Zaal 3
Doktor für Xenobiologie. Was heißt das schon? Man füllt Bücher mit Abhandlungen über außerirdisches Leben. Doch jedes Buch verschleiert hinter seiner exakten, wissenschaftlichen Sprache die einzige Erkenntnis die aus ihm gewonnen werden kann: dass wir nichts verstehen.
Die Nachricht, nicht allein im Universum zu sein, änderte alles. Dumm und primitiv erschienen nun unsere selbstverliebten Ansichten über ein Universum, in das wir uns selbst in den Mittelpunkt allen Seins gestellt hatten. Doch die Euphorie, die Hoffnung auf eine aufregende und unendliche Möglichkeiten bietende Zukunft, wurde rasch enttäuscht.
Nach den ersten Begegnungen mit den Fremden entbrannte eine philosophische Diskussion darüber, was eigentlich "Leben" ist. Und jede neue Entdeckung lieferte neuen Brennstoff, um diese Diskussion am Lodern zu halten. Letztendlich einigte man sich darauf, jede selbstorganisierende Daseinsform, die über die einfache, molekulare Ebene hinausging als Leben zu betrachten.
Warum war diese Definition nötig? Die Antwort ist ebenso einfach, wie frustrierend: Mit keiner der gefundenen Lebensformen war eine Verständigung möglich. Sie waren allesamt in jeder Beziehung jenseits jeden Verstehens fremdartig. Wie naiv wir gewesen sind. Wir hatten wirklich geglaubt, auf einem Planeten zu landen und „bringt uns zu eurem Anführer“ zu rufen, würde reichen, um einen für beide Seiten nützlichen kulturellen, materiellen und philosophischen Austausch in Gang zu setzen.
Wir fanden raumfahrende Gasblasen, metallische Gesteinsformationen, die anscheinend ihren Daseinzweck darin sahen, ganze Berge auf einer Seite ihres Planeten abzutragen, um sie auf der anderen Seite wieder zusammenzufügen; Städte bauende Schleime aus Silikonkautschuk. Jede neue Entdeckung schuf Tausende neuer Fragen, auf die es keine Antworten gab.
Entweder wurden wir ignoriert oder angegriffen.
Das Universum wimmelt von Leben, und doch bleibt die Menschheit einsam, egal, wohin sie sich wendet.
--- Ende Eintrag 1 Tagebuch von Jom Eliah. Planet Zaal 3 (automatische Transkription nach Spracheingabe)
18 Tage sitze ich jetzt hier auf Zaal 3 und beobachte. Drei Monate vor meiner Ankunft war die Kunststoffkuppel installiert worden, 32 Meter Durchmesser, in der Mitte vier Meter hoch. Durchsichtig und fast total frei von Brechungen oder Reflexionen, vermittelt sie den Eindruck unter freiem Himmel zu sitzen. Nur wenn der Wind den allgegenwärtigen Sand aufwirbelt, und er mit leisem Zischen an der Kuppel abprallt, wird sie sichtbar.
--- Ende Eintrag 2 (automatische Transkription nach Spracheingabe)
Die Kuppel liegt auf einem sandigen Hügel, der sanft in ein weites Tal abfällt. Dort befindet sich die "Stadt". Allein die Wahl des Begriffes zeigt doch schon die Unfähigkeit des Menschen, sich über seine eigene beschränkte Weltsicht zu erheben. Aber es würde ja auch nichts nützen, diesem Gebilde da unten im Tal einen neuen Namen zu geben. Damit hatten sich schon die Physiker im letzten Jahrtausend blamiert, in dem sie die von ihnen entdeckten subatomaren Teilchen „Quarks“ genannten hatten. Ein Wort dessen Klang man wohl am einfachsten durch Würgen einer Stockente erzeugt.
Die Lebewesen selbst – wenn es denn Lebewesen sind – formen die sich ständig verändernden Gebilde dort unten (Ich hatte kurz überlegt, sie selbstorganisierende Quarz- und Silikatentitäten kurz „Sequasi“ zu nennen; aber welchen Sinn hat ein Witz, den nur sein Urheber versteht). Der Sand ballt sich zu Türmen oder Kegeln, die dann einfach zusammenfallen um sich zu neuen Formen wieder zusammenzusetzen. Manchmal ist das Ganze nur eine Sache von Sekunden, dann wieder dauert es einen ganzen Tag bis die neuen Strukturen ihre endgültige Gestalt erreicht haben. Oft lösen sich kleine Sandwellen aus der Stadt und beginnen das Umland zu erforschen. Sie sind auch schon bis an den Rand meiner Kuppel gewandert, haben sie umrundet und sind dann zurückgekehrt.
Heute war ich das erste Mal draußen. Ich habe mich in meinem leichten Schutzanzug auf eine kleine Düne mit Blick über die ganze Stadt gesetzt. Fast augenblicklich bewegten sich mehrere kleine Sandwellen auf meinen Standort zu. Mir war zwar etwas mulmig zumute, doch ich schätzte die Gefahr als gering ein. Eine Welle hielt direkt vor meinen Füßen an und begann in langsamen Rhythmus zu pulsieren. Wellenberge und –täler wechselten sich ab, bis die Bewegung schließlich aufhörte und ein flaches Gebilde -- einem miniaturisierten Tafelberg nicht unähnlich -- übrig blieb. Aus einem Impuls heraus drückte ich meine behandschuhte Hand auf die entstandene Fläche. Sie gab ein wenig nach und hinterließ einen deutlichen Abdruck. Einige Sekunden passierte nichts, dann löste sich der Abdruck auf und die Welle glitt zurück ins Tal.
...
--- Ende Eintrag 3 ( AutomatischeTranskription nach Spracheingabe)
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Ich bin jetzt täglich draußen gewesen und jedes Mal kamen die kleinen Wellen aus der Stadt um mir Gesellschaft zu leisten. Leider taten sie nichts anderes mehr, als mich ein paar Mal zu umkreisen um dann wieder zu verschwinden. Ich hatte so gehofft, wieder eine Fläche angeboten zu bekommen um darauf Spuren zu hinterlassen. Ich hätte es gerne Mal mit einer Reihe von einfachen Punkten versucht. Eine Primzahlenreihe ist schließlich der Klassiker unter den Kontaktaufnahmeversuchen. Doch auch wenn sie mich anscheinend nicht völlig ignorierten, schienen sie auch keinen weiteren Kontakt zu suchen. Es war ebenso frustrierend wie erwartet. Wieder einmal kam es nicht zu einer Kommunikation.
--- Ende Eintrag 23 (Automatische Transkription nach Spracheingabe)
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Heute ist es endlich geschehen. Ich war wieder auf meinem Hügel und wie immer kamen einige Wellen zu mir. Eine hielt direkt vor mir und begann wieder das rhythmische Pulsieren zu zeigen, gefolgt von dem kleinen Tafelberg.
Ich wollte schon mit meiner Primzahlenreihe beginnen, doch das Wesen – ich sehe die Wellen mittlerweile als Wesenheiten an – kam mir zuvor. Ein deutlicher Kreis begann sich aus in der Mitte der Ebene zu bilden. Nach ein paar Sekunden lief eine Welle über die gesamte Fläche und wischte den Kreis fort. Dann bildete sich der Kreis erneut und wurde wieder von der Welle weggewischt. Erwarteten sie von mir eine Reaktion? War ich jetzt das Objekt ihrer Studien? Noch dreimal wiederholte sich das Schauspiel und ich wartete immer noch ab.
Dann erschien mein Handschuhabdruck und auch er wurde nach einiger Zeit von der kleinen Welle fortgespült. Das wiederholte sich auch einige Male. Schließlich erschien der Kreis erneut und in ihm fand sich eine verkleinerte Version meiner Hand wieder. Auch dieses Bild wurde fortgewischt. Nach drei Wiederholungen der Szene löste sich der kleine Berg auf und die Wellen verschwanden wieder im Tal.
Jetzt sitze ich hier wieder in meiner Kuppel und grüble, was das Ganze zu bedeuten hat.
Der Kreis und der Handschuh...
Sollte es etwa.... Oh mein Gott! Verdammt ... [ unverständlich]
--- Ende Eintrag 43 (nach zu langer Pause der Spracheingabe)
Die Luke öffnete sich langsam und Jom schälte sich mühselig aus seiner Notstartkapsel. Der Kapitän zog ihn ungeduldig auf die Beine.
„Gott sei Dank, du hast es geschafft. Der Sandsturm brach los, kaum dass du gestartet warst. Das war verdammt knapp. Es gab keinerlei Vorwarnung. Wir scannten den Planeten die ganze Zeit, als die Bordsysteme meldeten, dass deine Kapsel gestartet war. Dann brach da unten die Hölle los. Die Kuppel muss zu Lametta zerfetzt worden sein. Ich verstehe es nicht, der Planet galt als wetterstabil. Woher wusstest du, dass das passieren würde?“
Etwas wacklig auf den Beinen und noch immer vom seinem Kapitän gestützt, antwortete Jom:
„Freunde von mir haben mich gewarnt. Und wenn ich nicht so blöd gewesen wäre und gleich begriffen hätte, dass sie die Welt nicht ganz so dreidimensional sehen, wäre es auch nicht so verdammt knapp gewesen“.