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Yog
Vor nicht allzu langer Zeit war ich zusammen mit meinen Eltern und meinen Geschwistern auf eine Familienfeier eingeladen worden.
Die Gastgeber gehörten einem anderen Zweig unserer Familie an, waren aber wiederum recht nahe mit einer guten Freundin von mir verwandt. Dass ich meine Familie zur Annahme der Einladung gedrängt hatte, hatte viel damit zu tun, dass ich meine Freundin und deren Verlobte gerne wiedersehen wollte- und ich selbst noch keinen Führerschein hatte.
Die Feier war als Gartenparty angelegt. Als wir ankamen, wurden wir herzlich begrüßt- zumindest von meiner guten Freundin, welche wie bei den meisten Familienfeiern die Organisation übernommen hatte und eifrig kellnerte. Ihre Verlobte gab mir die Hand, war aber recht kurz angebunden. Leider mochte sie mich nicht ganz so sehr wie ich sie. Vielleicht war es Eifersucht, schließlich waren ihre Geliebte und ich seit unserer Schulzeit befreundet.
Die anderen Gäste saßen bereits bei Tisch. Einige, beispielsweise ein kleiner Mann mit buschigen Augenbrauen, irgendein mir unbekannter Onkel, schielten etwas missmutig zu uns herüber. Ich ignorierte dies zunächst und tat es als übersteigerte Paranoia meinerseits ab.
Auf dem Rasen waren zwei Tische aufgestellt, mit einem kleinen, aber augenfälligen Abstand zueinander. Meine Freundin bugsierte uns zum zweiten Tisch, der abgesehen von einer melancholisch dreinblickenden Asiatin noch unbesetzt war. Ich dachte mir nichts dabei, schließlich waren wir fünf Personen und an diesem Tisch war einfach mehr Platz. Meine Freundin plauderte fröhlich auf uns ein und belud uns mit Fressalien, von denen sie nicht wenige selbst zubereitet hatte. Dann kehrte sie zum anderen Tisch zurück.
Erst als einige Minuten später weitere Gäste dazukamen, erkannte ich das Muster. Ein Paar mit Kind wurde umgehend an den ersten Tisch geleitet, ein anderes Ehepaar dagegen wurde schlicht und einfach getrennt, wobei der Ehemann zu uns abgeschoben wurde.
Wir am zweiten Tisch schauten etwas betreten drein und fingen an zu essen. Ein weiteres Ehepaar erschien, zwei ältere Menschen diesmal, und wieder wurde der Mann zu uns geschickt. Seine Frau nahm nahe der trennenden Kluft Platz und schaute fröhlich zu uns herüber.
Dann sprach sie es aus, auf die ungenierte Art, wie es alte Leute nun einmal tun.
“Aha, euch haben sie also einen Neduj-Tisch gemacht, ganz nach Sitte.”
Neduj, das Wort hatte ich erst vor kurzem gelernt. Es bedeutete “Nicht-Yog”.
Wir grummelten vor uns hin. Ohne große Überraschung beobachteten wir, wie auch die letzte Welle von Gästen nach dem Schema aufgeteilt wurde.
“Willkommen am Neduj-Tisch”, begrüßte ich unseren Teil mürrisch, ohne von meinem Essen aufzusehen. Kindisch, ich weiß.
Der andere Tisch hatte unsere Gegenwart inzwischen halbwegs verdrängt. Nur gelegentlich linste ein Kind zu uns hinüber. Neugierig und ängstlich, als wären wir Tiere, die beißen. Wonach mir durchaus zumute war.
“Naja”, meinte meine Mutter zögerlich, “Sie wollen halt unter sich sein.”
“Auf einer Familienfeier finde ich das trotzdem unversch... nicht gut.”
“Es ist ihre Kultur.”
“Oh ja. Wie ich höre, werden sie nachher unser Geschirr von ihrem Schamanen segnen lassen müssen, damit der spirituelle Neduj-Dreck davon verschwindet. Ein sehr reinliches Völkchen.”
Wir vom Neduj-Tisch waren enger zusammengerückt. Wir waren Menschen unterschiedlichster Herkunft, kannten einander in vielen Fällen nicht einmal. Was uns verband war, was wir nicht waren.
“Ich würde bei einem Familienessen niemals ethnisch trennen.”
“Der Sinn eines Festessens ist doch, dass man zusammen sitzt. Zusammen das Brot zu brechen, das ist ein archaisches Ritual des Vertrauens...”
“Wir sind Neduj. Uns trauen sie nicht. Das ist ihre Kultur.”
“Nun, nach all dem, was sie in der Geschichte durchgemacht haben...”
“Oh, komm mir nicht schon wieder damit...”
“Diese Regeln sind für sie sehr wichtig.”
“Ich nenne das Segregation, ganz ehrlich. Das hätte ich nicht erwartet.”
“Gehört deine eine Freundin da, diese lesbische Kusine, nicht so einer Anti-Rassismus Bewegung an?”
“Was hat das damit zu tun?”
“Ich vergaß. Wenn Yog sowas machen, dann zählt das nicht als Rassismus. Scheinheiligkeit gekonnt vermieden.”
“Gerade wir sollten ihre Gefühle respektieren.”
“Jaja. Das alte Lied. Und so sitzen wir hier als Parias und dürfen auch noch ‘danke’ sagen.”
-
Es war das erste Mal, dass ich davon aufwachte, dass ich wütend war.
Noch am selben Tag besuchte ich meine Freundin und ihre Verlobte in ihrem Apartment in der Innenstadt. Wir waren nicht wirklich miteinander verwandt, aber ich kannte ihre Familie ein wenig und war auch schon bei diversen Feiern eingeladen worden.
Ich sprach meine Bekannte auf den Traum an.
“Ziemlich irre, oder?”
Sie lachte.
“Armer Schatz. Ich hätte dir nicht so viel über unsere Traditionen erzählen sollen. Wir sind da ja tatsächlich etwas eigen. Jetzt hast du schon Alpträume.”
“Ich bin halt leicht zu beeindrucken.”
“Äußerst. Ich mache dir erst mal einen Tee.”
“Danke dir... Sag, neulich, als die ganzen Onkels und Tanten und Kusinen deiner Verlobten hier waren...”
“Ja?”
“Wussten die eigentlich, dass ich ein Eduj bin?”
“Keine Ahnung. Ich schätze, mit deiner Nase könnte man dich leicht für ‘einen von uns’ halten. Meinst du, sie hätten dich anders behandelt, wenn sie die furchtbare Wahrheit gekannt hätten?”
“Was meinst du?”
“Ich meine, du solltest erstmal deinen Tee schlappern, du Bleichgesicht.”
Als ich nachhause ging, sah ich draußen auf der Straße, wie ihr Schatten auf den Vorhängen tanzte. Machte sie sauber?
Sie hatte mir einmal erzählt, dass gemäß der orthodoxen Traditionen jedes Yog-Haus einem gründlichen Reinigungsritual unterzogen werden musste, nachdem sich Neduj darin aufgehalten hatten.