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Zelle 4
Zelle 4
Die Sirenen heulten, die Wachen standen alarmiert im Hof, Suchscheinwerfer tasteten mit grellem Starren die hohen, kahlen Mauern entlang. Aufgeregt hastete ein Wärter den langen Gang im Verwaltungstrakt hinunter.
Ohne anzuklopfen stürmte er in das Büro mit den kalkweiß getünchten Wänden und dem großen Schreibtisch. Der Direktor sah ihn an, als er sich abrupt vom Fenster abwandte.
"Was ist passiert?"
Der Wärter brauchte einen Moment, bevor er wieder zu Atem kam: "Zelle 4, im D-Block"
"Was ist?" – "Wir wollten die Zelle inspizieren wie üblich, aber die Tür lässt sich nicht öffnen."
"Und der Gefangene?" – "Kooperiert nicht im Geringsten."
"Moment, ich komme sofort." eilig nahm er seinen Revolver aus der Schublade, zog seine Jacke an und verließ mit dem immer noch atemlosen Wärter das Büro. Den Gang hinunter, durch diverse Sicherheitsschleusen, vorbei an zahlreichen Posten. Die Sirene zerrte an den Nerven, gleichförmig, aggressiv, permanent.
Im D-Block lag Spannung in der Luft, so als ob jemand ein Hochspannungskabel zerteilt hätte. Die Geländer, Gitter, Stahltüren schienen Funken zu sprühen, genau wie die Blicke der aufgeschreckte Gefangenen, die der Lärm geweckt hatte.
Zelle 4. Eine Gruppe von Wärtern hatte sich vor der Tür von Zelle 4 versammelt.
Sie starrten abwechselnd durch den schmalen Sichtspalt in der Tür, aber auch dem Direktor gelang es nicht, mehr als den Rücken des Gefangenen zu erkennen.
"Was halten sie für den Grund für sein abnormales Verhalten?", wurde der Psychologe hinzugezogen. "Suizidneigung."
"Das dürfen wir nicht zulassen, oder?"
Der Direktor gab kurze, präzise Anweisungen und nach wenigen Minuten kehrten die Wärter zurück. Wenige professionelle Handgriffe, und alle zogen sich etwa 20 Meter weit zurück – bis gerade hinter die nächste Ecke. De Direktor nahm die schwarze Box in die Hand, sah auf die Tür und drückte auf den Knopf.
Gemütlich zurückgelehnt saß er auf dem Holzstuhl, die Beine auf sein hartes Bett gelegt und sah aus dem vergitterten Fenster in den Nachthimmel. Es musste schon nach Mitternacht sein. Das erkannte er an den Sternbildern und daran, wie sie zwischen den einzelnen Gitterstäben verteilt waren.
Schon seit zehn Minuten hatte er aufgehört, die Sirenen und den Lärm vor seiner Tür zu hören.
Worüber regten sie sich auf?
Vor drei Wochen hatte der Richter ihm gesagt, er werde die nächsten acht Jahre hinter Gittern verbringen. Er hatte sich nicht gewehrt. Seine Zelle war gar nicht so übel, wenn er es genau betrachtete.
Er hatte nur eine kleine Veränderung vorgenommen. Er hatte die Tür mit einer Gabel blockiert.
Eingesperrt. Ja. Aber er wollte selbst bestimmen, mit wem er hier lebte.
Womit hatten die da draußen eigentlich ein Problem?
Er plante ja noch nicht einmal einen Ausbruch. Schon beinahe halb eins. Er sah noch immer aus dem Fenster.
Der Lärm draußen, den er nicht mehr hörte, endete abrupt und erstaunt drehte er sich zur Tür.
Das letzte, was er sah, war ein grelles Licht, und der Knall des Dynamits muss durch das ganze Gemäuer gedrungen sein.
Vorfall, Zelle 4, D-Block:
Vergehen:
Widerstand gegen die Staatsgewalt, Suizidneigung
Maßnahme:
Das Wachpersonal verschaffte sich vorschriftsgemäß Zugang zum Inneren der Zelle. Hier wurde der Gefangene tot aufgefunden.
Todesursache:
aufgrund eingehender psychologischer Analyse: Suizidtat
- Aktenvorgang bearbeitet und abgeschlossen durch den Direktor der Jugendstrafanstalt -