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Zu erleben, was man hat (Samstag)

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03.05.2017
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Zu erleben, was man hat (Samstag)

Zu erleben, was man hat

Nach Ernas Tod hatte ihm niemand gesagt, dass der samstagmorgendliche Gang zum Bäcker sein größtes Problem sein würde. Um die Sauberkeit der Wohnung sorgte man sich. Um den Fall, dass er sich verletzen und keine Hilfe rufen könne, weil er nicht zum Telefon kam. Selbst um das Wohl der Orchideen und des Hibiskus hatten sie sich Gedanken gemacht, aber niemand – weder die Pflegerin, noch die Pfarrerin, noch seine eigenen Söhne hatten an den Bäcker gedacht.
Samstagmorgens, so war es bei ihnen Tradition gewesen, war Siegfried Moosbach um halb acht aufgestanden, hatte Kaffee aufgesetzt und einen Spaziergang zum Altstadt-Bäcker angetreten. Der letzte echte Backwarenladen in der Stadt, der es noch verstand, Geschmack in seine Waren zu bringen – nicht so ein Massenabfertigungskram, der möglichst billig unter die Leute gebracht wurde.
Bei diesem Bäcker hatte er sich immer mit der freundlichen alten Verkäuferin unterhalten, die ihn nach seinem Knie fragte und nach Ernas Herzen. Jedes Mal wünschte sie ihnen beiden einen schönen Samstag und natürlich gute Besserung, auch wenn man damit nicht rechnen konnte und obwohl sie Erna nicht mal persönlich kannte. Selbst in Begleitung war sie seit Jahren schon nicht mehr weiter als ein paar Schritte außer Haus gegangen.
Bei diesem Bäcker hatte er immer zwei Brötchen gekauft, meistens Mehrkornbrötchen, manchmal Roggenbrötchen und sehr selten die weißen Schnittbrötchen. Ein paar Mal ließ er sich von der freundlichen Verkäuferin zu einem Brötchen aus brandneuer Rezeptur überreden, aber Erna und er mochten die traditionellen lieber.
Zusätzlich zu den zwei Brötchen hatte er immer noch einen süßen Nachtisch mitgebracht, den sie sich teilten. Im Sommer war das meistens ein Stück Erdbeerkuchen gewesen, denn Erna hatte Erdbeeren über alles geliebt – nur nicht über Siegfried selbst, so sagten sie jedes Mal, sobald jemand Ernas Erdbeer-Vernarrtheit zur Sprache brachte.
Wenn gerade kein Sommer war und es auch keinen Erdbeerkuchen gab, hatte er es geliebt, sie mit anderen süßen Köstlichkeiten zu überraschen und anders als bei den Brötchen durfte es bei den Kuchen und Teilchen sehr gerne auch mal etwas Ausgefallenes sein.
Kurzum: diese samstagmorgendliche Tradition stellte fünfunddreißig Jahre lang für sie beide den Höhepunkt der Woche dar und nur selten musste ihr geliebtes Ritual ausfallen. Und ebendiese Tradition würde jetzt wegen dieser einen unliebsamen, permanenten Ungewöhnlichkeit nie wieder stattfinden können. Nie wieder, das war für Siegfried ein schwer verständlicher, im Grunde unakzeptabler Ausdruck, aber ein Stück für sich allein zu kaufen, kam für ihn wiederum auch nicht in Frage. Ohne Erna schmeckte der beste Erdbeerkuchen nach altem Pappkarton und überhaupt verstand er den Sinn eines ausgiebigen Frühstücks nicht, wenn er es mit niemandem teilen konnte.

Am ersten Samstag ohne gemeinsames Frühstück hatte er sich gewohnheitsgemäß um Viertel vor acht auf den Weg gemacht, obwohl er bereits nach dem Aufstehen keinen Appetit verspürte.
Am zweiten Samstag ohne gemeinsames Frühstück raffte er sich erst um neun auf, zum Bäcker zu spazieren und am dritten Samstag und am vierten und fünften war er gar nicht mehr hingegangen. Stattdessen hatte sich eine Stulle geschmiert, an der er dann lustlos herumknabberte. Der Geschmack war fad gewesen und die Scheiben trotz Butter staubtrocken. Keine Stulle der Welt konnte nur annähernd an die Stullen herankommen, die Erna mittags für ihn gemacht hatte und allein das Wort trieb ihn nun in den Wahnsinn.
„Stulle“; das klang nicht nur wie das langweiligste Essen auf der Welt, es hörte sich auf einmal auch noch so unglaublich unappetitlich an, dass er das Gesicht verziehen musste und die angebissenen Scheiben lieblos auf den Teller fallen ließ. Nein, auch das wollte er nicht mehr essen. Keine Brötchen, keinen Kuchen, keine Teilchen und erst recht keine Stullen!
Am sechsten Samstag stand Siegfried um zehn Uhr auf und ignorierte die Küche vollkommen, sondern setzte sich gleich in seinen Sessel im Fernsehzimmer und starrte gewohnheitsgemäß auf den Bildschirm, ohne dass er ihn vorher angeschaltet hätte, aber das merkte er gar nicht so recht. Auch das Läuten an der Tür, etwa anderthalb Stunden nachdem er sich niedergelassen hatte, bekam er nicht mit; und so läutete es einmal, dann zweimal und dann gleich fünfmal, ehe der Besucher es aufgab und wieder Stille in der Wohnung einkehrte.

Am Nachmittag des sechsten Samstags ohne Erna erhob Siegfried Moosbach sich aus seinem Fernsehsessel und ging zur Wohnungstür, öffnete sie und trat nach draußen in das kühle Treppenhaus. Vielleicht hatte ihn ein Anflug von Pflichtbewusstsein hinausgetrieben, damit er mal wieder seinen Briefkasten leerte oder ihn zu einem Mittagsspaziergang aufforderte. Beiden Dingen kam er nicht nach, stattdessen zog ein kleines Päckchen an der Türschwelle seine Aufmerksamkeit auf sich, auf dem ein zusammengefaltetes Blatt Papier lag. Gleich daneben entdeckte er eine beige Thermoskanne mit Blümchenmuster. Ein Duft von Erdbeerkuchen und Kaffee hing in der Luft. Der alte Mann bückte sich nach dem Paket und hob es behutsam auf.

Auch wenn ich Ihnen das hier gerne persönlich gesagt hätte, aber Sie werden die Nachricht schon bekommen, wenn Sie bereit dazu sind:

Es ist ein wunderschöner Tag und die Sonne scheint auch (oder ganz besonders) für Sie! Nehmen Sie den Kuchen, packen Sie die Thermoskanne ein und gehen Sie an die frische Luft; suchen Sie sich ein Fleckchen, an dem Sie sich wohlfühlen und nehmen Sie so viel wie möglich wahr: schmecken Sie, hören Sie, riechen Sie! Erleben Sie Ihr Leben, fühlen Sie, dass Ihr Herz schlägt und erfreuen Sie sich daran!
Denken Sie an all die schönen Tage, die Sie mit Erna verbracht haben und halten Sie sie sich gut in Erinnerung – aber vergessen Sie nicht, dass die Zukunft ebenfalls ein paar ganz wundervolle Dinge für Sie bereithalten kann!
Ich hoffe, am nächsten Samstag haben Sie mir wieder einiges zu erzählen – Ich würde mich freuen!

Ihre Freundin und besorgte Bäckerin​

 

Hallo Jana Retlow,

und willkommen bei den Wortkriegern.
Ich steige mal sofort ein:

Bei der Seelsorgerbesprechung
Bei diesem Bäcker hatte er sich immer
Bei diesem Bäcker hatte er immer
Diese Wiederholungen finde ich nicht so gut.

Ein paar Mal hatte er sich von der freundlichen Verkäuferin zu einem Brötchen aus brandneuer Rezeptur überreden lassen,
Da hat es bei der Übertragung des Textes ein Problem mit den Umlauten gegeben.

Zusätzlich zu den zwei Brötchen hatte er immer noch einen süßen Nachtisch mitgebracht, den sie beide sich geteilt haben. Im Sommer war das meistens ein Stück Erdbeerkuchen gewesen, denn Erna hatte Erdbeeren über alles geliebt – nur nicht über Siegfried selbst, das war ihnen beiden sehr wichtig und erwähnenswert gewesen.
„nur nicht über Siegfried selbst, das war ihnen beiden sehr wichtig und erwähnenswert gewesen.“: Das verstehe ich nicht. Was war wichtig und erwähnenswert? Was möchtest du damit sagen?

Kurzum: diese samstagmorgendliche Tradition war fünfunddreißig Jahre lang für sie beide der Höhepunkt der Woche gewesen und hatte nur sehr selten wegen irgendwelchen Ungewöhnlichkeiten ausfallen müssen. Und ebendiese Tradition würde jetzt wegen dieser einen unliebsamen, permanenten Ungewöhnlichkeit nie wieder stattfinden können.
Das klingt in meinen Ohren etwas schräg oder unrund.

Und: Wegen welchen Ungewöhnlichkeiten hatte es bisher ausfallen müssen? Wenn da keine Erklärung mehr kommt, kann dieser Halbsatz ganz raus. Der stört dann nur.

Selbstverständlich konnte Siegfried auch ein Stück Kuchen für sich allein holen und er hätte auch die freundliche Verkäuferin darum bitten können, ihm ein nur halb so großes Stück zu verkaufen.
Ich würde hier kürzen. Irgendwie wird es sonst langweilig. Es wiederholt sich alles.

Am ersten Samstag ohne gemeinsames Frühstück hatte er sich gewohnheitsgemäß um viertel vor acht auf den Weg gemacht,
Ich würde hier ein wenig variieren, das Wort „Frühstück“ kommt zu oft vor.
Vorschlag: „Am ersten Samstag nach der Beerdigung hatte er …“

Am zweiten Samstag ohne gemeinsames Frühstück hatte er sich
Diese Wiederholung könntest du umschiffen (s.o.)

Beiden Dingen kam er nicht nach, sein Blick wurde von einem kleinen Päckchen an der Türschwelle abgefangen, auf dem ein zusammengefaltetes Blatt Papier lag; neben dem Päckchen entdeckte er eine beige Thermoskanne mit Blümchenmuster.
Hier würde ich zwei Sätze machen, also ohne Semikolon.

Was hat das "(Samstag)" im Titel zu bedeuten? Kommen da noch weitere Geschichten? (Sonntag, Montag etc.)
Eine schöne Geschichte. Dein Einstand hat mir gefallen.

Wünsche dir noch viel Spaß hier.

Beste Grüße,
GoMusic

 
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Hallo GoMusic und vielen Dank für deine ausführliche Kritik!

Ein paar Punkte habe ich bereits umgesetzt, bei anderen möchte ich ungern etwas ändern, aber ich will dir auch erklären, warum:

- die Wiederholungen waren als Stilmittel gedacht. Vor allem die Stellen "am xten Samstag ohne gemeinsames Frühstück" sind mir wichtig, um aufzuzeigen, dass Siegfrieds Leben ohne Erna sehr trist und eintönig ist. Wehmütig springt er in der Zeit von Samstag zu Samstag, nur um wieder festzustellen, dass die geliebte Tradition auch nicht mehr stattfinden kann.
- Das viele "Frühstück" ist auch so eine Sache - da es früher der Höhepunkt der Woche war, hat Siegfrieds Leben das samstägliche Frühstück zum wichtigsten Teil in seinem Leben gemacht. Da sich bei ihm alles um dieses Wort dreht, fand ich es wichtig, es oft in die Geschichte einzubauen.
- Das "(Samstag)" war der Vorschlag für eine Überschrift, aber da ich nicht weiß, ob sich jemand eine Geschichte mit dem alleinigen Titel "Samstag" anschauen würde, habe ich es als Zusatz verwendet. Kann aber auch raus, wenn das zu sehr stört
- die Sache, dass Erna Erdbeerkuchen über alles außer Siegfried liebt, könnte ich auch noch ausbauen, wenn das dem besseren Verständnis dient. So als Rückblick, wie es dazu gekommen ist, dass es beinahe zum Running-Gag zwischen ihnen wurde.

Liebe Grüße,

Jana

 

Hallo Jana Retlow,

was mir an Deinem Text gut gefallen hat, ist die Trostlosigkeit, die sich langsam in Deinem Protagonisten breit macht und die Geste der Menschlichkeit am Ende.

Was mir hingegen fehlt, ist die Innenansicht. Die Erzählperspektive wirkt sehr distanziert. Du bist sozusagen weit weg von Deinem Charakter und leidest nicht mit ihm mit. Dadurch fühlt man auch als Leser nicht besonders stark mit, was wiederum schlecht für die Spannung und das Leseerlebnis ist.

Sprachlich finde ich ist noch Luft nach oben. Der Anfang liest sich holprig und umständlich. Das liegt an den vielen "um"-Konstruktionen:

Nach Ernas Tod hatte ihm niemand gesagt, dass der samstagmorgendliche Gang zum Bäcker sein größtes Problem sein würde. Um die Sauberkeit der Wohnung hatten sie sich gesorgt. Um den Fall, dass er sich verletzen könnte und nicht zum Telefon käme, um Hilfe zu rufen. Selbst um das Wohl der Orchideen und des Hibiskus im Balkonzimmer hatten sie sich Gedanken gemacht, aber niemand – weder die Pflegerin, noch die Pfarrerin, welche ihn in der Seelsorgebesprechung auf sein Leben allein hatte vorbereiten sollen, noch seine eigenen Söhne hatten an den Bäcker gedacht.

Und es liegt daran, dass Du quasi die Aussage des ersten Satzes in den nächsten wiederholst, denn der erste Satz sagt, dass der Ganz zum Bäcker sein größtes Problem ist und dann zählst Du in den nächsten Sätzen auf, welche Probleme quasi gelöst sind.

Besser wäre es aus meiner Sicht, wenn Du nach dem erste Satz näher bei Deinem Protagonisten wärest, bei seinem Innenleben, in ihn heineinkriechst und sein Gefühlsleben darstellst. Vielleicht ist er am Anfang noch motiviert und denkt, das mit dem Bäcker schaffe ich schon und dann lässt seine Energie, sein Lebenswille immer mehr nach. Wenn Du das aus seiner Innensicht heraus erzählst und nicht aus dieser etwas teilnahmslosen Erzählperspektive, kann der Text sicherlich deutlich gewinnen.

Vielleicht kannst Du damit etwas anfangen.

Gruß
Geschichtenwerker

 
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Liebe Jana Retlow,

ich begrüße dich bei den Wortkriegern.

Das Thema deiner Geschichte beschäftigt und berührt mich. Das hat natürlich mit meinem Alter zu tun und damit, dass mir hin und wieder Gedanken kommen, die sehr viel mit deinem Thema zu tun haben. Wie verändert sich das Leben, wenn man plötzlich allein ist, den Partner verloren hat und damit auch die liebgewonnenen und vertrauten Rituale?

Diese Leere nach dem Tod des Partners und wie ohne ihn nun alles irgendwie gleichgültig und sinnlos erscheint, man zum Schluss völlig inaktiv nur noch im Fernsehsessel vor dem schwarzen Bildschirm sitzt, beschreibst du sehr genau und nachvollziehbar.

Am sechsten Samstag stand Siegfried um zehn Uhr auf und ignorierte die Küche vollkommen, sondern setzte sich gleich in seinen Sessel im Fernsehzimmer und starrte gewohnheitsgemäß auf den Bildschirm, ohne dass er ihn vorher angeschaltet hätte, aber das merkte er gar nicht so recht.
Dieser samstägliche Gang zum Bäcker zieht sich durch deine Geschichte, an ihm machst du deutlich, was war und was nun nicht mehr ist.

Gefallen hat mir am Schluss, wie seine Sinne plötzlich wieder wach werden und er den Duft von Erdbeerkuchen und Kaffee wahrnimmt. (Rein praktisch kann ich mir zwar nicht vorstellen, wie der Kaffeeduft der Thermoskanne entsteigen kann, aber sei’s drum.) Er kehrt auf jeden Fall dank der netten Bäckersfrau ins Leben zurück.

Nicht so gut hat mir das Plusquamperfekt der ersten Abschnitte gefallen:

Nach Ernas Tod hatte ihm niemand gesagt, dass der samstagmorgendliche Gang zum Bäcker sein größtes Problem sein würde. Um die Sauberkeit der Wohnung hatten sie sich gesorgt. Um den Fall, dass er sich verletzen könnte und nicht zum Telefon käme, um Hilfe zu rufen. Selbst um das Wohl der Orchideen und des Hibiskus im Balkonzimmer hatten sie sich Gedanken gemacht, aber niemand – weder die Pflegerin, noch die Pfarrerin, welche ihn in der Seelsorgebesprechung auf sein Leben allein hatte vorbereiten sollen, noch seine eigenen Söhne hatten an den Bäcker gedacht.

Ich verstehe nicht so recht, warum du nicht schon hier - wie später - das Präteritum verwendest:

Nach Ernas Tod sagte ihm niemand, dass der samstagmorgendliche Gang zum Bäcker sein größtes Problem sein würde. Um die Sauberkeit der Wohnung sorgten sie sich. Um den Fall, dass er sich verletzen könnte und nicht zum Telefon käme, um Hilfe zu rufen. Selbst um das Wohl der Orchideen und des Hibiskus im Balkonzimmer machten sie sich Gedanken, aber niemand – weder die Pflegerin, noch die Pfarrerin, welche ihn in der Seelsorgebesprechung auf sein Leben allein vorbereiten sollten, noch seine eigenen Söhne dachten an den Bäcker.

Das immer wiederkehrende PQP deiner ersten Absätze lässt die Sprache des Textes für mein Empfinden sehr schwerfällig wirken. Ich begreife, dass du eine Vorzeitigkeit zum Nachmittag des sechsten Samstags beabsichtigt hast, aber wenn dir das wichtig sein sollte, so würde dein Text für mein Empfinden weniger schwerfällig daherkommen, wenn du diesen Nachmittag des sechsten Samstags ins Präsens setzen würdest.

Am Nachmittag des sechsten Samstags ohne Erna erhebt Siegfried Moosbach sich aus seinem Fernsehsessel und geht zur Wohnungstür, öffnet sie und tritt nach draußen in das kühle Treppenhaus. Vielleicht ist es ein kurzer Anflug von Pflichtbewusstsein, der ihm sagt, dass er seinen Briefkasten leeren soll.(?) Vielleicht ist es die Gewohnheit, die ihn zu einem Mittagsspaziergang aufgefordert hat. Beiden Dingen kam er nicht nach, Sein Blick wird von einem kleinen Päckchen an der Türschwelle abgefangen, auf dem ein zusammengefaltetes Blatt Papier liegt. Neben dem Päckchen entdeckt er eine beige Thermoskanne mit Blümchenmuster. Ein Duft von Erdbeerkuchen und Kaffee hängt in der Luft. Der alte Mann bückt sich nach dem Päckchen und hebt es behutsam auf.

Mit dem Präsens wird der alte Mann zurückgeholt in die Gegenwart. So entsprechen sich sprachliche Form und Inhalt.
Das ist natürlich nur ein Vorschlag. Vielleicht denkst du einmal darüber nach.

Liebe Grüße und viel Spaß hier.

barnhelm

 

Hej Jana Retlow,

die Thematik deiner Geschichte ist wirklich notwendig, kommt dieser Abschnitt des Lebens viel zu kurz in der Literatur, oder sagen wir mal hier. ;)

Gleich der erste Abschnitt ist spannend aufgebaut, denn es läuft kontinuierlich darauf hinaus, was eben unbedacht blieb. Und es war jetzt auch nicht zu erwarten, dass es spektakulär wäre. Die Auflösung kommt genau zum rechten Augenblick und in angemessener Dramatik.

Dennoch, und obwohl es ausschließlich um den Samstag geht, gefällt mir der Titel nicht so gut und er war es auch, der mich davon abhielt, die Geschichte eher zu lesen.
Ich finde ihn zu allgemein gehalten, geht es doch ganz explizit um Erna und Siegfried (meine Großeltern mütterlicherseits hießen tatsächlich beide so:lol:).
Du erzählst vom Witwer, der anscheinend selbst zu Lebzeiten seiner Frau, einen bescheidenen Horizont hatte und ohne sie den Halt und die Orientierung verliert, was nur konsequent und realistisch ist. Dass du das an diesem einen Ritual festmachst, ist gut und folgerichtig. Umso schöner ist dann auch das Ende.

Mir hätte es allerdings noch besser gefallen, wenn es dann doch noch zu einem persönlichen Treffen und einem Dialog gekommen wäre. Vielleicht auf dem Weg zum Briefkasten, wenn Siegfried schon sonst nicht mehr das Haus verlassen möchte. Es käme mir optimistischer und lebendiger vor.

Kannst es dir ja mal im Hirn zergehen lassen.

Ein Leseeindruck und freundlicher Gruß, Kanji

 
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Liebe maria.meerhaba,

danke für deine Kritik; ich habe sie teilweise bereits umgesetzt. Das betrifft vor allem die "hatte" und "gewesen"s, vor denen ich mich manchmal nicht retten kann. Ein paar habe ich allerdings drin gelassen, nur ist es jetzt nicht mehr so ausgeprägt.

Ein paar Sachen wollte ich nicht ändern:
Das "sondern" habe ich kurz rausgelöscht und es gleich darauf vermisst, dann habe ich es durch ein "und" ersetzt, aber dann wären die "und"s in diesem Satz zu Herdentieren geworden und so habe ich das "sondern" wieder eingesetzt, weil dem Komma sonst kalt geworden wäre (anders kann ich es nicht erklären, sorry).

Das erneute erwähnen vom sechsten Samstag sorgt dafür, dass ich mir denke, dass es ein anderer Samstag ist. Aber weil du Nachmittag geschrieben hast, habe ich sofort kontrollieren müssen und darunter leidet wieder der Lesefluss. Streich einfach den sechsten Samstag weg, nur Nachmittag verdeutlich am besten, dass es noch der sechste Samstag ist, aber eben später.

Hier bist du mit deinem Gedankengang fast richtig, nur soll durch die wiederholte Erwähnung des sechsten Samstags ein Aufbruch und genereller Abschnittswechsel in Siegfrieds Leben signalisiert werden. Genau genommen ist es also nicht ein neuer Samstag, sondern eher ein neuer Siegfried.

Zum Schluss möchte ich mich noch für das Lob bedanken, welches ja durchaus in deinem Kommentar auch vorkam ;)
Es ist schön zu sehen, dass du dich anscheinend ja wirklich eingehend mit dem Text auseinandergesetzt und mir so ein ausführliches Feedback gegeben hast. Die eigenen Macken sieht man ja sonst gar nicht.

Liebe Grüße,

Jana


Hallo Geschichtenwerker!

Um den Fall, dass er sich verletzen könnte und nicht zum Telefon käme, um Hilfe zu rufen.
Diesen Satz habe ich nun verändert, da das um Hilfe zu rufen tatsächlich unnötig war.

Um die anderen ums komme ich nicht drum rum ;) Nein, Spaß beiseite, die anderen ums sind stilistisch mit voller Absicht von mir eingesetzt worden. Im gesamten Text wird man immer wiederkehrende Satzteile finden, die die innere Tristheit wiedergeben sollen. Es soll eine textliche Darstellung des "Murmeltiertags" darstellen, in welchem Siegfried gefangen ist.

Auch wollte ich nicht zu stark auf Siegfrieds Gefühlsleben eingehen, denn erfahrungsgemäß ist eine Form der Trauer, dass man erstarrt (was Siegfried ja tut) und auch die Gefühle der Person abwesend sind.
Er ist so überfordert mit dem Verlust, dass er die Trauer noch gar nicht richtig verarbeiten kann.

Erst am Ende sollen durch den Brief seine Lebensgeister wiedererweckt werden; deswegen auch folgende Stelle:

nehmen Sie so viel wie möglich wahr: schmecken Sie, hören Sie, riechen Sie! Erleben Sie Ihr Leben, anstatt sich in der Trauer aufzulösen! Fühlen Sie, dass Ihr Herz schlägt und erfreuen Sie sich daran!
Das beweist, das Siegfried seit Ernas Tod weder gelebt noch gefühlt hat.

Es war möglicherweise etwas gewagt von mir, die Gefühle des Lesers erst am Ende tatsächlich ansprechen zu wollen, aber von mir selbst ausgehend dachte ich, dass man mit einem Menschen, der durch einen solchen Verlust die Fähigkeit zu fühlen verliert, möglicherweise sogar mehr Mitleid hat als wenn ständig erwähnt wird, wie traurig der arme Mann doch ist.

Ich hoffe, ich konnte meine Gedanken gut und einleuchtend erklären.

Ein schönes Wochenende wünsch' ich Dir!

Liebe Grüße,
Jana


Hallo barnhelm und vielen Dank für den netten Willkommensgruß!

Wie versprochen möchte ich mich nun zu deiner Kritik äußern, aber zunächst möchte ich mich für das Lob bedanken; ich habe mich sehr darüber gefreut!

Ich habe mich entschieden, nicht komplett auf das PQP zu verzichten, aber ich habe die Dichte etwas aufgelockert, sodass es nicht mehr ganz so prägnant heraussticht.

Mit dem Wechsel in die Gegenwart tue ich mich sehr schwer, und aus diesem Grund habe ich diesen Vorschlag auch nicht umgesetzt.

Am Nachmittag des sechsten Samstags ohne Erna erhebt Siegfried Moosbach sich aus seinem Fernsehsessel und geht zur Wohnungstür, öffnet sie und tritt nach draußen in das kühle Treppenhaus.
Mit diesem Satz wäre ich noch zu 100% einverstanden. Ich finde sogar, dass er schöner als die Vergangenheitsform klingt - tatkräftig! Unterbewusst will er etwas an seiner Situation ändern und erwacht endlich aus seiner Paralyse!
Aber die Geschichte geht ja noch weiter und in den folgenden Sätzen bin ich am Präsens übel angeeckt. Es hat mich einfach gestört und vor allem die Sätze
Neben dem Päckchen entdeckt er eine beige Thermoskanne mit Blümchenmuster. Ein Duft von Erdbeerkuchen und Kaffee hängt in der Luft. Der alte Mann bückt sich nach dem Päckchen und hebt es behutsam auf.
würden viel zu viel von dem Präsens haben.

Folgende Erklärung kann ich mir vorstellen:
Ich kann mich nicht damit anfreunden, weil ihm ja noch immer die Paralyse anhaftet, als er in das Treppenhaus hinaustritt. Sein Geist ist noch nicht so weit, dass er in der Gegenwart angekommen wäre und erst der Brief der Bäckerin holt ihn aus der Vergangenheit in den Moment zurück.

Danke trotzdem für deinen Vorschlag. Er hat mich lange zum Nachdenken gebracht und ich hoffe, meine Erklärung kann dich zufriedenstellen. :)

Ich wünsche dir ein erholsames Wochenende!

Liebe Grüße,

Jana


Hallo Kanji,

vielen Dank für deinen Kommentar! Es freut mich, dass dir das Thema meiner Geschichte so zugesagt hat.

Angemessene Titel zu finden, damit tue ich mich schon immer sehr schwer und wende dafür manchmal sogar mehr Zeit auf als mit dem eigentlichen Schreiben der Geschichte.
Habe ich es richtig verstanden, dass du "Erna und Siegfried" als Titel vorgeschlagen hast, oder war es eher eine Ausführung, warum "Samstag" nicht passt?
Wie ich bereits GoMusic geantwortet habe: ich war mir auch unsicher, wer eine Geschichte mit dem Namen "Samstag" lesen würde, aber es war eben ein Vorschlag und ich wollte ihn ausprobieren; und meine Vermutung hat sich bestätigt, deswegen habe ich die Klammer wieder rausgenommen.

Mit dem persönlichen Treffen hast du tatsächlich einen Nerv bei mir getroffen - oder sollten wir sagen: mich auf frischer Tat ertappt. Ich finde direkte, fiktive Dialoge oft sehr aufgesetzt und unangenehm zu lesen, deswegen traue ich mich nur sehr selten an sie ran. Müsste ich vielleicht einfach mal üben...
Bis zu deiner Anmerkung ist es mir zugegebenermaßen nicht einmal in den Sinn gekommen, dass sich die beiden auch tatsächlich treffen könnten. Seltsam...

Ich werde mich in Zukunft wohl mal an Dialoge herantrauen und ein wenig daran arbeiten, die Berührungsängste abzulegen.

Liebe Grüße,
Jana

 

Hej Jana Retlow,

dabei ist der Titel so wichtig, entscheidet der doch, ob ich eine Geschchte ansprechend finde oder nicht beachte.
Siegfried ohne Erna - vielleicht?
Wenn einer fehlt
Der Halt des Rituals
Wenn Rituale keinen Sinn mehr machen
Richtungswechsel
Wenn das Leben neue Ritual braucht

Die sind jetzt nicht gut durchdacht, aber vielleicht helfen sie dir auf die Sprünge. :shy:

Mir geht es mit den Dialogen genauso. Und ich meide sie auch, aber wenn eine Geschichte lebendig sein soll, kommt man wohl nicht drumherum. Mir hat es geholfen, hier texte zu lesen, die dialoglastig sind, zB. von Fliege, Novak oder ernst offshore - die fallen mir jetzt spontan ein und es gibt sicher noch andere. :shy:

Nur Mut und lieber Gruß, Kanji

 

Moin Kanji,

dabei ist der Titel so wichtig, entscheidet der doch, ob ich eine Geschchte ansprechend finde oder nicht beachte.
Genau das finde ich ja auch und deswegen verrenke ich mir ja auch regelmäßig das Gehirn wegen ihnen.

Die hier waren mir ebenfalls in den Sinn gekommen, bevor ich mich für Zu erleben was man hat entschieden habe:

Erdbeerkuchen zum Frühstück
Wenn es einsam um ihn wird/ Als es einsam um ihn wurde
Allein zu teilen
Erna

Da ich aber eine Geschichte habe, die einfach nur "Otto" heißt, wollte ich daraus keinen Trend machen. Und "Erdbeerkuchen zum Frühstück" klang mir zu sehr nach Bridget Jones - Schokolade zum Frühstück..

Vielen Dank für den Tipp mit den Dialogen, ich werde demnächst mal in ein paar Geschichten reinschauen :)

Liebe Grüße,

Jana

 

Hallo Jana,

zunächst finde ich die Geschichte sehr schön aufgebaut und gerade den Einstieg, den ersten Absatz, mag ich sehr. Auch wie er von Samstag zu Samstag abbaut, die Freude an allem verliert, wie sich seine große Trauer an dieser Bäckersituation zeigt, das ist berührend.
Es ist am Ende nur der Brief der Bäckerin, mit dem ich meine Probleme habe.

Erleben Sie Ihr Leben, anstatt sich in der Trauer aufzulösen! Fühlen Sie, dass Ihr Herz schlägt und erfreuen Sie sich daran!
Denken Sie an all die schönen Tage, die Sie mit Erna verbracht haben und halten Sie sie sich gut in Erinnerung – aber vergessen Sie nicht, dass die Zukunft ebenfalls ein paar ganz wundervolle Dinge für Sie bereithalten kann!

Den ersten Satz empfinde ich fast als eine Art Vorwurf. Seine Frau ist seit sechs Wochen tot. Ich glaube, für den Ratschlag mich nicht in Trauer aufzulösen, würde ich an seiner Stelle jedem ins Gesicht springen. Was er alles erleben, fühlen, denken und nicht vergessen soll, das wäre das Letzte, was ich in so einer Situation bräuchte. Eigentlich braucht man doch dann jemanden, der einen so aushält, wie man gerade fühlt, denkt und nicht vergessen kann und keinen, der einem das alles ausreden will. Das macht ja noch einsamer. Ich finde die Geste, dass sie an ihn denkt und ihm Brötchen hinstellt ganz wunderbar und ein schönes Ende. Aber es wäre besser ohne diese unangebrachte Empfehlung.

Es ist ein wunderschöner Tag und die Sonne scheint. Ich vermisse sie jetzt schon den vierten Samstag und würde mich freuen, Sie bald wieder bei uns zu sehen.

Ihre Freundin und besorgte Bäckerin


Sowas in der Art fände ich passender.

Liebe Grüße und herzlich willkommen, Jana!

Chutney

 

Hallo Chutney,

zunächst erstmal vielen Dank für das Lob und den netten Willkommensgruß!

Deinen Kritikpunkt kann ich nachvollziehen, jedoch sehe ich die Aussage der Bäckerin nicht ganz so dramatisch. Ich habe hier (ohne dass das jetzt belehrend oder arrogant gemeint ist) auf den Rat bzw. einen Vorschlag meiner Mutter gehört, die Sozialpädagogin ist. Sie hat die Stelle auch gelesen und fand sie in Ordnung. Aber vielleicht hast du Recht und ein trauernder Witwer würde so einen Kommentar als anmaßend und vollkommen unsensibel auffassen.

Als "Kompromiss" würde ich die besonders heikle Stelle rausnehmen und den Satz folgendermaßen umformulieren: Erleben Sie Ihr Leben, fühlen Sie, dass Ihr Herz schlägt und erfreuen Sie sich daran!

Vielen Dank, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast und nochmal Danke, dass du dich so positiv über die Geschichte im Gesamten geäußert hast!

Liebe Grüße und einen schönen Sonntag,

Jana

 

Hallo Jana,

mir gefällt es so viel besser. Es war tatsächlich vor allem dieser eine Satz auf den ich angesprungen bin, den ich als anmaßend empfand. Ohne ihn überwiegt für mich das Fürsorgliche, Wohlwollende in dem Brief.

dir auch einen schönen Sonntag und liebe Grüße,
Chutney

 
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Hallo Jana,

und Willkommen bei uns Wortkriegern!

Ich mochte den Text. Diese kleinen "Dramen" des Alltags, das Stille in dem Text, was sich auch auf mich als Leser überträgt, denn es ist eine Stille, die weh tut. Ohne Erna ist das Leben für Siegfried eben kein knallroter Erdbeerkuchen mehr, die Farbe ist weg. Eine schöne Metapher.

Stilistisch ginge da noch einiges mit dem Text. Ich geh mal rein:

Nach Ernas Tod hatte ihm niemand gesagt, dass der samstagmorgendliche Gang zum Bäcker sein größtes Problem sein würde. Um die Sauberkeit der Wohnung sorgte man sich. Um den Fall, dass er sich verletzte und Hilfe rufen könnte, weil er nicht zum Telefon kam. Selbst um das Wohl der Orchideen und des Hibiskus im Balkonzimmer hatten sie sich Gedanken gemacht, aber niemand – weder die Pflegerin, noch die Pfarrerin, welche ihn in der Seelsorgebesprechung auf sein Leben allein hatte vorbereiten sollen, noch seine eigenen Söhne hatten an den Bäcker gedacht.

Ich finde das schön. Mit unwichtigen Infos bisschen aufgeblasen, aber inhaltlich sagt es wirklich viel. Ich streich mal die Infos, die dem Leser nichts bringen.

Nach Ernas Tod hatte ihm niemand gesagt, dass der samstagmorgendliche Gang zum Bäcker sein größtes Problem sein würde. Um die Sauberkeit der Wohnung sorgte man sich. Um den Fall, dass er Hilfe rufen könne, wenn er nicht mehr zum Telefon kam. Selbst um das Wohl der Orchideen und des Hibiskus hatten sie sich Gedanken gemacht. Aber niemand – weder die Pflegerin, noch die Pfarrerin, noch seine eigenen Söhne hatten an den Bäcker gedacht.

Der erste Absatz ist ja immer wichtig. Er entscheidet darüber, ob der Leser weiter lesen will, oder ob er zur nächsten Geschichte weiterklickt. Hier ist es extrem wichtig, es dem Leser einfach zu machen. Und das heißt, keine Meta-Satzkonstruktionen durch die er sich durchfummeln muss, um die relevanten Infos von den irrelevanten zu trennen. Wenn der Leser erst mal in den Text eingetaucht ist, verzeiht er dir viel mehr. Und komme mir jetzt nicht mit Stimmung ;). Die Stimmung baut sich darüber auf, das Siegfried scheinbar nicht mehr selbständig ist. Nicht darüber, wo die verdammte Orchidee steht.

Haben schon andere Kommentatoren angemerkt, aber lass von diesem PQP ab. Ehrlich. Das ist wirklich eine Krücke der deutschen Grammatik. Setze es ins Präteritum. Und das Ende ins Präsens. Lese beide Absätze laut und höre, was es mit der Melodie des Textes macht.

Samstagmorgens, so war es bei ihnen Tradition gewesen, war Siegfried Moosbach um halb acht aufgestanden, hatte Kaffee aufgesetzt und einen Spaziergang zum Altstadt-Bäcker angetreten. Der letzte echte Backwarenladen in der Stadt, der es noch verstand, Geschmack in seine Waren zu bringen – nicht so ein Massenabfertigungskram, der möglichst billig unter die Leute gebracht wurde.

Samstagmorgens, so war es Tradition, stand Siegfried Moosbach um halb acht auf, kochte Kaffee und trat den Spaziergang zum Altstadt-Bäcker an. Der letzte echte Backwarenladen in der Stadt, der es noch verstand, Geschmack in seine Waren zu bringen.

Man muss dem Leser übrigens nicht erklären, warum ein traditioneller Bäcker etwas besonderes ist. Diese Info ersetzt er durch die eigene Erfahrung und immer wenn Leser das tut, taucht er selbst in den Text. Es braucht diese Lücken, um ihn "hineinzuholen". Das ist übrigens etwas, was wirklich viel Erfahrung braucht und am Ende ist man sich doch nie sicher, das Verhältnis zwischen zu viel Lücke und zu wenig.

Bei diesem Bäcker hatte er sich immer mit der freundlichen alten Verkäuferin unterhalten, die ihn nach seinem Knie fragte und nach Ernas Herzen. Jedes Mal wünschte sie ihnen beiden einen schönen Samstag und natürlich gute Besserung, auch wenn man damit nicht rechnen konnte und obwohl sie Erna nicht mal persönlich kannte. Selbst in Begleitung war sie seit Jahren schon nicht mehr weiter als ein paar Schritte außer Haus gegangen.

So, und da haste schon das Problem. Wenn Du konsequent das PQP benutzt, was machste dann, wenn etwas noch vor dem PQP geschah? Da kommt der Leser ins Straucheln, weil er erst mal sortieren muss. was jetzt, was davor. er ist raus, und raus aus dem Text ist nie gut.

Bei diesem Bäcker unterhielt er sich mit der freundlichen alten Verkäuferin. Die fragte ihn nach seinem Knie und nach Ernas Herzen. Jedes Mal wünschte sie den beiden einen schönen Samstag und natürlich gute Besserung, auch wenn man damit nicht rechnen konnte. Dabei kannte sie Erna nicht mal persönlich. Erna war, selbst in Begleitung, seit Jahren nicht mehr als ein paar Schritte außer Haus gegangen.

Jetzt stimmts :). Wieder beide laut gegenlesen und hören.

Bei diesem Bäcker hatte er immer zwei Brötchen gekauft, meistens Mehrkornbrötchen, manchmal Roggenbrötchen und sehr selten die weißen Schnittbrötchen. Ein paar Mal ließ er sich von der freundlichen Verkäuferin zu einem Brötchen aus brandneuer Rezeptur überreden, aber Erna und er mochten die traditionellen lieber.
Zusätzlich zu den zwei Brötchen hatte er immer noch einen süßen Nachtisch mitgebracht, den sie sich teilten. Im Sommer war das meistens ein Stück Erdbeerkuchen gewesen, denn Erna hatte Erdbeeren über alles geliebt – nur nicht über Siegfried selbst, so sagten sie jedes Mal, sobald jemand Ernas Erdbeer-Vernarrtheit zur Sprache brachte.
Wenn gerade kein Sommer war und es auch keinen Erdbeerkuchen gab, hatte er es geliebt, sie mit anderen süßen Köstlichkeiten zu überraschen und anders als bei den Brötchen durfte es bei den Kuchen und Teilchen sehr gerne auch mal etwas Ausgefallenes sein.

Jetzt wird es wirklich fett. All die Doppelinfos und komplizierten Satzbaukonstruktionen.

Hier kaufte er immer zwei Brötchen, meistens Mehrkorn, manchmal Roggenbrötchen und sehr selten die weißen Schnittbrötchen. Ein paar Mal ließ er sich von der freundlichen Verkäuferin zu einem Brötchen aus brandneuer Rezeptur überreden, aber Erna und er mochten die traditionellen lieber.
Zusätzlich zu den zwei Brötchen brachte er noch einen süßen Nachtisch mit, den sie sich teilten. Im Sommer war das ein Stück Erdbeerkuchen. Erna liebte Erdbeeren. Nur ihren Siegfried, den liebte sie noch mehr.
Wenn es auch keinen Erdbeerkuchen gab, überraschte er sie mit anderen süßen Köstlichkeiten. Und anders als bei den Brötchen durfte es bei den Kuchen und Teilchen auch mal etwas Ausgefallenes sein.

Das so als Anregung. Ist viel Veränderung, ich weiß. Aber der Leser dankt, indem er durch den Text "fließt" und nicht von Satz zu Satz holpert.

Viel Freude Dir hier! Und hey, wenn Du bleibst, bin ich mir sicher, irgendwann haben wir von Dir auch eine Geschichte zur Top-Wahl.

Beste Grüße, Fliege

 
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Hallo und herzlich willkommen hierorts,

Jana Retlow,

Zu erleben, was man hat
gefällt mir als Titel allemal besser als der ursprüngliche, obwohl ich tatsächlich über den Zusammenhang von Schöpfungsgeschichte und Sabbath und der Fünftagewoche und Samstag/Sonnabend, vor allem aber dem christlichen Sonntag als Ruhetag nachdenke, die in unseren modern times auch wegen der modernen Medien zu den bedrohten Tagen zählen, denn das Arbeitszeitgesetz - glaube keiner, dass es keinen Einfluss mehr auf Rentner habe - schreibt nur die Mindestdifferenz zwischen Ende einer Schicht und dem Anfang der folgenden vor. Elf (!) Stunden.

Der Titel - eine interessante Konstruktion - der Hauptsatz, eine Ellipse im Infinitiv, der selbstgenügsam ohne Person, Numerus, Tempus und Numerus auskommt, und mit dem Relativsatz, der im Gegensatz zum Haupt- ein vollständiger Satz (Objekt, Subjekt, Prädikat) ist und zudem ruft: Man hat was, und zwar, was der Infinitiv zuvor behauptet und zu dem der einfühlsame Brief der Bäckerin passt: Man hat nur ein, sein eigenes Leben - denn etwas zu erleben bedeutet mehr, als stumpfsinnig vor sich hindämmern oder nur der Vergangenheit zu leben, die eh in dem Maße anwächst, wie die Zukunft schrumpft.

Dass Du noch an der Schulgrammatik hängst - ich hab ja auch meine Vorredner studiert - ist ja nicht falsch. Aber klingt nicht das Partizip II des Verbs "sein" nicht schon sehr nach Verwesung?

Samstagmorgens, so war es bei ihnen Tradition gewesen, war Siegfried Moosbach um halb acht aufgestanden, hatte Kaffee aufgesetzt und einen Spaziergang zum Altstadt-Bäcker angetreten.
Tatsächlich hat die deutsche Sprache - im Gegensatz zu vielen, gar den meisten Sprachen - eben keine feste Zeitenfolge und nur zwei einstellige Zeiten: Gegenwart und Vergangenheit, selbst Futur I ist zweistellig (ich werde kommen, etwa), dass ersatzweise die Gegenwart genommen werden kann mit einem zeitlichen Hinweis (um beim Beispiel zu bleiben: Ich komm morgen). Was für die Zukunft gilt, gilt auch für die Vergangenheit, dass ich mal behaupte, dass sich im Zitat (und auch in vorherigen wie nachfolgenden Passagen) die Partizipien einschränken lassen, wenn es nun hieße

"samstagmorgens, so war es bei ihnen Tradition, stand Siegfried Moosbach um halb acht auf, setzte Kaffee auf und trat einen Spaziergang zum Altstadt-Bäcker an."

Den Effekt erzeugen auch Daten wie

Nach Ernas Tod ...
und da ließe sich die würde-Konstruktion durch den Konjunktiv I ersetzen wegen der großen Wahrscheinlichkeit, dass es "sein größtes Problem werde", das zudem die Nähe zum Futur wahrt.

Eine besondere Rolle spielt da auch das Verb "können" - es führt im "kann sein, muss aber nicht" ein hohes Maß an Potentialität mit, die aktualisiert werden will (klingt fast wie Theologie, der ev. Theologe und Mitstreiter der Frankfurter Schule Paul Tillich hat dann auch tatsächlich über Aktualität und Potentialität geschrieben).

Versuch mal selber, die Diktatur der Hilfsverben (haben, sein, werden) zu brechen. Schaffze, wie man hier im Ruhrgebiet so sacht.

Tatsächlich wäre hier

Um den Fall, dass er sich verletzte und Hilfe rufen könnte, weil er nicht zum Telefon kam.
das eh zweiwertige "können" durch "müssen" zu ersetzen, find ich, denn käme er nicht zum Telefon, müsste er schon einige Stimmgewalt aufbringen, dass Nachbarn ihn durchs Mauerwerk, verschlossenen Fenstern und Türen hören könnten.

"Können" ist quasi das binäre Verb schlechthin.

Es gibt Adjektive, die ich meide wie die Pest. Wenn einer zu mir sagt "wirklich" und "ehrlich" bin ich schon verleitet, ihm nicht zu trauen - eben weil er die "Wahr"haftigkeit übermäßig betont. Das gilt auch für "echt"

Der letzte echte Backwarenladen in der Stadt, ...
Lass dieses Adjektiv weg. Der dann folgende Relativsatz zeigt doch, dass da noch Handwerk und nicht industrielle Fertigung herrscht.

Da hat noch der Bäcker und nicht der Investor das Sagen!

Hier find ich den ersten "echten" Fehler

... gewohnheitsgemäß um [V]iertel vor acht auf ...
, den Du auf jeden Fall korrigieren musst.

Bis bald und vorsorglich ein schönes Wochenende vom

Friedel

 

Guten Morgen Fliege und Friedrichard,

ich wollte mich schonmal für eure wertvolle Kritik bedanken und habe sie zu kleinen Teilen bereits umgesetzt. Nur das Nötigste, weil ich gerade voll im Uni-Stress stecke und eure Anmerkungen einiges an Arbeit für mich bereithalten. Aber genau deswegen bin ich ja hier und ich glaube, ihr habt mir meinen Zeiten-Wahn gerade nochmal richtig deutlich gemacht.
Ich werde mir demnächst mal ordentlich Zeit nehmen und über die zeitlichen Ebenen von Geschichten und speziell von dieser Geschichte nachdenken.
Ich werde mich nochmal bei euch melden, sobald ich dieses Chaos in den Griff bekommen habe ;)

Vielen Dank für das nette Willkommen! Und ganz besonderen Dank an dich, Fliege, du hast mir mit deinem letzten Satz echt den Tag versüßt! Ich geb mir beste Mühe, bald an diesen Punkt zu kommen.

Liebe Grüße und ein hoffentlich sonniges Wochenende,

Jana

 

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