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Zeit zu teilen

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15.07.2002
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Zeit zu teilen

Unter einer Jalousie fielen die Strahlen der Sonne hindurch auf den Teppich, ansonsten war der Raum in warmes Dämmerlicht getaucht. Das plötzliche, durchdringende Klingeln der Haustürklingel riss Tom aus seinen Träumen. Schlaftrunken blickte Tom auf die Uhr auf seinem Nachttisch. Wer klingelte sonntags, um halb neun, bei ihm? Er entschloss sich das Klingeln zu ignorieren und zog sich die Decke über den Kopf. Und schon wieder kreischte die Klingel, dieses Mal nachdrücklich und lange. Genervt schlug Tom die Decke zurück und schwang seine Beine über den Rand des Betts. Halbnackt, nur mit Boxershorts bekleidet, rannte er den Flur entlang, die Treppe hinunter und riss die Haustür genau in dem Moment auf, als der Paketbote wieder auf die Klingel drückte. Überrascht von der plötzlich aufgerissenen Tür und dem entnervten Ausdruck im Gesicht Toms ließ der Paketbote den Klingelknopf sofort wieder los. „Muss das sein, dass Sie dreimal klingeln? Können Sie sich nicht denken, dass am Sonntag manche Leute um diese Zeit noch im Bett liegen und vielleicht etwas länger brauchen?“ – „Tut mir leid. Aber ich bin Express-Paketbote. Sie sind nicht der einzige, der beim Versand seines Pakets keine Zeit verlieren will. Ihre Unterschrift bitte hier…“, sagte der Paketbote ganz ruhig und hielt Tom den Computer mit dem Unterschriftenfeld hin. Tom unterschrieb leise vor sich hingrummelnd, hievte das schwere Paket ins Haus und warf die Tür hinter sich ins Schloss. Hätte er auch nur einen Moment länger gewartet, hätte er vielleicht gesehen, dass der Paketbote unterwegs Richtung Straße plötzlich zu schimmern begann und durchsichtig wurde. Einen Moment später war er verschwunden. Es war als hätte er sich in Luft aufgelöst und auf dem Weg zum Haus tanzten Lichtflecken und Schatten als sei nichts passiert.

Tom war mittlerweile, das schwere Paket vor sich über den Boden herschiebend, im Wohnzimmer angekommen und fragte sich, was wohl in dem Paket sein mochte. Er erinnerte sich nicht, in den letzten Wochen etwas bestellt zu haben, schon gar nicht etwas so schweres. Er sah auf den Paketaufkleber. „Absender: Interspacial – Zeit-Arbeit“ – das brachte ihn auch nicht weiter. Also schnappte er sich ein Messer, das noch vom Abendessen am Vorabend auf dem Tisch lag und schlitzte das schwere Papier des Pakets auf. Als er fertig war, stand vor ihm eine würfelförmige Holzkiste umgeben von einem Haufen brauner Papierfetzen. Er räumte das Papier zur Seite und blickte die Kiste an. Seitlich war ein Aufkleber mit einem Pfeil und der Beschriftung „This side up“ angebracht, der Richtung Boden zeigte. Klar, verkehrt herum musste Sie natürlich auch noch geliefert werden. Er kippte die Kiste über eine Kante und dann über noch eine, so dass sie schließlich richtig herum da stand. Auf der Oberseite war jetzt der Aufkleber „Vorsicht zerbrechlich“ zu sehen. Seufzend, während er sich vorstellte, wie oft die Kiste mittlerweile umgedreht, gekippt und gefallen war, versuchte Tom den Deckel zu lösen. Doch der gab keinen Millimeter nach. „Verdammt, zugenagelt.“ Als erstes musste er sich etwas anziehen, dann würde er einen Schraubenzieher und einen Hammer aus dem Keller holen.

Kaum hatte Tom das Wohnzimmer verlassen und war die Treppe hinaufgegangen, begann die Kiste ein Eigenleben zu entwickeln. Aus dem Innern drang ein durch das Holz gedämpftes Klopfen und Kiste begann zu wackeln. Nach einigen Momenten löste sich mit einem Knacken der Deckel von der Kiste und fiel zu Seite. Die Kiste schien bis an den Rand mit grauem Stoff gefüllt zu sein. Die Sonne fiel durch die großen Fenster und war der einzige Zeuge, als Bewegung in den Stoff kam und gleichmütig lächelnd ein älterer Herr aus der Kiste stieg, seinen grauen Anzug glatt strich, die Terrassentür öffnete und hinaus in den Sonnenschein trat. Wäre jemand da gewesen, der sich hätte wundern können, so hätte er sich mit Sicherheit gewundert, wie der Mann in der kleinen Kiste Platz gehabt hatte.

Tom hatte sich mittlerweile eine Trainingshose angezogen und blickte aus dem Fenster. Er traute seinen Augen nicht: im Schatten auf der Wiese unter den alten Apfelbäumen, stand ein gedeckter Tisch mit zwei Stühlen und auf einem saß ein Mann in einem grauen Anzug. Tom zog sich rasch noch ein T-Shirt an, raste die Treppe hinunter, durchs Wohnzimmer, ohne es zu wahrzunehmen vorbei an der offenen Kiste und durch die Terrassentür auf die Terrasse. Auf einem Stuhl im Garten saß immer noch der ältere Herr und blickte freundlich zu ihm und dann auf seine Uhr. „Sie sind spät dran Tom, ich hatte Sie schon früher erwartet! Aber jetzt kommen Sie erstmal zu mir her und setzen sich auf eine Tasse Tee zu mir.“ Der ältere Herr sagte das mit einer solchen Selbstverständlichkeit und als würden sie sich schon eine halbe Ewigkeit kennen, dass Tom, verblüfft über sich selbst, zum Gartentisch ging und sich hinsetzte. Dann gewann aber doch der rationale Teil seines Verstands wieder die Oberhand, und er stand auf. „Was machen Sie in meinem Garten, wer sind Sie und was wollen Sie hier überhaupt? Was Sie hier machen ist Hausfriedensbruch!“ – „Jetzt mal aber ganz ruhig. Erinnern Sie sich noch an die Zeitungsannonce, die Sie letzte Woche aufgegeben haben?“

Natürlich erinnerte er sich noch daran, was für eine Frage. Tom war jetzt schon seit einiger Zeit Single und seine Freunde hatten ihn deshalb seit längerem aufgezogen. Eines Nachts, halbbetrunken nach einer Party, hatten er und ein paar Kumpels sich einen Spaß gemacht und per Internet eine Zeitungsannonce aufgegeben. „Junger dynamischer Mann sucht jemanden, um seine Zeit zu teilen.“ Allerdings erinnerte er sich nicht, die Annonce in der Rubrik „Er sucht Ihn“ aufgegeben zu haben.

„Ja, aber was hat meine Annonce damit zu tun, dass Sie in mein Grundstück einbrechen?“ – „Das will ich Ihnen gerne erklären, wenn Sie sich doch bitte einfach wieder hinsetzen würden und eine Tasse Tee trinken…“ – „Ich denke gar nicht daran! Und jetzt runter von meinem Grundstück! Sie haben hier nichts zu suchen!“ – „Aber in Ihrer Annonce haben Sie doch geschrieben, Sie wollten Ihre Zeit teilen. Ich habe gleich einige Verträge zur Auswahl mitgebracht, zu den handelüblichen Preisen. Sie müssten nur noch auswählen und unterschreiben…“ – „Sie Spinner, ich hatte keine Kontaktvermittlung bestellt. Und jetzt verschwinden Sie wieder, sonst rufe ich die Polizei.“ – „Tom, Sie verstehen nicht ganz, es geht hier nicht um eine Kontaktvermittlung. Na ja, vielleicht in einem gewissen Sinne schon – zwischen Ihnen und mir beziehungsweise…“ Bevor er noch „Interspacial Zeit-Arbeit“ sagen konnte sprang Tom auf und schrie ihn wüten an: „Ich rufe jetzt die Polizei!“ Doch als er einen Schritt gehen wollte merkte er, dass sich sein Fuß zwischen Tischbein und Stuhlfuß verfangen hatte und wie er samt Stuhl nach vorne umfiel. Das letzte was er hörte, bevor ihn die Stuhllehne am Hinterkopf traf und er bewusstlos wurde war, „Das wird nicht nötig sein. Ich bin schon wieder weg.“

Der ältere Herr schüttelte enttäuscht den Kopf, zog einen kleinen Organizer aus der Innentasche des Jacketts und verschob einen Kontakt in den Ordner „Kein Interesse“. Schade, dabei wäre dieser Kunde noch so jung gewesen und hätte so viel Zeit gehabt. Und der Wechselkurs wäre heute auch recht günstig gewesen, 80 Euro für eine Stunde Zeit. Na ja, weiter zum nächsten Kunden.

Als Tom erwachte und sich den schmerzenden Hinterkopf rieb, hörte er, dass schon wieder jemand an der Haustür läutete. Er stand auf und erinnerte sich. Was war gerade passiert, der alte Spinner im grauen Anzug – doch wo war der? Keine Spur mehr von dem alten Mann und auch der Gartentisch war nicht mehr gedeckt. Alles sehr seltsam. Er hastete durchs Haus zurück zur Haustür. Vor der Tür stand wieder der Paketbote. „Entschuldigen Sie, es ist mir sehr unangenehm, ich habe versehentlich ein Paket bei Ihnen abgegeben, das an jemand anderen adressiert war.“ – „Da haben Sie aber Glück, ich habe nur die äußere Verpackung entfernt, aber die Kiste hab ich noch nicht aufgemacht.“ Tom ging ins Wohnzimmer um das Paket zu holen und stockte. Da stand es – allerdings noch völlig unversehrt in braunes Papier gehüllt. Sehr seltsam, er war sich sicher, dass er es vorher ausgepackt hatte. Er warf noch mal einen Blick auf den Adressaufkleber und stellte fest, dass das Paket tatsächlich nicht an ihn adressiert war. „Na was soll’s“, dachte er sich und schob das Paket zurück zur Eingangstür. Der Paketbote hob es hoch als würde es nichts wiegen, bedankte sich und ging den Weg zurück zur Strasse. Tom sah ihm etwas verdutzt hinterher. Was für ein Sonntag. Hätte er etwas genauer hingehört, hätte er vielleicht die dumpfe Stimme aus dem Paket gehört: „Und beim nächsten mal pass bitte etwas mehr auf, Max, und stell mich nicht wieder verkehrt herum beim Kunden ab!“

 

Hallo asgard!

Ich finde deine Geschichte wirklich cool!

Der Aufbau ist klasse. Du verrätst nicht zu früh zuviel, halt immer genug zum richtig Zeitpunkt und lässt aber trotzdem noch genug Spielraum für des Lesers Fantasie.

Außerdem hast einen "fluppig-leichten" Erzählstil.
Gefällt mir sehr!

Aus dem Innern drang ein durch das Holz gedämpftes klopfen
Klopfen

Beste Grüße
sticker

 

hi!
ich finde deine geschichte ganz in ordnung.
du hast meine fantasie angeregt, was der typ in anzug wohl wollte. worum es überhaupt ging. viel raum zum fanstasieren!
ein leichter, lockerer schreibstil. angenehem.

einiges ist man dann doch aufgefallen.

Halbnackt, nur mit Boxershorts bekleidet rannte er den Flur entlang, die Treppe hinunter und riss die Haustür genau in dem Moment auf, ...
nach 'bekleidet' kommt ein komma

Hätte er auch nur einen Moment länger gewartet, hätte er vielleicht gesehen, dass der Paketbote unterwegs Richtung Strasse plötzlich zu schimmern begann und durchsichtig wurde
strße

Tom war mittlerweile, das schwere Paket vor sich über den Boden herschiebend, im Wohnzimmer angekommen und fragte sich was wohl in dem Paket sein mochte
nach 'fragte sich' ein komma

Ein Pfeil mit der Beschriftung „This side up“ zeigte Richtung Boden. Klar, verkehrt herum musste Sie natürlich auch noch geliefert werden
was meinst du hier?

Seufzend, während er sich vorstellte wie oft die Kiste mittlerweile umgedreht, gekippt und gefallen war, versuchte Tom den Deckel zu lösen.
nach 'vorstellte' ein komma

„Aber in Ihrer Annonce haben Sie doch geschrieben, sie wollten Ihre Zeit teilen.
das letzte 'sie' muss groß

Das letzte was er hörte, bevor ihn die Stuhllehne am Hinterkopf traf und er bewusstlos wurde war
nach 'wurde' ein komma

Als Tom erwachte und sich den schmerzenden Hinterkopf rieb, hörte er schon wieder jemanden an der Haustür läutete
entweder: ..., hörte er, dass schon wieder jemand an der haustür läutete
oder: ..., hörte er schon wieder jemanden an der haustür läuten

aber das soll's dann auch gewesen sein. ;)

bye und tschö

 

Hi asgard,

die Story liest sich sehr locker und flüssig. Die an sich gute Idee führst Du meiner Meinung nach nicht weit genug. Mich hätten durchaus die Details der Verträge interessiert. Du "rettest" die Situation durch einen "absichtlichen Zufall", nämlich das Stolpern und die Bewusstlosigkeit - vielleicht, weil Du nicht wusstest, wie es sonst hätte weitergehen sollen? Schade, denn da wurde es gerade interessant! Man könnte sich auch fragen, warum die außerirdische Zeitarbeitsfirma ihre Agenten in Paketen transportiert. Das ist zwar witzig, aber nicht logisch. Die Tarnung reicht ja sowieso nur bis zu dem Paketboten, der sich einfach in Luft auflöst und dem Paket, bis es sich allein auspackt, da könnte sich der Agent auch gleich aus dem Nichts im Schlafzimmer materialisieren.

Fazit: Flott geschrieben, lustige Idee, aber deren Potenzial nicht ausgenutzt.

Uwe

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo sticker!

Danke fuer das Lob - freut mich, dass Dir die Geschichte gefallen hat! Eine coole Geschichte - so ein Lob bekommt man nicht alle Tage! :cool: Fehler korrigiert...


Hallo moonshadow!

ohje, so viele Fehler... Danke fuer die Muehe des so aufmerksamen Durchlesens! Ich hab alles gleich korrigiert. Werde versuchen, beim naechsten Mal selbst aufmerksamer zu sein.

Ein Pfeil mit der Beschriftung „This side up“ zeigte Richtung Boden. Klar, verkehrt herum musste Sie natürlich auch noch geliefert werden
Da hatte ich dieses Bild einer Holzkiste mit einem Aufkleber an der Seite im Kopf, auf dem ein Pfeil ist, der nach unten zeigt und bei dem steht "This side up" - was also heisst, dass die Kiste defacto auf dem Kopf steht. Habe ich wohl etwas zu zusammenhanglos beschrieben - ich hoffe jetzt ist es besser verstaendlich.

Danke und tschoe! :)


Hallo Uwe,

danke auch Dir fuer die Kritik! Ich habe mir auch nachdem ich die Geschichte fertig hatte gedacht, ob ich nicht das Ende entfernen und stattdessen einen "positiven" Geschaeftsabschluss einbauen sollte. Oder ob man dem - vielleicht ausserirdischen - Herrn zu ein paar Kunden folgen sollte. Habe mich aber zugunsten einer kuerzeren, geheimnisvolleren Geschichte dagegen entschieden.

Hatte schon gedacht, dass die Paketgeschichte zu leicht irritierten Fragen fuehren wuerden. Ich hatte vor dem Schreiben erstmal nur die Idee mit einem geheimnisvollen Paket im Kopf, der Rest hat sich waehrend des Schreibens entwickelt, daher die etwas absurde Idee. Vielleicht gibt es mal irgendwann eine Langfassung der Geschichte :D

cu all & danke,
asgard

 

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