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Zeitungen am Heiligen Abend
Es war der 24. Dezember - Heiligabend.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren würde es wieder ein "Weißes Weihnachten" geben.
Um halb zwei Uhr morgens rasselte der Wecker - für Christine Zeit zum Aufstehen. Christine reckte sich in ihrem Bett und gähnte, sie hatte wie üblich noch keine rechte Lust aufzustehen aus ihrem mollig warmen Bett, noch zusätzlich gewärmt von ihren beiden Katzen, die mal wieder keinen besseren Schlafplatz gefunden hatten. Schließlich krabbelte sie dann aber doch unter ihrer Decke hervor, suchte nach ihren Pantoffeln und tappte im Dunkeln ins Wohnzimmer, wo sie dann Licht machte.
Nach einem kurzen Blick aus dem Fenster fing sie leise an zu fluchen. Schnee hatte ihr gerade noch gefehlt; das erschwerte ihre frühmorgendliche Arbeit ungemein, war sie doch so schon einige Stunden unterwegs. Christine hatte bereits vor einigen Jahren einen Job als Zeitungszustellerin angenommen; daher auch diese unchristliche Zeit des Aufstehens.
Sie zog sich an und ging in die Küche, um sich noch schnell einen Kaffee zu kochen. Inzwischen war auch eine ihrer Katzen aufgestanden und verlangte nach ein paar Streichel- und Spieleinheiten. Schließlich war Christine mit allem fertig und ging aus dem Haus. Ihr Fahrrad stand vor der Tür und hatte sich über Nacht in einen Mantel aus Schnee gehüllt. Nachdem sie den Sattel vom Schnee befreit und das Schloss abgenommen hatte, stieg sie auf und fuhr zu ihrer Ablagestelle, wo die Zeitungspakete schon auf sie warteten. Christine hatte Mühe, die Zeitungen in ihrer Tasche zu verstauen; mal wieder hatten diese Biester einen reichlichen Umfang. Endlich hatte sie es aber doch geschafft, wünschte ihrer Kollegin, die sie fast täglich traf, noch ein Frohes Fest und zog vollbepackt von dannen. Sie fuhr sehr vorsichtig, wollte sie doch nicht ausgerechnet Weihnachten im Krankenhaus verbringen müssen. Dank der vorangegangenen Winter kannte sie die gefährlichen Stellen und zog es vor, Teilstrecken zu Fuß zurückzulegen und das Rad zu schieben. Sie kam dadurch nur langsam vorwärts und würde es mal wieder nicht pünktlich schaffen, was ihr angesichts des Wetters aber reichlich egal war.
Immer wieder schimpfte sie halblaut über die Leute, die nichts Besseres zu tun hatten, als ihre Treppenaufgänge zu fliesen oder zu kacheln, ihrer Meinung nach bei Schnee einfach lebensgefährlich!
Endlich hatte sie den größten Teil der Strecke zurückgelegt und atmete auf; bald war sie zuhause und konnte sich wieder hinlegen und ...
Christine stand mal wieder auf einem dieser gefliesten Treppenabsätze, hatte die Zeitung im Kasten verstaut und wollte sich gerade umdrehen, um die Stufen wieder hinunterzusteigen; da verlor sie plötzlich den Halt, stürzte die Treppe hinunter und schlug hart mit dem Kopf auf den gefrorenen Boden.
Kurze Zeit war sie wohl ohnmächtig, dann rappelte sie sich langsam auf, leise vor sich hinfluchend. In ihrem Kopf dröhnte es und sie setzte sich noch eine Weile auf die unterste Treppenstufe, bis der Schmerz ein wenig nachließ. Schließlich ging sie zu ihrem Fahrrad und stieg auf. Es waren ja nur noch etwas über 20 Zeitungen, die sie ausliefern musste, dann war sie auch bald zuhause.
Ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie auf ihrer weiteren Fahrt durch die Nacht und sie war froh, endlich die letzte Zeitung in den Briefkasten geworfen zu haben. Christine war auf dem Heimweg.
Vor fünf Minuten hatte sich Herbert Schulze, der Lokalredakteur, die Zeitung aus dem altmodischen Briefschlitz an der Tür gefischt und las nun selbstgefällig seinen Artikel über die vor 50 Jahren während ihres Dienstes spurlos verschwundene Zustellerin Christine, als er das Klappern des Briefschlitzes erneut hörte. Neugierig ging er zur Tür, um nachzusehen, wer dort zu so früher Stunde etwas zu suchen hatte. Erstaunt hob er das druckfrische Exemplar der Zeitung vom Boden auf und begutachtete die Titelseite.
Ungläubig starrte er auf das Erscheinungsdatum.
Es war der 24. Dezember - Heiligabend ...