Zähne für Gorbatschow.
Ende der 80er Jahre hinkt die Zahnmedizin ( Stomatologie ) in Russland weit hinter dem Standard des Westens her. Die Versorgung allgemein sowie die Materialien sind von geringer Qualität. Statt Porzellan, Kunststoff oder Gold, wird Stahl verwendet. Die Reichen im Land gehen im Ausland zum Zahnarzt. Möglichst früh, denn gesunde Zähne brauchen Pflege, werden gelb, riechen schlecht und schmerzen.
Die Duma genehmigt deshalb auf Anraten von Michail Gorbatschow ein Programm zur Verbesserung der Zahnmedizin im Land. Dieser Vorschlag wird angenommen. Für mich der Beginn einer aufregenden Geschichte.
In Berlin findet ein Kongress für Zahnmedizin statt. Ich nehme Kontakt mit der russischen Delegation auf, dessen Leiter Professor V B ist. Nach einem kurzen Fachgespräch wird der Wunsch laut, ein Warenhaus zu besuchen. Kein Problem in Berlin. Ich entscheide mich für das KDW mit den teuersten Rolltreppen Berlins. Es ist sicher interessanter als das Gum in Moskau. Jede Etage wird begutachtet und Wünsche angemeldet. Hier ein Bikini, dort Unterwäsche, T-Shirts und, und, und. Ich investiere mit Risiko. In der Schlemmerabteilung angekommen, wird das Ergebnis begossen, mit Wodka natürlich. Jetzt schickt der Chef seine beiden Kollegen zurück zum Kongress. „ I want to go to the second floor, Gerchart“ Er möchte für seine Frau einen Pullover und diese Uhr dort drüben kaufen. Weitere Investitionen kommen auf mich zu.
Nach Monaten bekommen wir den Auftrag für den Bau einer Firma mit Produktion und Vertrieb von Zahnmedizinischen Produkten nach US- Qualitätsnorm. Über diesen Erfolg freue ich mich natürlich, bin aber in der Zwischenzeit in Rente gegangen. Die Mühlen im Gesundheitsministerium in Moskau mahlen langsam. Ich bin derzeit als Hilfe in der heimischen Küche tätig, aber das liegt mir nicht. Man (Frau) findet meine Organisationsvorschläge für überflüssig. Ich verliere immer mehr an Einfluss.
Da kommt eine Anfrage meiner EX-Firme gerade zur rechten Zeit. „Können Sie das Projekt Moskau übernehmen?“ Ich kann.
Jetzt sitze ich in einer überfüllten Illjuschin von Moskau nach Charkow. Hühner, Hunde und Katzen sind mit in der Kabine. Ein amerikanischer Kollege ist mit von Partie. Das Empfangskomitee am Flugplatz erwartet uns mit einer SIS- Limousine. Da sind Vallery der Zahnarzt und KGB Mitarbeiter, der Chef einer Zahnfabrik und sein Fahrer. Wir besichtigen eine Fabrik, sie ist alt und sehr runtergekommen. Mitarbeiter stehen am Tor mit Transparenten. „WE WANT JOINT VENTURE“ Die Besichtigung ist schnell erledigt, die anschließende Besprechung aber zieht sich. Wodka wird nachgeschoben. Geprostet wird im Stehen wenn es um Frauen oder die Regierung geht, alle anderen Themen werden im Sitzen erledigt. Wir verpassen den Rückflug und müssen die 800 km mit dem Auto durch die Tundra nach Moskau. Nachts. Die Rollbahn hat nur einen zwei Meter breiten Teerstreifen. Rechts und links ist Schotter zum Ausweichen. Vallery ist besoffen, aber er fährt gut. Hat wohl viel Erfahrung. Er schläft ein und übersieht die entgegenkommenden Lichter. Ich greife ins Lenkrad und wir landen im Birkenwald. Die Fahrt ist vom KGB inszeniert. Vallery soll unsere Eindrücke und Pläne erkunden. Im Ministerium in Moskau wird später verhandelt, gefeilscht und unterschrieben. Wir bauen eine Fabrik in der „Moscow Region“ mit Fertigung und landesweitem Vertrieb. Eine alte Militärkaserne ohne Heizung wird uns zugewiesen. Der Umzug der Maschinen von Charkow nach Moskau dauert zehn Monate. Allein neun Monate steht der Transport auf einem Parkplatz vor der Stadt. Aus der UdssR ist inzwischen Russland geworden. Die Geräte kommen jetzt vom Ausland und sind zollpflichtig. Wir haben genügend Zeit die Kaserne herzurichten, besonders im Hinblick auf Hygiene, die hier unbekannt ist. Nach zwei Jahren kommen die ersten Produkte auf den Markt. Knowhow, Lizenzen und Rohmaterialien stammen aus Amerika. Dafür bekommen wir großes Lob vom Ministerium in Moskau. Sogar Gorbi besucht unsere Firma und stellt uns im Fernsehen vor als Beispiel für gute Zusammenarbeit.
Ein Jahr später verkaufen wir unsere Anteile vom Joint Venture an Professor V.B. „ Möchten Sie den Dollar-Betrag in London oder Wien in Empfang nehmen?“ fragt er. Fremd-Währungen im Ausland waren damals eher unüblich und nicht ganz sauber.
Dann ruft Vallery an:“ Ich benötige dringend ein Visum nach Deutschland für mich und meine Familie“. Ende. Aufgelegt …. Mit der nächsten Maschine fliege ich nach Moskau und treffe einen „Geschäftsmann“ im Hotel. Mit von der Partie sind drei Bodyguards mit auffällig dicken Taschen. Der Klügere gibt nach, denke ich, man weiß ja nie, was dort drinnen steckt. Wir machen einen Vertrag per Handschlag, wie unter “ Gentlemen“ üblich und erhalten dafür Schutz und Sicherheit für teure US-Dollar . Funktioniert aber bestens. Bei uns macht das die Wach und Schließgesellschaft.
Später hat mir Vallery den KGB gebeichtet. Wir sind aber trotzdem Freunde geworden. Leider habe ich lange nichts von ihm gehört, vermutlich schwebt er auf der Wodka-Wolke. Pavel.