Zivilcourage
Zivilcourage
Gestern sehe ich eine Alte in der Gosse liegen. Zuerst denke ich an eine gefallene Mülltonne, dann an einen verwahrlosten Köter. Später jedoch höre ich ihr Weinen. Sie ist nun nicht mehr weit. Ich sehe nichts als Nässe und Schmutz. In mir steigt Ekel, doch ich denke, man müsse nun Mitgefühl zeigen. Ich frage, ob ich ihr behilflich sein könne. Sie versteht aber offensichtlich kein Wort, ist zudem unfähig, mir in die Augen zu schauen.
Ich bin relativ verzweifelt, will mich schließlich aber selbst vor Regen und Kälte schützen. Einen Moment später jedoch höre ich einen Schrei. Ich drehe mich um und sehe: Sie ist nun nicht mehr allein. Auf ihr liegend, knieend und stehend zahlreich junge Männer, bewaffnet und in Rage. Ich denke, dass ich kein Blut sehen will. Also keine Umkehr! Ich wiederhole: Umkehren kommt nun nicht mehr in Frage. Ich eile rasch nach Hause, schließe die Tür mehrmals ab, will aber nicht allein sein.
Als ich den Fernseher einschalte, sehe ich ihr Blut in den Spätnachrichten. Ich träume in dieser Nacht von Liebe.