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Xunil
Eine Frau, nachts alleine im Auto, unterwegs auf einer einsamen Straße. Plötzlich krachte es.
Verstört trat Sophie auf das Bremspedal. Sie wischte sich müde über die Augen, war sie kurz eingeschlafen? Gesehen hatte sie nichts.
Sie lenkte ihren alten VW Käfer an den Straßenrand, aktivierte die Warnblinklichter und stieg aus.
Es nieselte, diese Art von Nieselregen, der durch jede Kleiderritze dringt und einen frösteln läßt. Wolkenfetzen zogen wie dunkle Geschwüre am blassen Mond vorbei und tunkten den knochenbleichen Asphalt der schmalen Landstraße in ein trübes Grauschwarz.
Frierend zog Sophie die Jacke enger um ihren schmalen Körper als sie zur Unglücksstelle zurückeilte.
Als ihre Augen Straße und Straßengraben absuchten sah sie etwas Dunkles im Gebüsch liegen. Es bewegte sich leicht - und stöhnte. Das Stöhnen vermischte sich mit dem heulen des Windes zu einem schauerlichen Singsang, der der jungen Frau einen eisigen Schauer über den Rücken jagte.
Als sie sich vorsichtig dem Wesen näherte, schälte sich langsam seine Gestalt aus dem Dunkel. Sophie kauerte sich neben das wimmernde Bündel. Es war ein Pinguin.
Doch es war nicht irgendein Pinguin. Es war Xunil. Der Xunil, durch den die Softwarefirma gleichen Namens berühmt geworden war. Seine außerordentlichen Kenntnisse in allen bekannten und nicht bekannten Programmiersprachen, seine Kreativität und sein innovativer Umgang mit Tastatur und Maus hatten ihn und sein Pinguinteam in aller Welt bekannt gemacht.
Sophie war Krankengymnastin, nicht unbedingt für Pinguine, aber sie traute es ihren geübten Fingern durchaus zu, auch bei einem Vogel gebrochene Knochen feststellen zu können. Hat ein Pinguin überhaupt Knochen? Egal, eine Wirbelsäule hat er bestimmt, und die untersuchte Sophie auf schmerzhafte Druckpunkte. Geübt huschten ihre Finger über Xunils Körper. Sie tasteten schnell und doch vorsichtig über sein graublaues Federkleid. An einigen Stellen sickerte Blut aus seinen Federn, es schienen aber keine ernsthaften Wunden zu sein.
Erst jetzt erkannte sie den kleinen braunen Rucksack, der etwa einen Meter neben Xunil im Gras lag. Sie schob ihn sich über die linke Schulter, dann bettete sie Xunil vorsichtig auf ihre Arme und ging mit ihm zurück zum Auto.
„Wo bin ich?“ hauchte der Pinguin, doch bevor Sophie ihm antworten konnte verdrehte Xunil die Augen und fiel in Ohnmacht.
Vorsichtig lagerte sie ihn auf die Rückbank, legte den kleinen Rucksack neben ihn, setzte sich hinters Steuer, deaktivierte die Warnblinker und fuhr an.
Ihre Gedanken jagten sich. Was macht ein berühmter Pinguin wie Xunil auf dieser einsamen Landstraße? Seine Wunden sahen aus wie Schnittverletzungen, sie stammten nicht von dem Unfall. Wer hatte sie ihm beigefügt?
Sie erinnerte sich an einige Zeitungsartikel, die sie vor einigen Wochen über die neueste Softwareentwicklung des berühmten Pinguinteams gelesen hatte. Einiges war damit angeblich nicht in Ordnung gewesen, die Sache hatte eine Menge Staub aufgewirbelt.
Immer noch grübelnd bog sie in die Straße ein, die zu ihrem Haus führte. Sie parkte den Wagen vor dem Eingang und trug Xunil vorsichtig in ihre Wohnung. Sie legte ihn auf ihr Gästesofa, deckte ihn mit ihrer Lieblingskuscheldecke zu und schob seine Rucksack unter das Sofa. Leise schloß sie die Tür hinter sich, als sie das Gästezimmer verließ.
Als der heiße Wasserstrahl der Dusche ihren Nacken massierte überlegte sie, was sie mit dem Pinguin machen sollte, doch Sie war zu müde um noch irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Sie freute sich auf ihr warmes, weiches Bett, alles andere würde sich morgen zeigen.
Sophie erwachte von dem Sonntagsleuten der Kirchenglocken. Sie schlüpfte aus ihrem Bett. Während sie sich ihren Morgenmantel überstreifte ging sie ins Nachbarzimmer um nach ihrem Gast zu schauen. Xunil schlief noch tief und fest, sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig.
Nach einer kurzen Morgentoilette bereitete sie in der Küche eine stärkende Fischsuppe für Xunil vor.
Mit dem dampfenden Teller in der Hand, setzte sie sich an die Bettkante und wedelte Xunil den Fischgeruch unter den Schnabel. Der Pinguin bewegte seinen Kopf hin und her, als wolle er im Schlaf herausfinden aus welcher Richtung der Geruch kam. Dann schlug er die Augen auf und sah in Sophies Gesicht. Sein Blick war viel klarer als gestern. Der Schlaf hatte ihm gut getan. Ächzend setzte er sich auf und griff sich mit einer Flosse an den Kopf. „Mein Kopf brummt wie ein ganzer Heringsschwarm.“ stöhnte er. Dann sah er den dampfenden Teller voller Fischsuppe und klatschte begeistert in die Flossen. Wortlos reichte Sophie ihm Teller und Löffel und sah erstaunt zu, mit welcher Geschwindigkeit Xunil den Teller auslöffelte. Nach ein paar Minuten reichte er ihr den leeren Teller zurück, wischte sich genüßlich den Schnabel sauber und ließ sich entspannt in die Kissen zurücksinken.
„Jetzt fühle ich mich schon viel besser. Vielen Dank, daß du mich gestern abend mitgenommen hast und nicht nur im Straßengraben hast liegen lassen.“ Xunil schaute sie mit seinen großen braunen Augen an. Sophie war sich nicht sicher ob Xunil das eben gesagte vielleicht ironisch meinte, schließlich hat sie ihn angefahren und damit zur Verschlimmerung seiner Situation nicht unwesentlich beigetragen. Aber er meinte es ernst. Er mußte schlimmeres erlebt haben, wenn er einen Autounfall als Bagatelle abtat und sich nicht einmal bei ihr beschwerte, sich im Gegenteil sogar noch bei ihr bedankte.
Sophie mußte sich entscheiden, wie sie weiter vorgehen wollte. Dafür brauchte sie Informationen von dem Pinguin, und außerdem war sie neugierig. Sie wollte wissen, wie Xunil in diese Situation gekommen ist. „Was ist passiert Xunil? Wer hat dir diese Schnittverletzungen beigefügt und warum warst du mitten in der Nacht auf dieser gottverlassenen Landstraße?“
Xunil musterte die junge Frau und versuchte in ihrer Mimik zu lesen ob er ihr trauen konnte oder nicht. Aber er hatte keine große Wahl. Er war erschöpft, seine Wunden waren noch nicht verheilt und etwas in ihm drängte darauf sich jemandem mitteilen zu können, so als würde der Schrecken dadurch kleiner und das Unfaßbare dadurch greifbar, verständlich. Er schloß kurz die Augen, sammelte sich und begann seine Geschichte zu erzählen.
Xunil war einer der führenden Softwareentwickler unter den antarktischen Königspinguinen.
Er lebte glücklich und zufrieden mit seiner wundervollen Frau Lisa in der geschützten Hope Bay des Mount Flora. Mit seine stattlichen 1,35 Metern überragte er die meisten seiner Artgenossen um etliche Federlängen.
Die überdurchschnittlichen Informatikkentnisse Xunils sind auch dem finnischen Computerspezialisten Sunil Torwälder aufgefallen, als dieser eine Reise durch die Antarktis unternahm und dort auf Xunil und seine Freunde traf. Schnell freundeten sich die Beiden an und begannen schon bald an gemeinsamen Projekten zu arbeiten.
Eines Tages aber, Xunil war wieder einmal zu Besuch bei Sunil, sollte eine schicksalshafte Begegnung Xunils gesamtes Leben verändern. In Helsinki fand eine Computermesse statt, auf der auch einige Softwarefirmen ihre Produkte präsentierten. Als Xunil durch die Ausstellungshallen schlenderte, stieß er auf den Stand der Firma Minisoft von Bob Goats. Auch er war ein begnadeter Programmierer und schnell kamen Goats und Xunil ins Gespräch. Goats war von Xunils Talent und seiner Kreativität begeistert und wollte ihn, und auch einige der anderen Pinguine in seinem Team haben. Doch Xunil lehnte ab. Seine Loyalität zu Sunil war mit Geld nicht zu bezahlen.
In den folgenden Wochen entwickelten Xunils Pinguinteam eine hochangesehene Software, welche den Umgang mit dem Computer wesentlich erleichterte. Es war ein direktes Konkurenzprodukt zu Goats „Fensterchen“.
Bob Goats war darüber so verärgert, daß er unter Zuhilfenahme der Medien, eine Verleumdungskampagne gegen die Pinguine startete. Vor allem Xunil war ihm ein Dorn im Auge. Hatte Goats doch erkannt, welche Fähigkeiten in Xunil steckten, und die Abfuhr Wochen zuvor, auf der Computermesse, nagte an ihm wie der Schimmel am Brot.
Die Pinguine traf diese geschickt eingefädelte Verleumdungskampagne besonders hart.
Goats zog alle Register seines Könnens. Selbst Sunil hatte Bedenken hinsichtlich der Loyalität und des Könnens seiner Pinguinfreunde.
Goats lies durch geschickt plazierte Nachrichten an Internetboards und durch Pressemitteilungen durchsickern, daß bestimmte Teile des neuen Computerprogramms ausschließlich dazu dienten den Anwender, also den Endkunden, auszuspionieren. Somit konnte man alles über die Surfgewohnheiten, aber z. B. auch die Kontobewegungen der Kunden erfahren.
Dies sollte die Idee der Pinguine gewesen sein.
Natürlich war die Öffentlichkeit schockiert, zu recht, wenn es denn diese Spionagetools innerhalb des Programms gegeben hätte. Aber alles beteuern seitens der Pinguine half nichts. Der Skandal war perfekt und entwickelte sich zu einem Selbstläufer. Die Presse tat ihr übriges um das jährliche Mediensommerloch mit dieser Geschichte zu überdauern.
Auch im Internet fanden sich angebliche Beweise für diese „Schweinerei“ (O-Ton Goats).
Vor allem Xunil, als Leiter der Softwareabteilung, stand unter Beschuß der Medien. Es war eine harte Zeit für Xunil. Wen die Medien einmal in ihren Klauen hat, den lassen sie so schnell nicht wieder los. Sie wühlten in seiner Vergangenheit und fanden Belangloses. Sie bauschten es auf, bis die Belanglosigkeit der Tragödie und dem Seelenschmerz Platz machten.
An diesem täglichem Bombardement wäre er fast kaputt gegangen, doch er hielt durch. Seine Frau Lisa aber war nicht so stark wie er. Die täglichen Verleumdungen und Anschuldigungen gegen ihren Mann zerrütteten sie. Der Artikel über ihre angebliche Unfähigkeit zu schwimmen und zu tauchen zerstörten sie.
Es war Ende September und der Sturm heulte um die eisige Spitze des Mount Flora. Schwerfällig taumelten einige Schneeflocken zur Erde, verschmolzen am Boden liegend miteinander, verloren ihre eigene individuelle Schönheit, zerschmolzen zur Bedeutungslosigkeit, kaum gesehen und schon wieder vergessen.
Der Wind zerrte an Lisa. Seine eisigen Klauen schienen ihr dreilagiges Federkleid und ihre Fettschicht vollkommen zu ignorieren und mitten in ihr Herz, in ihre Seele zu fahren. Doch selbst diese eisigen Böen schreckten zurück, als sie der frostigen Leere gewahr wurden, die sie in der Mitte dieses gebrochenen Geschöpfes ertasteten. Trauerbeschwert suchten ihre Füße den höchsten Punkt des Mount Flora.
Ein paar Stunden später fand man ihren zerschmetterten Körper. Ihr Blut färbte die Eisscholle rot.
Xunil weinte jämmerlich. Tagelang hielt er Totenwache bei seiner geliebten Frau. Alles hatten sie ihm genommen. Erst die Freude an seiner Arbeit und jetzt seine Frau. Und alles hatte seinen Anfang bei Bob Goats. Xunil schwor Rache, bittere Rache.
In den nächsten Tagen trafen sich die Pinguine jeden Abend um ihr weiteres Vorgehen miteinander zu besprechen. So konnte und durfte es nicht mehr weitergehen.
Xunil war am Boden zerstört. Es bedurfte viel Zuwendung und guten Zuredens seitens seiner Freunde und Verwandten um ihn wieder aufzubauen. Doch mehr als alle gutgemeinten Ratschläge seiner Lieben halfen ihm die Gedanken an Rache wieder auf die Flossen. Er wußte um dessen bitteren Nachgeschmack, doch wer sagt, daß nicht auch dieser Geschmack seine Reiz haben konnte?
Alle konnten ihn gut verstehen, war doch Lisa bei allen Pinguinen sehr beliebt gewesen. Sie war eine warmherzige und kluge Pinguinfrau. Ihr Tod war für alle ein Schock und geeint durch dieses schicksalhaftes Erlebnis, entwarfen sie nach und nach einen Plan, der ein tödliches Ende nehmen sollte.
Vier Pinguine waren es, die letztlich den Plan bis ins Detail ausfeilten. Xunil als Kopf der Truppe, Nilux-ein fähiger Internetspezialist, mit einem Faible für Agentenfilme, Luxni-ein etwas älterer Pinguin, mit der unerreichten Gabe, alles mögliche und unmögliche zu besorgen. Vom BH von Madonna bis hin zum Triebwerk der ehemaligen Apollo 13. Das Team wurde durch Ixnul vervollständigt. Er war Fernmeldetechniker und begnadeter Hobbybastler. Als er letztens ein Faxgerät und einen Backofen fand, entwickelte er ein hitzebeständiges Faxgerät mit dem man Pizzas von einem Ende der Antarktis zum anderen schicken konnte.
Als der Plan fertig entwickelt war, wurde Xunil mit allerlei technischen Hilfsmitteln ausgestattet, die er in einen kleinen Rucksack stopfte, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Er hüllte sich in seinen Trenchcoat und machte sich auf den Weg zum Flughafen. In seinem Inneren war eine weltraumgleiche Kälte, seine Gedanken waren von Gram zersetzt. Er straffte seine Schultern und stieg in das Flugzeug. Er durfte sich jetzt nicht ablenken lassen. Er mußte sich ganz auf seine Mission konzentrieren.
Als er nach der Landung das Flughafengebäude verließ, ging er direkt zum öffentlichen Parkplatz. Hier entdeckte er den kleinen Transporter, den Luxni für ihn besorgt hatte. In großen Buchstaben konnte man „Inuxl – Ihr Fischlieferant“ darauf lesen. Xunil nickte zufrieden, sperrte den Wagen auf, kletterte nach innen und ließ den Motor an.
Nach drei Stunden Fahrt erreichte Xunil das Anwesen von Bob Goats. Er hielt in einer Seitenstraße um seine Verkleidung anzubringen.
Sein Schnabel stellte bei seiner Maske das größte Problem dar. Gott sei Dank läßt sich ein Pinguinschnabel etwas nach unten verbiegen. Er zog seine Latexmaske hervor, bog seinen Schnabel nach unten (es schmerzte höllisch, Tränen standen Xunil in den Augen, aber es mußte sein – für Lisa) und streifte die Maske so über, daß sie den Schnabel nach unten gerichtet fixierte. Er hatte nun das Gesicht eines Mannes mit einem sehr dominanten Kinn. Ein aufgeklebter Bart sollte diesen Eindruck wieder etwas reduzieren.
Die gefälschten Lieferpapiere legt er gut sichtbar hinter die Windschutzscheibe des Wagens. Auf diese Weise vorbereitet, startete er wieder den Motor und rollte langsam auf das Anwesen zu.
Der Wachposten warf nur einen gelangweilten Blick auf die Papiere und ohne den Wagen anzuhalten, winkte er Xunil durch.
Mittlerweile war die Dämmerung hereingebrochen. Xunil fuhr die Auffahrt bis zum Dienstboteneingang entlang. Er stellte den Motor ab, entledigte sich seiner Maske und seines Mantels. Er wartete während er sich seinen schmerzenden Schnabel massierte, bis der letzte Angestellte, der tagsüber seinen Dienst versah, das Haus verlassen hatte. Keiner von ihnen störte sich an dem Auto eines Fischlieferanten. Bob Goats organisierte häufig Parties oder Empfänge. Lieferantenfahrzeuge gehörten hier zum Alltag.
Nilux hatte Xunil eine vollständige Liste aller Angestellten erstellt. Zehn von ihnen versahen ihren Dienst tagsüber. Nur drei waren über Nacht im Haus anwesend. Hinzu kamen noch zwei Beamte des Sicherheitsdienstes, die das Innere absicherten und weitere drei, die das Grundstück bewachten.
Es war kurz vor 10 Uhr abends als Xunil aus dem Wagen kletterte. Am schwarzen Himmel klebte der Mond wie ein totes, blickloses Auge. Sein fahles Licht wurde von vorbeiziehenden Wolken verdunkelt. Das blasse Glimmen der Sterne ertrank im dunstigen Schwarz des Firmaments. Hilflosen Teelichtern gleich schwankten sie wie auf dunkler See. An diesem Abend hatte ihr leuchtendes Funkeln fast den Kampf verloren gegen die Macht der Finsternis.
Xunil näherte sich der Hintertür. Sie hatte keinen Türknauf, statt dessen war rechts von ihr ein Tastenfeld angebracht. Xunil zog sein Laptop aus dem Rucksack und verband es mit dem Eingabefeld neben der Tür. Keine fünf Sekunden später leuchteten auf seinem Monitor vier Ziffern auf. Schnell stöpselte Xunil sein Laptop ab, tippte die Ziffern ein und glitt lautlos durch die sich öffnende Tür.
Xunil grinste schadenfroh, als er sein Laptop wieder verstaute. „Wie gut, daß Ixnul dem Sicherheitsdienst vor zwei Wochen die neue Überwachungssoftware aufgeschwatzt hatte“, dachte er spöttisch. „Sie hat ein paar leichte Schwächen, die ich mir mit Hilfe meines Computers zu Nutze machen kann“. Allerdings konnte das Pinguinteam den Alarm nicht ganz umgehen. Wurde nach 20 Sekunden keine oder eine falsche Ziffernfolge eingegeben, wurde ein Warnsignal ausgelöst.
Leise klackend fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Xunil hatte sich den Grundriß des über 2000 m² großen Gebäudes gut eingeprägt. Trotzdem setzte er nun seine Spezialbrille auf, die ihm den Plan des Hauses auf die Innenseite der Gläser projezierte. Nilux hatte ganze Nächte damit verbracht über sogenannte „Internetbeziehungen“, wie er es nannte, die Überwachungseinrichtungen innerhalb des Hauses ausfindig zu machen und in die Software der Brille einzuarbeiten. Rote Punkte warnten Xunil vor solchen Gefahren, grüne Pfeile hingegen zeigten ihm einen möglichen Ausweg, somit konnte er z.B. tote Winkel von Überwachungskameras erkennen und für sich nutzen.
Er wußte, daß sich Goats sehr früh in seine Privatgemächer, im dritten Stock zurückzog. Meistens arbeitete er hier an seinen privaten Terminals bis spät in die Nacht. Der kürzeste Weg nach oben war der Aufzug, der sich ein paar Gänge links von ihm befand.
Ein kurzer Blick auf die in seiner Brille integrierte Uhr zeigte ihm, daß es zehn Uhr vorbei war.
Die Bediensteten sind um diese Uhrzeit meistens in der Küche um sich einen kleinen Abendsnack zuzubereiten. Selten bestellte Goats einen von ihnen jetzt zu sich.
Xunil hatte keinen Blick für die teure und exquisite Einrichtung übrig. Goats war ein begnadeter Sammler edler und wertvoller Antiquitäten. Der Pinguin hütete sich davor auch nur einen dieser Gegenstände anzurühren. Die roten Punkte auf seinen Brillengläsern signalisierten ihm, daß sie alle gesichert waren.
Den grünen Pfeilen folgend gelangte er bis an die Lifttür. Auch sie war mit einem vierstelligen Nummerncode gesichert. Immerhin führte der Lift direkt ins Herz des Goat´schen Imperiums.
Xunil ließ wieder sein Laptop für sich arbeiten. Als es nach zehn Sekunden den Code noch nicht geknackt hatte, wurde er skeptisch, nach weiteren zehn Sekunden trennte er fluchend seinen Computer ab. Der Alarm heulte durch die Flure, ohne daß er die Ziffernfolge für den Lift hatte.
Ihm blieben nur ein paar Sekunden um sich ein Versteck zu suchen. Links von ihm führte die Treppe nach oben. Auf dem ersten Absatz sah Xunil eine riesige chinesische Vase stehen. Seine Brille signalisierte ihm, daß sie nicht gesichert war. Zum Wundern blieb ihm keine Zeit, so schnell wie es seine kurzen Beine erlaubten, eilte er die zwölf Stufen nach oben und turnte in die Vase.
Durch das Porzellan der Vase hindurch hörte er, wie die beiden Wachleute angerannt kamen und vor der Lifttür stehenblieben.
„Dieses verdammte Alarmsystem. Es ist total veraltet. Es vergeht kaum eine Woche an dem dieser Aufzug nicht Alarm schlägt.“ Xunil hörte den Ärger in der Stimme des Mannes. „Vielleicht solltest du die Software doch gegen die Neue austauschen. An der Dienstbotentür funktioniert sie hervorragend. Aber du bist immer so beschäftigt“. erwiderte der zweite hämisch.
Xunil verdrehte die Augen. Wer konnte denn schon vermuten, daß die faule Bande ihre Aufgabe so nachlässig ausführt.
Der Alarm verstummte und die Wachleute entfernten sich. Xunil kletterte aus der Vase und bemerkte, daß diese einen Sprung hatte. Vielleicht erklärt dies, daß sie ungesichert war, weil sie mit Riß keinen Wert mehr besaß. Er wußte es nicht, er war kein Fachmann und es war ihm auch egal. Er war nur froh, daß sie trotz der Beschädigung gehalten hatte.
Er blickte die Treppe entlang nach oben. Außer den üblichen Kameras sah er keine Überwachungsgeräte. Auch seine Brille signalisierte ihm nichts.
Im toten Winkel der Kameras stieg er zum ersten Stockwerk hinauf. Hier befanden sich die Unterkünfte der Gäste. Xunil inspizierte den nächsten Treppenabsatz. Nichts. Schnell stieg er hinauf und konnte von hier das zweite Stockwerk erkennen. Hier war der Arbeitsbereich untergebracht. Natürlich hatte Goats auch außerhalb seines Anwesens Büros, aber seine engsten Mitarbeiter arbeiteten oft hier und tüftelten mit ihm zusammen neue Softwareideen aus.
Der Eingang zum zweiten Stockwerk wurde von einer computergesicherten Tür verschlossen. Sie sollte allzu neugierige Gäste davon abhalten in die Ideenzentrale des Bob Goats einzudringen.
Xunil hatte ein Problem. Durch ein kurzes Nicken aktivierte er sein Kehlkopfmikrofon. Ein leichter Druck auf sein Ohr ließ einen verborgenen Sender die Verbindung zum Südpol herstellen. Kurz darauf hörte er Ixnuls Stimme.
Während Xunil darauf achtete immer im toten Winkel der Überwachungskameras zu bleiben schilderte er Ixnul sein Problem.
Wenn die Wachmannschaft auch bei dieser Tür das Softwareprogramm nicht ausgetauscht hatte, würde er unweigerlich wieder einen Alarm auslösen. Das würde selbst diesen unfähigen Wachleuten verdächtig vorkommen. Eine Entdeckung Xunils wäre dann sehr wahrscheinlich.
Xunil stieg die Stufen bis zur Tür nach oben und verband sein Laptop mit dieser. Sofort wurden die Daten an Ixnul übermittelt. Sie hatten 20 Sekunden Zeit. Der Hauptcomputer am Hope Bay war größer und leistungsfähiger als Xunils Laptop. Es war ihre einzige Chance diese Tür zu öffnen. Diese Möglichkeit war nur für Notfälle gedacht. Zu riskant war die Gefahr einer Entdeckung. Deshalb hatte Xunil an der Lifttür auf diese Vorgehensweise verzichtet. Hier blieb ihm nun keine andere Wahl mehr.
Nach endlos langen 18 Sekunden erschien die vierstellige Ziffernfolge auf seinem Bildschirm. Schnell tippte Xunil den Code ein. Die Tür öffnete sich. Alles blieb ruhig.
Es juckte Xunil in den Flossen sich im Herzen von Goats Softwareimperium umzusehen, aber er beherrschte sich und stieg zielstrebig die Treppe bis zur nächsten Tür hinauf. Hier erwartete ihn das letzte und schwerste Hindernis. Die Tür war ungesichert. Sie ließ sich problemlos öffnen.
Er sah einen langen Gang vor sich. Nachdem er seine Brille auf Infrarotoptik umgeschaltet hatte, sah er die Laserstrahlen, die im schnellen Rhythmus den Gang nach Eindringlingen abtasteten um ihn dann zu Asche zu verbrennen. Die Tür, die er am Ende des Ganges erkannte, sollte ihm keine Schwierigkeiten bereiten. Sie war ungesichert und konnte einfach von Hand geöffnet werden.
Xunil schaltete die integrierte Kamera in seiner Brille ein, filmte das todbringende Zucken der Laserstrahlen und speiste die Bilder direkt in seinen Computer ein. Der erschuf ein detailgetreues Abbild des Ganges, inclusive der blitzenden Laserstrahlen.
Nach fünf Minuten Rechenzeit erkannte der Computer ein immer wiederkehrendes Muster in dem tödlich roten Geflecht. Alle zehn Sekunden wiederholte sich die Abfolge der vernichtenden Laserfinger. Es war eine Choreographie des Todes. Nun projezierte er einen virtuellen Xunil an den Anfang des Ganges. Er ließ diesen solange akrobatische Übungen quer durch den Gang machen, bis er unverletzt am Ende desselben angekommen war. Xunil beobachtete das Geschehen kritisch aus zusammengekniffenen Augen. Er würde sich die Abfolge seines Cyberdoubles merken müssen. Er hatte nur eine einzige Chance. Jeder Fehler würde ihn in ein Häufchen Pinguinasche verwandeln. Doch er war Träger des schwarzen Gürtels und selbst die schwierigsten akrobatischen Übungen wie Saltos oder Flic-Flac waren kein Problem für ihn.
Am Ende des Ganges verharrte ein Laserstrahl so direkt vor der Tür, daß hier kein Platz mehr für ihn war. Er würde seinen automatischen Enterhaken aktivieren müssen, der ihn kurz bis unter die Decke beförderte. Nach einigen Augenblicken würde sich der Strahl unter ihm deaktivieren. Dann konnte er sich schnell abseilen und durch die Tür schlüpfen.
Er prägte sich die Bewegungen des virtuellen Xunils noch ein paar Minuten ein, dann deaktivierte er seinen Computer und verstaute ihn in seinen kleinen Rucksack.
Seine Augen fixierten das rötliche Wabern vor ihm. Er konzentrierte sich – wartete, wartete auf den Augenblick an dem er an dieser todbringenden Choreographie mitwirken würde. Ein Tänzer und Akrobat inmitten von tausend Grad heißen, fingerdicken, rötlichen Partnerinnen. Jede von ihnen bereit dem Pinguin den glühenden Kuß des Todes auf seine Federn zu brennen.
Seine Nerven und Muskeln waren zum Zerreißen gespannt. Er atmetet tief durch – jetzt – ihm blieben zehn Sekunden um bis zur Tür am Ende des Ganges zu gelangen.
Xunil machte einen Schritt nach vorne, sofort griffen Laserfinger auf Höhe seiner Knöchel nach ihm. Xunil machte einen Salto und landete sicher auf seinen Flossen.
Neun Sekunden
Xunil ließ sich fallen; heiße Energiefinger schossen über ihn hinweg und versengten ihm seine Kopffedern. Nach einer Rolle vorwärts kam er wieder zum Stehen.
Noch acht Sekunden
Wie gierige Krallen streckten sich die Strahlen Xunil entgegen. Doch zwei schnelle Flic – Flac brachten den Pinguin aus dem Gefahrenbereich.
Sieben Sekunden
Nach dem letzten Flic – Flac sprang Xunil in die Luft und grätschte die Beine, zwei Laserstrahlen zischten unter seinen Füßen hinweg und verloren sich hinter ihm im Gang.
Sechs Sekunden
Xunil kam federnd zum Stehen; mußte ein Rad schlagen. Einen Arm hielt er dabei eng an seinen Körper gepreßt, der Platz war eng. Einen Zentimeter vor und hinter ihm kreuzten die Strahlen seinen Weg. Er hatte die Hälfte des Weges geschafft. Es waren noch
Fünf Sekunden
Nach dem Radschlag rutschte Xunil in den Spagat, den Oberkörper dabei eng nach vorne an die Flossen gepreßt; keine Handbreit über und neben ihm zischte der rote Tod hinweg. Xunil wagte kaum zu atmen, befand sich in dem einzigen, schmalen Korridor, dem die Laserstrahlen ihn ließen als sie an ihm vorbei zuckten.
Vier Sekunden
Xunil rollte sich nach vorne ab und kam in den Handstand; er grätschte die Beine als ein Laserfinger dicht an seinem Steiß entlang fuhr.
Noch drei Sekunden
Xunil kam zum Stehen, er ging leicht in die Knie und sprang mit einem gewaltigen Satz in die Höhe, sein Körper schien für Sekundenbruchteile horizontal in der Luft zu schweben, über und unter ihm ein waberndes Rot.
Zwei Sekunden
Xunil landete unsanft auf seinem Bauch, rutschte die letzten Meter bis zur Tür. Er wußte, daß sich hinter ihm eine pulsierende Wand aus rotem Tod heranschob, die gnadenlos alles verdampfte, was sich ihr in den Weg stellte.
Im Rutschen löste Xunil seinen Enterhaken vom Einsatzgürtel, drehte sich auf den Rücken und schoß.
Noch eine Sekunde
Der Haken fraß sich in die Decke. Ein gewaltiger Ruck riß Xunil in die Höhe. Unter ihm konnte er die tödliche Hitze des Laserlichts spüren – hoffentlich hielt der Haken. Der Schweiß brannte ihm in den Augen. Endlich fiel die Wand aus Energie unter ihm zusammen.
Xunil ließ sich zu Boden gleiten, entsicherte und verstaute seinen Haken wieder.
Die Tür ließ sich tatsächlich problemlos öffnen. Goats hielt es sicher für unwahrscheinlich, daß es jemand bis hierhin schaffte; doch er hatte nicht mit Xunil gerechnet.
Nachdem er die Tür durchschritten hatte, ließ sich Xunil mit einem erleichterten Seufzer an der Wand entlang nach unten sinken und wartete, bis sich seine Nerven wieder etwas beruhigt hatten.
Xunil konnte sich hier unbehindert bewegen. Dicke Teppiche schluckten seine Schritte. Er steuerte direkt auf Goats Schlafbereich zu. Den kostbaren Gemälden an den Wänden schenkte er keine Beachtung. Seine Augen waren stur auf die gegenüberliegende Tür gerichtet. Kunstvolle Schnitzereien gaben ihrer Oberfläche ein orientalisches Aussehen. Xunil war bis auf einen Meter an die Tür herangetreten. Dahinter befand sich die Summe all seiner Wut, seiner Trauer, seiner Verzweiflung, aber auch seine Hoffnung auf Heilung, auf Erlösung von seinem Seelenschmerz.
Seine Schultern strafften sich, in seinen Augen funkelte ein eisiges Licht, dem selbst die Kälte des Weltraumes nichts entgegenzusetzen hatte.
Mit einem Fußtritt sprengte er die Tür aus den Angeln, krachend fiel sie zu Boden. Xunil stand auf der Tür, sein frostiger Blick suchte Bob Goats in dem abgedunkelten Schlafzimmer. Dieser lag auf seinem Bett und studierte im gelben Schein seiner Nachttischlampe die Börsenkurse seiner Firma. Erschrocken starrte er zum Eingang des Schlafzimmers. Das Licht des Flures schuf ein helles Rechteck in der Türöffnung. Er erkannte eine dunkle Gestalt, die breitbeinig und bedrohlich auf seiner Tür stand.
Goats sprang aus dem Bett und betätigte den Lichtschalter neben seinem Nachttisch. Der Deckenstrahler flammte auf und schälte Xunils Gestalt aus der Dunkelheit.
Goats war keineswegs überrascht Xunil hier zu sehen. Ganz im Gegenteil. Es wunderte ihn, daß Xunil erst jetzt, fast sechs Wochen nach dem tragischen Freitod seiner Frau bei ihm auftauchte. Er fixierte den Pinguin aus seinen dunklen Augen. Seine Nasenflügel vibrierten, wie bei einem Raubtier, das die Witterung aufgenommen hat. Die Tatsache, daß Xunil es bis zu seinem Schlafzimmer geschafft hatte, machte ihm deutlich, daß er hier einen Gegner vor sich hatte, den er auf keinen Fall unterschätzen durfte. Er wirbelte herum und verschwand in der Geheimtür, die sich hinter ihm, seitlich am Kopfende seines Bettes auftat. Xunil konnte diese plötzliche Aktion nicht überraschen. Er wußte von der Geheimtür (Nilux sei Dank) und hetzte Goats hinterher. Das Zimmer hinter der Tür barg die Waffensammlung von Goats. Er hatte sich auf Hieb – und Stichwaffen aus dem Mittelalter spezialisiert. Vom eleganten Degen bis zum mittelalterlichen, mehr als hüfthohen Bidenhänder war hier alles zu finden.
Als Xunil die Waffenkammer betrat, empfing ihn Goats mit einem mächtigen Schlag dieses zwölf Pfund schweren Schwertes. Diese wuchtige und schwer zu führende Waffe konnte sich in den Händen eines erfahrenen Kämpfers in ein todbringendes Instrument verwandeln. Xunil tauchte unter das heranzischende Schwert hinweg, machte einen Schritt zur Seite und befand sich jetzt im Rücken des Gegners. Er lächelte kalt. Der Schwung des Schwertes riß Goats fast von den Beinen. Krachend schlug das scharfe Metall in den Türrahmen und blieb zitternd dort stecken. Goats spürte die Wucht des Schlages schmerzhaft im ganzen Körper. Während er sich abmühte, die Klinge wieder aus dem Holz zu ziehen, nahm Xunil einen Degen aus dem Waffenschrank, der gegenüber der Eingangstür an der Wand stand. Die Klinge der Waffe vorsichtig nach unten biegend, prüfte er ihre Flexibilität. Er schnalzte zufrieden mit der Zunge. Eine hervorragende Waffe. Genau ausbalanciert; sie war wie geschaffen für ihn.
Endlich bekam Goats sein Schwert frei, und stürmte, beide Hände um den Griff gepreßt, auf Xunil zu. Dieser verlagerte sein Gewicht um besseren Stand zu haben. Er schien den Schlag parieren zu wollen, drehte sich aber im letzten Moment zur Seite, wie ein Torero, der einen heranstürmenden Stier ins Leere laufen läßt. An Xunil vorbeitaumelnd erkannte ein wütender Goats, daß er mit dieser schwerfälligen Waffe keine Chance gegen den wendigen Pinguin hatte. Er schleuderte das Schwert mit Wucht auf Xunil, und während dieser dem fliegenden Metall ausweichen mußte, riß Goats den zweiten Degen aus dem Waffenschrank.
Xunil sprang auf den mächtigen Eichentisch, der in der Mitte des Raumes stand um den Größenunterschied auszugleichen. Über ihm hing ein schwerer, eiserner Kronleuchter, gehalten von einem Seil, das schräg nach unten, am Waffenschrank vorbei und durch Seilzüge geführt, an der Wand verankert war.
Auge in Auge standen sich die beiden Kämpfer gegenüber. Goats rechtes Augenlid zuckte. Ein sicheres Zeichen für seine innere Anspannung. Fahrig wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Ein kurzer Augenblick nur, in dem Goats unkonzentriert war, doch Xunil nutzte ihn, trieb seinen Gegner mit schnellen Hieben um den Tisch. Doch Goats konnte mit dem Degen wesentlich besser umgehen als mit dem Zweihänder. Er parrierte geschickt jeden Schlag um dann seinerseits in den Angriff überzugehen. Seine Klinge wischte über den Tisch und Xunil mußte in die Luft springen um nicht getroffen zu werden. Noch bevor seine Füße wieder den Tisch berührten, streifte seine Klinge Goats Schulter. Blut tropfte auf den Boden, doch die Wunde war nicht tief, und Goats zuckte nicht einmal als die Klinge seine Haut ritzte. „Ist das alles was du kannst, du lächerlicher Frackträger?“ höhnte er.
Die Wunde schien Goats Wut zu schüren und er deckte Xunil mit einer ganzen Serie von fürchterlichen Attacken ein, die der Pinguin nur mit Mühe parieren konnte. Mehr als einmal ritzte Goats Klinge Fleisch – und Hautfetzen aus Xunils Körper. Er blutete und sein Arm wurde immer schwerer, aber auch Goats hatte dieser vehemente Angriff Kraft gekostet. Atemlos standen sich die beiden Feinde gegenüber.
Xunil bot all seine Kraft auf, ihm gelang ein erfolgreicher Ausfall, er konnte die Paraden Goats durchbrechen und ritzte ihm ein großes X auf die Brust. „Nicht schlecht für ein Aptenodytes patagonica!“ spottete der Königspinguin.
Goats legte einen Finger auf die Wunde, und leckte das Blut von seinem Finger. Wut funkelte in seinen Augen. Er stürmte auf Xunil ein, und zwang ihn vom Tisch zu springen. Auf dem Boden hatte er keine Chance gegen Goats.
Nach zwei weiteren stürmischen Angriffen hatte er Xunil entwaffnet, dieser hatte sich von Goats bis zum auf dem Boden liegenden Schwert zurückgezogen. Als sein Degen im hohen Bogen davonflog, bückte er sich nach der Waffe. Goats lachte höhnisch. „Was willst du flügellahmer Vogel mit dieser Waffe, du kannst sie nicht einmal anheben, geschweige dann mit ihr kämpfen.“ Er hatte zweifellos recht, und das wußte Xunil auch. Langsam ging Goats auf ihn zu. Xunil packte den Knauf des Schwertes und ließ es schwungvoll über den Boden schlittern. Goats sprang kurz in die Höhe. Das Schwert rutschte ohne ihm zu schaden unter ihm hindurch. Noch zwei Schritte. Goats holte zum entscheidenden Schlag aus. In dem Moment krachte das Schwert in den Waffenschrank hinter Goats. Die Wucht des Aufpralls ließ einen Fuß des Schranks einknicken. Er kippte. Hellebarden, Schwerter und Dolche fielen zur Erde, als der Schrank, Goats unter sich begrabend zu Boden stürzte. Einen kurzen Moment war alles still. Selbst die Luft schien vor Spannung den Atem anzuhalten. Dann wühlte Goats sich unter seinen Waffen hervor, aus kleinen Wunden blutend, am Boden kniend, schüttelte er seinen Kopf, nach Klarheit suchend. Ein spöttisches Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er sich zu Xunil wandte. Entschlossenen Härte fieberte in seinen dunklen Augen. „Netter Versuch mein kleiner Freund, aber ich lebe – und du stirbst – jetzt!“ Mit diesen Worten wollte sich Goats auf Xunil stürzen, doch dieser achtete nicht auf ihn, sondern starrte nur auf das Seil, an dem der Kronleuchter baumelte. Einige Hellebarden hatten es bei ihrem Sturz angeritzt. Es konnte das schwere Gewicht nicht mehr halten und riß mit einem sirrenden Laut. Der Kronleuchter fiel – und begrub mit einem häßlichen Knirschen den Oberkörper von Goats unter sich. Der Stiel einer eisernen Rose bohrte sich mit einem schmatzenden Geräusch zwischen die Rippen direkt in Goats Herz. Seine Augen brachen. Der Ausdruck des Hasses wich der Kälte des Todes als der Körper erschlaffte und reglos unter dem Leuchter liegen blieb.
Xunil atmete erleichtert auf und schloß für einen kurzen Moment die Augen. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Erschöpfung ergriff seinen Körper. Doch er riß sich zusammen und stemmte sich in die Höhe.
Er befestigte die Leine seines Enterhakens am Seil des Kronleuchters und ließ diesen von dem ächzenden Motor wieder nach oben gleiten. Nur langsam, fast widerwillig wich der Stiel der Rose aus Goats Brust. Blutstropfen funkelten wie kleine Rubine als sie von dem Metall zu Boden fielen.
Als der Leuchter wieder unter der Decke schwebte, befestigte Xunil das Seil wieder an der Wandhalterung.
Der Pinguin unterbrach seine Erzählung und bat Sophie ihm seinen Rucksack zu reichen. Xunil sah, daß sie wie erstarrt auf der Bettkante saß und ihn fassungslos anstarrte.
Niemals hatte Sophie gedacht, daß die Liebe eines Pinguins so kompromisslos ist. Ihr Entsetzten wich der Bewunderung für Xunils Mut und seine grenzenlose Liebe zu seiner Frau.
Sie bückte sich und reichte ihm den Rucksack.
„Hier sind die Reste von Bob Goats“, rief er und wedelte ihr dabei mit einem Stapel CD – Rom´s vor der Nase rum, die er aus seinem Rucksack gezogen hatte.
Verwirrt pendelte Sophies Blick zwischen den CD´s und Xunil hin und her. „Das kapier ich nicht“, sagte sie und zeigte dabei stirnrunzelnd auf die Datenträger in Xunils Hand, die im Licht silbrig schimmerten „und ausserdem, könntest du mir vielleicht erklären wie du es geschafft hast unbemerkt von dem Anwesen zu verschwinden?“ fragte sie.
„Das war ganz leicht“, fuhr Xunil in seinem Bericht fort „So gut es ging beseitigte ich die Spuren unseres Kampfes und verschloß die Geheimtür von Goats Schlafzimmer aus. Dann veränderte ich den Öffnungscode; die bekommt in zehn Jahren keiner auf – wenn überhaupt jemand weiss, dass sie existiert. Mit einem kurzen Blick aus dem Schlafzimmerfenster, mußte ich aber leider feststellen, dass die Securityleute meinen Wagen inspizierten. Ich mußte zu Fuß fliehen. Schnell deaktivierte ich von Goats Büro aus (es befand sich neben seinem Schlafzimmer) die Alarmanlagen und seilte mich von seinem Bürofenster aus in den Garten ab. Keiner bemerkte mich. Zurück blieb nur mein Lieferwagen. Doch alle Nachforschungen über ihn würden im Sande verlaufen.
Nach einigen Stunden Fußmarsch kam ich dann endlich, vollkommen entkräftet, an die Straße, an der du mich fast überfahren hattest“.
„Was für eine Ironie“, dacht Sophie, „Xunil meistert die tödlichsten Gefahren und wird dann fast von einem alten VW Käfer überrollt.“ Entschuldigend sah sie ihn an.
„Schon gut“, winkte Xunil ab, „es ist ja nichts passiert“.
„Aber die Leiche“, platzte Sophie heraus, „was hast du mit ihr gemacht? Du kannst sie doch nicht den ganzen Weg mit dir geschleppt haben?“
„Im gewissen Sinn habe ich das“, grinste Xunil und wedelte wieder mit den CD´s.
„Bob Goats mißtraute den Zulieferern von leeren CD – Rom´s, aus Angst auf ihnen könnten schon Viren oder Würmer installiert sein, die seine Systeme lahm legen oder Daten klauen könnten. Deshalb stellte er seine eigenen CD´s her. Die große Anlage befindet sich im zweiten Stock, doch eine Kleinere ist auch im dritten Stock untergebracht. Das Besondere an ihr ist, dass sie auch organisches Material verarbeiten kann. Essensreste, wie z.B. Hühnchenfleisch, aber auch jede andere Form von Fleisch oder Knochen“, dabei strich seine Flosse verträumt über die glatte Beschichtung der CD, deren harte Oberfläche so gar nichts menschliches mehr an sich hatte.
„Du meinst“, Sophies Hand zitterte, als sie entgeistert auf den funkelnden Stapel in Xunil Flossen zeigte, „das da sind die Überreste von Bob Goats?“
„War ´ne ganz schöne Schufterei ihn in die Maschine zu stopfen, aber Gott sei Dank war die Öffnung groß genug für den ganzen Kerl. Und es hat sich gelohnt, keine Leiche – kein Mord“.
Noch während er das sagte, legte er eine von den CD´s in sein Laptop.
Als das Lied „Knockin´ on Heaven´s Door“ aus seinem Computer erklang, schloß Xunil mit einem tiefen Seufzer seine Augen.
Sehnsuchtsvoll dachte er an Lisa, dachte daran wie sie Beide glücklich, Flosse an Flosse durch das antarktische Gewässer schwammen. Er vermißte sie.
E N D E
[ 28.04.2002, 18:23: Beitrag editiert von: zauberer68 ]