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Zerbreche ich?

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12.02.2009
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Zerbreche ich?

Es war kalt. Nicht in meinem Zimmer, nicht im Haus, nicht draussen. Es war kalt in mir drin. Eisig. Ich sass mitten in einem Schneesturm, der in meinem Herzen ausgebrochen war.
Ich lag auf meinem Bett, die Decke um mich geschlungen, in der Hoffnung sie würde helfen. Aber hoffen war vergeblich. Der Sturm blieb, unveränderlich, unbarmherzig, er steuerte mich. Ich zog die Decke noch enger. Es war erst vor zwei Tagen gewesen, da hatte ich noch Hoffnung gehabt, Hoffnung, dass alles wieder gut wird. Und dann kam der Anruf, und alles war vorbei. Sein Leben war vorbei. Er war Geschichte. Und ein Teil von mir ging mit ihm.
Ich hatte seitdem noch nie geweint. Ich spielte meine Rolle. Ich ging zur Schule, hörte zu, machte meine Notizen. Ich sprach mit meinen Freundinnen, die mich trösteten, oder es versuchten. Nur lächeln, das konnte ich nicht. Nicht mehr.
Meine ganze Fröhlichkeit, meine Lust am Leben, sie war nicht mehr da. Es war als wäre er der Schlüssel zu allem gewesen und er war fort.
Und wie kann man so noch leben, wenn das Wichtigste, was man hat, fehlt? Kann man überhaupt leben?
Es waren einfach zu viele Gedanken. Sie erdrückten mich. Ich wollte es einfach nur vergessen, verdrängen, aus meinem Kopf haben. Was war falsch daran? Was war falsch mit mir? Warum konnte ich nicht sein wie alle anderen? Familie, Hobby, Freundinnen, warum durfte ich das nicht haben? Warum musste ein Teil davon kaputt sein, zerstört, ohne Hoffnung das er wieder normal wird. Warum musste ich dieses Leben haben? Was konnte ich dafür? Hatte ich irgendetwas getan?
Irgendjemand rief nach mir, ich hörte es. Zitternd stand ich auf und lief zur Tür. Mami klang nicht viel besser als ich. Sie rief hinauf, ich sollte jetzt gehen. Die Schule würde gleich beginnen.
Ich hasste sie. Warum er? Warum nicht sie? Er war der wichtigste Mensch gewesen. Immer für mich da, egal was war. Sie, es gab sie, doch sie war nie wichtig genug gewesen.
Verdammt. Ich lief hinunter und zog meine Jacke an. Die Skijacke, im Sommer. Mami seufzte, sie fand immer, dass ich übertrieb. Sie hatte ihn wohl nie genug geliebt, um ihn jetzt so zu vermissen. Die Handschuhe liess ich weg, ihr zuliebe. Noch schnell meinen Rucksack und raus. Die Sonne schien, warm, hell, freundlich, doch nichts davon gelangte in mein Herz.
Mein Fahrrad stand schon vor der Tür. Sie war wirklich übervorsorglich. Ich nahm den Helm, setzte ihn auf und fuhr bis zur Kreuzung. Fiona wartete schon. Natürlich, ich war immer zu spät. Doch sie sagte nichts.
Ich sprach den ganzen Weg bis zur Schule nicht. Sie erzählte irgendwas, doch ich hörte nicht zu. Sie lachte darüber, und ich lächelte so gut ich konnte, aber anscheinend doch nicht überzeugend. Sie schaute mich besorgt an. Sie hatte alles mit mir durchgestanden, und ich war bei ihr gewesen als das Telefon kam. Sie kannte mich so gut wie niemand anders mich kannte. Ich hatte immer mit ihr reden können. Über alles. Und sie hatte alle meine Sorgen geteilt. Nur das hier musste ich alleine überstehen.
Wir kamen in der Schule an und ich schloss langsam mein Fahrrad ab. Überall um mich rum sah ich die Leute in ihren T-Shirts und Shorts. Und sie alle starrten mich an. Schnell lief ich hinein und dann ins Zimmer. Ich hängte die Jacke über meinen Stuhl und schon zitterte ich wieder. Das Zimmer war noch leer. Jeder normale Mensch genoss die Sonne.
Fiona war nicht in meiner Klasse. Aber sie hatte Caro und Sabrina gesagt, dass ich schon hineingegangen sei, denn die Beiden kamen nur wenige Minuten nach mir. Beide fragten mich, wie es mir geht. Ich nickte, und rieb meinen Arm. Ich fror. Das Fenster hatte ich schon geschlossen. Caro holte ihr dünnes Jäckchen heraus und gab es mir. Ich nahm es dankbar und zog es über meinen Pullover an.
Langsam füllte sich das Klassenzimmer. Jeder schaute mich mitleidig an. Ich hasste Mitleid. Denn niemand verstand, wie ich mich wirklich fühlte. Niemand von ihnen hatte etwas ähnliches durchgemacht.
Der Lehrer kam hinein und auch er schaute zuerst zu mir. Ich holte mein Heft heraus und begann dem Unterricht zu folgen. Das war die beste Ablenkung.
Der Nachmittag zog sich hin. Jede Minute kam mir vor wie eine Stunde, jede Lektion wie ein ganzer Tag.
Und dann war es Zeit nach Hause zu gehen. Fiona hatte schon früher ausgehabt, und normalerweise fuhr ich jetzt alleine. Doch sie hatte natürlich vorgesorgt. Sabrina und Thomas fragten mich, ob ich mit ihnen fahren wolle. Und ich konnte schlecht nein sagen.
Sie versuchten den ganzen Weg mich zu unterhalten. Thomas erzählte Witze und Sabrina lachte laut darüber. Doch mehr als ein kleines, gespieltes Lächeln brachte ich nicht zustande.
Zuhause ging ich sofort hoch in mein Zimmer. Die Lehrer erwarteten nicht, das ich meine Hausaufgaben machte. Ich holte meine Decke, wickelte mich ein und starrte an die Wand. Mein Blick blieb an einem Foto haften, das in einem einfachen Rahmen hing.
Es zeigte meine Eltern, vor zwei Jahren. Sie waren glücklich.
Ich wünschte mich in diese Zeit zurück. In die Zeit, in der es meine heile Welt noch gab. In eine Zeit, die schon lange vorbei war. In einer Zeit, in der ich noch lachen konnte und Freude am Leben hatte.
Die Erinnerungen waren noch kälter als der Sturm in meinem Herzen. Sie zeigten mir so genau, was ich verloren hatte. Für den Moment zerbrach ich daran. All die Gefühle, die ich hatte zurückhalten können, kamen hervor. Sie überfluteten mich. Schmerz, Hass, Wut, Angst, Trauer und Verzweiflung, das alles auf einen Schlag.
Es war allez zu viel und ich begann zu weinen. Sofort vergrub ich mich in mein Kissen und konnte mich kaum beruhigen.
Ich wollte nicht lernen mit dem Schmerz und der Trauer zu leben, den Hass und die Wut zu vergessen und die Verzweiflung zu überstehen. Ich wollte nicht. Und ich konnte auch nicht. Nicht jetzt. Nicht morgen. Nicht in einem Jahr. Ich würde es nie schaffen. Nie würde ich es ganz überwinden. Nie würde ich verstehen wieso.
Meine Mutter kam herein, doch ich schrie sie nur an. Ich schrie ihr alles ins Gesicht, was ich dachte. Den ganzen Hass und die Wut auf sie, dass sie leben durfte und er nicht, alles.
Sie wurde blass und ging hinaus. Doch es war mir egal. Wer war sie schon? Sie gehörte nicht zu mir. Sie war nicht in meinem Herzen. Sie kannte mich doch nicht. Sie verstand mich nicht. Sie war nicht er. Er sollte jetzt hier sein, und sie an seiner Stelle.
Irgendwann schlief ich ein. Ich träumte nicht. Es war einfach nur kalt.
Am Morgen war ich immer noch ganz erschöpft. Meine Mutter weckte mich, doch ansonsten sprach sie nicht mit mir. Sie war geschockt von dem, was ich dachte.
Ich verstand sie, doch es war mir egal. Es störte mich nicht. Ich hatte sie verletzt, das wusste ich, aber es tat mir nicht leid.
Der Tag ging gleich wie der letzte. Und so auch der Nächste. Alles immer nach dem gleichen Schema.
Nur der Schneesturm in meinem Herzen, er veränderte sich. Mal war er unglaublich heftig und andere Male fast schon sanft, ein Gefühl im Hintergrund. Ich hasste ihn.
Nach einigen Monaten konnte ich immer noch nicht normal leben.
Ich lachte nicht. Mein Gesicht war eine Maske, meine Augen immer kalt.
Vielleicht würde ich irgendwann wieder lachen. Oder zumindest lächeln. Vielleicht. Vielleicht würde ich irgendwann wieder leben lernen.
Konnte man leben lernen? Konnte man mit dem Schmerz leben? Mit der Wut? Mit dem Hass? Würde ich wohl verzweifeln, daran noch mehr zerbrechen, dieses Mal für immer zerbrechen?

 
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Moikka Cheerlady,

von Deiner Geschichte bin ich ganz angetan. Obwohl mich sonst rhetorische Fragen in dieser Häufung stören. Aber Dir gelingt es hier, einige wichtige Aspekte zu verbinden.

Du setzt die Sprache einer Jugendlichen gut in Schriftform um: Traurig, aber nicht zynisch, etwas Zartes, Unschuld – unverstellt, gradlinig. Du verwendest Alltagssprache, aber immer mit einem poetischen Unterton, das hat schon einen gothic Touch. Bilder von z.B. einem Eissturm im Herzen geraten meist sehr kitschig – und Deine Geschichte ist einer der ganz wenigen Fälle, wo mich solcherlei nicht gestört hat. Gefühle werden in der Pubertät nunmal anders reflektiert als im Erwachsenenalter.

Noch schnell meinen Rucksack und raus. Die Sonne schien, warm, hell, freundlich, doch nichts davon gelangte in mein Herz.
ist ein gutes Beispiel: Der erste Satz ist verkürzte Umgangssprache, und obwohl der Kontrast ‚warme Sonne/kaltes Herz’ wirklich nicht neu ist, nehme ich der Figur durch die unverstellte Sprache genau dieses Gefühl ab.

Ebenso, wie Du verschiedene Stilelemente auf sprachlicher Ebene verwendest, fügst Du die verschiedenen Aspekte des emotionalen Zustandes selbst zusammen: Benommenheit, Wut, Rachegefühle, das Gefühl der Isolation, die durch starke Trauer entsteht. Und vor allem: Trauer hat ein starkes Moment der Absurdität, das sehr schwierig zu beschreiben ist, will man nicht daraus eine Groteske machen. Auch hier gelingt Dir die Gratwanderung.

Schön auch der unterschiedliche Umgang der anderen Figuren mit der eigenen Hilflosgkeit: Die Mutter zwischen Fürsorge an der falschen Stelle und kühler Distanz; der Lehrer, der die Situation totschweigt und sicher noch meint, ihr Raum damit zu geben; die vorgetäuschte Fröhlichkeit der Freunde und Freundinnen; aber auch kleine Gesten, die Verstehen und Akzeptanz vermitteln. Wirkt realistisch auf mich.

Du führst trotz eines sehr subjektiven, emotionalen Einstiegs Figuren und Ausgangssituation dezent ein, und findest – obwohl es für die Situation kein richtiges Ende geben kann – auch einen runden Abschluß.


Mir sind nebenher ein paar Sachen aufgefallen:

Nimm den doppelten Titel raus, ist sicher beim Reinkopieren passiert, wirkt trotzdem seltsam.


Ich zog die Decke noch enger.
Hier fehlt eigentlich ein „um mich“. Andererseits muß ich zugeben, daß es mir so unvollständig auch gefällt, weil ich die Assoziation von einem Halsband bekomme, das sich zuzieht.

Ich hatte seither noch nie geweint.
„Noch nie“ beißt sich mit „seither“: besser: Seitdem nicht geweint.

Aber sie hatte Caro und Sabrina gesagt, dass ich schon hineingegangen war,

hineingegangen sei,

Ich konnte die Mauer nicht mehr aufrecht halten und ich begann zu weinen.
Die „Mauer“ klingt mir zu sehr nach einem Psychoratgeber, an dieser Stelle sowohl zu analysierend, wie auch wieder zu banal, zu oft gehört – daß die Figur die bisher aufrechterhaltene Fassung verliert, wird auch ohne den ersten Satzteil deutlich.


Irgendwann überfiel mich der Schlaf.
Für die Gesamtstimmung dieser Szene würde ich ein weniger dynamisch-aktives Wort als „überfiel“ vorziehen, vielleicht ganz schlicht: Irgendwann schlief ich endlich ein...

Den ganzen Hass und die Wut auf sie, das sie leben durfte und er nicht, alles.
... auf sie, dass sie ... (hierauf solltest Du den Text nochmal durchgehen, kommt öfter vor)

Einzig die Formulierungen um

Es war als wäre er der Schlüssel zu allem gewesen. Der Schlüssel zu meinem Herzen ...
finde ich zu kitschig und klischeehaft. Die Aussage ist auch bereits vorher verdeutlicht worden.


Viele Grüße,
Heippa hei, Katla

 

Hallo Cheerlady,

ich finde die Geschichte auch gelungen. Zu kleinen Flüchtigkeitsfehlern hat ja Katla schon etwas geschrieben, daher von mir nur zwei Anmerkungen: Die Stelle, an der die Freunde in der Gegenwart der Protagonistin Witze erzählen, finde ich nicht sehr glaubhaft. Und während die Trauer leicht zu verstehen ist, fehlte mir ein Hinweis darauf, was der Grund für Wut und Hass ist - ist irgendjemand schuld am Tod des Vaters? Darüber erfahren wir ja leider nichts, vielleicht wäre hier eine Andeutung hilfreich.

Schöne Grüße
Roy

 

Bonjour,
was den Schreibstil angeht, kann ich mich der bisherigen Kritik nur anschliessen - es gelingt dir ausgezeichnet, das richtige Mass an Sentimentalität zu halten. Besonders gefallen haben mir die kleinen Sachen - etwa, wenn die Erzählerin eine Winterjacke im Sommer anzieht, weil ja ein Schneesturm in ihr tobt. In meinen Augen machen genau solche Dinge einen guten Text aus.
Was allerdings auch gesagt werden muss: Du beschreibst hier eine Gefühlslage sowie deren Auswirkungen auf die Umwelt der Hauptperson, und das sehr anschaulich - aber eine richtige Geschichte ist es nicht. Dazu fehlt eine echte Handlung oder zumindest eine Entwicklung, die die Hauptfigur durchmacht.
Grüsse!

 

Ok, eigentlich sollte die Autorin sich erst selber einmal melden (die Geschichte steht ja schon seit einiger Zeit hier), aber dem Kommentar von Are-Efen wollte ich doch widersprechen.
Ich meine, der Text ist in der Ich-Perspektive geschrieben und damit muss er auch nicht objektiv fair sein - wenn die Ich-Erzählerin einen irrationalen Hass gegen die Mutter hat, dann gehört das zu ihrem Charakter und ist nicht "Wahrheit". Man kann sich ja auch als Nicht-Psychologe vorstellen, dass ein Mädchen in dieser Situation höchstwahrscheinlich irrationale Gefühle hat und vielleicht die Mutter zu Unrecht verantwortlich macht für ihren Schmerz. Als objektiver Leser versteht man aber die Lage der Mutter mindestens so gut wie die der Hauptperson.
Die Frage ist natürlich immer, wie viel Traumaverarbeitung der Autorin in so einem Text mitspielt. Aber losgelöst von der Realität finde ich den Text so absolut in Ordnung, auch weil das Selbstmitleid der Erzählerin in erträglichen Massen bleibt (verglichen mit vielen anderen Texten auf dieser Seite).
Nur meine Meinung, natürlich!

 

Hallo cheerlady,
auch mir hat deine Geschichte ganz gut gefallen.
Am Anfang gefiel mir die Erzählweise sehr gut, zwischendrin wurde sie mir etwas zu monoton und durch die Wiederaufnahme von einzelnen Wörtern zu "einfach". Ansonsten hast du eine Stimmung schön eingefangen.
Einen Satz habe ich gefunden, der irgendwie nicht in den Kontext passt:

Sie hatte alles mit mir durchgestanden, und ich war bei ihr gewesen als das Telefon kam.
Zu ares Einwand: Das was die Protagonistin denkt und sagt, ist meines Erachtens legitim, auch wenn es andere verletzt. Der ganze Text ist aus einer für mich bis zum Ende stimmigen Perspektive geschrieben worden, warum darf in einer Ausnahmesituation (Tod des Vaters?) nicht etwas Extremes gemacht, gedacht oder gesagt werden? Schuld, Verantwortung oder Erklärung sucht man schnell in diesen Situationen bei anderen.
Liebe Grüße
Bambule

 

hallo Cheerlady,ich fand deine Geschichte sehr gut und sie hat mich ehrlich gefesselt. Auch zu Are-Efens Kommentar: Ich finde überhaupt nichts schlimmes daran, dass hier die Mutter "angegriffen" wird. Es ist eine Geschichte. Der Leser darf sich selber seinen Hintergrund spinnen. Würde man nur noch "moralische" Geschichten schreiben, dürfte es auch keine Krimis mehr mit Mord und Totschlag geben oder Themen wie Drogen etc. Nicht jede Geschichte muss ein Happy End oder überhaupt "ein Ende" haben. Mich hat die Geschichte eigentlich nur neugierig auf mehr gemacht. Es war, als hätte ich einen Klappentext gelesen. Mich persönlich hätte der Klappentext zum Kauf des ganzen Buches überzeugt.

 

Vielen Dank für die vielen Anregungen und Bemerkungen.
@Are-Elfen ich verstehe was du meinst, aber wie Sorontur schon sagte, die Protagonistin hat eben einen Hass auf ihre Mutter.
Um die Fehler werde ich mich auch noch kümmern, allerding spannt mich die Schule momentan total ein, also muss das noch warten.
Lg Cheerlady

 

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