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Y ist doch ein sympathischer Typ
Gut versteckt in einem Tal in der Nähe der österreichischen Stadt Ybbs hatte Y sich eine kleine, symmetrische Pyramide gebaut. Dort ruhte es nun sanft auf ägyptischen Decken und syrischen Kissen. Räucherstäbchen verbreiteten den Duft von Myrrhe. Der Pyjama aus grüner Seide schmiegte sich weich an Ys Bein. Der Whiskey schmeckte vorzüglich und die Symphonie, die aus den Lautsprecherboxen ertönte, klang wundervoll. Und das Beste war – kein Buchstabe wusste, wo Y war. Niemand würde es hinter der verschlossenen Pyramidentür stören! Ys Entschluss stand nämlich fest. Von heute an würde es nur noch Ferien machen. Die restlichen Buchstaben sollten sehen, was sie ohne Y anfingen. Y hatte die Nase voll. In den vergangenen Jahren hatte es Tag für Tag geduldig gewartet, dass es endlich einmal gebraucht wurde. Dass irgend jemand ein Wort wie Rhythmus oder System schreiben wollte. Allzu oft kam das natürlich nicht vor und so war es nur zu verständlich, dass Y während der endlosen Warterei ab und zu eingeschlafen war. Natürlich war es meistens genau dann passiert, dass die Worte Baby, Pony oder Yacht geschrieben werden mussten. Das war immer eine Aufregung im Alphabet gewesen. Die Buchstaben wurden hysterisch, rannten durcheinander und riefen: „Typisch Y! Immer wenn man es braucht, schläft es. Das hat doch System!“ L schlug sogar einmal voller Wut vor, Y auf der Stelle zu lynchen, weil es seinen Buchstabenpflichten nicht nachkam. Meist aber wurde Y unsanft geweckt und an seinem einen Bein zum Arbeitsplatz geschleift. Nein, diese unsympathische Behandlung würde es sich nicht mehr gefallen lassen.
Leider fiel Ys Verschwinden den anderen Buchstaben schon bald auf: Eine Geschichte über einen Yeti, der hoch oben im Himalaya mit seinem Yak auf der Suche nach Yamswurzeln unterwegs war, sollte gedruckt werden und Y - war nirgends zu finden.
Verzweifelt rauften sich die Buchstaben die Haare. Nur weil das doofe Y nicht aufzufinden war, konnte eine Geschichte nicht geschrieben werden? Das durfte nicht sein! Niemand wollte sich von dem unsympathischen Typen tyrannisieren lassen.
„Kein Problem!“, rief J und streckte seinen langen Hals. „Ich kann Y ersetzen und niemand wird es merken! Hört einmal her: Jak klingt doch genauso wie Yak, oder? Okay?“
Alle Buchstaben waren einverstanden und so wurde eine Geschichte über einen Jeti, der im Himalaja mit seinem Jak Jamswurzeln suchte, gedruckt und niemand vermisste das Y.
Etwas später sollte in einer Geschichte der Satz „Die Syrerin Lydia sang rhythmisch, als sie im Pyjama unter Hypnose versuchte, auf Sylt einen Polypen zu fangen“ gedruckt werden. Natürlich sprang J hilfreich ein und ersetzte das Y. Man las also: „Die Sjrerin Ljdia sang rhjthmisch, als sie im Pjjama unter Hjpnose versuchte, auf Sjlt einen Poljpen zu fangen“. Die Verwirrung war groß. Kaum ein Mensch konnte die komplizierten Worte aussprechen und Ü rief übermütig: „J, dass du Y ersetzt, war keine gute Idee! Ich könnte das viel besser!“
Und tatsächlich, die Überschrift: „Die Sürerin Lüdia sang rhüthmisch, als sie im Püjama unter Hüpnose versuchte, auf Sült einen Polüpen zu fangen“, war laut gelesen für alle verständlich. Allerdings wurde nun aus dem Himalaya ein Himalüa, aus dem Yak ein Üak und das Geld in Japan hieß plötzlich Üen und nicht mehr Yen. Babys und Ponys wurden zu Babüs und Ponüs und Hysterie machte sich im Alphabet breit.
Kein Buchstabe hatte bisher darüber nachgedacht, wie geschickt Y war. Als einziger Buchstabe konnte es auf drei verschiedene Arten klingen: wie J in Yak, wie Ü in Pyjama und wie I in Baby. Allen wurde auf einmal klar, wie genial das Y war. S säuselte: „Ich fand schon immer, dass Y ein sympathischer Typ ist. Ich finde, wir sollten es suchen.“ O schlug vor, ordnungshalber systematisch zu suchen und in Ybbs mit der Suche zu beginnen.
Das gesamte Alphabet reiste nach Ybbs und entdeckte ziemlich schnell die symmetrische Pyramide, ein für Österreich untypisches Gebäude.
Y langweilte sich dort bereits ein wenig. So öde hatte es sich das Faulenzen nicht vorgestellt. Als die Buchstaben an die Pyramidentür klopften, freute Y sich sehr. Am meisten aber freute es sich darüber, dass das Alphabet von nun an dafür sorgen wollte, dass Y beim Warten auf seinen Einsatz nicht mehr vor Langeweile einschlief. Y erhielt den Auftrag, in seinem Bauch die Satzzeichen zu transportieren und an den richtigen Stellen im Text auszuschütten. Seitdem erfüllt Y diese Aufgabe mit Begeisterung. Nur manchmal verteilt es in seinem Übermut ein paar Punkte zu viel, wie hier ........... Typisch Y!