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Zivilisation auf Hindi
Wir befinden uns am Rande der Wüste Tar im Nordwesten Radjastans und ich zerfloss unter der Einwirkung der fast senkrecht stehenden Sonne. Mein Gehirn fühlte sich wie eine große schwabbelnde Masse an, die träge vor sich hinköchelte. Ich stand umringt von circa zwanzig schnauzertragenden Indern, die mir gar nicht genug helfen konnten. „That way! I take you there!“, schrie mir der kleinste unter ihnen aus dreißig Zentimetern ins Ohr, als wolle er seine Größe durch mehr Fon kompensieren. Sofort entbrandete eine wütende Hetztirade der anderen neunzehn Schnauzer gegen den Kleinen, wobei ich die Schmerzen in meinem rechten Ohr niederrang und ihm weitere wichtige Informationen zu entlocken. „Are you sure! I just don’t want to pay more than 300 Rupies per day!”, schrie ich ihm aus dreißig Zentimetern ins Ohr. Das hatte eine ungeahnte Wirkung. Sämtliche Inder verstummten, die Münder klappten auf, als hätten sie mich als Shiva persönlich identifiziert. Ich schaute irritiert in die Runde. Was ich sah, waren nicht mehr die kalten Züge verschwitzter Geschäftsmänner, sondern erstaunte, ja, entsetzte Gesichter, die mich an die Mimik meiner kleinen Schwester erinnerten, wenn sie feststellte, dass mein Bruder ihre Barbiepuppen ausgezogen und sie in obszöne Positionen aufeinander gelegt hatte. Ich blickte in Kinderaugen, die ihr Leid nicht zu fassen scheinen konnten. Ich erwartete, dass sie kollektiv anfangen würden zu weinen, doch kehrte sich ihre anscheinend gespielte Fassungslosigkeit in ein noch höheres Geschrei um. „300 Rupies?“, der Mann neben mir verschluckte sich fast beim Sprechen. Er hatte kaum seine Stimme unter Kontrolle und ich spannte meine Muskulatur unter den wie Peitschenhiebe auf mich niederprasselnden Beschwörungen der wieder aktiv gewordenen Masse an. „No! No! No! There’s no safari for only 300 Rupies!!!”, vermochte ich noch aus dem Tumult heraus zu hören.
Meine Absicht, einige Tage durch die Wüste auf dem Rücken eines Kamels zu reiten und die ungeahnte Stille der Natur zu erfahren, schien große Anstrengungen zu erfordern. Ich war kaum zwei Wochen unterwegs und versuchte nun laienhafterweise auf einem Marktplatz, um zwölf Uhr mittags eine Kamelsafari zu buchen. Doch wo sollte ich mich sonst hinwenden? Es war einfach ein Erfahrungswert, dass von hundert Indern zumindest einer so gut Englisch sprach wie meine Mutter, was leider zu keiner Qualifikation als Informationsquelle diente, doch wenigstens sprach man überhaupt vom selben Thema. So hatten sich die kompetentesten und geschäftssüchtigsten Männer der Stadt um mich versammelt und ließen mich ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit erdulden.
Ich gab auf und setzte mich in den Schatten eines Sariladens und konnte sogar nach penetrantem Ablehnen der Angebote für Seiden-, Baumwoll-, bestickten, nicht bestickten, blauen, roten, gelben, handgeknüpften, mit Hühnerblut gefärbten und absolut exquisiten Saris meinen Platz dort ungestört beziehen und auf die Lagebesprechung meiner Adjutanten blicken. Diese waren so beschäftigt zu diskutieren, dass sie mich vorerst in Ruhe ließen und mir die Zeit gaben, mein Ohr ein wenig zu massieren. Ich ließ sie auch in Ruhe und hoffte auf die Überlegenheit meiner Geduld über das Begehren nach meinen wenigen Rupies in meiner Hosentasche. Kreischend schreckte die Meute auf, als sie merkten, dass ich desinteressiert im Schatten saß und stürmten wildgeworden auf mich zu. Der wohl glückliche Auserkorene, dem wohl die Ehre zuteil geworden war, sich meiner Rupies zu bemächtigen sprach mich freundlich an:“ No worries, Sir! I’ve got the best price for you!“. Ich konnte kaum fassen, was ich sah. Die übrigen Inder grinsten mich an und schlenderten vergnügt und lachend davon. Eine unglaubliche Strategie – ich wollte es schon fast mit einer sozialistischen Händlervereinigung vergleichen, als mich der Herr in die Kosten einweihte. „500 Rupies!?“, nun war es meine Stimme, die sich fast überschlug. „No way! I said 300. That’s all I can spend!”. Sein überlegenes Grinsen ließ mich erschaudern und nachdem wir uns nach minutenlanger Diskussion auf 450 Rupies pro Safaritag und 50 Rupies Gepäckaufbewahrungsgebühr für meinen Rucksack geeinigt hatte, wußte ich auch warum.
„Nun gut.“, dachte ich, „so sei es denn...“, und versuchte nun meinem äußerst schlechtem Orientierungssinn den Heimweg zu entlocken. Ich wollte mich nicht auf die Hinweise irgendwelcher Hühnerverkäufer verlassen, die mich zwar nicht verstanden hätten, aber mir unbedingt noch den Weg zu ihrer Tante am Ortsausgang weisen wollten. So beschloß ich auf eigene Faust mein Swastika-Guesthouse zu finden. Ich sah wohl so einige Tanten am Ortsausgang und fragte sie nach ewigem Umherirren, ob sie mir nicht den Weg zu ihren Nichten und Neffen in der Stadtmitte zeigen konnten. Klar, kein Problem. Ich besuchte daher noch einige entfernte Verwandte auf der anderen Seite der Stadt und fand schließlich einen Rikschafahrer, der anscheinend genug betelnussbetäubt war, mich ohne minutenlangen Verhandelns zu meinem Guesthouse zu bringen. Ich freute mich über das Gelingen meines Vorhabens und konnte es nicht fassen, dass es ohne Schwierigkeiten verlaufen war. Ich war ja schließlich nicht zuhause und konnte mal kurzerhand ins Reisebüro nebenan gehen. Hier war ich in Indien, hier war ja alles anders.
Am nächsten Morgen ignorierte ich einfach die Leuchtschrift „Travelagency- Camelsafaris“ neben meinem Guesthouse und schlenderte zum Gepäckaufbewahrungs-...schuppen. Ich war ja schließlich in Indien. Diese Ausrede ließ mich so manche Enttäuschung überwinden und gab meiner Naivität genügend Nahrung meinen Rucksack in die Ecke dieses Bretterverschlags zu stellen. „Also, nun geht es endlich los.“, ich konnte meine Aufregung kaum verbergen und fummelte an meiner neuen Safarihose herum. Eigentlich dachte ich, es sei nicht nötig eine Kamelhaarhose zu kaufen, doch mein freundlicher Safarivermittler konnte mich doch überzeugen, dass so etwas unbedingt notwendig sei, wenn man für drei Tage der Zivilisation entfliehe– beim Wort ‚Zivilisation’ stockte ich etwas und sah mich kurz um, als ob mir gleich der Eingang zur der städtischen U-Bahn erscheinen würde, doch sah ich nur zivilisierte Kinder, die gerade auf die Straßen schissen, einen zivilisierten Inder, der gerade sein Steinmesser schwang und einem gackerndem Huhn den Kopf abschlug und die städtische Müllentsorgung, die gerade einen großen Berg an Müll zusammengekehrt hatte und ihn in Brand steckte... Ich war überzeugt und so versuchte ich nun nicht ganz so touristisch auszusehen und kaufte mir in meiner neuen Kamelhaarhose erst mal eine Samosa an einem Straßenstand. So richtig indisch essen, „assimilieren“ ging mir durch den Kopf und kurz darauf, nach einem herzhaften Biss, circa zehn Gramm reiner Chilibrei, der meine Atmung kurz blockierte und mich meinen Mundinhalt auf meine Hose spucken ließ. „Tja, Assimilation abgeschlossen!“, dachte ich und schaute auf die fetttriefende Hose des Samosaverkäufers. So wurde ich mit stolz geschwellter Brust, fettiger Safarihose, taubem Mund und Tränen in den Augen zu meinem Kamel geführt. Es sollten mich noch zwei Japanerinnen begleiten, die sogleich heftig von meinem Auftreten beeindruckt waren und gleich anfingen respektvoll zu kichern- aber ich bewahrte die europäische Etikette und legte ein freundliches, überlegenes Lächeln auf, das dem meines Safarivermittlers geglichen haben muß. „Tja, ihr habt keine geile fettige Safarihose.“, sagt ich nur nicht, weil ich sie nicht gleich bloßstellen wollte.
Es ging nun endlich los. Wir wurden von unseren drei Führern, die uns am Treffpunkt abgeholt hatten, zu vier wundervollen, mächtigen, imposanten Kamelen geführt und einem Häuflein Elend, das ich beim Näherkommen als dreißigjährigen Kamelbullen identifizieren konnte, der aussah, als ob er dort vor einigen Wochen verendet wäre. Umso erstaunter war ich doch, als dieser plötzlich seinen Kopf bewegte und mich hasserfüllt (soweit ich fähig bin, die Mimik eines Kamels zu analysieren) anschaute. Dieser alte, haarlose, stinkende Kreatur hatte auf jedenfalls einen ausgeprägten Instinkt, denn kaum waren die prächtigen Kamele an die Japanerinnen und die Führer verteilt, stand ich neben diesem Wrack und merkte, dass da was nicht so ganz hinkam. Wieso stand ich noch auf dem Boden, saß noch nicht auf einem der Kamele und warum in Gottes Namen war das einzige Kamel ohne Reiter dieser vor sich hinschimmelnde Opa. Ich war entrüstet, dachte aber über das Umhertragen einer fettigen, nach totem Kamel stinkenden Safarihose nach und schwang mich neuen Mutes auf den stahlharten Sitz dieses erfahrenen und erfahrungsreichen Wüstenschiff.
Ich war Cook, ich war Francis Drake, ich war der Eroberer der Welt! Ich schritt wie ein König dem Ausgang des Dorfes zu. Einzig das Faktum, dass ich in einer dreckigen Hose auf dem Rücken des räudigsten Kamels ganz Indiens an einer Leine geführt wurde, schmälerte den majestätischen Eindruck, den ich gemacht haben muß, und die Japanerinnen fingen wieder an zu grinsen. So setze sich mein Reise in die Wüste fort.
Nach Stunden des gemächlichen Hintrottens erhob sich am Horizont eine Tempelstadt. Für mich wahrscheinlich sehr viel später als für die anderen, denn mein Kamelbulle war auch nicht nur der räudigste, sondern auch das kleinste räudigste Kamel ganz Indiens und so saß ich würdevoll einen halben Meter tiefer als die Asiaten. Nach dem Besuch der trostlosen, verfallenen Tempelstadt, schlugen wir unser Nachlager auf. Mein Kamel schien den Moment meines Absteigens zu abhorreszieren. Ich dachte es könne sich nicht mehr von mir trennen und wir hätten eine enge Freundschaft in den kommunikationslosen Stunden aufgebaut, doch merkte ich schnell, dass es ihm einzig und allein um den Akt des Hinsetzen ging, das vielmehr einem ‚Ich zieh die Beine ein und schau mal was die Gravitation so bewirkt’ glich.
So krachte ich auf den Boden und sollte von nun an den gewagten Sprung vom Rücken herunter vorziehen.
Die Nacht war bitterkalt und ich wärmte mich an den beiden Asiatinnen, die sich vor Angst an mich gekuschelt hatten. Welch ein pathetisches Bild muß ich, als martialisch aussehender Europäer mit den beiden asiatischen Gespielinnen abgegeben haben, doch verschwendete ich keinen Gedanken an etwas anderes, als meine frierenden Extremitäten.
„Breakfast!“, ich wurde heftig aus meinem Traum gerissen, in dem ich als furchtloser Krieger die Bestien der indischen Wüste bekämpft hatte. Mein ungetrübtes Freiheitsgefühl verlor sich in der Coca-Cola Dose, die mir angeboten wurde. „It’s good! It’s american!“, pries mir Jaha die Blechdose an und ich begann mich zu fragen, ob mein Reißaus von der Zivilisation hier ihren Abschluss gefunden habe. Die Japanerinnen grinsten mal wieder.
Unser zweiter Tag wurde von Wüste dominiert. Totale, öde, trockene Wüste. Mein Kamel furzte vor sich hin und nur die Spannung, wann es denn endgültig zusammenbrechen würde, hielt mich vom Schlafen ab. Ein Höhepunkt der Reise, der Eremit, der uns zu spiritueller Erleuchtung führen sollte, entpuppte sich als geschäftsgeiler Coca-Cola Verkäufer, der es geschafft hatte, eine ganze Kiste des Symbols für Kapitalismus und der Westlichen Welt in die Wüste zu bringen und sie zu majestätischen Preisen zu verschleudern.
Erwähnenswert wäre noch die unglaubliche Schnelligkeit meines alten Bullen am letzten Tag, der es wohl kaum erwarten konnte seine lästige Fracht endlich loszuwerden.
So befand ich mich nach drei mehr oder weniger entspannenden Tagen vor dem Bretterverhau, in dem mein Rucksack sich befinden sollte. Wiederrum erstaunlich war es, dass nur meine Ersatzhose fehlte, doch besaß ich ja nun die ultimativ stinkende, dreckige Safarihose, die mir keiner mehr nehmen konnte.