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Zehn Minuten Ewigkeit

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02.01.2002
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Zehn Minuten Ewigkeit

...er wurde theoretisch, fast philosophisch, während er nach Hause fuhr. Er fragte sich, woher wohl diese unkontrollierten Hasstiraden in seinem Kopf kämen, denn eigentlich war er gleichgültig. Grundsätzlich war er schon immer der Meinung gewesen, Frauen sollten Ihr Geld nicht auf der Straße verdienen müssen, doch der Grundsatz lässt schliesslich die Ausnahme zu, und sie musste so eine Ausnahme gewesen sein.

Sie hatte ihr Geld auf der Strasse verdienen sollen, und das war gut so. Sie hatte es verdient! Nicht so sehr, weil es wirklich ein mieser Job gewesen wäre - nein, soviel Mühe machten sie sich ohnehin nicht. Zwar waren sie mit schützenden Plastikhüllen längst ausgerüstet, doch wenn es regnete, befand man sich in relativer Sicherheit. Ein warmes Gefühl der Entspannung verbreitete sich dann in seiner Magenkuhle, wenngleich es auch Damen gab, die -von einer Passion getrieben- nach Befriedigung in ihrem Beruf strebten, was unweigerlich das Geldverdienen auch bei schlechtem Wetter einschloss - auf der Strasse! Diese Damen allerdings waren eine weitere Ausnahme von einem anderen Grundsatz und verdienten fast schon wieder Respekt.

Sie waren nicht das Problem. Das Problem waren die von ihrer Lust getriebenen Damen der ersten Kategorie, und sie hatten es verdient auf der Strasse arbeiten zu müssen, weil.... . Er wusste es nicht, aber das war auch egal! Er hasste sie, denn sie hatten es an diesem Tag übertrieben, in ihrer unendlichen Unwissenheit und Pflichterfüllung, auf die sie sich wahrscheinlich sogar dann noch berufen hätten, wenn er ihnen die näheren Umstände jenes Tages dargelegt hätte. "Zu Recht", dachte er noch, doch jetzt hasste er sie im Kollektiv, sie und ihresgleichen, deren menschliches Antlitz sich in seinen Phantasien zur Fratze verzerrte.

Wie von einer fremden, unsichtbaren Hand geschoben ging er zuvor nichtssagende Gänge entlang, die scheinbar jede räumliche Dimension verloren hatten, hindurch durch eine Luft, die das Atmen schier unmöglich machte. Aber vielleicht war es auch jene Hand, die sich nun gewichtig auf seine Schulter legte und ihm langsam den Hals zuzudrücken schien.

Er passierte den Haupteingang und stieg wie ferngesteuert die Treppenflucht hinauf zur Straße. Bevor er seinen auf der gegenüber liegenden Seite parkenden Wagen erreichte, glaubte er noch, ein vages Hupen zu erkennen und Menschen, die wild gestikulierend auf ihn deuteten. Er tastete in seiner rechten Hosentasche nach seinem Schlüssel, öffnete und ließ sich unter dem Gewicht all seiner Verzweiflung in den Fahrersitz sinken.

Für einen Moment glaubte er, ins Bodenlose zu stürzen, als er den kleinen weißen Zettel an der Windschutzscheibe bemerkte. Er war falschherum hinter den Scheibenwischer geklemmt worden, wie ohnehin der ganze Tag falsch gewesen zu sein schien. Die Schrift jedenfalls war ihm zugewandt, und sein Kinn auf das Lenkrad stützend las er immer wieder ohnmächtig die Worte "Verwarnung mit Verwarngeld DM 10,--".

Er schien durch das Papier indurchzustarren, irgendwohin. Zehn Minuten hatte er über die erlaubte Zeit geparkt. "Zehn Minuten","zehn Mark", " zehn mal sechs, mal vierundzwanzig mal dreihundertfünfundsechzig, mal...". Wieviel mochte das wohl sein? Er wusste auch das nicht, und ohnehin hätte er soviel Geld im Leben nicht zusammenbekommen können. "Zehn Minuten", dachte er! Zehn Minuten, in denen er lebte und seine Freundin mit dem Tode rang! Er verliess den Parkplatz des Krankenhauses und fuhr los...

[Beitrag editiert von: spotwatch am 02.01.2002 um 22:39]

 

Hi Spotwatch,

ich muß sagen, die Geschichte gefällt mir vom Stil her nicht besonders.Ich erwischte mich auch dabei, daß meine Gedanken beim lesen abschweiften.
Nach der Hälfte der Geschichte, noch bevor du es erwähntest, kam mir der Gedanke , daß du von Politessen und nicht von Huren sprichst.
Im letzten Satz hast du mich aber mit der todkranken Freundin doch geschockt.-Aber wer ärgert sich über 10 DM, wenn seine Freundin kurz vor dem abnippeln ist???? :rolleyes:

Du wolltest ja eine vernichtende Kritik ;)

Gruss Franco

[Beitrag editiert von: francofranch am 10.01.2002 um 15:47]

 

Hi!
So ganz begeistert kann ich mich über den Text auch nicht äussern.
Er lässt mich als Leser irgendwie ohne einen konkreten Gedanken zurück, den ich anfassen kann.
Das Wirren in dem Kopf des Protagonisten ist durchaus verständlich und durch seine krusen Empfindungen auch belegt. Allein es fehlt mir das, was mich an den Text bindet.
Ausserdem frage ich mich, ob die 10-Minuten-Frage, so sinnig die Ironie, die durch sie entsteht, in seiner Situation auch ist, hier als Pointe, als Schlussgedanke genügt, um das gewisse Etwas zu erzeugen.

Schönen Gruß, baddax

 

Nein, so nicht, würd ich sagen.
Die Idee der Geschichte ist wohl, den Leser auf eine falsche Spur zu lenken. Zuerst soll man an eine Prostituierte denken, am Ende kommt der Gag, dass es eine Politesse war. Nur: Das ahnt man schon nach wenigen Zeilen, zu gesucht sind die Formulierungen.
Dann kommt die Sache mit der todkranken Freundin. Damit versuchst du offensichtlich, der kleinlichen Wut eines ertappten Falschparkers so etwas wie Tragik zu geben. Wirkt eher lächerlich.
Ich könnte mir eine Geschichte vorstellen, in der der Protagonist das alles nicht denkt, sondern der Politess erzählt. Und sich dabei vermutlich ganz schön lächerlich macht.

Grüße
Wundrop

 

hmmmmmmmmm...
Also, die todkranke Freundin hat da irgendwie nicht reingepasst. Jedenfalls nicht in der Form, wie du sie in die Geschichte eingebracht hast: In einem
Satz am Ende der Geschichte.
Ich kann mir gut vorstellen, dass du das mit Absicht so gemacht hast, aber auf mich als Leser wirkt das einfach nur verwirrend und - wie wundrop schon sagte - etwas lächerlich.

Wenn du in deiner Geschichte eine todkranke Freundin thematisieren willst, dann könnte das ruhig ein wenig ausführlicher geschehen - dabei muss die Politessen-Story ja nicht wegfallen.

Um noch was positives beizutragen: Dein Schreibstil hat mir gefallen, die Geschichte ließ sich im Großen und Ganzen gut lesen.

Bis denne,
das deprikind!

 

Liebe Vorgänger!

Natürlich soll man zunächst an leichte Mädchen denken, um später auf die Mitarbeiterinnen der Stadt aufmerksam zu werden, welche deren Kasse mit zweifelsfrei legalen Mitteln aufzubessern versuchen.

Natürlich will dieses Fallbeispiel auch die Engstirnigkeit und Verschlagenheit der Bestrafung kleiner Parksünden proklamieren.

Der Geschichte allerdings Lächerlichkeit oder eine Armut wie etwa die 'kleinliche Wut eines ertappten Falschparkers' zu unterstellen, erscheint mir nicht angebracht und wird der Story nicht gerecht. Oberflächlich betrachtet mag das vielleicht hinkommen, aber ich denke, die Intention dieses Textes ist eine andere.

Die Trauer (und die Fassungslosigkeit) des Protagonisten steht im Vordergrund, die dann noch durch die Lächerlichkeit des Tickets die goldene Krone aufgesetzt bekommt. Es konnte für ihn nicht schlimmer kommen, und dann wird er noch für die Zeit, die er am Bett der Verschiedenen gewacht hat, für sein Falschparken bestraft!

Es ist leicht, die Story zu verreißen und vor allem zu reduzieren, aber das wird ihr nicht gerecht.

Gruß

Ralf

 

Die Trauer (und die Fassungslosigkeit) des Protagonisten steht im Vordergrund, die dann noch durch die Lächerlichkeit des Ticktes die goldene Krone aufgesetzt bekommt.
Also für mich steht da eher die Wut im Vordergrund, die der Protagonist über das Ticket und die Politesse, die es ausgestellt hat, empfindet. Ich meine, der Typ regt sich einfach mal den ganzen Text lang darüber auf. Dass es ihm in Wirklichkeit um seine Freundin geht, wegen der er sich zehn Minuten verspätet hat, wird dann irgendwann am Ende mal so ganz beiläufig erwähnt.

Der Gedankengang selbst erscheint mir nicht lächerlich, im Gegenteil: Ich kann mir wie gesagt sehr gut vorstellen, dass der Protagonist so denkt und dass es spotwatch deswegen auch so und nicht anders geschrieben hat.

Es fehlt nur der Zusammenhang. Ich meine, er weiß ja, dass es sich in Wirklichkeit um die Freundin dreht, ich dagegen weiß es nicht, bzw. finde es erst am Ende heraus.
Die Geschichte geht damit los, dass der Mann nach Hause fährt und sich dabei über sein Ticket ärgert. Er ärgert sich die ganze Zeit, bis dann am Ende plötzlich klar wird, dass er gerade vom Krankenhaus kommt und eigentlich nur wütend darüber ist, dass seine Freundin wohl sterben wird. Und nur durch diese Form wirkt die Geschichte auf mich einfach mal verwirrend.

Das war's, bye,
das deprikind.

P.S.: Während ich diesen Beitrag geschrieben habe, ist mir noch ein inhaltlicher Fehler aufgefallen: Am Anfang des Textes heißt es: "Er wurde theoretisch, fast philosophisch, während er nach Hause fuhr..." Im letzten Satz dann allerdings: "Er verließ den Parkplatz des Krankenhauses und fuhr los..."

[Beitrag editiert von: deprikind am 12.01.2002 um 19:23]

 

Anmerkung des Autors zum zweiten Beitrag von deprikind: Man kann die Geschichte im Kreis lesen, es handelt sich hier nicht um einen inhaltlichen Fehler. Ich bin aber sehr erfreut über Dein aufmerksames Lesen, ist bisher bestimmt nicht jedem aufgefallen! Ansonsten hat die Kritik des Hexenmeisters, für die ich mich hier neben all den anderen Beiträgen einmal explizit bedanken möchte, den für mich persönlich höchsten Wiedererkennungswert. :)

Gruß

spotwatch

 

Abgesehen davon, dass ich mir wünschte, diese Geschichte wäre flüssiger und zielgerichteter geschrieben, denn die anfängliche Irreführung zu den Prostituierten halte ich für einen unnötigen Schnörkel gefällt mir der Rest verdammt gut.
Genauso ist Alltag: die gravierendsten lebensveränderndsten Dinge passieren innerhalb von Sekunden und nehmen einem fast gänzlich den Atem und parallel dazu passieren die banalsten nebensächlichsten Dinge, die einen Raum in zeitlicher Hinsicht einnehmen, der ihnen in ihrer Wertigkeit und Wichtigkeit nicht annähernd zukommt.
Da erfährt man grad vom Tode eines Menschen und gleichzeitig wird man mit einem Strafzettel versehen, das Leben geht manchmal mit einem brutal um.

 

schade eigentlich, daß diese Geschichte auf Seite 2 abgerutscht ist, denn sie sollte mehr gelesen werden. Ich halte sie für eine der besseren in diesem Forum, und daher erbitte ich mir neue Kritiken! Schließlich spricht sie nicht nur die Depressiven an, sondern auch die Leidtragenden unter uns!

Gruß Ralf

 

Na ja, Hexenmeister, 11 Beiträge sind ja gar nicht mal so wenig, oder? ;) :p
Gruß, baddax

 

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