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Zoff im All
Als Peter bemerkte, dass er den Kühlschrank offen gelassen hatte, war es bereits zu spät. Er starrte durch das runde Guckloch in das Labor ihres Raumgleiteres.
„Das ist krass!“, rief Mike, der gerade aus der Kombüse hinzu geschwebt war und nun ebenfalls in das mit allerlei Testgeräten vollgestopfte Reich von Tabea starrte. In seiner Rechten hielt er einen Schokoriegel, was Peter schmerzhaft an ihren Ausseneinsatz vor einem Jahr erinnerte, bei dem es um Aussperren, Ersatzschlüssel und Rettung in letzter Minute ging, doch das war eine andere Geschichte.
„Hat Tabea etwa den Kühlschrank ... ?“
„Kein Wort“, unterbrach Peter.
„Oh - Tabea reisst dir den Kopf ab ...“
„Ich sagte, sei still. Ich sehe selbst, was für ein Schlamassel das ist.“
Im Inneren des Labors wimmelte es nur so von kleinen Fläschchen, Objektträgern mit seltenen Sporen und anderen Testreihen, die statt hermetisch abgeriegelt im Kühlfach zu liegen, friedlich im Raum verteilt herum schwebten. Zuhinterst sah man eine weit offen stehende Kühlschranktür. Eine einsame Scheibe einer Hors-sol Tomate zog langsam an den Bullaugen vorbei.
„Oh, da ist sogar mein Sandwich.“ Mike deutete nach links, wo ein in seine Einzelteile zerlegtes Schinken-Käse-Brot in Richtung Überwachungskamera driftete.
„Du hattest ein Sandwich im Laborkühlschrank?“
„Na ja, sonst wird's doch schimmlig ...“
„Ich meine, woher hattest du ein Sandwich?“
„Du kennst doch Hannelore?“
„Die Hannelore?“
„Nein, die an der Kasse der ESA Kantine.“
„Ach so, Darmstadt.“
„Genau, die war mir wegen dem kaputten Abfluss noch was schuldig, und so hat sie mir vor dem
Abflug ...“
„Könnten wir uns vielleicht wieder dem aktuellen Problem widmen?“
„Jau, wie lautet dein Plan?“, fragte Mike und biss herzhaft in seinen Schokoriegel.
„Du kennst Tabea, die macht einen riesen Aufstand, wenn sie das sieht.“ Ein Schokokrümel löste sich von Mikes Lippen und trudelte Richtung Lüftungsschacht.
„Auf jeden Fall habe ich die Bildübertragung unterbrochen, Tabea braucht ja ...“, weiter kam Peter nicht.
„Hey, Leute, habt ihr ein Problem? Ich kriege keine Bilder mehr aus eurem Sektor“, schnarrte es aus den Lautsprechern. Tabea sass im Cockpit und überwachte das automatische Rückflugprogramm.
Mike drückte den Knopf am Intercom. „Alles Paletti, Tabea“, sagte er mit leicht übertriebener Fröhlichkeit. „Peter hat nur den Kühlschra...“
„MIKE!“, kreischte Peter.
„Ich meine, Peter muss kurz was erledigen, Männersache, du verstehst?“
„Oh - klar, verstehe.“
Tut sie nicht, das spürte Peter. Abschnallen, sich aus dem Cockpit zwängen und nach hinten durch hangeln, das dauert keine zehn Sekunden.
„Lenk sie ab“, zischte er, öffnete die Tür und verschwand im Labor.
„Was? Wie ...“
Tabeas Kopf erschien in der Verbindungsluke.
„So, so, Männersache.“
Mike rutschte vor die Tür und versperrte den Blick auf die zwei Bullaugen.
„Schokoriegel?“
Tabea ignorierte sein Angebot und versuchte hinter Mike einen Blick ins Labor zu erhaschen.
„Was macht Peter da?“
„Öhm, du weisst doch wie schwach seine Blase ist.“
Und etwas verschwörerischer: „Ist halt nicht mehr der Jüngste.“
„In meinem Labor? Ihr wisst, wie ich das hasse.“
„Aber wenn Mann muss, muss Mann, genau wie letzte Woche, du erinnerst dich?“
„Ja, aber das war eine Ausnahme, weil Peter mir bei der Aufzucht der Abfallmaden helfen sollte und die durfte man nicht aus den Augen lassen.“
„Ähm, aber wie konnte Peter dann, ich meine, wie hat er da seinen ...“
Mit zu Schlitzen verengten Augen näherte sich Tabea Mike, der sich an die Labortür drückte. „Mach vorwärts, Peter, Tabea muss auch mal ...“
„So, jetzt ist aber gut, irgendwann ist Mann auch mal fertig, oder?“, sagte Tabea und mit einem schnellen Ruck packte sie Mikes Bein, der überrascht um die eigen Achse wirbelte und unsanft mit dem Kopf gegen die Lüftungsklappe knallte.
Im selben Moment öffnete sich mit einem Zischen die Labortüre und Peter zwängte sich heraus.
„So, uff, erledigt.“ Betont erleichtert grinste er Tabea an, vergass aber, dass es nach der Erleichterung ja immer auch etwas zu entsorgen galt.
Mike rieb sich die Stirn und wollte Peter irgendwie warnen, aber es fiel ihm kein geeignetes Handzeichen ein.
„So, so, und wo haben Mr. Mussmaleben seinen Urinbeutel entsorgt?“
Mike rieb sich nicht mehr die Stirn, dafür verdeckte er sich jetzt die Augen.
Peter sah nun auch das fehlende Puzzleteil, fand aber auf die Schnelle keine Lösung.
„Und jetzt raus mit der Sprache, was hast du wirklich in meinem Labor angestellt?“
In diesem Moment driftete eine Karawane Pflanzensprossen zwischen Tabeas und Peters Kopf hindurch. Getrieben vom Überdruck im Labor, schwebten sie wie kleine Fallschirme in Richtung Lüftungsschacht. Tabeas Mund klappte auf und Peters Gesicht wechselte die Farbe.
„Du warst jetzt aber nicht an meinem Kühlschrank, Peter?“
„Also eigentlich habe ich nur Werkzeug gesucht“, raunte Peter, „dabei muss ich wohl die Türen verwechselt haben.“ Eine bessere Ausrede fiel im nicht ein.
„Peter, du weisst, wir haben Vorschriften: Keine privaten Sachen in meinem Kühlschrank!“
„Mein Kühlschrank. Mein Labor. Mein Raumgleiter. Ich kann's nicht mehr hören“, schnauzte Peter zurück und hangelte sich in Richtung Cockpit.
„He, Peter, jetzt warte ... Komm schon, Tabi“, versuchte Mike die Wogen zu glätten. “Peter hat doch alles wieder hübsch eingeräumt, oder?“
„Eingeräumt? Du meinst der Kühlschrank war längere Zeit offen?“
„Also, öhm ...“
„Das heisst jetzt, die ganzen Versuchsreihen der letzten zwei Wochen sind im Arsch?“
„Ach Tabi, das Zeug lebte doch aufm Mond schon nicht mehr, merkt doch keiner.“
„Nenn mich nicht Tabi, du ... oh Mann!“
Tabea zog sich in ihr Labor zurück und die Tür hinter sich zu.
„Ein Universum für eine Zigarette“, dachte Mike laut und stiess den angefangenen Riegel durch die Restmüllklappe. Dabei fiel sein Blick auf das Infopanel des Intercom. Am unteren Bildrand liefen gerade die neusten Agentur-Meldungen der Erde via Satelit durch:
Sensation: Neuartige Tomaten in Mondhöhle entdeckt. Wissenschaftler rätseln über mögliche fremde Lebensform. Rückkehr der europäischen Raumfähre EU-Piecemaker mit Spannung erwartet.
"Sommerloch!", dachte Mike laut und hielt seinen Daumen wie ein Mikrofon vor den Mund.
"Achtung. Achtung. An alle denkenden Mitbürger der Erde, wir bringen hier stink normale Tomaten mit, ich habe mir damit schliesslich ein Sandw..."
Ein dumpfer Schlag aus dem Innern des Labors liess die Wände zittern und das Guckloch färbte sich rot. Ein unnatürliches Blubbern und Schmatzen liess Mikes Worte zu Makulatur werden.
Kurze Zeit später erschien Peters Kopf in der Luke zum Cockpit.
"Mann, musste Tabi den Kühlschrank so fest zuschla..."
Der paralysierte Mike deutete stumm auf das verschleimte Guckloch.
"Oh nein, das ist das Ende", stöhnte Peter, als auch schon die Labortür aufflog und sich ein grosses, rotes Etwas mit Grummeln und Schmatzen durch die Öffnung zwängte.