ich mochte die Idee hinter der Gruppe. Etwas kahles mit neuen Wörtern zu füllen und erneut lebendig zu machen. Alfred Andersch Texte las ich gern. Seine Frau war auch eine coole Künstlerin. Hat ihm bei dem Entwurf der Zeitung geholfen und hat auch Bücher für Arno Schmidt gemacht. Günter Eich , Ilse Aichinger und Böll respektiere ich noch immer sehr für ihr Wesen. In m-„
(Nathalia unterbricht Nils hektisch) „Ja das waren auch teilweise auch durchaus gute Menschen, die lange gehungert haben und plötzlich durchs Preisgeld ein völlig anderes Leben hatten. Die Tagungen machten Menschen wie Böll berühmt ! Ich respektiere das auch.“
Nur sollte es auch ein ausgewogeneres Kräfteverhältnis sein sollen“, sage ich..
„Ja definitiv.“
„Es fängt schon da an,dass Ilse- Schneider Lengyel zwar die Mäzenin ist, die das Haus und alles drum herum zur Verfügung stellt, doch sobald sie ihre realistischen Gedichte vorliest und die Männer nicht folgen können, sollte sie wieder lieber den Mund halten und das brave Frauchen sein was kocht“, sage ich.
„Mhm das geht einfach gar nicht ! Hans-Werner Richter und Alfred Andersch hatten auch die Idee bevor einer Tagung mit allen gemeinsam in den Strip Schuppen zu gehen. Was meinst du wie die Frauen sich dort gefühlt haben ?!“, sagt Nathalia mit energischer Stimme.
„Unfassbar.“
„Tja. Das waren halt immer noch Männer ihrer Zeit“, sagt Nathalia zum Abschluss.
Nach dem frühen Feierabend mache ich mich auf ins Museum. Ich stehe vor einem Bild Giacometti's. Die Frau ist einem dunklen Raum mit einer herrischen und ruhigen Pose. Sie macht mir Angst. Ich halte ihren Blick stand. Es erinnert mich an meine Mutter. Sie ist distanziert, aber sie schaut mich an. Mir kommen die Tränen.
Ich lasse sie laufen und bewege mich weiter durch den Raum.
Hinaus aus der Sammlung und rein in die Ausstellung. Es sind viele Bilder Paul Klee's da. Zeichnungen mit Bäumen, einzelnen Gesichtern in bunter warmer Farbenpracht. Ich sehe eine Vitrine mit getrocknetem Sand und darauf sind feste Steine hineingedrückt. In diesem Bogen zeigen sie ein Lächeln.
Ich laufe noch nach unten. Mein Blick trifft sich mit dem eines Sicherheitsmitarbeiters des K20. Ich grinse und sage in fröhlicher Stimme „Hallo“. Er fragt mich nochmal wie ich heiße.
„Nils. Und du ?“, frage ich.
„Emmanuel. Nils, warum bist du wieder alleine hier ? Hast du keine Freundin ?“, fragt er verwundert.
„Ich komme gerne alleine hier hin. Nein ich habe keine Freundin.“
„Stehst du auf Männer oder Frauen ?“
»Auf beides. Und du ?“
„Auf Frauen. Doch ich habe kein Problem damit. Sonst würde ich nicht hier arbeiten. Hier kommen viele Gruppen von der LGBTQ Szene hin.“
„Ja das stimmt. Du kamst aus Somalia oder ?“, versuche ich mich zu erinnern.
„Ja, ich bin seit 5 Jahren hier. Du kamst aus Togo richtig ?“, fragt Emmanuel.
„Mhm meine Eltern kommen beide aus Togo.“, sage ich.
„Bist du hier geboren ?“
„Ja bin ich. Ist deine Familie auch hier ?“
(Emmanuel redet leiser). „Nein ich bin alleine. Lernst du hier Leute kennen ?“
„Es gibt offene Menschen, aber das passt nicht immer. Ich mache hin und wieder etwas mit meinen Freunden. Das ist immer schön.“
„Und intimer ?“, fragt er.
(Mittlerweile werde ich auch leiser).„Ich hatte seit fast nem Jahr nicht mehr was mit einer Person. Und du ?“
„Ich hatte vor einiger Zeit etwas mit jemandem, aber wir haben uns nicht nochmal gesehen.“
„Bist du einsam Emmanuel ?“
„Ja bin ich.“
„Ich auch. Doch alleine sein ist auch in Ordnung.“, sage ich lächelnd.
„Du findest noch jemanden. Du bist jung.“, sagt er grinsend.
„Vielleicht auch nicht. Ich suche Liebe und nichts kurzfristiges.“
„Das ist gut. Wie alt bist du ?“
„Zweiundzwanzig. Und du ?“, frage ich.
„Achtunddreißig. Seit dem ich hier bin, habe ich mit niemanden so gesprochen wie mit dir.“ (Emmanuel hat Tränen in den Augen.)
Ich schaue ihn an und will Lächeln, doch es klappt nicht. Also gebe ich ihm die Hand. „Ich rede auch nicht mehr mit so vielen Menschen.
Wir sehen uns bestimmt noch öfter, sage ich.“
(Emmanuel legt die Hand um mich und lächelt euphorisch)„ Ja bis demnächst.“
Im Zug trage ich die Kopfhörer. Der SZ- Podcast beginnt. Ich muss stehen. Ich schaue geradeaus und höre zu. Ein Mädchen in meiner Nähe sticht aus der Menge wegen ihrer roten Haare. Ich schaue ihren Hinterkopf an. Dann schaue ich weg. Sie dreht sich seitlich und schaut mich an während ich die Weide aus dem Fenster betrachte. Ihre Lippen bewegen sich zu ihrer Freundin. Ich drehe mich so weit es geht von ihr weg.
Ich schaue gemütlich aus dem Fenster.
Im Spiegel sehe ich wie das rothaarige Mädchen ein Haargummi von ihrer Freundin bekommt. Sie macht sich ihren Zopf. Die Freundin schaut zu mir und dann wieder zur Freundin und schüttelt den Kopf. Sie macht weiter. Insgesamt bindet sie sich wahrscheinlich 10 Minuten den Zopf während der ganze Zug merkt, dass sie mir nen Wink zum Flirten gibt. Ich schaue stoisch in der Gegend herum und konzentriere mich auf meinen Podcast.Eine ältere Dame schaut blitzartig das Mädchen und dann mich an. Sie schaut wieder zum Zopf bindenden Mädchen und schüttelt den Kopf.
Der Zug hält an. Ich steige aus und bin erleichtert.
Zuhause angekommen packe ich die eingekauften Lebensmittel aus. Beschichte eine Pfanne mit Öl, lasse einen Topf Wasser auf der Herdplatte erhitzen ,öffne eine Flasche Wein und lasse Jazz laufen. Jetzt höre ich nur noch die Melodie. Und lasse los.