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Zeit des Wandels - Kältestarre
Kältestarre
Die Menge brach in anerkennendes Johlen und Pfeifen aus. Frika war nach mehreren Überschlägen auf den Händen gelandet und bahnte sich nun kopfüber ihren Weg durch die staunenden Zuschauer.
Wieder auf den Beinen, musterte sie ihre nähere Umgebung. Ihre blauen Augen blieben an einem riesigen Fahnenmast hängen. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen.
Das könnte schwierig werden.
Sie spurtete auf den Pfahl zu, drückte sich mit einem Fuß kräftig vom Boden ab. Konzentrier dich, Mädel! Du hast schon schwierigere Sprünge geschafft.
Die Sohle des anderen Fußes traf den Fahnenmast in einer Höhe von etwa anderthalb Schritt. Frika spürte die Spannung in ihrem Oberschenkel. Explosionsartig entlud sich die angestaute Energie.
Die junge Artistin landete mit einer kunstvollen Seitwärtsdrehung auf dem Dach des wackligen Marktstandes. Unter ihr war ein bedrohliches Knarren zu vernehmen. Frika postierte sich nun breitbeinig auf dem vorderen Abschnitt des Standes und streckte die Arme gen Himmel.
Sie genoss die zahllosen Blicke, die nun fasziniert auf ihr hafteten. Jetzt wird’s ernst!
Gleichgültig ließ sie die Schimpftiraden des Verkäufers über sich ergehen und bereitete sich auf ihr großes Finale vor. Nach dem Absprung drehte sich ihr junger Körper gestreckt nach vorn. Die Zuschauer hielten entsetzt den Atem an.
Kurz vor dem Aufprall riss sie jedoch die Beine an die Brust und vollführte eine blitzartige Drehung. Zielsicher landete sie zwischen einer Gruppe applaudierender Kaufleute. Wieder ließ Frika ein triumphierendes Lächeln aufblitzen.
Die Menge war begeistert und spendete ihr lautstark Beifall.
Frika schlenderte vergnügt über den Marktplatz. Liebevoll streichelte sie ihren gefüllten Geldbeutel. Die Menschen hier im Süden sind schon ein spendables Völkchen.
»Da bin ich wieder«, rief sie fröhlich.
Der Händler mit dem schwarzen Vollbart musterte sie mürrisch. Frika jedoch setzte ihr verführerischstes Lächeln auf.
»Schau doch nicht so grimmig drein, dein Stand ist ja noch heil. Bring mir doch lieber einen Krug Apfelwein und eine Mischung deiner köstlichen Trockenfrüchte!«
Ohne ein Wort zu erwidern, kümmerte sich der Angesprochene um die Bestellung.
Gierig ließ sie den süßen Apfelwein ihre Kehle hinab fließen. Die artistische Vorstellung hatte sie einige Kraft gekostet. Für das nächste Mal sollten ein paar Jongliertricks reichen!
Krachend stellte sie den Hornbecher vor den Verkäufer. Zum Abschied warf sie ihm noch einen spielerischen Handkuss zu, welchen dieser jedoch einfach übersah.
Die Mittagshitze ließ den Zucker der Trockenfrüchte zu einer klebrigen Masse werden. Genüsslich lutschte sie an ihren Fingern, während sie sich weiter durch die Menschenmenge schob.
Schon wieder dieser Kerl! Langsam wird der etwas aufdringlich. Er wird doch wohl nichts gemerkt haben?
Neugierig beobachte sie den wohlbekannten Jüngling. Er war von hohem Wuchs und hatte langes schwarzes Haar. Seine Gesichtszüge wirkten edel und strahlten Selbstvertrauen aus. Auch seine Kleidung ließ auf eine vornehme Lebensweise schließen. Er trug eine dunkle Lederhose und eine fein gewebte blaue Tunika.
Seine kalten blauen Augen suchten fiebernd die Umgebung ab. Ihre Blicke trafen sich. Frika drehte sich schnell zur Seite weg und tauchte in die Anonymität der Marktbesucher ein. Flink bahnte sie sich ihren Weg. Ich muss nur das Gassengeflecht erreichen und schon bin ich den verwöhnten Bengel los …
Frika atmete erleichtert auf, als sie die schützenden Schatten der Häuser erreichte. Doch nur wenige Schritt weit hinter sich, konnte sie auch den Fremden erkennen.
Zäher Bursche! Mal sehen, wie es um seine Ausdauer bestellt ist!
Die junge Artistin beschleunigte nun ihre Schritte. Ihr Verfolger tat es ihr gleich. Wie ein Wirbelwind fegte Frika durch die staubigen dunklen Gassen. Sie lebte schon seit einiger Zeit in Lancoran und kannte jede noch so kleine Einzelheit. Schon oft war sie gezwungen gewesen vor der Stadtgarde zu fliehen. Hier war sie die unangefochtene Königin!
Sie bog in eine kleine Seitenstraße ein. Ihr Häscher war ihr noch auf den Fersen, dass konnte sie an den Schritten in ihrem Rücken hören.
Frika beschleunigte nochmals und hielt auf die Mauer am Ende der Sackgasse zu. Der Jüngling hatte die Seitenstraße nun ebenfalls erreicht.
Das soll er mir erst einmal nachmachen!
Frika kauerte nun auf der anderen Seite der Mauer. Leider war die Landung alles andere als perfekt gewesen. Sie hatte sich eine blutige Schramme am rechten Unterschenkel geholt. Aber wenigstens war sie jetzt diesen aufdringlichen Kerl los.
Die Gauklerin staunte nicht schlecht, als sie ihren Verfolger plötzlich auf der Mauerbrüstung stehen sah. Fluchend hechtete Frika nach vorn. Sie verlor die Kontrolle über ihre Beine. Der Aufschlag erfolgte ungebremst. Kleine Staubwolken wirbelten durch die Luft.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht wälzte sich Frika auf den Rücken und betrachtete die raffinierte Fangschlinge. Sie hatte sich wie eine tödliche Würgeschlange um ihre Knöchel gewickelt.
»Ich glaube du hast etwas, was mir gehört!«
Die Stimme des jungen Mannes klang kalt und befehlsgewohnt.
»Wüsste nicht was das sein könnte«, entgegnete die Artistin trotzig. Verzweifelt machte sie sich an der Schlinge zu schaffen.
Ohne eine Emotion zu zeigen zog der Fremde einen langen Dolch aus dem Gürtel. Frikas Augen weiteten sich ängstlich.
»Es reicht dir wohl nicht die Menschen zu bestehlen, Gauklerbalg? Mit der Wahrheit scheint es das fahrende Pack auch nicht allzu ernst zu nehmen.«
Sanft drückte er ihr die Spitze der Klinge unter das Kinn. Es schien ihm mehr als ernst zu sein.
»Du hast dir den Falschen für deine Spielchen ausgesucht, Gauklerin! Ich frage dich nur einmal. Wo ist meine Tasche?«
Die blauen Augen des Fremden funkelten bedrohlich.
Frika brachte vor Angst kein Wort hervor. Stattdessen deutete sie mit dem Finger auf einen Müllhaufen, welcher sich nahe der Mauer aufgetürmt hatte.
Der junge Mann packte Frika grob am Kragen und schleifte sie mit sich. Als sich der Ledersack wieder in seinem Besitz befand, entspannten sich seine Züge etwas. Gründlich überprüfte er den Inhalt auf Vollständigkeit, dann nickte er zufrieden.
»Kann ich jetzt endlich gehen?«, knurrte die junge Gauklerin.
»Noch nicht! Du wirst mich jetzt zur fürstlichen Residenz führen. Wenn sich jemand in diesem Sumpf der Sünde auskennt, dann Beutelschneider wie du.«
»Aber mit dem größten Vergnügen, der Herr«, sagte Frika und setzte ein bitterböses Lächeln auf. Ihre gewandten Füße hatten sich endlich aus der engen Schlinge befreit. Mit aller Kraft hieb sie dem arroganten Edelmann ihren Stiefel zwischen die Beine und gab Fersengeld.
Die Luft im „Wellenbrecher“ war wie immer zum Schneiden, als Frika sich in die hinterste Ecke der schäbigen Hafenkneipe zurückzog. Wie die meisten Häuser in Küstennähe hatte der „Wellenbrecher“ einen fast quadratischen Grundriss und wurde von mehreren Balken senkrecht gestützt, welche untereinander noch einmal durch dicke Fetten verbunden waren. So konstruiert konnten sie selbst den stürmischsten Küstenwinden die Stirn bieten.
Der komplette Schankraum war in ein schummriges Dunkel getaucht. Weiter als bis zu den Nachbartischen konnte man nicht sehen. Die Luft war vom Tabak und dem Schweiß der Seemänner erfüllt. Der Einrichtung entsprechend waren auch die Gäste, die sich hier herumtrieben. Beinahe alle hatten einen guten Grund sich hier im Finsteren zu verbergen.
Noch immer bebte Frika vor Zorn. So etwas war ihr noch nie passiert. Der Fremde hatte sie vorgeführt und das mitten in ihrer Stadt!
Es hatte schon andere gegeben, die einen Diebstahl bemerkt hatten. Aber noch nie hatte sich einer so energisch an ihre Fersen geheftet wie dieser Kerl. Es musste einen Grund dafür geben. Der Inhalt des Ledersacks musste mehrere Goldtaler wert sein. Sie hatte sich vielleicht den dicksten Fisch ihrer Laufbahn durch die Finger gehen lassen. Aber es gab einen weiteren Grund für ihren aufgewühlten Gemütszustand. Die Worte des Mannes hatten sie verletzt. Den Edelingen fiel es leicht, über Menschen aus Frikas Zunft zu urteilen. Doch was wussten sie schon über den Ernst des Lebens?
Sie bereicherte sich nicht aus purer Gier. Der verkommene Süden selbst hatte sie zu dem gemacht was sie war.
In den Küstenstädten hieß es für die Nichtadligen fressen, oder gefressen werden! Nie würde sie sich an Menschen bereichern, die selbst nichts zu beißen hatten. Im Gegenteil, Kaufmänner und Edelleute waren ihre bevorzugten Opfer.
Andere Frauen ihres Alters verkauften ihren Körper, um sich die nächste Mahlzeit zu verdienen. Doch das kam für sie niemals in Frage. Lieber würde sie in der dunkelsten Ecke eines Kerkers schmoren!
Sie beschloss, dass dieser arrogante Bursche eine Lektion gleich doppelt verdient hatte.
So leicht kommst du mir nicht davon, mein Hübscher. Bis die Sonnenscheibe untergeht, haben wir beide noch viel Zeit!
Zandurion bahnte sich unaufhaltsam seinen Weg durch die Menschen. Dabei schreckte er auch vor kleinen Grobheiten nicht zurück. Noch immer ärgerte er sich über die kleine Gauklerin mit dem Sommersprossengesicht und den roten Zöpfen. Er hätte sie sofort ins Land der Träume schicken sollen.
Kopfschüttelnd schaute er über die Häuserreihen. Er hasste die südlichen Küstenstädte. Selbst Kor, der mächtige Himmelsfürst, schien sich von diesen dunklen Flecken auf der Landkarte abgewandt zu haben. Es herrschten Betrug, Gewalt und Unsitte. Die Straßen waren überfüllt von Meuchelmördern, Beutelschneidern, Dirnen und anderem Gesindel. Nirgendwo war man seines Lebens sicher. Für ein bisschen Kleingeld konnte man in Lancoran alles kaufen, was man wollte. Der Hafen war ein Sammelbecken für Waffenschmuggler und Söldner.
Vor den Bordellen und Rauschkrauthöhlen lagen jene Männer und Frauen, welche ihre Vergnügungen übertrieben hatten. Der Geruch des Hafens mischte sich mit dem Erbrochenen auf den Straßen und den süßlichen Düften des großen Marktes.
Zandurion wusste, er würde hier nicht länger als nötig verweilen. Sobald er beim Fürsten vorgesprochen hatte, würde er seine Sachen packen und wieder gen Reshok aufbrechen.
Frika kauerte im Garten des Palastes. Eine große Statue bot ihr etwas Schutz. Der Zaun war ein Kinderspiel für die gewandte Artistin gewesen. Nun wurde es weitaus komplizierter. Aus den Augenwinkeln konnte sie erkennen, wie der junge Edelmann von zwei Gardisten durch das große Tor geführt wurde. Und schon bin ich wieder der Jäger!
Sie schützte ihre Augen mit der Hand vor der blendenden Sonnenscheibe und versuchte die Lage einzuschätzen. Das einstöckige Hauptgebäude war aus rosa Sandstein gefertigt und thronte im Zentrum eines prächtigen Gartens. Auf dem flachen Dach hatte man eine Art Terrasse angelegt. Stämmige verzierte Säulen trugen eine Art Vordach über dem großen Eingangstor. Wegen der drückenden Hitze hatten sich die Bewohner scheinbar ins Innere des Prunkbaus zurückgezogen. Dann entdeckte Frika einige Schemen auf der Sonnenterrasse. Von dort oben musste man sie leicht entdecken können. Es war Zeit zu handeln.
Mit gewaltigen Schritten sprintete die Diebin los. Kurze Zeit später presste sie ihren Körper bereits an die schützende warme Ostmauer.
Einen Augenblick verharrte sie und schloss die Augen. Sie genoss die Aufregung, die ihren Körper erbeben ließ. Sie liebte dieses Spiel. Die Herausforderung, die Angst. Doch noch mehr liebte sie den Triumph.
Über sich vernahm sie leise Stimmen. Allerdings war sie noch zu weit entfernt, um den Inhalt der Worte zu verstehen. Stück für Stück schob sie sich die Mauer entlang. Vorsichtig schob sie ihren Kopf nach vorn. Dich hab ich gesucht!
An der Südseite des Palastes hatte man zahlreiche Holzleisten zu einer Art Gitter verankert. Sie boten den gigantischen Weinreben Halt, die sich die Mauer hinauf wanden. Frika prüfte die ersten Streben auf ihre Tragfähigkeit. Kurz entschlossen hangelte sie sich nach oben. Die Kletterei musste schnell von statten gehen. Hier war sie ohne weiteres zu entdecken!
Sie spähte über die Brüstung. Volltreffer!
Fürst Gotmar hatte es sich im Schatten eines reich verzierten Pavillons gemütlich gemacht. Der Duft eines gebratenen Vogels drang Frika in die Nase. Der junge Edelmann hatte sich vor Gotmar aufgebaut, flankiert von den beiden Palastgardisten.
Er darf persönlich beim fetten Fürsten vorsprechen? Du bist ein noch besserer Fang als ich dachte, mein Lieber! Vielleicht sollten wir es miteinander versuchen!
Ohne ein Geräusch zu verursachen zog sie sich geschmeidig über den Rand der Mauer. Mit eingezogenem Kopf schlich sie sich zu einem nahe stehenden Sandsteinbrocken. Die Erbauer des Tempels hatten hier eine künstliche Oase geschaffen.
»Nun, Zandurion, gewiss seid ihr ein guter Soldat und es wäre äußerst unschön einen fähigen Spion wie euch zu verlieren. Aber versteht bitte auch unsere Situation, die Anschuldigungen gegen eure Person wiegen schwer.«
Die Aussprache des Fürsten klang verzerrt und aufgesetzt. Seine runden Wangen hatten einen ungesunden roten Farbton. Ein herzliches Gähnen ließ ihn eine Zeitlang inne halten.
»Ich meine was sollen wir den Gardisten eurer Truppe sagen? Ja er ist ein Mörder, aber wir brauchen seine Fähigkeiten? Wie viele der Männer würden euch unter diesen Umständen noch vertrauen?«
Zum ersten Mal konnte Frika eine Art Gefühlsregung an dem jungen Mann erkennen.
»Es war ein Unfall …«, presste er hervor.
»Ah, ein Unfall. Ihr denkt es ist gut für die Moral der Truppe, wenn wir ihr erklären, dass ihr den armen Tölpel nur zufällig so zugerichtet habt!«
Der Diebin stockte der Atem. Dieser Zandurion war ein Mörder! Er hatte einen seiner eigenen Kameraden hinterrücks gemeuchelt. Ihr Gesicht wurde kreidebleich, als sie an ihre gemeinsame Begegnung in der verlassenen Gasse denken musste. Er hätte mich wirklich umgebracht!
»Die Militärberater König Siegborns haben sich bereits mit eurem Fall befasst, Soldat. Da es sich bei diesem Vorfall keineswegs um einen Einzelfall handelt, liegt es im Interesse des Königreiches die Sache schnellstmöglich aufzuklären. Ihr seid ein ausgebildeter Soldat und eure Vorgesetzten bescheinigen euch große Fähigkeiten. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, euch in die Ermittlungen mit einzubeziehen.«
Der junge Mann musterte den dicken Fürsten mit fragendem Blick.
»Ihr werdet unverzüglich nach Norden reisen. Dort erfahrt ihr weitere Einzelheiten. Ein Pferd und das notwendige Reisegepäck habe ich bereits in Auftrag gegeben. Für die Zeit der Ermittlungen seid ihr hiermit offiziell eures Ranges enthoben, dennoch steht ihr im Dienste König Siegborns. Bis die Sache aufgeklärt ist, darf niemand von diesen Vorfällen erfahren, außer die dazu erwählten Personen. Habt ihr das alles verstanden?«
Zandurion zögerte kurz, nickte dann aber.
Was interessierte sie nur so an diesem Mann? Frika grübelte über ihre eigenen Gefühle.
Eher beiläufig sattelte sie das klapprige Packpferd. Sie hatte es sich von Modorok, dem alten Schmied geliehen. Er war einer der wenigen Menschen in dieser Stadt, dem das Schicksal der jungen Frau am Herzen lag. Wann immer Frika jemanden zum Reden brauchte, war der alte Mann zur Stelle.
Modorok war nicht begeistert von dem Leben der jungen Diebin. Deshalb hatte sie ihm auch den wahren Grund ihrer Reise verschwiegen.
Als sie genauer darüber nachdachte, stellte sie fest, dass sie jenen Grund selbst nicht wirklich kannte.
War es wirklich nur der Inhalt der Tasche? Frika erfasste ein angenehmes Schaudern, wenn sie an den hübschen Edelmann dachte. Selbstgerecht hatte er sie in der Gasse als Verbrecherin gebrandmarkt, doch selbst war er ein Mörder!
Ihre Neugier war entfacht. Was war damals wohl passiert?
Der Soldat faszinierte sie. Es war seine Sprache, sein Auftreten und nicht zuletzt die geheimnisvolle Aura, die ihn umgab. Das alles machte diesen Zandurion für sie anziehend. Die Gauklerin war fest entschlossen, sein Geheimnis zu ergründen.
Prüfend musterte Zandurion sein Reittier. Der Sattel saß fest und die Packtaschen waren gut verschnürt. Man hatte ihm einen der edelsten Rappen des fürstlichen Gestüts zur Verfügung gestellt. Der junge Soldat wirkte mit diesem Hengst noch einschüchternder. Ohne sich noch einmal zu der Hafenstadt umzusehen stieg er auf und ritt gen Norden.
Während die Landschaft an ihm vorbeizog, wanderten seine Gedanken. Fürst Gotmar hatte ihn angewiesen nach Norden zu reisen. Sein Ziel war die sagenumwobene Finsterklamm! Jenes Gebirge, in welchem auch uralte Zwergenklans hausten. Man wusste nicht viel über das kleine Volk. Aber sie waren schon lange vor den Menschen hier auf Myanvar gewesen. König Siegborns Berater hatten bereits Unterredungen mit zwergischen Botschaftern geführt. Der Stamm der Xorlosch hatte sich dazu bereit erklärt den Menschen zu helfen. So weit man es beurteilen konnte war der größte Teil der Zwerge den Neuankömmlingen freundlich gesinnt. Dennoch konnte Zandurion ein mulmiges Gefühl nicht unterdrücken. Noch nie hatte er einem Vertreter dieses geheimnisvollen Volkes von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden. Hier im Süden erzählte man sich allerhand. Es war von großen Schätzen die Rede, von übermächtigen Waffen. Man erzählte sich vom Kampfesmut der Zwergenkrieger, welcher nur noch von ihrem Stolz übertroffen wurde.
Zandurion verwischte seine Gedanken. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die beiden Monde am Himmel erscheinen würden. Das nächste Dorf war seiner Karte nach noch ein ganzes Stück weit entfernt. Er beschloss sein Nachtlager hier im Freien aufzuschlagen. Die Dunkelheit umschloss ihn schneller als er gedacht hatte.
Ein kleines Feuer verbreitete angenehme Wärme. Zandurion kaute lieblos an einem Stück Trockenfleisch und nahm einen Schluck Wein aus seinem Lederschlauch.
Sein Blick blieb auf seinem Pferd hängen. Er hatte es ganz in der Nähe angebunden. Nervös scharrte es mit den Hufen. Die Atmung des Hengstes war schnell und tief.
Irgendjemand oder irgendetwas musste sich ganz in der Nähe befinden. Schon bei zahlreichen Einsätzen hatten die Pferde ihre Reiter vor Unheil bewahrt. Auf den Instinkt der Tiere war Verlass.
Zandurion versuchte seine Flanken aus den Augenwinkeln zu überblicken. Er durfte jetzt nichts tun, was seine Kenntnis über den Neuankömmling verriet. Wenn jemand einen Überraschungsangriff plante, dann würde er sonst sofort zuschlagen. Seine Waffen hingen noch an den Packtaschen. Er beschloss daher, wenn es zu einem Kampf kommen sollte, auf seinen Dolch im Gürtel auszuweichen. Vorsichtig schob er ihn zurecht, so dass er ihn im Notfall schnell zur Hand hätte.
Er zuckte zusammen. Direkt hinter ihm war ein lautes Knarren zu vernehmen gewesen. Er wälzte sich herum. Beim Aufspringen nahm er einen schwachen Schemen wahr. Flink wirbelte er herum und fand sich dann im Rücken des dunklen Schattens. Geübt legte sich sein Unterarm um die Kehle, während die Handfläche seiner anderen Hand nach dem Schädel seines Opfers griff.
»Eine falsche Bewegung und ich breche dir das Genick!«
Die düstere Gestalt blieb stumm und rührte sich nicht.
Zandurion machte mit dem Druck seines Oberkörpers klar, dass sie nun gemeinsam zum Feuer gehen würden.
Das Gesicht des jungen Soldaten nahm entsetzte Züge an.
»Du schon wieder? Das kann doch wohl nicht wahr sein …«
Er hatte den knabenhaften Körper und die roten Zöpfe sofort erkannt.
»Ich habe wohl deine Gauklerehre verletzt und jetzt wolltest du es ein zweites Mal versuchen? Aber zum Glück scheinst du dich in der Wildnis nicht ganz so gut auszukennen, wie in eurer stinkenden Stadt.«
Zandurion konnte die Angst der jungen Artistin spüren. Ihr Körper bebte förmlich unter seiner Umklammerung. Er löste den Griff so weit, dass er sie noch gut unter Kontrolle hatte.
»Normalerweise sollte ich dich festbinden und den Bären ein Festmahl bereiten. Aber wahrscheinlich wären selbst die zu stolz ein verlaustes Gauklerbalg zu verspeisen. Ich habe auch schon eine bessere Idee. Morgen werde ich dich an die Stadtgardisten des nächsten Ortes ausliefern. Vielleicht kriege ich ja noch ein paar Münzen für dich kleine Beutelschneiderin.«
Fieberhaft versuchte sie sich aus ihren Fesseln zu befreien. Doch dies war anscheinend ein aussichtsloses Unterfangen. Zandurion hatte ihr die Hände und Füße verschnürt und ihre Fesseln mit den Zügeln seines Pferdes verbunden. Jede größere Bewegung würde das Tier sofort mit einem aufgeregten Schnauben bestrafen. Sie war froh, dass der Mörder nicht einfach kurzen Prozess mit ihr gemacht hatte. Allerdings wäre das wahrscheinlich eine Wohltat gegenüber dem, was die Stadtgardisten in Lancoran mit ihr veranstalten würden. Auf ihren Kopf war eine ahnsehnliche Summe ausgesetzt. Schließlich hatte sie es gewagt, die Fürstentochter zu bestehlen! Leider hatte ihr Plan nicht ganz funktioniert und sie hatte ihre Beute während einer halsbrecherischen Flucht zurücklassen müssen, dafür war ihr Ansehen in der Unterwelt Lancorans aber gehörig gestiegen. Das würde ihr nun aber auch nichts mehr nützen. Entweder man würde ein Exempel an ihr statuieren, oder aber man würde ihr die Hand abhacken und sie für immer in den modrigen Kerkern schmoren lassen. Letzteres Schicksal hatte schon viele ihrer alten Freunde ereilt. Ich muss irgendetwas unternehmen!
Der übermütige Gesang der Vögel ließ Zandurion aus dem Reich der Träume zurückkehren. Sofort suchte sein Blick nach der Diebin. Doch diese lag immer noch gut verschnürt neben seinem Hengst. Nachdem er sein Gepäck verstaut hatte, weckte er das Mädchen unsanft.
»Na mach schon, steh auf. Der Kerker wartet schon auf dich.«
Frika blickte ihn nur hasserfüllt an.
Es war ein verregneter trüber Tag. Durch die dichten Nebelschwaden konnte man die umliegende Landschaft nur erahnen. Zandurion trabte langsam den schmalen Weg entlang. Regentropfen perlten sein pechschwarzes Haar hinab. Die Gauklerin war an den Händen gefesselt und versuchte vergeblich mit dem Pferd Schritt zu halten.
Zandurion ließ seinen Rappen anhalten. Mit angespannter Miene spähte er in die verschwommene Umgebung.
»Bist du jetzt endlich zur Vernunft gekommen und bindest mich los?«
Frika stellte die Frage eher um ihren Peiniger noch weiter zu reizen. Sie kannte die Antwort schon.
Zandurion ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Lautlos glitt er vom Rücken des Pferdes und zog einen prächtigen Zweihänder aus einer Lederscheide.
Als er Frikas fragenden Ausdruck im Gesicht bemerkte, deutete er mit seinem Lederhandschuh auf einen Punkt im Nebel.
Frika kniff die Augen zusammen, konnte aber bei aller Anstrengung nichts erkennen.
Zandurion fluchte in Gedanken. Hier konnte er keinen Ausfall wagen. Außerdem wusste er nicht, wie weit der nächste Ort noch entfernt war. Vielleicht waren es ja Freunde der Gauklerin? Nun, mit ein paar Beutelschneidern mehr würde er auch noch fertig werden!
Plötzlich ging alles ganz schnell. Fünf Männer lösten sich aus dem Nebel. Eislandbarbaren! Zandurion hatte bereits gegen die wilden Stämme des Nordens gekämpft, doch niemals hatte er von Kriegern gehört, die sich so weit im Süden aufhielten. Es musste sich um Söldner handeln.
Seine Hoffnung auf eine friedliche Klärung der Situation wurde jäh zerstört, als die Männer zu ihren Schwertern griffen. Die Barbaren sahen heruntergekommen und ausgehungert aus. Die Felle, die ihnen als Kleidung dienten waren zerschlissen und schmutzig.
»Mach mich los, Soldat«, zischte Frika giftig.
»Warum sollte ich das tun, Gaunerin? Ich kann nur gewinnen, entweder ich liefere dich wie geplant bei der nächsten Garnison ab, oder aber die Eisbarbaren beenden dein sündenvolles Leben und ich trage keine Schuld an deinem Schicksal.«
Zandurions Worte klangen kalt. Während er sie sprach, hatte er die Angreifer nicht aus den Augen gelassen.
»Du kannst nicht gegen fünf Kämpfer bestehen, du wirst meine Hilfe brauchen …«
Das fremdländische Gebrüll der Barbaren ließ Frika verstummen. Ein Hagel von Klingenhieben prasselte auf Zandurion ein. Dieser wehrte sich verbissen und versuchte sich nicht von der Überzahl umzingeln zu lassen. Nach einer geschickt geführten Finte, rammte er einem seiner Angreifer den Zweihänder in die Brust. Krachend gaben die Rippenknochen nach. Zandurion befreite seine Klinge mit dem Fuß. In diesem ungeschützten Moment fuhr ihm jedoch eine Klinge tief in den linken Arm. Er schrie vor Schmerz auf und revanchierte sich mit einem heftig geführten Schwinger. Die Klinge fand ihr Ziel und zog dem Barbaren einen tiefen feinen Schnitt über die Kehle.
Aus den Augenwinkeln konnte er beobachten, wie sich einer der Angreifer seiner Gefangenen näherte. Dann wurde er wieder mit Schlägen eingedeckt.
Frika suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Der Eisbarbar grinste boshaft. Mit gebundenen Händen und festgekettet an das Pferd, war sie ein leichtes Opfer für den Krieger. Frika flog nach vorn und trat nach der Hand, welche die Klinge führte. Verdammt!
Das Seil riss sie zurück, kurz bevor der Stiefel die Rückhand des Mannes traf. Schnell warf sie sich zur Seite um einem abwärts geführten Schlag auszuweichen, welcher ihrem Kopf gegolten hatte.
Mit einem gewaltigen Satz sprang sie auf den Rücken des Pferdes. Beinahe hätte sie den Halt verloren und wäre auf der anderen Seite wieder heruntergestürzt. Doch ihre Oberschenkel hatten sich verzweifelt in die Flanken des Tieres gepresst. Auf einen kurzen kräftigen Druck hin, verschwand das Pferd samt Reiterin im dichten Nebel.
Der Krieger zuckte mit den Schultern und wandte sich nun wieder Zandurion zu.
Der junge Soldat kämpfte mit dem Mut der Verzweiflung. Er war zwar gewandter und besser trainiert als seine Angreifer, diese aber schlugen sich zäh wie ein Rudel ausgehungerter Wölfe. Zahlreiche Wunden klafften an Zandurions geschundenem Körper. Seine Arme wurden immer schwerer. Bei jedem Hieb, den er parierte, schmerzten seine Schultern bedenklich. Lange würde er so nicht mehr durchhalten.
Plötzlich schaute einer der Barbaren erschrocken auf. Er schrie etwas Unverständliches in der rau anmutenden Sprache der Nordländer. Zandurions Rappe krachte ungebremst in die Gruppe der Angreifer. Zwei der Männer wurden durch die Wucht des Aufpralls sofort zu Boden geschleudert.
Zandurion nutzte die Gunst des Augenblickes und hieb dem Dritten seine Klinge über die Brust.
Frika glaubte ihr Schädel müsse jeden Moment bersten. Nur unter großer Anstrengung gelang es ihr, die Augen zu öffnen. Verschwommen konnte sie das Gesicht des jungen Soldaten erkennen. Er war ganz nah bei ihr und kümmerte sich um ihren verletzten Arm. Als Frika etwas sagen wollte, drückte er ihr seinen Zeigefinger auf die Lippen.
»Du solltest dich lieber noch ein bisschen schonen, bevor du wieder losgeiferst.«
Zandurions Stimme klang gespielt vorwurfsvoll und hatte einen warmen Unterton.
»Nachdem du die Barbaren nieder geritten hattest, bist du vom Pferd gestürzt. Aufgrund der Fesseln bist du wohl etwas unsanft gelandet.«
Der junge Mann blickte verlegen zu Boden.
»Danke, dass du zurückgekehrt bist. Scheint so, als hätte ich dich falsch eingeschätzt.«
Frika lächelte gequält.
Nachdem er ihre Wunden versorgt hatte, hob er sie auf seinen Hengst. Die beiden überlebenden Eisbarbaren hatte er an einen Baum gefesselt.
»Was wird mit denen?«, fragte Frika und nickte in die Richtung der Männer.
Zandurion schwieg und nahm seinen Zweihänder vom Sattel. Mit kalten berechnenden Augen richtete er die Klinge auf den Älteren.
Die Klinge fuhr herab und zerteilte das dicke Seil ohne Mühe. Die beiden Männer blickten ihn verwundert an.
Ohne sie weiter zu beachten stieg Zandurion ebenfalls in den Sattel.
Sie kamen nur langsam voran. Zandurion bemühte sich auf Frikas Verletzungen zu achten. Bei schnellerem Schritt des Pferdes spürte er ihren Körper unter Schmerzen zusammenfahren. Die junge Frau beklagte sich jedoch nicht.
»Willst du mich immer noch den Stadtgardisten ausliefern?«, vernahm er ihre Stimme.
Zandurion seufzte.
»Es sieht ganz so aus, als hättest du etwas gut bei mir. Deshalb werde ich darauf wohl verzichten müssen. Für dieses Mal zumindest …«
Frika wollte gegen den halb geflüsterten Zusatz protestieren, aber ihr fehlte noch die Kraft dazu.
Endlich erreichten sie die kleine Siedlung mit dem Namen Brundo. Neugierig musterten die Einwohner die beiden Neuankömmlinge. Besuch bekam man hier nur sehr selten. Bei den Hütten handelte es sich größtenteils um Wohnhäuser. Doch am Ende der Straße konnte Zandurion ein größeres Gebäude erkennen.
»Fürstenpalast«, las der junge Soldat laut vor und rollte mit den Augen.
Nachdem er sein Pferd festgezurrt hatte, betraten sie den Schankraum. Es roch nach feuchtem Holz. Die Stube war verlassen und dunkel. Dann regte sich etwas hinter der Theke.
»Willkommen im Fürstenpalast!«
Die Stimme hallte schrill durch den leeren Raum. Eine beleibte Frau trat aus den Schatten. Sie trug eine speckige Lederschürze und hatte ihr Haar zu einem dicken Zopf geflochten.
»Mein Name ist Alsuna, ich bin die Eigentümerin. Wie kann ich euch dienen edler Herr?«
Im Gegensatz zu Zandurion schien die kräftige Wirtin Frika gar keine Beachtung zu schenken.
»Oh ihr seid ja verletzt junger Krieger. Ihr braucht bestimmt ein Zimmer für die Nacht?«
Der Ton ihrer Stimme hatte an gespielter Freundlichkeit gewonnen.
»Und eure Dienerin, sollen wir ihr ein Lager im Schlafsaal bereiten?«
Frikas Wangen färbten sich rot. Bevor sie jedoch etwas erwidern konnte, schnitt ihr Zandurion das Wort ab.
»Wir beziehen zusammen eine Kammer. Bereitet uns ein herzhaftes Mahl.«
Er zog eine Silbermünze hervor und drehte sie vor den Augen der Wirtin hin und her.
»Ah, ich verstehe. Ihr werdet nicht enttäuscht sein edler Ritter, bei uns bekommt ihr das beste Essen der ganzen Region.«
Während sie sprach, hatte sie nicht von der blinkenden Münze weggesehen.
Frika erwachte. Irgendetwas stimmt hier nicht …
Der Raum lag im Dunkeln. Die Sonnenscheibe musste bereits seit einiger Zeit untergegangen sein. Die junge Diebin fröstelte. Sie hatte sich die Leinendecke und das Fell bis über die Schultern gezogen. Dennoch spürte sie eine unbarmherzige Kälte in sich aufsteigen.
Zandurion stöhnte auf. Er hatte sich nicht dazu bewegen lassen mit ihr gemeinsam auf dem Lager zu schlafen. Er hatte es vorgezogen, mit einer dünnen Decke auf dem harten Holzboden zu nächtigen.
Unruhig wälzte sich der junge Mann hin und her. Immer wieder entfuhr ihm ein Stöhnen, oder ein halb erstickter Schrei.
Frika bekam es mit der Angst zu tun. Zitternd entzündete sie eine Kerze. Was geht hier vor sich?
Das ganze Zimmer war übersät von kleinen Eiskristallen. Das Wasser der Waschschüssel war von einer dicken Eiskruste überzogen. Frika öffnete die Fensterläden. Ungläubig steckte sie ihren Arm nach draußen. Tatsächlich, draußen war es weitaus wärmer als hier drin!
Zandurion schüttelte plötzlich ein heftiger Weinkrampf. Schnell war sie bei ihm.
Ein heftiger Schmerz durchfuhr ihre Finger, als sie versuchte ihn bei den Armen wachzurütteln.
Noch einmal tastete sie mit ihrem Zeigefinger nach seiner Haut. Es ist Kälte! Wie wenn man seine Hände lange in Schnee taucht!
Frika legte ihm das Leinentuch über den Oberkörper und rüttelte ihn sanft. Langsam öffnete er die Augen. Die Tränen in seinem Gesicht waren ebenfalls zu Kristallen erstarrt.
Zandurion wich ihren fragenden und mitleidigen Blicken aus. Frika aber nahm ihn in den Arm und drückte ihn fest an sich.
»Alles ist gut«, flüsterte sie ihm liebevoll ins Ohr.
Nach einer Weile verschwand die geheimnisvolle Kälte. Zandurion hatte sich ebenfalls wieder beruhigt. Beim gemeinsamen Essen in der Gaststube sprach der junge Mann kein Wort. In sich gekehrt blickte er auf seinen Teller und aß nur wenige Bissen.
»Wenn das wirklich das beste Essen der Region ist, dann möchte ich lieber nicht woanders speisen. Schon das hier würde in Lancoran kein Straßenköter anrühren.«
Frika versuchte die eisige Stille zu durchbrechen. Vergebens.
Nachdem sie wieder ihre Ruhestätten bezogen hatten, machte die Diebin noch einen Versuch.
»Ist das der Grund für deine Mission im Norden?«
Zandurion richtete sich auf.
»Wie .. Du hast uns belauscht? Aber das kann nicht sein, es sei denn du wärst auf dem Dach des Palastes gewesen …«
»Die Soldaten bei uns im Süden sind scheinbar weniger pflichtbewusst. Sie frönen an heißen Tagen lieber dem Rauschkraut, oder dem Würfelspiel. Im Garten hat sich jedenfalls keine Wache sehen lassen. Kinderspiel.«
»Wie viel hast du gehört?«
Frika hielt kurz inne und beschloss, dass es besser war ihm nicht zu beichten, dass sie auch von dem Mord wusste.
»Du reist im Auftrag König Siegborns nach Norden, um einige ungewöhnliche Vorfälle aufzuklären. Es muss mit dem Wunder von vorhin zu tun haben.«
Zandurion schwieg. Er überlegte, ob es richtig wäre, ihr von der Sache zu erzählen. Das Problem war, dass sie sowieso schon zuviel wusste. Es war besser, sie erfuhr die Wahrheit, bevor sie wilde Gerüchte unter den einfachen Bürgern streute.
»Du musst mir schwören, dass alles was ich dir jetzt erzähle unter uns bleiben wird. Niemand darf davon erfahren, bevor wir die Sache nicht aufgeklärt und in den Griff bekommen haben. Hast du das verstanden?«
Frika nickte ernst.
»Seit der Ankunft der Menschen hier auf Myanvar häufen sich unerklärliche Vorfälle. Niemand weiß, warum nur einige Leute davon heimgesucht werden. Es handelt sich um mächtige Energien, die den Betroffenen erlauben Dinge zu tun, zu welchen kein normaler Mann und keine Frau fähig wären.«
»So wie du mit dem Eis!«
»Ja, aber die Form des Energieflusses äußert sich bei jedem Menschen anders. Niemand weiß den Grund dafür. Die Kräfte scheinen zu kommen und zu gehen. Sie sind unkontrollierbar. Viele haben sich selbst - oder andere - dadurch verletzt.«
Zandurion machte eine Pause und forschte in Frikas Blick.
»Meine Aufgabe ist es nun zum Volk der Zwerge zu reisen. Ihr Geschlecht ist bereits älter, als sich die Menschen vorstellen können. Seit Anbeginn der Zeit leben sie bereits in den Gebirgen Myanvars. König Siegborn ist zuversichtlich, dass sie eine Lösung für unsere Probleme kennen.«
Frika blickte ihn gebannt an. Die Abenteuerlust stieg in ihr auf. Vor ihren Augen konnte sie schon hühnereigroße Edelsteine und Kisten voller Gold erkennen.
»Du musst mich mitnehmen, Zandurion«, bat sie ihn eindringlich.
Dieser schüttelte aber energisch den Kopf.
»Auf keinen Fall! Ich werde niemanden mehr in Gefahr bringen.«
»Aber es war doch ein Unfall …«
Als sie bemerkte, was sie gerade gesagt hatte, lief sie dunkelrot an. Verlegen starrte sie nach oben zur Decke.
»Ja, es war ein Unfall. Aber hättest du in die Augen seiner Witwe und seiner Kinder gesehen, würde dich das auch nicht interessieren. Ich habe ihn getötet, verstehst du? Einen Kameraden, einen guten Mann und Vater. Niemand bringt ihn wieder zurück!«
»Willst du vielleicht darüber reden? Ich kann eine gute Zuhörerin sein.«
Sie schenkte ihm ein liebevolles Lächeln. Zandurion blickte zu Boden.
»Es war eine laue Sommernacht. Ich und meine Truppe hatten den Auftrag nach Norden zu reisen. Wir sollten die Vorfälle in Gringor untersuchen. Du hast ja sicher von den Überfällen gehört.«
Frika nickte.
»Man hatte mir drei neue Soldaten zugewiesen. Allesamt junge Burschen. Sie hatten gerade erst ihre Ausbildung beendet und sollten auf dieser Expedition Erfahrung sammeln.«
Wieder füllten sich Zandurions Augen mit Tränen. Mühevoll sprach er weiter.
»Wir schlugen unser Lager in einer kleinen Ortschaft auf. Die jungen Soldaten nutzten den Aufenthalt, um sich mit Würfeln und Wein die Zeit zu vertreiben. Während der frühen Morgenstunden wurde ich durch lautes Lallen geweckt. Es war Einar, einer der Neuen. Ich ging zu ihm. Der Alkohol hatte ihm die Sinne getrübt. Immer wieder beleidigte er die Krone. Er nannte unseren König einen Feigling. Ich versuchte ihn zu beruhigen, da schlug er auf mich ein. Es war mir ein leichtes, ihn in seinem Zustand in Schach zu halten. Ich wollte ihn einfach nur beruhigen, so dass die Truppe keinen Schaden davontragen würde. Dann zog er ein Messer.«
Frika lauschte gespannt seinen Ausführungen.
»Aber dann war es doch Notwehr«, warf sie ein.
»Er war ein guter Mann. Er hatte Angst, dass konnte ich in seinen Augen sehen. Er hatte Angst seine Frau und seine Kinder niemals wieder zu sehen. Der Wein verstärkte diese Gefühle nur noch. Ich hätte ihn überwältigen und beruhigen können. Doch der Anblick des Messers hat irgendetwas in mir ausgelöst. Merkwürdiges Kribbeln durchströmte meinen Körper. Und dann …«
Zandurion schaute sie an. Sein Gesicht war von Tränen überströmt. Sie fasste ihn bei der Hand und drückte sie sanft.
»Er hätte nicht sterben müssen, doch ich habe ihn getötet! Er hatte doch nur Angst. Er wollte nur zu seiner Familie! Verstehst du was ich …«
Frika nahm ihn in die Arme. Sie verbrachten den Rest des Abends in Schweigen.
Am nächsten Morgen lag Zandurion nicht mehr auf dem Boden. Frika blickte sich verwundert um. Nachdem sie sich etwas frischgemacht hatte, stieg sie die Treppe zur Gaststube hinab.
»Kor zum Gruße, junges Kind«, erklang die durchdringende Stimme Alsunas.
»Da vorn auf dem Tisch steht bereits euer Frühstück bereit. Die Kutsche nach Lancoran wird aber wahrscheinlich erst gegen Abend hier auftauchen.«
Frika schaute überrascht zu der dicken Wirtin.
»Oh, habt keine Angst. Der junge Edelmann hat bereits alles bezahlt. Ich soll euch an eure Abmachung erinnern. Kein Wort zu irgendjemanden.«
Dabei hob sie beschwörend den rundlichen Zeigefinger vor die Lippen.
Dieser Mistkerl! Lässt mich einfach sitzen.
Schon drei Sonnenläufe waren vergangen, seit dem Zandurion Brundo verlassen hatte. Was Frika wohl gerade tat? Wahrscheinlich musste sie gerade ihren Hals aus irgendeiner Schlinge retten, dachte er. Er musste lächeln. Noch nie hatte er so eine Person kennen gelernt. Die Gauklerin war übermütig und vorlaut wie ein Kind. Dennoch hatte sie auch durchaus weibliche Seiten. Beides faszinierte ihn. Kurz bereute er es, sie einfach so zurückgelassen zu haben. Doch sein Vorhaben war wichtiger, als seine persönlichen Gefühle. Für ihn, für sein ganzes Volk. Am frühen Morgen hatte er die Grenze zur Nordmark Gringor passiert. Nun wäre es nicht mehr weit bis in die verschneiten Gebirge, in denen sich auch die Finsterklamm verbarg. Zandurion ritt vorsichtig. Sein prüfender Blick glitt wachsam über die Umgebung. Er wusste über die ständige Bedrohung durch die Tiermenschen. Immer wieder war er kleineren Flüchtlingstrecks begegnet. Der größte Teil waren Kinder und Frauen gewesen. Sie suchten den Schutz des mächtigen Gorokreiches. In einer kleinen Stadt namens Fortwin besorgte er sich die nötige Ausrüstung. Die Jäger und Fallensteller versuchten ihn von seinem Vorhaben abzubringen, als er nach dem Weg zur Finsterklamm fragte. Es sei zu gefährlich, allein durch die Wälder zu reiten. Doch Zandurion ließ sich nicht aufhalten. Nachdem er seine Proviantvorräte aufgefüllt hatte, ritt er weiter in Richtung Norden.
Zandurion passierte zahlreiche Ruinen. Während von den Holzhütten nur verkohlte Balken in den Himmel ragten, waren an manchen Stellen noch die Grundmauern einiger Häuser zu erkennen. Das musste Rasgar sein. Die Jäger hatten ihm von diesem Ort berichtet. Es war eine der ersten Siedlungen, welche den Angriffen der Tiermenschen zum Opfer fiel.
»Zum Gedenken an die Opfer jener Nacht, welche kein Einwohner des Dorfes überlebte. Mögen ihre Seelen in Frieden ruhen und Kor, unser gütiger Herrscher ihnen Gnade gewähren«, war auf einem verwitterten Holzschild zu lesen.
Zandurion ließ seinen Rappen beschleunigen. Er wollte diesen unheilvollen Ort schnell hinter sich lassen.
Ehrfurchtsvoll blickte er an den Hängen des Gebirgszuges hinauf. Hier also verbarg sich die Finsterklamm. Am Fuße des Berges stieg das Gelände nur leicht an. Weite grüne Bergwiesen wurden lediglich durch einige Baumgruppen unterbrochen.
Die ersten Höhenmeter würde sein Hengst problemlos überwinden können, dann würde er ihn allerdings zurücklassen müssen.
Die Stille der Bergwiesen zerriss. Die Erde bebte und das Schlagen lauter Trommeln erfüllte die klare Luft. Zandurion blickte sich erschrocken um. Die Geräusche kamen aus einem nahegelegenen Taleinschnitt. Er band sein Pferd in der Nähe einer Baumgruppe fest, dann schlich er vorsichtig zu einem Platz, an dem er das Tal gut überblicken konnte.
Der Anblick überwältigte ihn. Dort unten hatte sich eine ganze Armee der Zwerge in Marsch gesetzt. Wie ein riesiger Wurm schlängelte sich der Heerkörper durch das enge Tal. Die Zwergenkrieger trugen allesamt schwarze Kettenhemden und Helme, welche mit goldenen Symbolen verziert waren. Sie waren mit gewaltigen Hämmern und doppelseitigen Äxten bewaffnet. Es musste sich um mindestens fünfhundert Krieger handeln!
Aber wen oder was wollten die Zwerge mit dieser Streitmacht angreifen? Zandurion beschloss seinen Aufstieg fortzusetzen. Die Entdeckung der Zwergenarmee ließ ihn wenigstens darauf hoffen, dass sich hier keine Tiermenschen herumtreiben würden.
Zandurion befestigte das dicke Seil an einem geeigneten Baumstamm. Mit einem kräftigen Ruck testete er noch einmal den korrekten Sitz des Knotens. Dann schlang er sich das Seil um die Hüfte und begann den schwierigen Abstieg in die breite Klamm. Er atmete auf, als er endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Zahlreiche Wachposten der Zwerge hatten ihn während seines Abstieges wahr genommen, ihn jedoch ohne ein Wort gewähren lassen.
Vor ihm hatte sich ein breitschultriger Zwerg mit einem vollen schwarzen Bart aufgebaut.
»Ihr werdet bereits erwartet«, presste er kalt hervor.
Zandurion folgte dem Zwerg durch ein gigantisches Höhlensystem. Es musste eine Ewigkeit gedauert haben, die Gänge aus dem Fels zu hauen. Überall konnte man das düstere Grollen der Klamm vernehmen. Zahlreiche Kanäle führten das klare Wasser ins Innere der Festung.
Schließlich betraten sie eine Halle überirdischen Ausmaßes. Zandurion war es nicht möglich die Höhe der kunstvoll verzierten Kuppel zu schätzen. An den Wänden hingen prächtige Schilde und Waffen. Große Wandteppiche zeigten die Szenen vergangener Schlachten. Zandurion fühlte sich schlagartig in die Halle eines Gottes versetzt.
Auf dem goldenen Thron saß ein grimmig dreinblickender Zwerg. Sein Bart war grau und er hatte ihn zu mehreren Zöpfen geflochten, welche ihm bis über den Gürtel reichten.
Langsam schritt Zandurion über den Fußboden aus Achatstein, den man mühevoll blank geschliffen hatte.
»Euer Majestät, Thorgrim Zorkobram vom Volke der Xorlosch, erhabener Bergkönig und Einiger der Stämme. Der Vertreter des Menschenvolkes«, ließ sich der breitschultrige Zwerg vernehmen.
Der Zwergenkönig musterte ihn abfällig.
»Ihr seid also dieser Zandurion? Nun, wie ein Soldat seht ihr ja nicht gerade aus.«
Zandurion vermied den direkten Blickkontakt.
»Hattet ihr eine angenehme Reise? Wir hatten euch bereits vor zwei Sonnenläufen erwartet!«
»Vergebt mir, eure Majestät. Wir wurden von einer Gruppe Eisbarbaren angegriffen. Wir konnten uns ihrer Überzahl zwar erwehren, doch trugen wir auch einige Wunden davon.«
»Wen meint ihr mit „wir“? In den Botschaften eures Königs war nur von einem Mann die Rede gewesen«, fragte der Zwerg misstrauisch.
»Ich meinte mich und meinen treuen Hengst, euer Majestät.«
»Das sieht euch Menschen ähnlich. Ihr stellt euch auf eine Stufe mit euren Nutztieren.«
Der Zwerg ließ ein tiefes Lachen erklingen. Zandurion erinnerte es mehr an ein Gurgeln.
»Aber lasst uns zum Thema kommen, Soldat. Ich habe mich mit den weisesten Männern unseres Stammes beratschlagt. Ihr Menschen lebt in den Tag hinein, ohne die Dinge zu hinterfragen. Alle Völker, welche schon länger hier auf Myanvar leben, kennen die Geheimnisse der Erde. In den Tiefen ruht eine gewaltige Macht. Noch nicht einmal wir Zwerge wissen, woher sie kommt, oder wem sie dienen soll. Es ist wichtig, mit ihr in Einklang zu leben.«
Der Zwerg machte eine Pause und nippte an einem massiven Tonkrug. Dann setzte er seine Erzählung fort.
»Mein Volk spürte diese Präsenz. Die besten Schmiede und Druiden der Zwergenklans kamen zusammen. Viele Monde hielten sie ihre Rituale ab. Schließlich schenkte ihnen Abrakasch die Erleuchtung. Bis heute ist es uns unmöglich die reine Energie zu nutzen. Wir benötigen dafür wertvolle Artefakte. Sie funktionieren als eine Art Kanal. Warum diese Macht euch Menschen auf diese Art und Weise heimsucht ist uns ein Rätsel. Ihr müsst lernen diese Energien zu kontrollieren, oder es wird ein übles Ende nehmen. Der einzige, der euch dabei helfen kann, lebt hoch oben im Gebirge. Er ist ein Runenmeister der alten Zeit. Bittet ihn um Rat, vielleicht weiß er die Lösung!«
Zandurion atmete tief ein.
»Verzeiht, euer Majestät, aber darf ich euch eine Frage stellen?«
Der König nickte.
»Auf dem Weg hier her traf ich auf ein gewaltiges Zwergenheer. Alle Krieger waren für einen Kampf gerüstet. Wohin zieht diese Streitmacht? Wer wäre so töricht euer Volk zu fordern?«
Thorgrim rutschte unruhig auf seinem Thron hin und her.
»Die Rasresch haben unsere Minen im Norden angegriffen. Einige ihrer Stämme befinden sich im Aufruhr. Kundschafter haben mir mitgeteilt, dass sich ein Häuptling als Auserwählter ausgibt. Er versucht die aufständischen Stämme zu vereinen.«
Als der König den fragenden Blick Zandurions bemerkte fügte er hinzu:
»Ich glaube ihr Menschen nennt sie Tiermenschen.«
Der junge Soldat erschauderte. Die Tiermenschen griffen nicht nur die Menschensiedlungen an, sondern waren auch so dreist einzelne Zwergenposten zu plündern. Was würde passieren, wenn es diesem Häuptling wirklich gelang die Stämme zu vereinigen?
»Was treibt dieses Volk? Ist es nur der Hass und der Blutdurst? Kor, unser weiser Herrscher, wird eine gerechte Strafe für diese Mörder ersinnen!«
»Haltet ein!«
Die Augen des Zwerges funkelten bedrohlich.
»Ihr Menschen seid so ignorant. Ihr urteilt über die anderen Völker, als wäret ihr der Kern der Welt. Erkennt ihr nicht, dass ihr der Grund für die Vorgänge auf Myanvar seid? Eure Ankunft hat das Gleichgewicht des Landes gestört. Die Rasresch suchen nach neuen Jagdgründen, da ihr Menschen ihren natürlichen Lebensraum zerstört! Die Holzfäller der Nordmark roden die großen Wälder ohne Rücksicht auf Verluste. Was denkt ihr, warum die „Eisbarbaren“, wie ihr sie nennt, so weit im Süden sind? Sie liefern sich erbitterte Kämpfe mit den Rasresch um Land und Wild. Daran seid ihr Menschen schuld! Doch ihr wälzt es auf die euch fremden Völker ab.«
Zandurion schwieg. Er musste erst verdauen, was er gerade gehört hatte.
»Verlasst nun meine Halle, Farold wird euch auf dem Weg zum Gipfel begleiten.«
Zandurion verneigte sich noch einmal. Dann verließ er die Halle, den bohrenden Blick König Thorgrims in seinem Rücken.
Wie Zandurion erwartet hatte, stellte sich Farold als eher ungeselliger Begleiter heraus. Er sprach nur das Allernötigste und wies den Soldaten ab und an auf mögliche Gefahren hin.
Für ihre Expedition zum Gipfel hatte sich der Zwerg in einen leichten Lederharnisch gehüllt und trug einen dazu passenden Helm. Anscheinend wollte er auf das schwere Kettenhemd verzichten, um beweglicher zu sein. Anders verhielt es sich allerdings mit seinem groben Kriegshammer, den er sich auf den Rücken geschnallt hatte.
Farold hielt inne und deutete mit seinem Zeigefinger auf einen Höhleneingang direkt vor ihnen.
»Da müssen wir durch, Mensch! Es ist der schnellste Weg zum Gipfel. Wenn wir drin sind wirst du schön an meiner Seite bleiben. Wir wollen ja nicht, dass dir was zustößt.«
Der junge Soldat blickte den Zwerg zögernd an.
»Was ist los, Mensch? Hast du etwa Angst vor der Dunkelheit? Ich werde schon auf dich aufpassen!«
Farold lächelte, dann setzte er seinen Weg fort. Zandurion folgte ihm in einiger Entfernung. Kalte feuchte Luft stieg in die Nase der beiden Weggefährten. Tief aus der Höhle konnte man Flügelschläge vernehmen.
»Was ist los«, fragte der Zwerg gereizt, als er bemerkte, dass Zandurion ihm nicht folgte.
»Wollen wir keine Fackel entzünden? Ich sehe meine Hand vor Augen nicht.«
»Erstens reicht es aus, wenn ich den Weg sehe und außerdem wird uns dann auch niemand sehen können. Du solltest mir vertrauen, Soldat.«
Widerwillig folgte Zandurion seinem Begleiter. Dabei verließ er sich nur auf sein Gehör und seinen Instinkt. Immer wieder verpasste er Farold versehentlich Tritte, worauf er sich die bitterbösen Kommentare des Zwergs gefallen lassen musste.
Zandurion hatte das Gefühl, sein kleiner Gefährte wollte ihm die Reise so unangenehm wie möglich gestalten. So vermied er es Zandurion auf hervor ragende Felskanten hinzuweisen, an denen er sich schmerzhafte Schrammen holte.
Der junge Soldat malte sich das schadenfrohe Gesicht des grimmigen Zwerges aus, wenn er Zandurion wieder einmal aufstöhnen hörte.
Einige Zeit später vernahm er Wasserrauschen.
»Farold, was ist das hier? Gibt es hier drinnen eine Quelle?«
»Ja, die gibt es. Darum wird der Boden jetzt feuchter und du solltest aufpassen wo du hintrittst.«
Endlich war der Ausgang zu erkennen. Zandurion rieb sich den Ellenbogen. Natürlich konnte er es nicht verhindern, auf dem glatten Boden auszurutschen. Wieder einmal hatte Farold nicht auf einen grimmigen Kommentar verzichtet.
Glücklich sog Zandurion die frische Höhenluft in sich ein. Die Sonnenscheibe verwöhnte die Bergspitzen und die Aussicht war unglaublich. Zandurion glaubte ganz Myanvar überblicken zu können.
Farold zeigte sich jedoch vollkommen unbeeindruckt.
»Verdammt«, der Zwerg spuckte aus und spähte in die Höhe. Zandurion folgte seinem Blick.
»Was in Kors Namen?«
Farold hatte seinen schweren Kriegshammer gepackt.
»Dein Gott wird dir jetzt nicht helfen, Mensch! Pass auf, dass dich die Kreatur nicht den Abhang hinunterstürzt! Lass sie nicht aus den Augen und beweg dich langsam vorwärts. Wir müssen uns eine Deckung suchen, hier auf dem Grat sind wir ihr ausgeliefert.«
Zandurion pirschte vorwärts. Besorgt nahm er wahr, wie die Kreatur ihre Kreise immer enger um die beiden Gefährten zog. Jetzt konnte er schon genaueres erkennen. Sie war von ledriger brauner Haut überzogen. Ihre Flügel hatten eine Spannweite von mindestens drei Schritt. Der Körper war dem eines Menschen nicht unähnlich, aber weitaus graziler. Den Kopf des Monstrums schmückten vier gewundene Hörner.
»Pass auf, Farold!«
Mit einem durchdringenden Schrei hatte der Angreifer zum Sturzflug angesetzt. Scheinbar hatte sie sich den Zwerg als erstes Ziel ausgewählt.
Farold sprang behäbig zur Seite und entging nur knapp den schlanken Klauen. Dafür traf sein Hammer die Bestie auf Höhe des Knöchels. Ein wuterfüllter Schrei erklang.
Mit kräftigen Flügelschlägen gewann das Wesen wieder an Höhe. Aber den beiden blieb keine Zeit zum Verschnaufen.
Wieder segelte die Bestie auf den Zwerg zu. Doch diesmal änderte sie ihre Taktik. Kurz bevor sie Farold erreichte, flog sie einen engen Bogen und streifte Zandurion an der Schulter. Der Soldat verlor das Gleichgewicht und kippte vornüber. Einige Schritt rutschte er den Abhang hinunter, bevor er sich endlich an einem kleinen Vorsprung festhalten konnte.
Die geflügelte Kreatur wandte sich währenddessen dem Zwerg zu. Farold versuchte sie mehrmals mit dem Kriegshammer zu erwischen, aber die schwere Waffe war einfach zu langsam, um der Kreatur Schaden zuzufügen. Spielerisch umkreiste sie ihn und ihre Krallen schlugen immer wieder aus einer anderen Richtung zu. Sorgenvoll blickte der Zwerg zu dem Abhang.
Zandurion versuchte sich mit aller Kraft nach oben zu ziehen. Wenn der kleine Steinvorsprung nachgab, würde er in die Tiefe stürzen.
»Brauchst du Hilfe, Soldat?«
Zandurion blickte nach oben. Das war doch nicht möglich! Konnte das Frikas Stimme gewesen sein? Schon fiel ein Seil nach unten. Zandurion ergriff es, prüfte mit einem Ruck seine Festigkeit und kletterte dann nach oben.
Auf dem Grat angelangt entdeckte er die Gauklerin. Sie stand nahe dem Baum, an dem sie das Seil festgemacht hatte.
»Hast du mich vermisst«, fragte sie zwinkernd.
Zandurion musterte sie nur kurz. Entschlossenen Schrittes näherte er sich den beiden Duellanten. Der Zwerg kämpfte immer noch tapfer, obwohl seine Bewegungen weiter an Kraft verloren hatten.
Zandurion zog seine Klinge. Die Kreatur schien den Neuankömmling in ihrem Rücken nicht zu bemerken.
»Kor, schütze mich und bestrafe das Böse!«
Mit einem gewaltigen Satz sprang Zandurion nach vorn und bohrte der Bestie sein Schwert durch den Körper. Die Kreatur wurde vom Schmerz geschüttelt. Wild schlug sie mit den Flügeln, doch ihre Kräfte reichten nicht, um an Höhe zu gewinnen. Unbarmherzig klammerte sich der junge Soldat an den Griff seines Schwertes und hinderte das Monster somit an der Flucht.
Nach einiger Zeit des Widerstandes wurden die Flügelschläge des unheimlichen Wesens schwächer.
»Was machst du hier«, knurrte Zandurion Frika an.
»Dir den Hintern retten. Ohne mich hätten du und dein Freund ganz schön schlecht ausgesehen. Du darfst dich aber später bei mir bedanken, jetzt sollten wir erstmal sehen wie wir hier wegkommen!«
Schon legte sie sich das Seil über die Schulter und stolzierte hocherhobenen Hauptes den Pfad entlang.
Zandurion bemerkte den fragenden Blick des Zwerges.
»Das ist eine lange Geschichte«, seufzte er.
Die nun dreiköpfige Gruppe hatte ihr Nachtlager unter einem Felsvorsprung errichtet. Ein kleines Feuer spendete Wärme. Versonnen betrachtete Zandurion seine Retterin. Diese bemerkte seine Blicke, ließ sich allerdings nichts anmerken.
»Ihr beiden kennt euch also«, durchbrach der Zwerg die Stille.
»Nur flüchtig«, warf Frika beiläufig zurück.
»Was war das denn für ein Biest, was euch beiden da oben nach dem Leben getrachtet hat?«
Farolds Miene versteinerte sich.
»Ich weiß es nicht. Selbst die weisesten Druiden unseres Stammes wissen die Zeichen unserer Zeit nicht zu deuten. Es tauchen immer wieder neue Kreaturen auf, deren Ursprung im Dunkeln liegt. Wir wissen nicht was sie wollen. Sie scheinen getrieben vom Hass. Selbst die Rasresch haben Angst vor diesen Wesen.«
Die beiden Menschen schwiegen.
»Da gibt es noch etwas, was mich interessiert«, sagte Zandurion.
»Wie bist du eigentlich hier hoch gekommen, Frika? Farold sagte, es würde einem nicht gut bekommen, in der Höhle eine Fackel zu entzünden.«
Die junge Gauklerin machte ein überraschtes Gesicht.
»Höhle? Ich habe den Bergpfad genommen.«
Farold blickte beschämt zu Boden.
Vor den drei Gefährten erstreckte sich eine weite Ebene. Auf diesem Felsplateau sollten sie den Runenmeister finden. Eine seltsame Stille herrschte hier oben. Während des Aufstiegs waren sie ständig von kräftigen Windböen gemartert worden. Doch hier regte sich nichteinmal ein kleines Lüftchen. Die Augen der beiden Menschen weiteten sich. Eine kleine bronzene Feuerschale schwebte vor ihre Gesichter. Eine einzelne Flamme tanzte in ihr, es war jedoch kein brennbares Material zu entdecken.
»Er weiß, dass wir hier sind«, bemerkte Farold.
Langsam setzte sich die Feuerschale in Bewegung. Die Gruppe folgte ihr. Sie betraten eine kleine Kammer, welche in den Stein gehauen war.
»Hier ist er nicht«, stellte Frika fest.
Die kleine Flamme flog zu einem niedrigen Tunnel in der Rückwand.
»Da soll ich durch? Ich bin doch keine Ratte!«
Als Frika sah, wie sich zuerst der Zwerg und dann auch Zandurion durch den engen Spalt quetschten, zuckte sie mit den Schultern und tat es ihnen gleich.
Ein ovaler Raum lag vor ihnen. Die Wände schimmerten rötlich. Die kleine Feuerschale gesellte sich zu unzähligen weiteren ihrer Art. Die Luft war heiß und stickig.
Farold sank auf die Knie.
»Seid gegrüßt, Bruder.«
Eine kleine rundliche Gestalt betrat die Szenerie. Sie war etwa so groß wie Farold, doch hatte sich in eine schwarze Kutte gehüllt. Eine weite Kapuze verdeckte den größten Teil des Gesichtes, nur ein wallender grauer Bart war zu sehen.
»Seid gegrüßt, weißer Drache.«
Farolds Stimme hatte einen bisher ungekannten unterwürfigen Tonfall angenommen.
»Folge mir«, richtete sich der Verhüllte an Zandurion.
Sie betraten einen kleinen Raum. Im Inneren fand sich nur ein hölzerner Tisch und zwei Stühle. Der Runenmeister zeigte auf den Stuhl. Zandurion kam der Aufforderung nach.
»Trink!«
Zandurion fasste den großen Krug zögerlich. Dann hob er ihn jedoch an die Lippen. In einem einzigen Zug leerte er das Gefäß. Der Inhalt schmeckte furchtbar bitter und löste bei Zandurion einen heftigen Hustenkrampf aus.
Der Zwerg mit der Kutte hatte es sich auf dem zweiten Stuhl bequem gemacht und stimmte nun einen fremden kehligen Singsang an.
Zandurion lief der Schweiß. Was geschah hier? Der eigensinnige Rhythmus schien sich direkt in sein Innerstes zu brennen. Er spürte sein Blut im Kopf sieden. Wieder schüttelte ihn ein kräftiger Husten. Zandurion musste sich übergeben.
Dann fiel er. Nichts bremste ihn. Immer weiter stürzte er hinab.
Die Gauklerin ging aufgeregt auf und ab.
»Verdammt noch mal, wie lange sollen wir denn noch warten. Die beiden sind jetzt schon eine halbe Ewigkeit da drinnen.«
Farold schien die Gauklerin gar nicht wahrzunehmen und schnitt sich ein weiteres Stück Käse ab.
»Ihr Menschen seid so furchtbar ungeduldig. Vielleicht liegt es ja daran, dass euch eure armseligen Götter nur so eine kurze Zeit vergönnen.«
»Wen nennst du hier armselig, du …«
Plötzlich öffnete sich die Tür zum Nachbarzimmer. Die beiden Streithähne blickten erschrocken auf.
Zuerst betrat Zandurion den Raum. Sein Gesicht war erschreckend bleich. Seine Augen stierten ins Leere. Auf seiner rechten Schläfe befand sich ein rotes Feuermal.
»Geht jetzt«, erschallte die Stimme des Runenmeisters.
»Ich habe alles in meiner Macht stehende getan. Für die Dinge, die von nun an geschehen, wird er selbst verantwortlich sein. Seine Seele ist schwach und zernagt von Selbstzweifeln, aber ich habe tief in seine Gedanken geschaut. Er ist würdig.«
Farold verneigte sich, dann stützten die beiden Zandurion und brachten ihn nach draußen.
»Wir sollten ein Lager aufschlagen, in seinem Zustand überlebt er den Abstieg niemals«, sagte Farold und deutete auf Zandurions verkrampftes Gesicht.
Frika nickte nur stumm.
Als der junge Soldat erwachte, standen die beiden Monde schon hoch am Himmel. Ein fürchterlicher Schwindel quälte seinen Kopf. Frika war damit beschäftigt, ihm den Schweiß aus dem Gesicht zu waschen. Zärtlich fuhr sie ihm von der Stirn über die markanten Kiefer. Die Ruhe der Nacht wurde nur durch das dröhnende Schnarchen Farolds gestört.
»Wie geht es dir, Zandurion? Ist alles in Ordnung mit dir?« Frika hatte die Frage mehr geflüstert als gesprochen. Sie schien sich wirklich Sorgen um ihn zu machen.
»Hab mich schon besser gefühlt«, presste er hervor.
»Was ist da drin passiert? Spürst du irgendeine Veränderung?«
»Ich weiß es nicht. Alles ging so furchtbar schnell. Es war wie in einem intensiven Traum. Ich bin wahnsinnig tief gefallen und dann habe ich dieses rote Licht gesehen. Aber es war kein normales Licht, es pulsierte, es lebte. Es tastete nach mir. Ich hatte Angst, Frika.«
Zärtlich strich sie ihm durch das dunkle lange Haar.
»Alles wird gut.«
Zandurion schaute ihr tief in die Augen.
»Weißt du, ich bin sehr froh, dass du hier bei mir bist.«
Sie tastete mit dem Zeigefinger nach dem Mal an seiner Schläfe. Es war merkwürdig geschwungen und hatte Ähnlichkeit mit einem Stern. Zandurion zuckte zusammen.
»Tut es weh, wenn ich es berühre?«
»Nein, aber es fühlt sich sehr eigenartig an. So als würde die Berührung meinen ganzen Körper durchfahren.«
»Du solltest dich jetzt noch etwas ausruhen. Mach dir keine Sorgen, ich werde Wache halten. Der Dicke da drüben ist zur Not ja auch noch da.«
Aufmunternd zwinkerte sie ihm zu.
Am nächsten Morgen brachen die drei Gefährten sehr früh auf. Trotz des schönen Wetters war die Stimmung eher gedrückt. Selbst der Zwerg hielt sich mit seinen Kommentaren über das Menschengeschlecht zurück.
»Was wollt ihr jetzt tun ihr beiden«, machte er seinen Gedanken Luft.
»Ich meine, was ist denn jetzt nun mit deinen Fähigkeiten? Hat dich der weiße Drache von ihnen befreit? Oder bist du jetzt sogar fähig sie zu kontrollieren?«
»Dräng ihn doch nicht so«, warf Frika ein.
»Nein, seine Frage ist berechtigt. Ich habe sie mir auch schon mehrmals gestellt. Der Runenmeister hat mich aber im Unklaren gelassen. Ich spüre immer noch dieses Brennen in mir. Die fremde Präsenz scheint immer noch da zu sein.«
»Lassen wir es doch auf einen Versuch ankommen«, brummte der Zwerg und rieb sich das massive Kinn.
»Du meinst …«
»Genau das!«
Die Gruppe ging zu dem kleinen Bergsee. Das Wasser war glasklar und spiegelte die Gesichter der Gefährten.
Zandurion blickte auf seine Hand und konzentrierte sich. Die anderen beiden hielten gespannt den Atem an. Langsam kniete er sich nieder und streckte seine Finger. Sie berührten die Wasseroberfläche. Nichts geschah. Enttäuscht wandte er sich wieder seinen Begleitern zu.
»Scheint nicht zu funktionieren. Lasst uns weitergehen.«
Die Sonnenscheibe schien unbarmherzig auf die Köpfe der drei Reisenden. Mittlerweile waren sie ein gutes Stück vorangekommen. Ohne ein Anzeichen blieb Farold plötzlich stehen. Frika, die beinahe über ihn gefallen war, wollte gerade zu einer Schimpftirade über das Zwergenvolk ansetzen. Zandurion hinderte sie jedoch, in dem er ihr die Hand auf den Mund presste. Mit einem kurzen Nicken gab er ihr zu verstehen, was der Grund des Zwerges gewesen war. In einiger Entfernung konnte man mehrere menschliche Schemen entdecken.
»Freunde von euch«, fragte der Zwerg.
»Nicht das ich wüsste«, entgegnete Zandurion.
»Kennst du noch einen anderen Weg? Ich glaube nicht, dass sich Händler oder Reisende ins Hochgebirge verirren. Selbst die Holzfäller und Jäger der Nordmark meiden diese Gegend.«
»Seht doch, sie haben uns bemerkt«, meldete Frika.
In die fremde Gruppe war Bewegung gekommen. Schnellen Schrittes bewegte sie sich auf die drei Gefährten zu. Es handelte sich um etwa zehn Personen.
»Verdammt, was sollen wir jetzt machen«, fragte Frika ängstlich.
»Zandurion geht immer noch am Stock. Es wird ihnen ein Leichtes sein uns einzuholen.«
»Wir müssen uns abseilen.«
»Bist du verrückt geworden Zwerg? Zandurion kann sich kaum auf den Beinen halten und du willst hier eine Kletterpartie veranstalten?«
»Ich gehe davon aus, dass du eine bessere Idee hast, wie wir von hier wegkommen? Kämpfen fällt in dieser Unterzahl aus, obwohl ich es auf einen ehrenhaften Kampf ankommen lassen würde, aber bei euch Menschen muss man sich ja auch vor Wurfdolchen im Rücken hüten …«
»Wollt ihr das hier jetzt noch ausdiskutieren«, mischte sich Zandurion ein.
»Zurück zum Plateau schaffen wir es niemals. Macht was ihr wollt, aber ich verschwinde nach unten.«
»Sag ich doch«, grinste der Zwerg.
In Windeseile hatten die drei ihre Seile befestigt und stiegen die ersten Schritte hinab. Zandurion kam aufgrund seines körperlichen Zustands allerdings nur sehr langsam voran. Immer wieder rutschte er weg und hielt sich nur mit großer Mühe auf den Beinen.
»Mit dem Burschen wird das nichts«, bemerkte Farold und blickte besorgt zu den dunklen Gestalten, welche ihren Vormarsch weiter beschleunigt hatten.
»Frika, die werden uns die Seile kappen und dann segeln wir in die Tiefe! Ich werde sie daran hindern. Wartet nicht auf mich und bringt euch in Sicherheit!«
»Farold, das ist Selbstmord«, schrie die junge Gauklerin.
»Als ob ein Zwerg sich von ein paar Menschen besiegen lassen würde. Wir sehen uns in der Finsterklamm! Und pass gut auf deinen Freund auf!«
Farold spuckte aus und kletterte mühsam wieder nach oben.
Über ihnen tobte der Kampfeslärm. Frika und Zandurion schirmten ihre Augen vor dem grellen Licht und versuchten etwas zu erkennen.
Da kamen die ersten schwarzen Gestalten an den Seilen herunter. Fieberhaft suchten die beiden nach einer Fluchtmöglichkeit. Zandurion wurde fündig.
»Da drüben ist ein Höhleneingang! Vielleicht ist es ein Tunnel!«
»Und was wenn es nur eine Höhle ist? Dann sitzen wir in der Falle! Wir hätten gemeinsam mit Farold sterben sollen.«
»Du hast doch gehört was er gesagt hat, wir treffen uns in der Finsterklamm! Mach schon Frika, eine andere Möglichkeit bleibt uns nicht.«
So schnell es ihnen möglich war, versuchten die beiden den Höhleneingang zu erreichen. Immer wieder blickten sie sich gehetzt um.
»So schnell wie die klettern, muss es sich um Söldner oder andere professionelle Krieger handeln.«
»Oh ja, mach mir ruhig etwas Mut, Zandurion!«
Die beiden Verfolger hatten nun bereits einiges an Boden gewonnen. Zandurion und Frika hatten den Eingang der Höhle endlich erreicht.
»Dort hinten kommen schon weitere Gestalten«, brüllte Frika.
Die Dunkelheit der Höhle umschloss sie. Vorsichtig tasteten sich die beiden vorwärts.
»Lass uns hoffen, dass die keine Fackeln dabei haben und hier drinnen genau so blind sind wie wir«, sagte Zandurion.
»Sei mal leise!«
»Was ist?«
»Spürst du das auch?«
»Was denn?«
»Hier gibt es einen Luftzug! Das heißt es muss einen weiteren Zugang geben!«
Grob packte Frika ihn an der Hand und stürmte vorwärts. Dann bemerkten die beiden das Licht in ihren Rücken.
Frika hatte ihre Schritte noch beschleunigt, doch zum einen konnte Zandurion nicht mit ihr mithalten und zum anderen mussten sie sich ständig vor vorstehenden Felsen in Acht nehmen. Das Licht kam immer näher. Sie konnten bereits die Schritte ihrer Verfolger hören.
Frika wurde mit einem Ruck zurückgerissen. Zandurion war einfach stehen geblieben.
»Es hat keinen Sinn, Frika. Sie sind schneller als wir. Versuch du es weiter, ich werde versuchen sie aufzuhalten!«
»Auf keinen Fall, ich lasse dich nicht allein.«
Frika kämpfte mit den Tränen. Dann fasste sie Zandurions Kopf mit beiden Händen und gab ihm einen zärtlichen Kuss.
»Ich weiß ich bin nur eine kleine Diebin und du bist ein Soldatenhauptmann …«
Zandurion presste ihr seinen Zeigefinger auf die Lippen, dann küsste er sie noch einmal. Der junge Soldat atmete tief durch und zog sein Schwert.
»Für Kor …«, flüsterte er.
Die Verfolger hatten das Paar erreicht. Zwei schwarz gewandete Männer bauten sich vor ihnen auf. Beide richteten ihre Klingen auf Zandurion.
»Legt eure Waffe nieder! Ergebt euch und dem Mädchen wird nichts passieren. Versucht euch zu wehren und keiner von euch beiden wird das hier überleben.«
Der jüngere Mann, der die Aufforderung geäußert hatte, funkelte bedrohlich mit den Augen.
»Was wollt ihr denn mit ihm«, schrie Frika ihre Wut heraus.
Die beiden Männer lächelten. Weitere Schritte waren in der Höhle zu vernehmen.
»Nun, genau genommen wollen wir gar nichts mit ihm. Eher unser Auftraggeber. Obwohl, der will eigentlich auch mehr etwas aus ihm.«
Zandurion erstarrte. Er hatte die Worte des Mannes sofort verstanden. Es ging um seine Fähigkeiten! Was würde passieren, wenn sie in die falschen Hände gelangten? In einem Instinkt fasste er den Griff seines Schwertes fester.
Wieder lachten die Männer lauthals auf.
»Seid doch nicht so stur. Wir sind euch zahlenmäßig überlegen. Meine Leute sind ausschließlich erfahrene Schwertkämpfer.«
Zandurion ließ sein Schwert fallen. Seine Arme krampften. Wieder einmal schüttelten ihn kräftige Würgekrämpfe. Schmerz durchfuhr seinen Kopf. Zandurion spürte die Quelle des Schmerzes. Schnell presste er seine Hand auf die Schläfe.
Eine gewaltige Mauer aus Eis wuchs aus dem Boden. Immer weiter trennte sie Zandurion und Frika von ihren Verfolgern ab. Als sie endlich den ganzen Gang verschlossen hatte, sank Zandurion auf die Knie. Frika war schnell bei ihm und hielt seine Hand. Verspielt lächelte er ihr zu.
»Na, war ich gut?«
Überschwänglich presste sie ihm einen Kuss auf die Lippen.
»Lass uns schnell von hier verschwinden, Eisklotz!«
Die beiden hatten den Tunnel schon seit einiger Zeit hinter sich gelassen. Immer näher kamen sie der Finsterklamm, jederzeit auf der Hut vor ihren Verfolgern.
»Was sollen wir jetzt tun Zandurion? Wer weiß, wer es jetzt noch alles auf dich abgesehen hat.«
»Weißt du, um mich mache ich mir da weniger Sorgen. Es gibt da draußen noch viele andere mit dieser Gabe. Ich werde demnächst zum weißen Drachen zurückkehren und ihn bitten mich in seine Geheimnisse einzuweihen. Ich werde den Menschen helfen, ihre Kraft zu kontrollieren und sie lehren, sie zum Guten einzusetzen!«
Frika zog einen Schmollmund.
»Ich komme wohl in deiner Zukunftsplanung überhaupt nicht vor?«
Zandurion lächelte.
»Naja, jeder Gelehrte hat ja bekanntlich seinen buckligen Gehilfen …«
Spielerisch schlug sie ihm gegen die Schulter, dann umarmten sich die beiden.
Frika wurde wieder ernst.
»Denkst du, dass wir Farold wieder sehen? Ich hatte mich nämlich gerade an den dicken Grollbart gewöhnt.«
»Da bin ich mir ganz sicher!«