Zombielove
Es war ein Zufall gewesen.
Zwei Minuten früher oder später wäre es vielleicht anders gekommen, aber das ist ja immer so bei Zufällen. Es war halt passiert, und nun hatte es sein Leben komplett umgekrempelt.
Er hatte in seinem Zimmer gesessen und Playstation gespielt, als seine Mutter herein kam und ihn bat den Müll raus zu bringen. Er hatte natürlich gemurrt - wie immer - denn er stand gerade kurz vor dem Ende des Levels. Aber seine Mutter war - ebenfalls wie immer - unerbittlich geblieben. Also hatte er auf Pause gedrückt und den Controller weggelegt.
Die Mülltonnen standen vor dem Haus unter ein paar Bäumen. Als er die Tüte entsorgt hatte und den Deckel gerade wieder runterklappte stand plötzlich diese Frau vor ihm. Er hatte sie vorher nicht bemerkt und sich tierisch erschreckt, musste die sich so anschleichen?
Er kannte sie. Es war die Katzenoma, die mit ihren ungefähr fünfzig Katzen am Ende der Straße wohnte. Sie sah gruselig aus, denn sie blutete aus einer großen Wunde am Hals. Ihr hässliches Hauskleid war noch hässlicher geworden, denn es war total vollgeblutet.
„Mein Gott was ist denn mit Ihnen passiert?“, hatte er bestürzt gefragt. „Brauchen Sie Hilfe?“
Sie sah zwar schrecklich aus, aber es war eine Nachbarin, er musste ihr helfen, also war er auf sie zugetreten. Sie hatte ebenfalls einen unbeholfen schwankenden Schritt nach vorne gemacht. Er dachte sie würde gleich stürzen und breitete die Arme aus um sie aufzufangen. Und dann hatte die dumme Schlampe ihn einfach gebissen! Sie hatte sich leicht vorgebeugt und ihn voll in den Oberarm gebissen, richtig doll! Er hatte geschrieen vor Schreck und Schmerz und versucht sie wegzustoßen. Aber hey, die war vielleicht kräftig! Das hätte er ihr gar nicht zugetraut, dieser alten Lady. Wie ein Schraubstock hatte sie sich an ihm festgeklammert und ihm schließlich ein riesiges Stück Fleisch aus dem Arm heraus gebissen.
Er hatte sie von sich gestoßen und war zurück ins Haus gewankt, die Hand auf die stark blutende Wunde gepresst. Seine Mutter würde ihm helfen, sie würde die Wunde verbinden und ihn dann ins Krankenhaus fahren.
Auf dem Weg ins Haus war ihm dann plötzlich ganz schwindelig geworden.
Als er in die Küche kam und seine Mutter mit schreckgeweiteten Augen schreiend auf ihn zustürzte, hörte er sie nur wie durch dicke Watte. Und dann war da plötzlich dieser unbändige Appetit. Er wollte seiner Mutter sagen wie sehr er sie liebt, aber er fand keine Worte. Als sie ganz dicht vor ihm stand um sich seinen Arm anzuschauen beugte er sich zärtlich über sie und biss ihr ein großes Stück aus dem Nacken heraus.
Das Ganze war jetzt eine Woche her. Seit diesem Vorfall war er viel unterwegs, hing den ganzen Tag in der Gegend rum, lief mal die eine Straße entlang, mal die Andere. Seine Mutter hatte er seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen, sie hatte auch das Haus verlassen und war irgendwo hingegangen, sein Vater war an besagtem Abend gar nicht mehr von der Arbeit nach Hause gekommen.
Er traf viele Leute. Einige schrieen wenn sie ihn sahen, andere sahen nur stumpf an ihm vorbei, sofern sie noch Augen hatten. Meistens war ihm sehr langweilig.
Oft ging er in Richtung Innenstadt um sich die brennenden Autos anzugucken oder im Einkaufszentrum nach Etwas zu suchen um seinen großen Appetit zu stillen, aber er fand immer seltener was Geeignetes. Wenn er mal was Leckeres fand waren dort meistens auch noch viele Andere, die ebenfalls auf der Suche nach was zu Beißen waren. Dann wurde immer viel gerangelt und geschubst, und meist bekam er nichts mehr ab. Deswegen war er eigentlich immer den ganzen Tag sehr hungrig.
Das ganze öde Rumgehänge und Rumgesuche wurde allmählich sehr monoton, bis sich eines Tages Alles änderte als er Ihr begegnete.
Er stand gerade mit einigen Anderen an einem großen Zaun und streckte die Arme durch die Maschen. Hinter dem Zaun waren Schreie zu hören, dort schien es was Leckeres zu geben. Die Gruppe und er bemühten sich sehr, durch den Zaun zu kommen, da stand sie plötzlich neben ihm. Die zarte Haut ihres linke Armes - an der die Hand fehlte - streifte seinen eigenen Arm. Es war wie ein kleiner elektrischer Schlag. Plötzlich vergaß er kurz seinen Hunger und drehte sich leicht zu ihr. Sie war wunderschön!
Sie schaute ihn nun ebenfalls an und es funkte sofort zwischen ihnen. Während sie später mit der Gruppe zusammen aßen warf sie ihm zwischendurch immer wieder vielsagende Blicke zu. Später verließen sie den Ort zusammen in die gleiche Richtung, trotteten schweigend nebeneinander her die Strasse hinunter in den Sonnenuntergang.
Ab diesem Zeitpunkt wurde Alles anders.
Sie waren nun zu zweit und machten alles zusammen, wichen einander nicht mehr von der Seite. Er zeigt ihr seine liebsten Futterplätze, sie ihm die Ihren. Sie aßen nun immer zusammen, und manchmal ließ er ihr sogar den Vortritt. Sie humpelten gemeinsam durch die rauchende Stadt, schlängelten sich zu zweit an Wracks vorbei, kraxelten nebeneinander her über umgestürzte Laternen und Mülltonnen und verloren sich auch im größten Fressgelage nie ganz aus den Augen.
Und sie wurden sehr schnell ein gutes Team. Wenn sie durch einen Zaun wollte half er ihr und warf sich ebenfalls dagegen und streckte die Arme durch die Maschen. Mit ihr wurde das nie langweilig, er konnte das stundenlang machen, Hauptsache er war mit ihr zusammen. Wenn sie ein Haus fanden das noch nicht allzu kaputt war teilten sie sich auf. Er ging dann meist vorne hinein, während sie an der Hintertür wartete, danach speisten sie dann zusammen. Es war herrlich!
Irgendwann fasste er einen Entschluss: Er würde bei ihrem Vater um ihre Hand anhalten! Er liebte sie und war sich ganz sicher auf ewig mit ihr zusammen sein zu wollen. Sie mussten den Vater nur noch finden.
Es wurde eine lange Suche, denn sie konnte sich offenbar an ihr Zuhause nicht mehr erinnern, aber irgendwann hatten sie Glück. Als sie ein Haus mit Veranda entgegen ihren Gepflogenheiten zusammen durch die Vordertür betraten, stutzte sie plötzlich. Im Flur blieb sie stehen und fing an zu schnüffeln. Schließlich wandte sie sich um und begann langsam die Treppe ins Obergeschoß zu erklimmen. Er folgte ihr.
Oben angekommen wankte sie zielstrebig in ein bestimmtes Zimmer und blieb dort mitten im Raum stehen. Es war eindeutig ein Mädchenzimmer, das konnte man erkennen, trotz der vielen großen Flecken aus getrocknetem Blut an den Wänden. Als sie schließlich auf das Bett zuging und langsam den dort sitzenden Teddy streichelte war er sich sicher: Sie waren bei ihr Zuhause! Vielleicht war der Vater nicht weit. Als sie sich zu ihm umdrehte, meinte er Freude in ihren milchigen Augen zu erkennen. Er hätte sie jetzt so gerne geküsst, aber ihr fehlte ja der Unterkiefer.
Sie stolperten zusammen die Treppe wieder hinunter und schlurften ins Wohnzimmer, und tatsächlich! Der Mann dort auf dem Sofa musste ihr Vater sein!
Er war eine stolze Erscheinung, auf seinem Unterhemd waren nur ganz wenige Blutflecken und eine imposante Axt ragte schräg aus seinem Kopf wie eine lässig aufgesetzte Krone. Sein leicht teigiges, fleckiges Gesicht wurde hell angestrahlt und seine trüben Augen starrten gebannt auf das Rauschen im Fernseher vor ihm.
Es war soweit, er würde dem Vater sein Anliegen nun vortragen können. Nervös trat er an den niedrigen Couchtisch heran.
Er wollte dem Vater sagen, dass er dessen Tochter liebte, dass er sie verehrte und sie fast das Wichtigste in seinem Leben war. Wollte ihm sagen, dass er sie beschützen würde bis ans Ende aller Tage, ihr immer treu sein und ihr niemals wehtun würde.
Er sagte: „Hrrroaaaarg!“
Der Vater drehte ganz leicht den Kopf in seine Richtung, so als hätte er ihn eben erst bemerkt. Die stumpfen Augen des Vaters schienen ihn forschend zu durchbohren. Bedeutete dieser Blick ein Ja? Als der Vater seinen Kopf wieder nach vorne drehte war er sich sicher: Er hatte die Zustimmung des Vaters bekommen, ihre Beziehung war nun legitim!
Glücklich verließen er und seine frisch Verlobte das Haus, er nahm sie an der verbliebenen Hand und sie wankten zusammen in Richtung Kneipenviertel. Das musste gefeiert werden!
Als sie ankamen war schon ein Riesentrubel auf den Straßen, ja, hier verstand man sich auf Partys!
An einer Häuserecke hatte sich eine große Meute zusammengefunden, dort schien es Etwas zu geben. Dann hörte er die Schreie. Super! Wo Schreie waren gab es auch immer was zu essen! Daher wohl auch diese große Zusammenrottung. Erregt zog er seine frisch gekürte Braut hinter sich her in Richtung des Trubels.
Die Meute stand vor einer Eckkneipe, aus dem Inneren der Kneipe drangen die Schreie. Entschlossen drängelte er sich durch die weiter hinten Stehenden hindurch nach Vorne, nie die Hand seiner Geliebten loslassend. Sie durften sich in dem Gewimmel nicht verlieren!
Er wollte nach vorne in die erste Reihe. Er hatte nun eine Familie, und damit natürlich auch eine viel größere Verantwortung als vorher. Die Anderen waren ihm egal, er und seine Gefährtin hatten vor Stunden das letzte Mal etwas gegessen und hatten seiner Meinung nach Vorrang. Er rempelte und trat, drückte nach vorne, benutzte die freie Hand um sich durch die Menge zu schaufeln. Er brach den Leuten vor ihm die Knie damit sie zusammensackten, riss Ihnen mit der freien Hand die Augen raus - falls sie noch welche hatten - damit sie die Orientierung verlieren würden. Schließlich waren sie ganz Vorne angekommen.
Die meisten der Anderen versuchten durch die geschlossene Eingangstür in die Kneipe zu kommen. Das waren alles Idioten! Er wandte sich lieber den Fenstern zu. Eines davon war kaputt, große, zackige Scherben hingen im Fensterrahmen.
Er begann durch das Fenster zu klettern. Es war mühselig, er blieb einige Male an den zerbrochenen Scherben hängen, konnte sich jedoch immer wieder losreißen. Als er dann endlich mit einem lauten Rumms ins Innere polterte dreht er sich um und sah nach seiner Gefährtin. Sie hatte es ihm gleich getan und kletterte gerade ebenfalls durch das Fenster. Wie grazil sie das tat! Sie blieb viel weniger hängen als er und holte sich nur ganz kleine Schnitte. Verliebt sah er ihr zu. Als sie schließlich polternd neben ihn fiel versuchte er ihr aufzuhelfen so gut er mit seinen zerfetzten und zersplitterten Armen konnte. Dann wandte er sich den Schreien zu, die er schon die ganze Zeit unterschwellig gehört hatte.
Hinter dem Tresen standen Zwei, offenbar auch ein Pärchen. Die Schreie kamen von dort.
Er entschloss sich, diesmal seiner Geliebten den Vortritt zu lassen, obwohl die Beiden hinter dem Tresen unwiderstehlich frisch dufteten, aber er war ja ein Gentleman.
Seine Braut hatte seine Intention offenbar verstanden und bewegte sich langsam auf den Tresen zu, die Schreie wurden lauter.
Plötzlich geschah etwas Unvorhergesehenes. Es gab einen sehr lauten Knall, und von seiner Geliebten fehlte plötzlich der Kopf. Taumelnd sackte sie in sich zusammen.
Er konnte es nicht glauben, was war da gerade passiert?
Er stubbste ihr mit dem Fuß in die Seite, doch sie regte sich nicht mehr. Die gurgelnden Laute die er bei ihr immer so geliebt hatte waren verstummt, das lustige Zucken ihres Armstumpfes hatte aufgehört. Ohne Kopf würde er ihr nie wieder in ihre seelenlosen Augen schauen können, und wahrscheinlich würden sie auch nie wieder zusammen durch die Gegend tollen.
Wut überkam ihn, grenzenlose Wut. Er schrie vor Zorn und stürmte so schnell es ging in Richtung Tresen. Dieser Typ mit dem rauchenden Ding in der Hand war daran Schuld, dass er nun ohne Gefährtin war! Dafür würde Der jetzt büßen!
Das Letzte was er sah, war das Mündungsfeuer aus der Schrotflinte.