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Zaza und der Tod
Als Zaza ein Junge gewesen ist, sah er den Tod zum zweiten Mal.
Der Tod, er kam und er ging. Der Tote blieb länger. Genau wie beim ersten Mal. Der Tote blieb jedes Mal länger als sein Herr.
Zum Wasser ist der Tod gekommen, bei tröpfelndem Regen und strahlender Sonne. Warm war es heute.
Dieses Heute war in grün und blau getunkt, ein Heute, an dem der Sommer eine ganz selbstverständliche Sache ist, so als könne es auf der ganzen Welt kein anderes Wetter mehr geben.
Und Zaza saß da und war woanders.
Ein Mann erschien am Wasser, ein Mann und sein Fahrrad. Es ist ein behäbiges Fahrrad gewesen, mit einem weichen Sitz und der Mann war auch behäbig, mit einem weichen Blick. Er hatte sich in das Licht gesetzt, mit dem Gesicht zur Sonne, wo er sein Blut wärmen konnte, wo sich die Strahlen in seiner Brille spiegelten und der Regen, der störte ihn nicht. Weiß sind seine Haare gewesen, weiß, wie die eines Dorfältesten und seine Brille dick, und die Nase auch dick. Es war keine Nase, sondern eine Aubergine und sie funkelte. Eine blaue funkelnde Aubergine.
Still war es im Park, der Regen nieselte weiter und alles war grün und blau und dann sah Zaza den Tod. Er saß neben dem Mann in der Sonne, er saß da und wärmte sich.
Zaza erschreckte sich - aber nicht so sehr wie beim ersten Mal. Diesmal wollte er mit dem Tod sprechen.
„Du bist der Tod!“ - stellte er fest.
„Und du bist der Zaza.“ - der Tod konnte auch feststellen.
„Und der Mann?“ - Zaza wusste es.
„Der Mann ist tot, du weißt das.“
„Warum ist er tot?“
„Ich denke, es war Herzversagen.“
„Du weißt es nicht?“
„Ich bin der Tod, kein Arzt.“
Natürlich nicht, begriff Zaza.
„Ich will mal Arzt werden. Dann verstehe ich was vom Tod.“
Der Tod lächelte: „Besser du verstehst dann was vom Leben.“
Zaza würde am liebsten was von beidem verstehen.
„Ich möchte Chirurg werden.“
„Das ist nett.“
Zaza dachte nach. Vielleicht sollte er den Tod fragen.
„Es sind aber die Finger!“
„Was ist mit den Fingern?“
„Sieh her!“
Sie besahen sich Zazas Hände. Die Mutter sagte immer, ein richtiger Chirurg müsse lange Finger haben. Lang und dünn müssten sie sein, wie bei einem Schizophrenen. Die Fingernägel müsse man kurz schneiden. Gerade Kanten. Zittern geht gar nicht. Zaza war enttäuscht. Seine Finger waren eckig und großgliedrig. Ein Buchhalter, kein Chirurg.
„Hmm...“ - der Tod sah die Sache wie Zazas Mutter: „Vielleicht wirst du lieber Tierarzt?“
Zaza dachte nach. Von Tieren verstand er nichts. Lieber wollte er über den Toten sprechen.
„Also Herzversagen?“
„Mmh...“
Da war der Funken und dann war er nicht mehr. Die Haare des Mannes sind immer noch weiß gewesen und die Nase eine Aubergine, jetzt baumelte die Brille von ihr runter. Zaza sah ihn kritisch an.
„Das sieht doch blöd aus.“ Ein ehrliches Urteil für den Toten.
Was es den Tod kümmere. „Ich bin kein Ästhet.“
„Warum eigentlich nicht?“
Der Tod zuckte mit den Schultern: „Ich weiß nicht, ist das den Toten nicht egal?“
„Den Lebenden ist es nicht egal“ - in Angesicht des Todes sprach der Junge für die Menschheit. „Du hast doch meinen Opa gesehen. Meiner Oma ist es nicht egal gewesen.“
„Was war da nochmal?“
„Der LKW.“
„Hmm...“ - der Tod gähnte. „Was kann man denn da machen?“
Zaza runzelte die Stirn: „Du könntest immer im Schlaf kommen. Zum Beispiel. Jedenfalls könntest du versuchen, dass die Menschen nicht aufplatzen und dass wir nicht lächerlich aussehen.“ Ja, das würde den Menschen gut tun.
„Aber ihr seid lächerlich.“ Hier war nichts zu machen.
„Und müssen wir unbedingt aufplatzen?“ Vielleicht wenigstens das?
Aber nicht mit dem Tod. „Ein bisschen Sauerei ist doch amüsant. Seht ihr ja auch ganz gerne. Das beobachte ich schon seit Jahrtausenden.“
Seit Jahrtausenden. Zaza stellte sie sich vor. Eines nach dem anderen: „Du lebst schon so lange?“
Eine seltsame Frage. Die Antwort war: „Ich lebe nicht, ich bin der Tod.“ Logisch natürlich.
Und dann was alle beschäftigt: „Hmm... Was kommt eigentlich nach dem Tod?“
„Keine Ahnung.“ Das war es?
„Nicht?“
„Ich bin nicht Gott, woher soll ich das wissen?“ Er war der Tod.
„Also gibt es einen Gott?“ Zaza sprach wieder für die Menschheit.
„Es gibt einen Gott.“ Der Tod sprach für den Tod.
Natürlich gibt es ihn. Wir haben es immer gewusst: „Wow und wie ist er so?“
„Er ist nicht wirklich.“ Das haben wir nie verstanden.
„Das verstehe ich nicht.“
„Das versteht niemand.“
Zaza dachte an Gott, wie er irgendwo saß und nicht war. Und wenn er doch nicht war und auch nie gewesen ist, wie konnte er denn alles wissen? Und vor allem wozu?
„Ich muss jetzt gehen“ - sagte der Tod und stand auf.
„Sehen wir uns wieder?“ - der Junge wollte es so.
„Sicher.“ Sicher.
Und dann blieb Zaza alleine. Er rieb sich die Augen und rief einen Krankenwagen. Der Arzt kam und sagte: „Der Mann ist tot, mein Junge.“
Überraschung. „Ich weiß. Woran ist er gestorben?“
„Ich nehme an, Herzversagen.“
„Sie wissen das?“
„Ich gehe davon aus.“
Zaza sah hinunter auf die weißen Hände des Mannes. Seine Finger waren eckig und kurz.
Der Junge nickte zufrieden: „Verstehen Sie eher was vom Tod oder vom Leben?“
„Beruflich verstehe ich was vom beidem.“
„Und sonst?“
„Ich glaube eher vom Leben. Alle Menschen verstehen mehr vom Leben.“
Zaza fühlte sich überlegen. Er verstand nämlich mehr vom Tod. Diese Menschen waren wirklich lächerlich.
Er wollte seine neuen Erkenntnisse mit ihnen teilen: „Wussten Sie, dass es einen Gott gibt?“
„Ich habe es vermutet.“ - der Arzt füllte routiniert einen Zettel aus. „Woher weißt du das denn?“
„Der Tod hat es mir gesagt.“
„Verstehe. Und hat er dir erzählt wie er ist?“
„Er ist nicht.“ Eine dumme Frage.
Der Arzt seufzte: „Ja, das habe ich auch geahnt.“ Da machte er das letzte Häkchen.
Und die Polizei kam und sie stellte Fragen. Zaza stellte auch Fragen. Er bemerkte, dass die Polizei überhaupt nichts verstand, weder vom Leben, noch vom Tod. Sie verstand nur was von Sauerei.
Und die Neugierigen kamen. Verständnis vermischte sich mit Unverständnis. Menschheit. Dann einigte man sich, dass der Tod zwar ein trauriges Ereignis sei, dass aber das Wetter zum Sterben heute perfekt wäre. Zaza schüttelte den Kopf. Er wusste, der Tod war kein Ereignis.