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Zehn Stockwerke
Vor vier Jahren hatte er den Hausmeisterposten bekommen und damit Zugang zu allen Bereichen - in dem zehnstöckigen Haus.
Man vertraute ihm. Immer hatte er einen kleinen Witz auf Lager. Machte Komplimente. Die Frauen mögen das. Manchmal hatte er sogar das Gefühl, sie sind auf Bettgeschichten mit ihm aus - aber so einer war er sicher nicht.
Davor hatte er viel zu grossen Respekt.
Er war eher der stille Geniesser.
Besonders stolz war er auf seine Kameraüberwachung, die er ohne Wissen der Eigentümer an den verschiedensten Stellen installiert hatte. Wenn er Pause hatte, dann gab es für ihn nur einen einzigen Ort.
Showroom - so nannte er den seperaten Teil im Keller, zu dem nur er Zutritt hatte. Dort stand der Monitor, an den alle Aufzeichnungen seiner Kameras per Funk übertragen wurden.
Er machte sich dann immer eine Tasse Kaffee und kuckte Leute - wie er es nannte.
Angefangen hatte es ja ganz harmlos - damals vor 30 Jahren - als sie noch keinen Fernseher hatten. Da konnte man nur aus dem Fenster schauen, wenn man etwas sehen wollte. Gegenüber beobachtete er immer das kleine Nachbarmädchen, wie es von seiner Mutter ins Bett gebracht wurde. Sie las eine Geschichte vor, gab ihm einen Gutenachtkuss und löschte dann das Licht.
So hatte er sich das auch immer gewünscht, aber seine Mutter war Kellnerin und kam immer erst gegen vier Uhr Morgens.
Irgendwann hatte er sich dann verliebt in das Mädchen. Aber er hatte sich nie getraut, es anzusprechen.
Ihm reichte es, durch das Fenster zu schauen.
Er besorgte sich im Laufe der Zeit ein Fernglas und er bekam Spass daran, anderen Leuten ins Fenster zu schauen. Später, als er schon ausgezogen war hatte er ein ganzes Zimmer voll Technik. Kameras, Infrarot, Periskope, Mikrofone - als Agent hätte er es weit bringen können.
Und dann bekam er den Job in diesem Haus. Wie lang hatte er darauf hingearbeitet, endlich etwas anständiges zu bekommen.
Die Übertragunssysteme zu installieren, war für ihn eine Kleinigkeit.
Das Sahnestück seiner kleinen technischen Manipulationen war aber ohne Zweifel der Aufzug. Dort hatte er die elektronische Anlage so umgeändert, das bei Überschreiten eines bestimmten Gewichts der Lift rasant nach unten schoss, um dann mitten zwischen zwei Stockwerken hängenzubleiben.
Natürlich videoüberwacht - mit Ton.
Das Weisse in den Augen, Schreie wie Sirenen, nasse Hosen - die panische Reaktion der Menschen bereitete ihm immer wieder die allergrösste Freude.
Natürlich wurde er als Held gefeiert, wenn er höchstpersönlich den Lift wieder in Betrieb setzte und die Reperatur selber übernahm. Er durfte das - dafür hatte er extra eine Ausbildung.
Nur zu oft durfte er den Fehler nicht aktivieren, sonst würden sie misstrauisch - die Menschen.
Heute war es mal wieder soweit. Er hatte seine Funktion im Lift aktiviert und machte es sich gerade gemütlich vor dem Monitor - da bekam er diesen Anruf, dass die Toilette verstopft sei.
Es ist immer das Appartement, dessen Besitzer unglaublich viele Salzwasseraquarien hat. Manchmal wirft er die kranken Fische einfach ins WC und einige Zeit später kommt dann der Anruf. Dank seiner Kameras wusste er schon immer vorher, was passieren wird. Er musste nur aufpassen, dass er sich nicht verplapperte.
Es ärgerte ihn ein bisschen, dass er jetzt nicht die Schlafzimmer und Bäder seiner Mieterinnen durchscannen konnte - ganz zu schweigen von dem Spektakel im Lift. Aber dafür war auch noch danach Zeit.
Er holte sein Tasche und begab sich auf den Weg in den zehnten Stock.
Als erfahrener Hausmeister kannte er die übliche Methode, die immer schon funktioniert hatte - ausser, als einer mal einen kompletten Apfel ins Kloo geschmissen hatte.
Vollaufen lassen bis zum Rand und dann mit der Kloobürste pumpen, bis es "schlurz" macht.
Aber diesmal machte es nicht "schlurz", sondern "blubb" und zwar in der benachbarten Dusche. Dort stieg zuerst bräunlicher Schaum aus dem Abfluss, gefolgt von Wasser, in welchem kleine Bröckchen der selben Farbe schwamm. Langsam lief das Wasser im WC ab, während es gleichzeitig in der Brause anstieg. Der Hausmeister öffnete seine Handwerkertasche und holte eine Luftdruckreinigungspistole heraus.
Das Spiel ging von vorne los. Er lies Wasser ins WC laufen - Blubberbläschen stiegen in der Brause auf.
Fachmännisch setzte er die Pistole - mit dem extra für WC`s überstehenden Gummipfropfen - am WC Abfluss auf. Mit einem leichten Klack drückte er den Auslöser der Pistole. Es gab eine kurzes Geräusch im WC. Links und rechts vom nicht ganz abdichtenden Gummipfropfen spritzte ihm das Wasser um die Ohren. Im gleichen Moment schoss aus dem Brauseabfluss eine Fontäne bis an die Decke, klatschte herunter und hinterliess einen strengen Geruch.
Besorgt erkundigte sich der Eigentümer, ob etwas passiert sei.
"Alles in Ordnung - Keine Panik!"
Der Hausmeister konnte ihn gerade noch abhalten, rumzuschnüffeln.
Schnüffler waren ihm ein Graus.
Aber das Abflusssystem hatte ihm den Kampf angesagt.
Über das WC kam er nicht an die Ursache heran.
Die Störung war eine halbe Etage tiefer. Er musste sich ins Treppenhaus begeben, wo man hinter einer Verschalung Zugriff auf das Röhrensystem hat. Oberhalb eines Knicks konnte man einen Deckel abschrauben. Dort leuchtete er mit einer Taschenlampe hinein.
Irgendetwas war doch da in dem Rohr.
Er zog sich einen Gummihandschuh an und griff hinein - 30 Zentimeter.
Für einen kurzen Moment spürte er einen Stich. Dann war Leere in seinem Gehirn. Er zog den Arm zurück und betrachtete die Stelle, an der mal seine Hand war. Dann blickte er in das Rohr. Dort steckte noch die Hand in dem Gummihandschuh - im Maul einer Muräne. Entsetzt wich er zurück - seine Knie wurden weich. Sein Puls raste vor Angst.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht wankte er zum Lift.
Jetzt nur nicht den Kopf verlieren.
Wie wild drückte er die Knöpfe, um den Aufzug zu holen. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis sich die Tür öffnete. Der Lift war ziemlich voll - aber es war ihm egal. Er schob sich in die Menge hinein - den blutigen Arm nach oben haltend.
Die Tür schloss sich und der Lift begann seine endlose Fahrt ins Erdgeschoss.
Die Schmerzen waren unerträglich, und es waren noch acht Etagen.
Die Menschen im Lift versuchten Abstand zu halten von dem Hausmeister, aber das Blut spritzte wie bei einem Springbrunnen nach oben gegen die Decke, um von dort auf die Leute zu regnen.
Eine Mischung aus Schmerz, Ekel und Panik machte sich breit. Aus einer Ecke waren Würgegeräusche zu hören. Einige hielten sich die Ohren zu, um dem Stöhnen des Hausmeisters zu entkommen. Andere schlossen die Augen - selbst der Ohnmacht nahe.
Ein kleines Kind wollte von seiner Mutter wissen, warum bei dem Mann Ketchup aus dem Arm kommt. Die Mutter - sichtlich verlegen,aber pädagogisch geschult - meinte, dass man mit dem Finger nicht auf abgetrennte Gliedmassen zeigen dürfte.
Der bayerische Gebirgsschweisshund, dessen Besitzer schon kreidebleich war, prüfte am Boden die Blutspur und versuchte energisch an die Quelle zu kommen, indem er an dem Hausmeister emporsprang.
Nur der Rechtsanwalt, der seine Kanzlei im neunten Stock hatte, meinte, dass da eine saftige Rechnung für die Reinigung seines Anzugs fällig wird.
Plötzlich beschleunigte der Lift, dass alle für einen kurzen Moment ganz leicht - fast schwerelos - wurden. Im nächsten Moment bremste der Lift so stark, dass die Menschenmenge gegen den Boden gedrückt wurde.
Zwischen dem Erdgeschoss und dem ersten Stock blieb der Lift stecken und eine freundliche Stimme sagte durch den Lautsprecher:
"Zu Ihrer Sicherheit hat sich der Lift selbstständig gestoppt. Bewahren Sie Ruhe - der Hausmeister ist benachrichtigt und kommt in Kürze. Bitte keine Panik."