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Ursprünglich als Challenge-Geschichte gedacht, ist sie jetzt auch endlich fertig.
Yammy
Ein Bett ist kein Ort für Träume, wenn es keinen Ausweg daraus gibt. Jeder leidet früher oder später unter Schlaflosigkeit, die meisten haben Rücken- oder Atemprobleme, taube Glieder, das sind nur die häufigsten Beschwerden. Aber Erin beklagte sich nie über seine Situation, schien die Gelassenheit eines Gautama zu besitzen. Ich hatte den Eindruck, als stände er über diesen Dingen, das machte es mir leichter. Vielleicht habe ich deswegen so viel Zeit mit ihm verbracht.
"Können wir noch ein Spiel spielen, bevor ich schlafen muss, Anna?"
"Schwester Anna."
"Schwester Anna!"
Ich sah auf die Uhr, spielte die Skeptische. "Na, schön. Wir haben gerade noch genug Zeit."
Eigentlich sollte er schon schlafen, aber wer wäre ich gewesen, ihm einen so einfachen Wunsch auszuschlagen?
"Werfen wir doch mal einen Blick in die Spielekiste." Ich zog mit einer Hand meine Kitteltasche weit auf und sah demonstrativ hinein, kniff die Augen zusammen.
"Mal sehen, was haben wir denn da heute?" Ich war nicht gut darin, die Aufmerksamkeit von Kindern zu bekommen und bin es auch heute nicht. Dieser Trick war alles, was ich hatte. Sie beugten sich dann vor, um zu sehen, ob ich wirklich etwas versteckte.
Erin fiel beinahe kopfüber vom Bett und musste sich abstützen. Gerade, als er in meine Tasche sehen konnte, zog ich sie wieder zu. Ich war froh, dass ich ihn so weit hatte.
"Gut", sagte ich. "Hast du schon mal 'Ich packe meinen Koffer' gespielt?" Er legte den Finger an das Kinn.
"Das haben wir in der Schule gespielt. Find' ich blöd." Ich versuchte weiterzulächeln, hoffte, er würde mir meine Unsicherheit nicht ansehen. Kinder merken so etwas. Ich musste mir schnell etwas einfallen lassen.
"Wir spielen es anders."
"Was meinst du?"
"Wir werden deinen Koffer packen. Für deine große Reise." Ja, ich hatte ihm erzählt, dass er auf eine große Reise gehen würde. Das war feige von mir, aber ich hatte es damals nicht besser gewusst.
"Du darfst dir aussuchen, was du willst. Und du musst die anderen Sachen nicht wiederholen, ich werde sie mir merken." Er machte noch immer ein langes Gesicht, aber ich wusste nicht, wie ich es ihm noch angenehmer hätte machen können.
"Soll ich anfangen?", fragte ich.
Er zögerte, nickte. Ich überlegte einen Moment, womit ich ihn begeistern könnte.
"Yammy," sagte er dann.
"Deinen Pinguin?" Er hielt seinen Plüschpinguin vor sich hoch und ließ ihn tanzen.
"Er würde doch auch so mitkommen, oder? Das ist ein guter Anfang, jetzt packe ich etwas in deinen Koffer."
"Und was?"
"Dein Tagebuch."
"Mein Tagebuch?" Er richtete die Frage an seinen Pinguin.
"Es hat bestimmt noch viele leere Seiten. Vielleicht kannst du schreiben, was Yammy alles erleben wird."
Er sagte nichts, sah nach unten. Mein Vorschlag gefiel ihm nicht. Hatte ich wirklich gedacht, Schreibaufgaben würden ihm zusagen? Ich musste ihn auf eine Idee bringen, die ihm gefiel.
"Gibt es etwas, das du schon immer mal tun wolltest?" Noch während ich das sagte, hatte ich die Idee. Ich musste ihn nur in die richtige Richtung lenken.
"Gibt es einen Ort, den du gerne besuchen möchtest?" Erin legte die Stirn in Falten. Er hatte es fast. "Oder vielleicht brauchst du etwas, um an einen ganz bestimmten Ort zu kommen?"
"Eine Goldene Karte!", er klatschte in die Hände und ich musste lachen. Er meinte eine Eintrittskarte für eine Art Spielhalle, in der er schon mehrfach gewesen sein muss. Eine Goldene reicht für die ganze Saison.
Wie immer konnte er gar nicht mehr mit den Phantastereien aufhören, wenn er von diesem Ort redete. Seine Augen wurden dann rund und leuchteten mit einer Kraft, die nur Kinderaugen haben. In diesen Momenten war er dort, in dieser Spielhalle.
"Da gehe ich gleich als erstes hin!", sagte er und ich musste ihm ein Zeichen geben, damit er leiser wurde. "Ich würde dich gerne mitnehmen, Anna. Aber du musst hierbleiben, oder?"
Schwester Anna. Ich sah ihn einen Moment an, strich ihm über die Kopfhaut. Er wehrte sich immer dagegen, aber nur ein wenig.
"Ja, Erin. Ich muss hierbleiben."
Ich habe diese Halle gesucht, mit ihren Spielautomaten und Hüpfburgen, aber ich konnte sie nicht finden und habe schließlich aufgegeben. Vielleicht gibt es sie nicht. Für mich wird sie immer der märchenhafte Ort bleiben, der sich hinter diesen schlaflosen Kinderaugen verbirgt.