Zeitzüge, Ausflüge, Ludwigslüge
Man redet zu wenig über Zeitmaschinen! Von den technologisch unmöglichen Erfindungen scheint mir diese noch die wünschenswerteste zu sein, verglichen zum Beispiel mit Laserschwertern. Zur Erinnerung: ein Laserschwert besteht aus einem zentimeterdicken Laserstrahl, welcher aus einem Griff herausfährt und die Eigenschaften von massivem Stahl besitzt. Durchschneidet der Strahl die Luft, ähnelt die Geräuschkulisse der einer mittelgroßen Umspannanlage. Diese Charakteristika zeigen, daß die technische Realisierung des Laserschwerts enorm unwahrscheinlich ist, unwahrscheinlicher noch als die Erfindung des kernfusionsbetriebenen Schuhputzautomaten oder des vollautomatischen Deckenstaubsaugers mit integrierter Spinnennetzentfernungsmechanik. Sie bedauern nicht, daß diese Geräte wahrscheinlich nie das Licht der Realität erblicken werden? Sie wohnen ja auch nicht in einem rauminstabilen Altbau mit vier Meter hohen Räumen, der sich alle 23 Stunden kurz auf den Kopf stellt, woraufhin alle Krümel an der Stuckdecke hängen!
Warum halte ich nun Laserschwerter für eine verdammenswerte unmögliche Erfindung? Also, angenommen, funktionierende Laserschwerter werden in den nächsten Jahren zum absoluten Verkaufsschlager. Ich stelle mir nur mal vor, was passieren würde, wenn ein durchschnittsminderbemittelter Teenager im Schwertshop nebenan sein teuer erbetteltes Taschengeld für das neueste, leistungsstärkste, frei farb- und längenkonfigurierbare Laserschwert ausgibt, das so laut brummt, als ob sich in der Umspannungsanlage ein schwerer Unfall ereignet hätte: er wird kurze Zeit später von der Polizei wegen unerlaubten Waffenbesitzes festgenommen, landet drei Monate im Jugendgefängnis, bastelt sich dort mit seinen Kumpanen eine noch gefährlichere Ausführung, kommt frei, trennt seinem kleinen Bruder beim Spielen die rechte Hand ab, erleidet eine mittelschwere Psychose, schwört dem Laserschwert ab und übergibt es seinen Eltern, woraufhin seine Mutter den Griff des Schwertes mit ihrem Vibrator verwechselt und... tja, so viele Tragödien auf einen Schlag, die obige Frage dürfte beantwortet sein, oder?
Für ebensowenig erstrebenswert halte ich den Überlichtgeschwindigkeitsraumflug. Allein die Vorstellung, daß glückliche Bewohner eines weit entfernten Planeten eines Tages (oder wie auch immer man die Lichtphase auf dem weit entfernten Planeten nennen mag) die Ankunft des Überlichtgeschwindigkeitsraumfahrzeuges erleben müssen und sich dabei denken: „Scheiße, jetzt haben sie den Überlichtgeschwindigkeitsraumflug erfunden, und aus ist’s mit dem geruhsamen Leben“ verursacht mir Übelkeit. Ich möchte eigentlich niemandem im bekannten und eventuell bewohnten Universum die Menschheit auf den Hals wünschen. Es reicht schon aus, wenn irgendeine Spezies die Menschendarstellung der Pioneer-Sonde findet und sich totlacht, was wieder einmal den destruktiven Charakter der menschlichen Rasse beweisen würde.
Nun fällt mir aber ein, wieso ich die Erfindung des Laserschwertes ein ganz kleines bißchen positiv sehen könnte, und zwar aus diesem Grund: die chicen Schwertshops würden die unsäglichen Handy-Läden ersetzen, welche sich zur Zeit endemisch ausbreiten. Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß sämtliche Umstandsmoden-, Nagelscheren- und Rheumadeckengeschäfte verschwunden und durch völlig identische Mobilfunkvertretungen ersetzt worden sind? Ich vertrete die Theorie, daß hierbei erstmals eine Technik angewandt worden ist, die man als Komplettklonen bezeichnen könnte. Nicht nur das Fachpersonal ist in all diesen Läden völlig identisch - es handelt sich typischerweise um einen Informatikfastabsolventen um die dreißig, der für komplexe Aufgaben zu faul ist, gleichzeitig aber seinen Job als Handyfachverkäufer und damit auch seine Kunden verachtet - auch die Einrichtung, selbst die Dimension der Geschäfte ist überall gleich. Vor meinem inneren Auge sehe ich einen riesigen Bottich in einem High-Tech-Biolabor, in dem gerade ein ganzer Handyshop mitsamt allem drum und dran inklusive Informatikfastabsolvent gezüchtet wird, nein, ich sehe Hunderte von Bottichen, eine riesige Fabrikhalle! Hier wird nichts geringeres als die Weltherrschaft angestrebt! Meiden Sie Handyshops. Telefonieren Sie mit Ihrem fettigen, angestaubten Hausapparat. Oder besser noch: besuchen Sie Ihre Freunde und teilen Ihnen persönlich mit, was hier geschieht, denn morgen könnte es zu spät sein.
Nun zur wünschenswerten Erfindung der Zeitmaschine: Ich meine nicht eine typische Spielfilmzeitmaschine, die aus viel Technik und vielen Kabeln besteht, Geräusche produziert wie eine Umsp... ist ja gut! und in die sich ein furchtloser Freiwilliger hineinsetzt, welcher sein Leben riskiert, um irgendein fatales Ereignis in der Vergangenheit zu korrigieren, nein! Ich sehne mich da eher nach einer Art Unterhaltungs- bzw. Freizeitzeitmaschine. Ich stelle mir auch keine Maschine in dem Sinn vor, sondern eher zum Beispiel... ja, warum auch nicht, ein Zug zum Beispiel. Ein Freizeitzeitzug. Ich steige im Berlin des Jahres 2002 ein, tuckel gemütlich durch die Gegend in Richtung München, und bald bemerke ich das Verschwinden der ekligen, postmodernen, blauen Bahnhofsschilder, die seit einiger Zeit signalisieren sollen, daß die Bahn ein modernes Unternehmen geworden ist. Ein paar Bahnhöfe weiter steigen die ersten Gäste aus den 80er-Jahren zu, eindeutig identifizierbar an den blauen FDJ-Uniformen, und beginnen mit dem Absingen der Internationalen, nun ja, mit sowas muß man als Reisender ja immer rechnen. Ein kurzer Hinweis auf das baldige Ende der DDR bringt diese Lümmel zum Schweigen, woraufhin ich mich den sympathisch miniberockten und bekifften Damen widmen kann, die im weiteren Verlauf der Fahrt auftauchen (Diese Damen sind leider allzuoft in den falschen Zug eingestiegen, verlassen diesen in Panik an dem einzigen Weltkriegshalt und wundern sich dann, wenn sie als Trümmerfrauen enden). Eine Unterhaltung mit einem pausbäckigen KdF-Mädel entschädigt aber für diesen Verlust, so daß die Reise letztendlich doch ganz amüsant vonstatten geht, zumal mit zunehmender Reisezeit gegenwärtig unbeliebte politische Ansichten in der Diskussion mit Mitreisenden einen unerwartet hohen Zustimmungsgrad erreichen!
Die Ankunft im München des Jahres 1860 gleicht einem Triumph der Sinne: ich atme tief durch, genieße die reine Luft, die von den Alpen herabweht, und die urtümlichen Gerüche einer kanalisationsfreien Zivilisation, die sich der Alpenluft überlagern. Und wenn Sie mich jetzt fragen, ob München im Jahre 1860 wirklich keine Kanalisation hatte, dann sage ich: Scheiß drauf. Wen interessiert das? Dies hier ist meine Fiktion, dies ist mein München, und wenn ich wollte, könnte ich behaupten, daß König Ludwig höchstpersönlich mit seinem Bottschamberle an mir vorbeigelaufen ist, und ja, ich weiß, Bottschamberle ist ein schwäbischer Begriff für das gemeinhin Nachttopf genannte Gefäß, aber ich kann in meinem München auch einfach alle Leute schwäbisch statt bayerisch reden lassen. Kann ich. Wirklich. Das ist Macht. Magst ein Laserschwert, König Ludwig?
Ich hoffe, dieser Freizeitzeitzug gefällt Ihnen. Natürlich könnte man auch einen Zeitbus bauen, um Senioren zu Roy-Black-Konzerten zu karren. Oder eine Zeit-Schnellbahn. Mit der könnte ich Tante Hedwig besuchen, die vor zwei Monaten in den Bible Belt ausgewandert ist. Als einziger Neffe bin ich außerordentlich an ihrer voraussichtlich profitablen Gesellschaft interessiert und möchte sie häufig besuchen, mag aber in den jetzigen Zeiten nicht allzuoft in die USA fliegen. Kein Problem, ab in die Schnellbahn, und vor zwei Monaten stehe ich vor ihrer Tür, und vor zwei Monaten und einem Tag, und vor zwei Monaten und zwei Tagen... dabei stellt sich nur das Problem, daß nicht unendlich viele Tage für unendlich viele Besuche zur Verfügung stehen, was dazu führt, daß ich bei meinem erneuten Besuch vor zwei Monaten mich schon antreffe. Wie unangenehm. Verwandtenbesuche nehmen in ihrer Schrecklichkeit mit der Zahl der anwesenden Verwandten zu, und mit wem kann man verwandter sein als mit sich selbst?
Falls Sie sich spätestens zum jetzigen Zeitpunkt fragen, was der Verfasser dieser Zeilen gefressen hat, darf ich anmerken, daß seit wenigen Minuten meine Altbauwohnung ihren üblichen Dreh-Turnus durchläuft. Dies zwingt mich, auf dem Kopf zu schreiben, da ich meine Schreibmaschine (das ist gelogen und die miefige Romantik eines Schreiberlings, natürlich benutze ich einen High-End-PC) an meinem Schreibtisch und diesen wiederum am Boden fixiert habe, um fatale Unfälle zu vermeiden. Das dürfte alles erklären, oder? Da ich auf dem Kopf stehe, erinnert mich der blaue Himmel vor meinem Fenster auf geheimnisvolle Weise an die Weiten des Starnberger Sees, an dessen Ufer König Ludwig gerade versucht, sich einen schmalen Gegenstand einzuführen. Nein, König Ludwig, nicht das Laserschwert anma...
[ 10.06.2002, 18:56: Beitrag editiert von: Xerxes ]