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Zaza und der Tod

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31.07.2013
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Zaza und der Tod

Als Zaza ein Junge gewesen ist, sah er den Tod zum zweiten Mal.
Der Tod, er kam und er ging. Der Tote blieb länger. Genau wie beim ersten Mal. Der Tote blieb jedes Mal länger als sein Herr.
Zum Wasser ist der Tod gekommen, bei tröpfelndem Regen und strahlender Sonne. Warm war es heute.
Dieses Heute war in grün und blau getunkt, ein Heute, an dem der Sommer eine ganz selbstverständliche Sache ist, so als könne es auf der ganzen Welt kein anderes Wetter mehr geben.
Und Zaza saß da und war woanders.
Ein Mann erschien am Wasser, ein Mann und sein Fahrrad. Es ist ein behäbiges Fahrrad gewesen, mit einem weichen Sitz und der Mann war auch behäbig, mit einem weichen Blick. Er hatte sich in das Licht gesetzt, mit dem Gesicht zur Sonne, wo er sein Blut wärmen konnte, wo sich die Strahlen in seiner Brille spiegelten und der Regen, der störte ihn nicht. Weiß sind seine Haare gewesen, weiß, wie die eines Dorfältesten und seine Brille dick, und die Nase auch dick. Es war keine Nase, sondern eine Aubergine und sie funkelte. Eine blaue funkelnde Aubergine.
Still war es im Park, der Regen nieselte weiter und alles war grün und blau und dann sah Zaza den Tod. Er saß neben dem Mann in der Sonne, er saß da und wärmte sich.
Zaza erschreckte sich - aber nicht so sehr wie beim ersten Mal. Diesmal wollte er mit dem Tod sprechen.
„Du bist der Tod!“ - stellte er fest.
„Und du bist der Zaza.“ - der Tod konnte auch feststellen.
„Und der Mann?“ - Zaza wusste es.
„Der Mann ist tot, du weißt das.“
„Warum ist er tot?“
„Ich denke, es war Herzversagen.“
„Du weißt es nicht?“
„Ich bin der Tod, kein Arzt.“
Natürlich nicht, begriff Zaza.
„Ich will mal Arzt werden. Dann verstehe ich was vom Tod.“
Der Tod lächelte: „Besser du verstehst dann was vom Leben.“
Zaza würde am liebsten was von beidem verstehen.
„Ich möchte Chirurg werden.“
„Das ist nett.“
Zaza dachte nach. Vielleicht sollte er den Tod fragen.
„Es sind aber die Finger!“
„Was ist mit den Fingern?“
„Sieh her!“
Sie besahen sich Zazas Hände. Die Mutter sagte immer, ein richtiger Chirurg müsse lange Finger haben. Lang und dünn müssten sie sein, wie bei einem Schizophrenen. Die Fingernägel müsse man kurz schneiden. Gerade Kanten. Zittern geht gar nicht. Zaza war enttäuscht. Seine Finger waren eckig und großgliedrig. Ein Buchhalter, kein Chirurg.
„Hmm...“ - der Tod sah die Sache wie Zazas Mutter: „Vielleicht wirst du lieber Tierarzt?“
Zaza dachte nach. Von Tieren verstand er nichts. Lieber wollte er über den Toten sprechen.
„Also Herzversagen?“
„Mmh...“
Da war der Funken und dann war er nicht mehr. Die Haare des Mannes sind immer noch weiß gewesen und die Nase eine Aubergine, jetzt baumelte die Brille von ihr runter. Zaza sah ihn kritisch an.
„Das sieht doch blöd aus.“ Ein ehrliches Urteil für den Toten.
Was es den Tod kümmere. „Ich bin kein Ästhet.“
„Warum eigentlich nicht?“
Der Tod zuckte mit den Schultern: „Ich weiß nicht, ist das den Toten nicht egal?“
„Den Lebenden ist es nicht egal“ - in Angesicht des Todes sprach der Junge für die Menschheit. „Du hast doch meinen Opa gesehen. Meiner Oma ist es nicht egal gewesen.“
„Was war da nochmal?“
„Der LKW.“
„Hmm...“ - der Tod gähnte. „Was kann man denn da machen?“
Zaza runzelte die Stirn: „Du könntest immer im Schlaf kommen. Zum Beispiel. Jedenfalls könntest du versuchen, dass die Menschen nicht aufplatzen und dass wir nicht lächerlich aussehen.“ Ja, das würde den Menschen gut tun.
„Aber ihr seid lächerlich.“ Hier war nichts zu machen.
„Und müssen wir unbedingt aufplatzen?“ Vielleicht wenigstens das?
Aber nicht mit dem Tod. „Ein bisschen Sauerei ist doch amüsant. Seht ihr ja auch ganz gerne. Das beobachte ich schon seit Jahrtausenden.“
Seit Jahrtausenden. Zaza stellte sie sich vor. Eines nach dem anderen: „Du lebst schon so lange?“
Eine seltsame Frage. Die Antwort war: „Ich lebe nicht, ich bin der Tod.“ Logisch natürlich.
Und dann was alle beschäftigt: „Hmm... Was kommt eigentlich nach dem Tod?“
„Keine Ahnung.“ Das war es?
„Nicht?“
„Ich bin nicht Gott, woher soll ich das wissen?“ Er war der Tod.
„Also gibt es einen Gott?“ Zaza sprach wieder für die Menschheit.
„Es gibt einen Gott.“ Der Tod sprach für den Tod.
Natürlich gibt es ihn. Wir haben es immer gewusst: „Wow und wie ist er so?“
„Er ist nicht wirklich.“ Das haben wir nie verstanden.
„Das verstehe ich nicht.“
„Das versteht niemand.“
Zaza dachte an Gott, wie er irgendwo saß und nicht war. Und wenn er doch nicht war und auch nie gewesen ist, wie konnte er denn alles wissen? Und vor allem wozu?
„Ich muss jetzt gehen“ - sagte der Tod und stand auf.
„Sehen wir uns wieder?“ - der Junge wollte es so.
„Sicher.“ Sicher.
Und dann blieb Zaza alleine. Er rieb sich die Augen und rief einen Krankenwagen. Der Arzt kam und sagte: „Der Mann ist tot, mein Junge.“
Überraschung. „Ich weiß. Woran ist er gestorben?“
„Ich nehme an, Herzversagen.“
„Sie wissen das?“
„Ich gehe davon aus.“
Zaza sah hinunter auf die weißen Hände des Mannes. Seine Finger waren eckig und kurz.
Der Junge nickte zufrieden: „Verstehen Sie eher was vom Tod oder vom Leben?“
„Beruflich verstehe ich was vom beidem.“
„Und sonst?“
„Ich glaube eher vom Leben. Alle Menschen verstehen mehr vom Leben.“
Zaza fühlte sich überlegen. Er verstand nämlich mehr vom Tod. Diese Menschen waren wirklich lächerlich.
Er wollte seine neuen Erkenntnisse mit ihnen teilen: „Wussten Sie, dass es einen Gott gibt?“
„Ich habe es vermutet.“ - der Arzt füllte routiniert einen Zettel aus. „Woher weißt du das denn?“
„Der Tod hat es mir gesagt.“
„Verstehe. Und hat er dir erzählt wie er ist?“
„Er ist nicht.“ Eine dumme Frage.
Der Arzt seufzte: „Ja, das habe ich auch geahnt.“ Da machte er das letzte Häkchen.
Und die Polizei kam und sie stellte Fragen. Zaza stellte auch Fragen. Er bemerkte, dass die Polizei überhaupt nichts verstand, weder vom Leben, noch vom Tod. Sie verstand nur was von Sauerei.
Und die Neugierigen kamen. Verständnis vermischte sich mit Unverständnis. Menschheit. Dann einigte man sich, dass der Tod zwar ein trauriges Ereignis sei, dass aber das Wetter zum Sterben heute perfekt wäre. Zaza schüttelte den Kopf. Er wusste, der Tod war kein Ereignis.

 
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Servus HerrTaktlos,

seltsam, rätselhaft, märchenhaft, bezaubernd … einfach schön.
Verschrobenes, metaphysisches Geschwafel mag ich überhaupt nicht, deine Geschichte allerdings gefiel mir wirklich sehr, sehr gut.
Und das liegt wohl vorwiegend an deinem Sprachwitz, diesem charmanten Plauderton, diesen unbekümmerten Wortspielereien.
Einzig der stete Tempuswechsel, Perfekt, Präteritum, usw., den du offenbar als bewusstes Stilmittel einsetzt, klingt mir ein bisschen zu, äh, manieristisch? Der soll wohl so ein Gefühl des mündlichen Erzählens vermitteln, lässt mir den Text dann aber stellenweise doch etwas unrund erscheinen.

Ein paar Kleinigkeiten sind mir aufgefallen:

„Das sieht doch blöd aus.“ Ein ehrliches Urteil für den Toten.
Was es den Tod kümmerte. „Ich bin kein Ästhet.“
Stünde hier nicht besser: Was es den Tod kümmere.
Andernfalls versteh ich‘s nicht recht.

Zaza sah herunter auf die weißen Hände des Mannes.
hinunter

Da machte er das letzte Häckchen.
Häkchen

dass aber das Wetter zum sterben heute perfekt wäre.
zum Sterben


War mir ein Vergnügen.

offshore

 

@ krassNICK

Du hast recht, krassNICK. Da tat ich wohl gut daran, ein Fragezeichen hinter manieristisch zu setzen ...
Das passendere Synonym für gekünstelt, das ich meinte, ist manieriert.

Vielen Danke für den Hinweis

 

Vielen lieben Dank offshore. Das war toll deine Worte zu lesen. Ich habe mich sehr gefreut.
Und auch dir krassNICK, vielen Dank für die ausführliche Kritik. Ich habe mir deine Worte zu Herzen genommen.
Einen schönen Abend euch.
lg, HT

 

Guten Tag Herr Taktlos,

der Name passt insofern, als daß Probleme mit der grammatikalisch korrekten Taktung deines Einstiegs bestehen:

Als Zaza ein Junge gewesen ist, sah er den Tod zum zweiten Mal.
Warum in einem Satz zwei Vergangenheitsformen? Kurz: Warum war Zaza kein Junge, als er den Tod zum zweiten Mal sah?

Der Tod, er kam und er ging.
Ansichtssache, aber für mich neumodische Erscheinung von wichtigtuerischem Journalistendeutsch, einen schlichten Hauptsatz - "Der Tod kam und ging" - durch ein vollkommen überflüssiges Personalpronomen künstlich aufzublähen.

Der Tote blieb. Genau wie beim ersten Mal. Der Tote blieb immer.
Es gibt also keine Bestattungen in der Welt deiner Geschichte, und ab der zweiten Beobachtung kann man etwas absolut setzen. Dein gutes Recht als Autor, aber neugierig macht mich als Leser so ein Entwurf nicht.

Diesmal kam der Tod zum Wasser, während es darauf regnete und während die Sonne darin plätscherte wie ein Nilpferd.
Man kann den Krug, während Metaphern draufplätschern, nur so lange zum Wasser tragen, bis er vor lauter Nilpferden zerbricht.
Heißt: Wie habe ich mir das vorzustellen, wenn die Sonne wie ein tonnenschweres graues plumpes Tier im Wasser "plätschert"?

Entschuldige, aber vor diesem unausgegorenen Eindruck verließ mich sämtliches Interesse am weiteren Geschehen.

Einen schönen Tag,

...para

 

... Autsch, gut daß ich´s doch noch gemacht habe.
Zum Glück folgte ein ironischer Text mit etwas Tiefgang, und was ich für ´n besch...ränkten Einstieg hielt, passt eigentlich genau auf meine Vorliebe zum Abstrusen. Ich lass meine erste Anmerkung stehen, damit man auch hübsch sieht wer im Zweifelsfall der Depp ist. Fein.

 

„Du bist der Tod!“ - stellte er fest.
„Und du bist der Zaza.“ - [D]er Tod konnte auch feststellen.
„Und der Mann?“ - Zaza wusste es.
„Der Mann ist tot, du weißt das.“

Warum „Taktlos“, mein Herr?,
als wäre das Zitat kein taktvolles Gespräch -
und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts –

lieber HerrTaktlos,

taktlos bin ich, indem ich Klugscheißer oben dem Artikel die Großschreibung gönne. Dafür ist über den Tempowechsel schon genug gesagt, find ich.

Ich kenne Zaza eigentlich nur als weibl. Vornamen. Ich weiß nicht, ob Du es weißt, aber in dem Jahr, als Zaza – die Freundin der 19jährigen Simone de Beauvoir – verstarb, traf die Beauvoir das erste Mal mit Jean Paul Sartre zusammen. Wie wir alle wissen, hielt diese „notwendige“ Beziehung ein Leben lang – auch, weil andere Beziehungen außer der einen nicht so sehr geduldet, als erwünscht waren. Wir sind halt nicht sonderlich monogam geschaffen ...

Da hat die durchschnittliche Seele in der Regel nur einen Freund, eben: Hein(e/-i)!

Aber – egal! Ich find, das Stückchen Prosa verät feine und behutsamerer Poesie, als ich sie je formulieren könnte. Sterben ist prosaisch genug. Und selbst da sind und waren wir niemals alle gleich in Abhängigkeit von der jeweiligen Klassenlage. Der eine stirbt früher – i. d. R. der ganz unten, der andere später. Aber wenigstens in der persönlichen Begegnung mit Freund Hein werden wir gleich. Und das ist schön, dass Freund Hein auch andere Freundschaften pflegt …

Aber einen Einwand hätt’ ich denn doch. Mag stimmen, wenn es heißt

Der Tod, er kam und er ging. Der Tote blieb.
Aber, dass der Tote ewig/immer bliebe, wie hier behauptet
Der Tote blieb immer.
bezweifle ich (sonst hätten es Archäologen z. B. verdammt einfach in ihren Rätseln … und Epikur in seinem Brief an Menoik(a)eus Unrecht. Er leugnet den Tod – knappst möglich das vielwortige Dolument verkürzend, sag ich immer „so lange wir leben, ist er nicht. Ist er, sind wir nicht.“
Aber Du zeigst, dass Freund Hein ein wahrer Freund ist, der nicht um seinen Job und somit sein Tun herumredet … Er geht ("ging") schließlich auch, weil er gelegentlich im Akkord arbeiten muss. Du verstehst: unter Zeitdruck steht.

Und Zaza saß da und war woanders.

Gern gelesen vom

Friedel

 

Wobei, der Herr, besagter Einstieg

Der Tod, er kam und er ging. Der Tote blieb. Genau wie beim ersten Mal. Der Tote blieb immer. Diesmal kam der Tod zum Wasser, während es darauf regnete und während die Sonne darin plätscherte wie ein Nilpferd.

als Verballhornung des angesagten, empathischen "Spiegel"-Reportage-Stils durchgehen könnte. Wobei freilich zu fragen wär, obs taugt / oder obs passt.

 

Erstmal danke ich dir Paranova und dir Friedel für eure Zeit und für euer Interesse. Ich weiß nicht so recht, wie ich dazu am besten Stellung nehmen soll. Es ist einfach nur erstaunlich, wie sich Dinge in der Rezeption darstellen, obwohl sie nun wirklich ganz anders oder eben gar nicht gemeint waren. Aber sei es drum, vielleicht funktioniert für mich eben am besten, sich einfach nicht zu viele Gedanken über den Text zu machen, sondern alles runterschreiben, wie es in den Kopf kommt.
Lieber Friedel, dein Kompliment hat für mich viel Bedeutung, weil ich schon seit ein Paar Wochen deine Arbeit verfolge und obwohl ich, ehrlich gesagt, nicht alles verstehe, spüre ich, dass sich hinter deinen Texten eine Menge verbirgt. Insofern freut es mich sehr, dass diese recht zufällig entstandene Spielerei, von dir Anerkennung erfährt.
Zaza ist übrigens ein georgischer Männername. Ursprünglich sollte die Geschichte in gewisser Weise von Oblomow inspiriert, den Werdegang dieses jungen Mannes in die Durchschnittlichkeit nachzeichnen. Aber dann ist auf einmal der Tod erschienen und ich habe es einfach dabei belassen.
Lieben Gruß
HerrTaktlos

 

Es ist einfach nur erstaunlich, wie sich Dinge in der Rezeption darstellen, obwohl sie nun wirklich ganz anders oder eben gar nicht gemeint waren.

Nix zu danken,

lieber HerrTaktlos,

schon die Anrede wirkt paradox, hat doch Dein nickname mehrere Möglichkeiten hinsichtlich Anstand/Feingefühl und wohl von der eigentlichen Herkunft, der Musik her, amusisch.

Und wie dem nickname, so geht's jedem guten Text (wir treiben ja auch keine Mathematik), dass es unterschiedliche Möglichkeiten, ihn zu deuten (Fehlinterpretation inbegriffen), birgt, ob in einer halben Stunde oder in dreißig Jahren niedergeschrieben ...

Halt die Ohren steif!

Friedel

 

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