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Zeiten ändern sich

Seniors
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25.01.2002
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Zeiten ändern sich

Es war seltsam, nach all den Jahren Kleinstadtluft zu schnuppern. Seit dem Umzug meiner Eltern war ich kaum mehr in Halmfeld gewesen. Ich stieg aus dem Zug, entfernte mich vom Bahnhof, ging ein Stück. Auf der Straße spielten Kinder Fußball und ich dachte an meine eigene Jugend.
Manches hatte sich verändert. In der Goethestraße sah ich einen Bio-Markt, und auch der Mobilfunkladen zwei Häuser weiter war neu. Zumindest hatte es ihn zu meiner Schulzeit noch nicht gegeben. Stattdessen war dort ein Zeitschriftenladen gewesen, der einer alten Frau gehört und in dem ich meinen erste BRAVO gekauft hatte. Ob sie wohl noch lebte?
Ich überquerte die Straße und kam an einem Spielplatz mit Wasserpumpe vorbei. Viele Nachmittage hatte ich hier verbracht. In der Kastanienallee erkannte ich das kleine Eiscafé. Mit seinem Nuss-Nougat-Becher zog es den Schulkindern anscheinend noch immer das Geld aus der Tasche, das sie drei Straßen weiter bei der Sparkasse hätten anlegen können. Ich beobachtete die Leute. Eine stämmige Frau jätete im Vorgarten Unkraut und beklagte sich bei ihrer Nachbarin über ein auswärtiges Auto, das vor ihrem Anwesen parkte. Ich musste lächeln. Die Probleme der Klein- und Großstadtmenschen unterscheiden sich doch sehr.
Hinter jeder Ecke lauerten Erinnerungen. Erinnerungen, von denen ich glaubte, sie längst vergessen zu haben.
Ich näherte mich dem Pinienweg und hielt inne. Dort hatte Christina mich auf einmal gepackt und mir ihre Zunge in den Mund geschoben. Der Kuss war feucht gewesen, aber nicht unangenehm. Nie zuvor hatte sie das getan.

»Entschuldige.« Sie wurde rot und auch ich wurde auf einmal verlegen. Sie hatte mich vollkommen überrascht.
»Schon in Ordnung«, antwortete ich unbeholfen.
»Ich fühl mich einfach wohl bei dir. Du bist anders als die anderen.«
»Danke.«
»Wollen wir noch zum Süßwarenladen? Ich will nicht nach Hause.«
»Christina?«
»Hm?«
Ich ergriff ihre Hand. »Küss mich noch mal.«

Wir sahen uns seitdem täglich, lachten und trieben viel Unsinn. Vor allem in den Sommermonaten. Oft gingen wir zum See, unternahmen Radtouren, picknickten im Baumhaus oder lagen einfach nur faul auf der Wiese. Es war eine unbeschwerte Zeit, die ich niemals missen möchte. Bis zum Abschlussball ein paar Jahre später.
Meine Gedanken verfinsterten sich und ich dachte an Berthold aus der Parallelklasse. Berthold, ein erstklassiger Sportler. Bei Wettkämpfen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Nur mit den anderen Fächern hatte er es nicht so.
Er verdrehte an unserer Schule vielen Mädchen den Kopf. Irgendwann kam es, wie es kommen musste und er sprach auf der Suche nach einer Tanzpartnerin ausgerechnet Christina an. Die beiden verliebten sich. Was sie an diesem hageren, meist verschwitzten Typen fand, verstehe ich bis heute nicht.
Schon zu Schulzeiten wechselte Berthold die Freundinnen so häufig wie andere die Hemden, daher hoffte ich zunächst, Christina würde irgendwann zu mir zurückkehren. Dem war nicht so. Stattdessen heirateten sie. Sie blieben in Halmfeld. Bis zu diesem Unfall schienen sie glücklich zu sein.

»Es war schön mit dir«, versicherte mir Christina eines Tages. »Aber wir haben uns auseinander gelebt.«
»Aber ich liebe dich doch!«, beharrte ich.
»Ich dich leider nicht mehr«, erwiderte Christina.

Ich hatte die Trennung von ihr nie ganz überwunden. Natürlich gab es weitere Mädchen und Frauen in meinen Leben, doch nie mehr empfand ich diese Zuneigung, die ich Christina gegenüber verspürte. Meine nachfolgenden Beziehungen waren selten von langer Dauer. Menschen kommen und gehen im Leben. Nur die wenigsten bleiben für immer.
Nachdem Christina mich verlassen hatte, verbrachte ich viel Zeit mit meinem Kumpel Simon. Simon hatte Probleme mit seinem Gewicht und würde nie eine Freundin ins Bett bekommen. Behauptete er jedenfalls. Häufig wurde er von den Mitschülern gemobbt. Wir waren trotzdem die besten Freunde und kannten uns seit dem Sandkasten. Vielleicht lag es daran, dass ich mich selbst manchmal als Außenseiter sah. Während die anderen Fußball spielten, verbrachte ich die Zeit lieber am Computer.
Nach dem Abitur studierte ich in Stuttgart und arbeitete in der Automobilbranche. Berthold wurde Sportlehrer. Simon war als Handelsvertreter häufig im Ausland unterwegs.
Die Jahre vergingen und der Kontakt zu Simon ebbte allmählich ab. Bis eines Tages das Telefon klingelte. Ich hatte mich gerade von meiner Freundin Daniela getrennt und ertränkte meinen Kummer in Alkohol.

»Simon, das ist ja eine Überraschung!«
»Alles klar bei dir?«
»Beschissen wäre geprahlt«, erwiderte ich.
Er lachte. »Hab schon erfahren, dass du nicht mehr mit Daniela zusammen bist. So was spricht sich schnell herum. Frauen bereiten einem echt nur Ärger, sag ich dir! Mir geht es da nicht anders. Aber ich hab 'ne Idee, die uns eventuell aufmuntert. Hast du nicht Lust, am Wochenende in die Alpen zu fahren? Wir könnten den Dolomiten-Höhenweg hochkraxeln und in meiner Berghütte pennen.«
»Am kommenden Wochenende?«, fragte ich.
»Wieso nicht? Die Ablenkung tut uns beiden bestimmt gut. Es wird wie in alten Zeiten.«
»Wie in alten Zeiten ...«, wiederholte ich. »Na schön. Einverstanden!«

In Gedanken versunken ging ich an meiner ehemaligen Schule vorbei. Im Nachhinein habe ich fast nur noch schöne Erinnerungen an sie. Die Freistunden in der Eisdiele, die Experimente in Chemie, das Weihnachtskonzert in der großen Aula. Ein wenig überkam mich Wehmut, obwohl ich nicht noch einmal fünfzehn sein wollte. Es ist schon merkwürdig, wie man Negatives mit der Zeit verdrängt.
Ich ging einige Straßen weiter und erreichte den Friedhof an der Hauptstraße.
Die Beerdigung war gut besucht, viele schwarz gekleidete Trauernde hatten sich um Bertholds Grab versammelt, darunter einige meiner Mitschüler. Ich fragte mich, mit wie vielen davon er wohl eine Affäre gehabt hatte. Sie alle konnten noch immer nicht fassen, dass er in so jungen Jahren von uns gegangen war. Christina stand bei ihren Eltern. Mein Herz pochte schneller. Jahrelang hatte ich sie nicht mehr gesehen, sah man von ihrem Fotoalbum auf Facebook ab. Es mag abgedroschen klingen, trotzdem war sie noch mindestens genauso schön wie an dem Tag, an dem ich ihr als Teenager zum ersten Mal begegnet war.
Die Blaskapelle spielte einen Marsch. Im Schatten einer Trauerweide erblickte ich Simon, der mir unmerklich zunickte. Neben ihm stand seine Frau Sibylle. Der Priester, ein alter Mann mit kahlem Schädel, sprach fromme Worte. Ich hörte kaum zu, musste ständig an Christina denken. Es wäre eine Lüge, würde ich behaupten, dass ich um Berthold trauerte. Trotzdem tat es weh, Christina so bekümmert zu sehen.
Irgendwann verteilte sich die Menge. Christina kam auf mich zu.
»Hallo Andreas.«
»Mein Beileid.« Wir umarmten uns und ich spürte ihre Brüste an meinem Oberkörper. Wieso hatte sie mich nur verlassen? Ich reichte ihr ein Taschentuch. »Es tut mir Leid, was geschehen ist.«
»Schon gut«, erwiderte sie.
Ich merkte, wie ich erregt wurde und hoffte, dass niemand die Beule in meiner Hose sah. Um mich abzulenken, starrte ich auf den geschlossenen Sarg aus Mahagoni.
Was hast du nur getan, Berthold? Du konntest ja nie die Finger von Frauen lassen! Hättest du es nur mit Christina gut sein lassen!
Nicht einmal sie hatte ihm genügt. Aber die Affäre mit Sibylle ging für Simon und mich einfach zu weit.

»Du bist bekloppt!« Ich starrte Simon an und hielt inne. Mit schweren Trekking-Rucksäcken beladen waren wir den schmalen Höhenweg in Richtung Pieve di Cadore entlang gewandert. Der Blick auf Berge und Gletscher war atemberaubend. »Das kann doch nicht dein Ernst sein!«
»Überleg doch mal! Soll ich mich etwa von Sibylle scheiden lassen? Ich will, dass meine Kinder mit Vater und Mutter aufwachsen. Dieser Wichser ist einfach im Weg!« In Simons Augen loderte Hass, den ich nicht von ihm kannte und der sich in all den Jahren in ihm aufgestaut haben musste. Ein wenig bekam ich es mit der Angst zu tun.
»Aber das können wir doch nicht machen!«
»Wieso denn nicht? Vermutlich tun wir ihm damit sogar noch einen Gefallen ...«
Ich dachte über die Idee meines Freundes nach, so krank sie mir auch erschien. Am Ende stimmte ich zu.

Die junge Prostituierte aus Polen, die Simon vor längerem während seiner Tätigkeit als Vertreter kennengelernt hatte, war jeden Cent wert gewesen. Bei der zweiten Geldübergabe in einem Hinterhof in Breslau schilderte sie uns den Mord im Detail.
Nach wochenlangem Mailkontakt hatte sich Berthold mit ihr getroffen. Christina hatte er erzählt, er wäre an dem Abend auf einem Wettkampf des Ringerverbands. Im Hotelzimmer ließ er sich bereitwillig Hände und Füße fesseln.
So hatte er sich den Blowjob allerdings nicht vorgestellt. Und auch die Nummer mit der Peitsche dürfte schmerzhaft gewesen sein. Aber wollte er nicht, dass man ihn schlägt und ihm die Luft abschnürt?

»Kommst du noch mit zum Leichenschmaus?« Christina riss mich aus meinen Gedanken. Einen Moment lang sah ich sie irritiert an, dann nickte ich.
»Gerne.«
Wir entfernten uns von Begräbnisstätte und redeten über vergangene Tage. Ein paar Mal sah ich ein schwaches Lächeln in ihrem hübschen Gesicht und meine düsteren Gedanken verflogen.
Vielleicht würde aus uns beiden doch noch ein Paar werden. Es ist nie zu spät und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Manchmal muss man die Sache einfach selbst in die Hand nehmen.
Zeiten ändern sich.

 

hi michael,

komisch, dass deine geschichte schon eine woche hier vor sich hin tümpelt, und noch keine kommentare hat. ich werde dir einfach mal meinen eindruck geben.

jo, im allgemeinen fand ich die story gar nicht schlecht. so dieses nach hause kommen, und das hochploppen von flashbacks aus der vergangenheit fand ich ganz interessant, und das hat mich zum weiterlesen animiert. und dann dieser fiese kerl, der den beiden jungens im dekadenrhythmus die frau wegschnappt, he he ... also von der idee her hat's mir gefallen.

allerdings sind mir zwei sachen aufgefallen, keine ahnung, kann auch sein, dass das geschmackssache ist, aber auf jeden fall sah ich da noch potential:
ich glaube du könntest bei diesen flashbacks, oder einfach nur erinnerungen aus der vergangenheit, die dem prot beim weg zum friedhof um den kopf schwirren, noch etwas herausholen, das ganze unmittelbarer machen, wenn du nicht allzu sehr raffen würdest, sondern mehr szenischer schreiben, und somit auch zeigen würdest. z.b.

Hinter jeder Ecke lauerten Erinnerungen. Erinnerungen, von denen ich glaubte, sie längst vergessen zu haben.
da hätte ich mir mehr gewünscht: individuelle erinnerungen aus der kindheit, der jugend, die etwas einzigartiges, etwas besonderes sind, einfach, um dem leser etwas vor augen zu halten, du weißt schon. das machst du ja im folgenden teil, und der hat mir auch gefallen. also da sehe ich irgendwie potential; die vergangenheitserlebnisse greifbarer, szenischer gestalten, damit der leser mittendrin steht, und das ganze dilemma nachvollziehen kann, damit er verstehen kann, was so besonders an christina ist, und wieso der prot nie ganz von ihr loslassen konnte. würde natürlich den text länger machen.

zweitens fand ich die pointe, oder den schluss, na ja ... nicht ganz nachvollziehbar. ich meine, klar kann es sein, dass jemand wirklich fast krankhaft an einer verflossenen (über jahre) hängt, und dass so jemand dann einen mord plant und ausführt ... aber deine figur schien mir nicht so jemand zu sein. jedenfalls spürte ich da gegenüber berthold nicht so eine intensive, pathologische wut, die dann darin gipfeln könnte, ihn umzubringen ... wenn das deine intention war, dann solltest du den text dahingehend nochmal überarbeiten, finde ich. ich fande das eben irgendwie zu weit gegriffen. von simon weiß man eben auch nicht so viel, dass man nachvollziehen könnte, dass er dazu im stande wäre, jemanden ermorden zu lassen.
mir hätte es irgendwie am besten gefallen, wenn der prot zwar nie wirklich von seiner jugendliebe hatte loslassen können, aber dann im laufe des lebens doch geheiratet hätte, irgendeine ... und dann kommt er zurück nach halmstadt, zur beerdigung, sieht christina wieder, und dann passiert irgendwas, sie kommen doch wieder zusammen, oder er merkt, dass sie nur in seiner fantasie so unglaublich war, oder er betrügt seine frau, irgendsowas ... ich glaube, wenn du die story an sich etwas von ihrem narrativen charakter befreien würdest, und es szenischer beschreiben würdest, könnte da eine gute geschichte für die rubrik romantik daraus werden. so eine geschichte nach dem motto, was passiert, wenn man nie von der jugendliebe loslassen kann. könnte ich mir vorstellen. aber ist deine story.

also fazit, ich fand die geschichte an sich nicht schlecht, mir persönlich hätte aber ein unmittelbarerer, szenischerer erzählstil besser gefallen, und ich würde das mit dem mord entweder nachvollziehbarer gestalten, oder weglassen und den reiz der geschichte auf das zwischenmenschliche und das alte-liebe-nicht-loslassen-ding hin fokussieren.

ist nur meine meinung. du machst dein ding.

grüße,
zigga

 

Hi zigga,

vielen lieben Dank für dein hilreiches und konstruktives Feedback! :) Dass du die Idee im Allgemeinen nicht schlecht findest und sie aus deiner Sicht Potential hat, freut mich schon mal.

Was die Umsetzung angeht, da muss ich dir zustimmen. Bei szenarischer Gestaltung lässt sich wohl wirklich noch einiges mehr aus dem Skript herausholen. Ich werde mich in den kommenden Wochen an die Überarbeitung machen.

Schade, dass dir die Pointe nicht gefallen hat. Nachvollziehbar sollte die Story auf alle Fälle sein, was mir am Ende wohl nicht gelungen ist.
Hm ... Da muss ich noch mal in mich gehen ...

mir hätte es irgendwie am besten gefallen, wenn der prot zwar nie wirklich von seiner jugendliebe hatte loslassen können, aber dann im laufe des lebens doch geheiratet hätte, irgendeine (...) ich glaube, wenn du die story an sich etwas von ihrem narrativen charakter befreien würdest, (...), könnte da eine gute geschichte für die rubrik romantik daraus werden.
Interessanter Gedanke. Das würde das Genre natürlich komplett verändern. Dabei war es von Anfang an meine Absicht, eher in Richtung Thriller/Horror zu schreiben, wobei diese Genre hier wohl auch nicht ganz zutreffend sind. Aber gerade das Hinarbeiten auf die Pointe hat mich zum Schreiben animiert.

Ich tendiere dazu, den Mord nachvollziehbarer zu gestalten. Romantik ist irgendwie nicht so meine favorisierte Rubrik. Aber mal sehen. :-)

Viele Grüße
Michael

 

Hey Michael,

ich kann mich zigga anschließen, ich kauf den beiden auch keinen Mord ab. Da stimmt im Ganzen schon die Gewichtung im Text nicht. Da nehmen die Erinnerungen an die Stadt im Allgemeinen viel zu viele Zeilen ein, und die Erinnerung an die Jugendliebe zu wenige. Auch wenn die allgemeinen Erinnerungen eher so aufzählungsmäßig daherkommen und Christina immerhin ein paar Dialogzeilen bekommt. Also, dass finde ich schon okay, das so anzulegen, weil Dialog viel mehr Nähe zum Leser aufbaut, aber im Ganzen ist da eben viel zu wenig Christina im Text. Ich frag mich auch, braucht es denn all die Aufzählungen an Erinnerungen? Was haben die mit der Geschichte zu tun. Der erste Absatz ist ja, wie sich der Ort verändert hat, aber die Geschichte dreht sich ja nicht um die Ortsveränderungen oder spielt damit. Es ist so furchtbar egal für das Geschehen, für den Prot., für alles, ob da nun ein Handyladen ist.

Ich glaube geschickter wäre es, die Geschichte beispielsweise damit beginnen zu lassen, wie er eine Glasscheibe ansieht, die er mit einem Stein damals eingeschlagen hat, als Christina mit ihm Schluss gemacht hat. Also mit einer Erinnerung, die direkt auf das Thema zugreift. Oder mit dem ersten Kuss an einer Hausecke, wo früher ein Zeitungsladen drin war und jetzt ein Handyladen und damit das keine allgemeine Erinnerung bleibt (Läden ziehen überall ein und aus) auch noch was persönliches dran - der alte Mann der rauskam und sich über die Sitten der Jugend aufregte, ob die denn kein zuhause hätten oder ob die nicht noch viel zu jung wären, was weiß ich. Szenischer, individueller halt und themenbezogen.

Für Mord braucht es für mich noch ordentlich mehr Zeilen. Bei Andreas sollte die Zeit eigentlich was bewirkt haben, wenn sie dies nicht getan hat, dann stimmt bei dem was nicht. Und Sätze wie dieser

Es ist schon merkwürdig, wie man Negatives mit der Zeit verdrängt.
führen den Leser nicht unbedingt dahin, wo Du ihn haben willst.
Wenn Du Simon auch noch mit ins Boot holen willst, dann auch der. Der muss ja krankhaft eifersüchtig sein, damit er da Mordgelüste entwickelt. Schwierige Kiste sowas überhaupt hinzubekommen und Du musst das für zwei packen ;).

Im Allgemeinen glaube übrigens nicht daran, das ein Mord als Pointe (außer die Geschichte nimmts mit Humor) wirklich funktionieren kann. Mord verlangt immer nach einem Vorbau (Motiv, nach einem psychopatischen Element im Charakter) der kann nicht wie Kasper aus der Kiste kommen, sage ich jetzt, weil ich mir das gerade so denke, aber vielleicht habe ich auch Unrecht und die große Welt der Literatur hat das schon 'zig Mal super hingezaubert.
Vielleicht war der Mord von Dir auch gar nicht als Pointe gedacht und ich habe es nur so empfunden, aber die Struktur des Textes verleitet ein wenig dazu, auf diesen Gedanken zu kommen.

Also ich habe die Geschichte nicht ungern gelesen, sie hat halt nach hinten raus für mich nur nicht funktioniert. Ist aber auch 'ne sau schwierige Aufgabe, die du dir da gestellt hast, finde ich.

Beste Grüße, Fliege

 

Hallo Fliege,

auch dir vielen Dank! Dein Feedback gibt mir eine erneute Bestätigung, dass man als Leser den beiden den Mord nicht abkauft und ich mich hier noch mal an die Überarbeitung machen muss. Du hast wohl recht, was die Länge der Textpassagen angeht. Da passt die Gewichtung nicht ganz. Ich will auf alle Fälle versuchen, mehr Christina in den Text zu bringen. :)

Hm, zugegeben, ja, die Aufzählungen braucht es eigentlich nicht wirklich. Mir hat das Schreiben dieser viel Spaß gemacht und ich wollte Atmosphäre aufbauen, aber das ist mir wohl nicht ganz gelungen, bzw. mit dem eigentlichen Inhalt haben sie nur bedingt zu tun. Kürzen wollte ich eigentlich nicht, eher die Geschichte verlängern. Aber vielleicht ist es trotzdem besser, wenn ein bisschen was raus fliegt. Werde ich mir noch mal durch den Kopf gehen lassen.

Ein wenig sollen die Aufzählungen auf die Doppeldeutigkeit des Titels anspielen - das "Zeiten ändern sich" bezieht sich zum einen auf die Ortsveränderungen, zum anderen auf das Ende. Die ursprüngliche Idee war, eine etwas nostalgisch angehauchte Story zu schreiben. Aber dann passt das Ende wiederum nicht.

Ich glaube geschickter wäre es, die Geschichte beispielsweise damit beginnen zu lassen, wie er eine Glasscheibe ansieht, die er mit einem Stein damals eingeschlagen hat, als Christina mit ihm Schluss gemacht hat. Also mit einer Erinnerung, die direkt auf das Thema zugreift. Oder mit dem ersten Kuss an einer Hausecke, wo früher ein Zeitungsladen drin war und jetzt ein Handyladen und damit das keine allgemeine Erinnerung bleibt (Läden ziehen überall ein und aus) auch noch was persönliches dran - der alte Mann der rauskam und sich über die Sitten der Jugend aufregte, ob die denn kein zuhause hätten oder ob die nicht noch viel zu jung wären, was weiß ich. Szenischer, individueller halt und themenbezogen.
Deine Überlegungen gefallen mir sehr gut. Irgendwie so werde ich die Geschichte wohl szenischer anfangen lassen.

Wenn der Mord als Pointe nicht funktioniert, heißt das wohl gravierendere Veränderungen. Möglicherweise schreibe ich die Story noch mal komplett um. Nach etwas Abstand werde ich mich noch mal eingehend damit befassen.

Also ich habe die Geschichte nicht ungern gelesen, sie hat halt nach hinten raus für mich nur nicht funktioniert. Ist aber auch 'ne sau schwierige Aufgabe, die du dir da gestellt hast, finde ich.
Danke. :) Das ermutigt zum Überarbeiten. Vielleicht stelle ich mir dabei eine leichtere Aufgabe. :)

Viele Grüße
Michael

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Michael,

Also auch ich muss mich meinen Vorrednern weitgehend anschließen. Du nimmst dir da echt viel vor. Ich denke, der wechselt so oft die Richtung, dass der Leser hier etwas ins Schleudern gerät. Du schreckst nicht vor drastischen Wendungen zurück, das finde ich gut, aber am Ende stimmt das Gesamtbild halt nicht ganz. Zwei alte Freunde verlieren sich erst aus den Augen, finden dann aber wieder zusammen und planen einen Mord. Natürlich profitieren beide davon, aber die Psyche der beiden spiegelt diesen abtrünnigen Hass, den die beiden ja gegenüber Berthold empfinden müssten, nicht wider. Für mich würde das alles nur insofern funktionieren, indem du da etwas schwarzen Humor einfließen lässt. Wenn du da allerdings einen richtig glaubhaften Text draus machen wolltest, müsstest du 1) mehr auf Simons Person eingehen 2) die Szene auf dem Berg, als Simon ihm seinen Plan offenbart und ihn überzeugt, detaillierter beschreiben und 3) die Besessenheit von Christina deutlicher machen.

Oder! Mein eigentlicher Favoriet. Du sagst ja, du möchtest die Geschichte eventuell noch etwas umschreiben. Du machst da so ein richtiges Erpresser-Drama draus. Das bietet finde ich unheimlich viel potential. Stell dir vor, die polnische Schlampe, die sie da organisieren, begeht nicht den Mord für sie, sondern treibt nur ein paar Sadomaso-Spielchen mit ihm. Was er aber nicht weiß, ist, dass Andi und Simon das nun alles auf Video haben. So könnten sie sein Leben, seine Ehe, seine Karriere zerstören, ohne ihn direkt unter die Erde zu bringen. Berthold würde diese Erpressung natürlich nicht auf sich sitzen lassen und zum Gegenschlag ausholen ...
Kannst dir ja mal überlegen. Nur ein Vorschlag;) So könnten sich allerdings die Ereignisse hochschaukeln, und es könnte doch noch zum glaubhaften Mord kommen.

Du arbeitest sehr sauber und dein Stil gefällt mir weitgehend auch sehr, aber hier zum Beispiel ...

»Es war schön mit dir«, versicherte mir Christina eines Tages. »Aber wir haben uns auseinander gelebt.«
»Aber ich liebe dich doch!«, beharrte ich.
»Ich dich leider nicht mehr«, erwiderte Christina.
Das ist überflüssig und klingt auch nicht sonderlich gut, finde ich. Man weiß ja, wer dort spricht.

Und auch ich finde die Grundidee gut. Vielleicht hast du dem Text nur etwas zu wenig Raum gegeben, um ihn glaubhaft werden zu lassen.

Grüße
Hacke

 

Hi Hacke,

danke! :-) Noch mal eine Bestätigung der Meinungen der anderen Leser zu bekommen, hilft mir weiter. Ich muss da auf alle Fälle inhaltlich noch mal ran. An sich mag ich Richtungswechsel ja. Aber die sollten plausibel sein; das Gesamtbild muss stimmen. Vielleicht hab ich mir da echt zu viel vorgenommen

Über ein mögliches Erpresser-Drama muss ich mir in Ruhe Gedanken machen. Dass du da Potential siehst, motiviert. :-)

Bei der stilistischen Anmerkung hast du recht. Es ist klar, wer da spricht. Werde ich im Rahmen der Überarbeitung ändern.

Viele Grüße
Michael

 

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