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Zu Realitätsnah
Ihr jetziger Traum war so anders als die Anderen. Er fühlte sich so echt an, als wäre das Geschehen zum Greifen nahe. Sie befand sich in einem ausgemergelten Körper, mit Blutergüssen übersät, der dennoch ihr eigener war. Trotz dieser Erkenntnis kam sie sich fremd vor, hatte sich erst gar nicht erkannt. Oder wollte sich nicht erkennen. Sie steckte in einem weißen, unförmigen Leinenhemd, das sie noch blasser erscheinen ließ. Ihr geschundener Körper lag in einem viel zu großen Krankenhausbett, dessen Quietschen den Anschein machte, als würde es jede Sekunde auseinander fallen. Das perfekte Material für einen Horror-Film, fehlten also nur noch die gruseligen Sound Effekte, die das Fass zum Überlaufen brachten. Ihr Unterbewusstsein nahm dieses wohl als Herausforderung an, denn binnen von Sekunden ertönte eine Melodie, die erst leise, dann immer lauter wurde. Ihre Konzentration richtete sich einzig allein auf die Töne. Von irgendwoher kannte sie diese Melodie, da war sie sich sicher. Es ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren und ein starker Druck presste sich gegen ihren Brustkorb, der ihr das Atmen schwerer machte. Es war beinahe unmöglich. Von weit her konnte sie einen Schrei vernehmen, der bis in ihr Inneres drang und sich dort ausbreitete. Stille. Die Melodie hatte aufgehört zu spielen, der Schrei war abrupt abgebrochen. Ihre Finger, die auf ihrem Körper ruhten, fühlten sich klebrig an. Sie senkte den Kopf und richtete den Blick auf ihre Hände, die sie auf dem Bauch verschränkt hatte. Das, was da so klebte, war Blut. Ihr Körper fing an zu zittern, sie löste die Hände voneinander und ließ die Arme über den Bettrand fallen. Das Blut drang durch das weiße Leinenhemd und färbte es rot. Die dunkle Fläche war nun schon so groß wie eine Wassermelone, und es breitete sich mit jeder Sekunde immer weiter aus. Der Geruch, der ihr in die Nase stieg war bestialisch. Ein erneuter Schrei zerriss die Stille, er bestand aus nur einem Wort: „Lauf!“ Sie richtete sich im Bett auf und verließ das Zimmer in Roboterbewegungen. Sie versuchte sich normal zu bewegen, doch es gelang ihr nicht. Ihre Hände berührten die weißen Wände und hangelten sich an ihr entlang. Blut. Es war Überall. An den Wänden, auf dem Boden, sogar an der Decke. Als sie fast am Ende des Ganges angelangt war, fiel ihr Blick auf die Feuertür, an deren Glas etwas in roter Schrift geschrieben war. Sie brauchte einige Sekunden, um die verlaufende Schrift zu entziffern. Die Erkenntnis gab ihr den Rest. „Zeit aufzugeben, kleine Schlampe. Ich habe dich gefunden.“ Ihre Beine fingen an, sich in Wackelpudding zu verwandeln, oder zumindest dessen Konsistenz anzunehmen. Sie sank zu Boden, hörte das Geräusch von brechenden Knochen. Der Schmerz war unbeschreiblich, allerdings wurde er von dem Adrenalin, das durch ihren Körper pumpte, verdrängt. Aus der Richtung, aus der sie geflüchtet war, kamen schwere Schritte auf sie zu. Den gleichmäßigen, keuchenden Atem würde sie überall wiedererkennen, dafür brauchte sie sich nicht umzudrehen. Sie hörte ihn immer näher kommen. Wach auf. Wach endlich auf! Sie kniff sich, so fest sie konnte, in den Arm, doch nichts geschah. Los, komm schon. Wach auf! Ihr Atem setzte aus, ein Prickeln ging durch ihren Körper. Die Erkenntnis, dass dieser Traum gar kein Traum war, kam zu spät. Sie konnte gerade noch den Kopf um hundert achtzig Grad drehen, als auch schon die Axt auf sie zu schnellte.