Zeitlos
Kalte Tage ohne Ende. So langsam hat man sich dran gewöhnt. Der Himmel ist verhangen von früh bis spät, hell wird es nie richtig. So langsam hat man sich dran gewöhnt.
Ich hab heute frei, an einem Freitag - wie passend. Langsam laufe ich durch die Straßen in der Innenstadt. Dreißigster November, halb fünf, es ist dunkel. In der Stadt glitzern die Lichter der Straßenlaternen, Leuchtreklamen, die Lichter von Weihnachsdekorationen. Tausend Leute hetzen um mich rum. Kaufen ein nach der Arbeit oder kaufen Weihnachsgeschenke, man sollte meinen am dreiundzwanzigsten Dezember dürfte nichts mehr in den Geschäften sein, so wie manche Leute einkaufen und einkaufen.
Ich gehe langsam, schau mir die Leute an. Fast alle hetzen irgendwie. Auf der Straße stehen die Autos, es geht nicht vorwärts - Feierabendverkehr - die ersten fangen an zu hupen. GRR. Die sollen doch ruhig sein. Es ist als ob die Kälte sämliche Laute verschluckt hat, nur das Hupen dringt schmerzhaft an mein Ohr. Ich stecke die Hände tiefer in die Tasche. Es ist wirklich verdammt kalt. Ich bin am Supermarkt angelangt.Hundert Leute in der Schlange an der Kasse. Alle mit genervten Gesichtern, unwillig, alle mit dem Satz "Geht das denn nicht schneller?" im Kopf. Ich schlendere langsam duch die Gänge. Bin mit zwei Freundinnen verabredet. Es soll ein gemütlicher Abend bei mir zuhause werden. Mit sinnvollen und sinnlosen Gesprächen. Ich kaufe billigen Rotwein, Weißbrot und Lebkuchen. Mir kommt die Zeit an der Kasse gar nicht so lange vor. Aber ich hab's ja auch nicht eilig. Überleg mal, wie lange fünf Minuten dauern wenn du's eilig hast oder wie lange fünf Minuten dauern, wenn du alle Zeit der Welt hast!? Eben!
Ich laufe einen anderen Weg zurück, hab keine Lust mehr auf die abgehetzten Gesichter. In den meisten Wohnungen und Häusern in diesem Wohnviertel brennen Lichter, es sieht gemütlich aus. Ich freu mich, gleich aus der Kälte in meine schöne Wohnung zu kommen. In der Küche werf ich einen Blick auf die Uhr. Viertel vor acht. Ich hab massig Zeit. Die beiden kommen erst um acht. Ich suche noch ein bisschen Musik raus. Es klingelt. Ausnahmsweise sind sie pünktlich.
Die zweite Flasche ist leer, jeder sitzt über seinem letzten Glas Wein. Aus dem Kassettenrecorder klingt "Gute Nacht Freunde" von Reinhard Mey. Die Stimmung ist so sentimental-gemütlich.
Mein Blick fällt auf eine Schachtel, die ich letztes Jahr von einer Freundin zu Weihnachten bekommen hab. Darauf ist ein Bild von einem Mädchen, das vor einer Flasche Wein sitzt. Es ist kein Foto, ein gemaltes Bild. Sie sieht deprimiert aus, aber ich mag das Bild.
Draußen gehen nacheinander die Lichter in den anderen Wohnungen aus. Wir sitzen hier im Warmen, trinken Wein, philosophieren über das Leben. Wie sind wirklich nicht lustig drauf, aber es ist doch beruhigend zu wissen, wie verdammt gut es uns doch eigentlich geht.