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Xmas

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07.09.2003
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Xmas

Irgendwo, am zwanzigsten Dezember Neunzehnhundertvierundneunzig.

"Chef, wach auf..."
"Hmmm?"
"Aufwachen, Chef!"
"Wasislos?"
"Steh auf, Chef, wir haben verschlafen!"
"Verschlafen ? Derwiewelte is'n heute?"
"Nun, äh... der zwanzigste, Chef..."
Schlagartig munter fuhr der Chef hoch.
"Der ZWANZIGSTE? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Das schaffen wir doch nie bis Weihnachten!".
Er schlug die Decke zurück und wälzte sich mühsam aus dem Bett. Der Chef war eine stattliche Erscheinung, zumindestens, was seine Leibesfülle betraf. Er strahlte eine Autorität aus, die jeden in seiner Nähe in den Bann schlug, und das lag nicht nur an den buschigen Augenbrauen, an den gütig und humorvoll funkelnden, im Moment allerdings eher verschlafen blitzenden Augen, und auch nicht ausschließlich an seinem prächtigen, bis zur Brust reichenden schneeweißen Bart. Um es kurz zu machen : Er sah aus wie der leibhaftige Weihnachtsmann, und das lag daran, dass er der Weihnachtsmann war.
Missmutig schlurfte er vor seinen magischen Kalender.
"Der zwanzigste, nicht zu fassen. Das sind ja nur noch fünf Tage, heute mitgerechnet. Ich darf gar nicht erst anfangen, daran zu denken, was noch alles zu tun ist. Die Briefe... Ach Herrje, die Briefe! Rupi, wie wollen wir denn nur all die Briefe noch beantworten?"
Ruprecht, der Knecht, druckste herum. Käme jemand auf den Gedanken, sich einen Menschen vorzustellen, der wirklich in jedem Detail das Gegenteil vom Chef darstellt, dann wäre das Ergebnis Rupi sicherlich sehr ähnlich. Er war hager, er war kahl, und seine Augen funkelten nicht, sie schauten einfach nur. Im Moment schauten sie allerdings leicht verzweifelt, und zwar zu Boden.
"Also, mal sehen.." rechnete der Chef. "Wenn wir heute durcharbeiten bis morgen früh, und dann noch einmal bis übermorgen, dann könnten wir vielleicht die Briefe erledigt haben. Übermorgen, das wäre dann der...hmm.."
Er hatte zum Schluss hin immer leiser gemurmelt, jetzt verstummte er ganz und runzelte die Stirn.
Stille herrschte.
"Rupi?"
"Chef?" piepste Rupi.
"Was sagtest du eben, welches Datum wir heute haben?"
"Den zwanzigsten, Chef..."
"Und das genaue Datum?"
"Genau, Chef?"
"Genau, Rupi.."
"Nun... äh, der zwanzigste Dezember, Chef.."
"Und das Jahr, Rupi?"
"hmm, also... vierundneunzig, Chef..."
"Noch genauer bitte!"
"Tja, Neunzehnhundert... äh.. vierundneunzig.."
Stille.
"Sag es nochmal in einem Satz, Rupi.."
"Ja, Chef. Wir haben heute den zwanzigsten Dezember Neunzehnhundertvierundneunzig, Chef." Rupi atmete wieder durch, jetzt war es raus, und was auch immer jetzt kommen mochte, er hatte keinen Einfluss mehr drauf. Ergeben wartete er ab.
"Willst du damit sagen, dass wir..." der Chef rechnete kurz nach, "dass wir um HUNDERT Jahre verschlafen haben?"
"So könnte man es sehen, Chef, allerdings..."
"EINHUNDERT Jahre! Und ich mach mir Gedanken wegen der Briefe! Ich sollte mir lieber überlegen, was wir mit dem Extraberg anfangen, der da draußen aufgetaucht sein muss! Nicht zu fassen, die Absender der ältesten Briefe leben heute doch garnicht mehr! Rupi! Was meinst du wohl, was die ihren Kindern über mich erzählt haben, hä?"
"Weiß ich nicht, Chef, aber..."
"Himmeldonnerwetter, die glauben doch garnicht mehr an mich! Die haben mich wahrscheinlich schon längst vergessen! Das will ich genau wissen, gleich heute morgen schauen wir uns das mal an! Aber vorher..."
Er betastete mit beiden Händen seinen Bauch, der sich durch eine erstaunlich vielseitige Sinfonie an Geräuschen bemerkbar machte.
"Ich hab Hunger. Gott, hab ich einen Hunger! Hundert Jahre! Jetzt wird erst mal gefrühstückt!"

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Sieben Rentiere zogen den Schlitten allen bekannten physikalischen Gesetzen zum Hohne durch die eiskalte Winterluft. Das heißt, um genau zu sein, nicht -allen- physikalischen Gesetzen; zum Beispiel war es dem Gesetz, das für die aufsteigenden Luftblasen in kochendem Wasser sorgte, völlig schnuppe, ob da ein Rentierschlitten durch die Luft sauste, solange auch weiterhin heißes Wasser immer schön blubberte und brodelte. Sollte doch die Gravitation sich drum kümmern. Die allerdings kam sich schon irgendwie veralbert vor und beschloss, das seltsame Gefährt einfach durch Missachtung zu strafen.
"Kein Schnee. Wieso schneit das denn nicht?" wunderte sich der Chef, als sie die untere Wolkendecke durchbrachen. "Na, das werden wir gleich haben..."
Er griff in die Tiefen seines leuchtendroten Mantels und beförderte eine Handvoll schimmernden Sternenstaubs zutage. Schwungvoll warf er es über die Schulter, und ein glitzernder Regenbogenschweif begleitete sie ein Weilchen, bis das seltsame Material sich in der Luft auflöste. Kurz darauf begannen die ersten dicken Schneeflocken ihre lautlose Reise.
Das alles widersprach natürlich ebenfalls der Physik, aber keines der Gesetze wusste, wer dafür zuständig war, dass sowas nicht passierte. Auch bei der Chemie zuckte man nur mit den Schultern, also kümmerten sich alle weiter um ihre eigenen Angelegenheiten.
"Rupi, was ist denn hier passiert?" Der Weihnachtsmann war fassungslos. "Was sind denn das für Häuser? Wo sind die Schornsteine?"
"Äh..." Rupi war ebenso ratlos. "keine Ahnung, Chef."
"Und die Dinger da unten, die bewegen sich ohne Pferdegespann! Da sitzen Leute drin, und... Hoooooh!" Er zog die Zügel an, und der Schlitten kam sofort zum Stehen, beziehungsweise zum Schweben.
"Rupi!"
"Ja, Chef?"
"Wirf doch mal einen Blick nach unten!"
Rupi beugte sich seitlich aus dem Schlitten, sah nach unten und setzte sich wieder aufrecht.
"Also, was siehst du da unten?"
"Naja, wir sind fünfhundert Meter über dem Boden, und es schneit..."
"Lass die Ausflüchte!"
"Ja, Chef. Da unten steht einer, der sieht genauso aus wie du, Chef."
"Genauso wie ich?" fragte der Weihnachtsmann und hob eine Augenbraue.
"Nun, äh.. nicht ganz genauso. Sein Bart ist nicht echt."
Der Chef kraulte sich mit finsterer Miene den Bart. Schließlich warf er Rupi einen vorwurfsvollen Blick zu, ergriff die Zügel und steuerte rasant nach unten.

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Stellen wir uns einmal folgende Situation vor : Ein paar Tage vor Weihnachten befinden wir uns in der Innenstadt, mitten im dicksten Einkaufsgetümmel. Menschen hasten von links nach rechts, andere von rechts nach links, und einige ganz Unentschlossene mal in die eine, mal in die andere Richtung. In wahrhaft vogelschwarmähnlicher Perfektion weichen sie einander auch im größten Gedränge aus, und nur ganz selten sieht man zwei, die sich entgegenkommen, blitzschnell einen wahrscheinlichen Zusammenstoss vorhersehen und den Kurs entsprechend zur Seite ändern, allerdings beide zur selben Seite. Sofort erkennen sie nun, dass erneut die Gefahr eines Zusammenpralls besteht und weichen zur anderen Seite aus, und wieder tun dies beide. Dieses Spiel wiederholt sich ein paarmal, bis sie genau voreinander stehen und sich verlegen angrinsen. Derjenige von beiden mit dem größeren Durchsetzungsvermögen wird nun den entscheidenden Schritt machen und die Situation dadurch klären.
Nur die Verwegensten unter den Kaufwütigen wagen sich mit dem Auto in die Innenstadt, denn der Verkehr schleppt sich nur mühsam dahin, und für einen Parkplatz würden manche auf Weihnachtsgeschenke verzichten. Erstaunlicherweise scheint es eine Menge Verwegene zu geben, denn andernfalls wäre es ja nicht so voll auf den Straßen. Dann allerdings würden sich auch die weniger Verwegenen denken : Oh, ist ja gar nicht so schlimm, da kann ich es ja auch mal mit dem Wagen versuchen - und schon wäre das Chaos perfekt, was wiederum die Verwegenen auf den Plan rufen würde.
Nun, es ist alles ziemlich kompliziert.
Dem allgemeinen Durcheinander gesellen sich schließlich noch eine Reihe dicker Rauschebart-Typen mit rotem Mantel hinzu, die in und vor den Kaufhäusern ununterbrochen ihre Klingelglöckchen schwingen und jedem Kind, das sie länger als drei Sekunden beachtet, Fragen stellen wie : "Na, Kleiner, warst du denn auch brav?" oder "Was wünschst du dir denn vom Weihnachtsmann, mein Kind?".
Nachdem wir nunmehr also dieses Bild vor Augen haben, diese Szene voller Hektik, Lärm, Abgasen und gestressten Einkaufstütenhaltern, da fügen wir in unserer Phantasie noch eine Kleinigkeit hinzu : Ein Rentierschlitten donnert herab auf die Straße.
Vergessen wir die Phantasie, bleiben wir bei den Tatsachen. Was also geschah, war Folgendes : Ein Rentierschlitten donnerte herab auf die Straße.
In einer Art senkrechtem Reißverschlussmanöver fädelte sich der Schlitten perfekt in eine kleine Lücke im Verkehrsstrom ein und landete mit kreischenden Kufen auf dem Asphalt. Zwei Gestalten saßen vorne auf der Sitzbank und schienen in eine ernste Diskussion vertieft. Einer von beiden, anscheinend ebenfalls eine Weihnachtsmann-Fälschung, stieg schließlich aus, umkreiste den Schlitten, beäugte die Kufen von allen Seiten, trat gelegentlich prüfend irgendwo gegen und verhielt sich allgemein so wie jemand, der einen Gebrauchtwagen vor dem Kauf genau auf Schäden untersucht, um den Preis drücken zu können. Mittlerweile hatte der andere ebenfalls das Gefährt verlassen und sich dazugesellt. Hören wir ihnen einfach mal zu.
"Das war ziemlich knapp, Rupi! Wenn uns die Kufen fliegen gegangen wären, wie hätten wir dann wieder starten sollen, hä? Kannst du mir das mal sagen? Alles nur, weil du verschlafen hast und ich erst jetzt für Schneefall sorgen konnte!"
"Äh, Chef..."
"Ich hoffe nur, dass wir genug Geschwindigkeit erreichen, um wieder abzuheben. Schau dir mal diesen Boden an, hast du sowas schonmal gesehen?"
"Che-hef..."
"Die Kufen sind bestimmt total verkratzt. Und da vorne ist auch was verbogen. Würde mich nicht wundern, wenn... was fummelst du denn dauernd an meinem Ärmel rum?"
"Ich glaube, wir werden beobachtet, Chef..."
"Was? Oh..."
Rupi's Behauptung war zwar nicht grundsätzlich falsch, aber es war so, als würde man sagen: Tagsüber ist es eher hell, oder: Im Atlantik gibt es Fische. Der Verkehr hatte aufgehört, einer zu sein, die Fahrer hatten ihre Autos verlassen und starrten sie an, ebenso wie die Menschen auf den breiten Gehwegen, die alle versuchten, sich durch die Menge nach vorne zu schieben, um besser sehen zu können. Hunderte, tausende Leute zeigten jedes nur vorstellbare verblüffte Gesicht, vom offenstehenden Mund über aufgerissene Augen bis zum Stirnrunzeln und Kopfkratzen.
"Nun..." meinte der Chef unsicher, "ich glaube, wir sollten lieber nach diesem komischen Kerl sehen. Wo ist er denn?"
Er sah sich grimmig um und entdeckte schließlich einen der falschen Weihnachtsmänner, der sich in der ersten Reihe des Menschenauflaufs auf der linken Straßenseite befand. Unglücklicherweise, wie er jetzt feststellen musste, denn als er erkannte, dass der echte Weihnachtsmann genau auf ihn zumarschierte, ahnte er Schwierigkeiten und hätte sich gerne verdrückt. Doch zu seinem aufrichtigen Bedauern stand er genau vor einem Auto, und von den anderen drei Seiten hielt ihn eine kompakte, unbewegliche Menschenmasse gefangen.
Dummerweise war sie jedoch anscheinend nicht ganz so unbeweglich, zumindestens für den Chef nicht. Wie durch Geisterhand öffnete sich vor ihm eine Gasse und schloss sich direkt hinter ihm wieder. Schließlich stand er vor seinem falschen Kollegen und musterte ihn scharf.
"Nun?" fragte der Chef schließlich mit Unheil in der Stimme.
"Äh... nun was?" Die Aufmerksamkeit, die man ihm zollte, war dem falschen Weihnachtsmann sichtlich unangenehm. Er wand sich hin und her und knetete die Hände.
"Nun, was soll das hier?" Der Chef deutete auf den roten Mantel und die Bommelmütze des anderen. Er zog den falschen Bart herunter und ließ ihn wieder los, worauf er mit einem Schnappen an seine alte Stelle zurückschnellte.
"Au! He, das ist meine Berufskleidung."
"Berufskleidung?"
"Ja, klar. Ich tu hier nur meine Arbeit."
"Und worin besteht deine Arbeit genau?"
"Naja, ich steh hier rum und erzähl den Kleinen Geschichten und so."
"Was für Geschichten?"
"Weihnachtsgeschichten halt, du weißt schon. Hör mal, das ist ein ganz schön harter Job, ständig hier in der Kälte stehen, den ganzen Tag über. Aber ich tu ihn trotzdem gerne."
Darüber dachte der Chef eine Weile nach.
"Du stellst dich also freiwillig den ganzen Tag hier hin und erzählst den Kindern Geschichten, einfach, weil es dir Freude macht?"
"Ja, und weil ich mir damit was verdiene natürlich. Aber ich täte es nicht, wenn es mir keinen Spaß machen würde."
"Wer bezahlt dich dafür?"
"Das Kaufhaus."
"Warum tun die das?"
"Sie hoffen auf mehr Kunden, schätze ich."
"Hmm..."
Der Chef wusste nicht so recht, was er von der ganzen Sache halten sollte. Einerseits gefiel ihm die Idee eines bezahlten Ersatz-Weihnachtsmannes überhaupt nicht, andererseits schien sein Gegenüber es ehrlich zu meinen. Die Situation verlangte eine Entscheidung von ihm.
"Wie heißt du?"
"Klaus..."
"Also, Klaus, wir könnten eine Weile einen Führer gebrauchen. Möchtest du uns helfen?"
"Einen Führer? Weswegen?"
"Hmm... Das erklär ich dir später."
"Muss ich in das Ding da einsteigen?"
"Ja."
"Und dann fliegen wir durch die Luft?"
"Richtig."
Klaus warf einen zweifelnden Blick auf den Schlitten und überlegte. Schließlich erwiderte er zögernd :
"Ich glaube... ich glaube, solch eine Chance bekommt man nur einmal. Ich würde mich mein ganzes Leben lang ärgern, wenn ich jetzt ablehne. Gut, ich komme mit!"
"Schön, dann lass uns... Nanu?"
Jemand zupfte am Saum seines Mantels. Der Chef ging in die Hocke und hatte einen vielleicht fünfjährigen Jungen vor sich. Der Kleine wirkte in seinem dicken Mäntelchen, seinen Handschuhen und seiner Pudelmütze wie ein wandelndes Wollknäuel.
"Hallo, mein Kind. Was heißt du denn?"
"Timo."
"Aha. Warst du denn auch immer schön brav, Timo?"
"Jaa-ah" bestätigte der Kleine nach einigem Nachdenken.
"Das ist schön, Timo. Was wünschst du dir denn vom Weihnachtsmann?"
"Bist du der Weihnachtsmann?"
"Ja, der bin ich."
"Einen Gameboy."
Der Chef lächelte den Jungen weiter an, während er angestrengt überlegte.
"Einen Spielkameraden?"
Der Junge schaute den Chef groß an, während er angestrengt zu überlegen schien.
"Neeee. Einen Gameboy."
Der Chef sah ungeahnte Probleme für die Zukunft voraus. Allmählich dämmerte ihm, dass hundert Jahre in vielerlei Hinsicht eine sehr, sehr
lange Zeitspanne sind.
"Also gut, Timo, ich werde mal sehen, was ich tun kann, in Ordnung?"
"Ja. Mit Tetris."
"Klar, das auch. Jetzt muss ich aber gehen. Wir sehen uns Heiligabend, mein Sohn. Auf Wiedersehen."
"Tschühüss."
Der Weihnachtsmann stand auf und kehrte zum Schlitten zurück. Unterwegs raunte er Klaus zu : "Was ist ein Gameboy?"

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Der Start gestaltete sich wider Erwarten problemlos, da der Schnee mittlerweile eine zwar dünne, aber ausreichende Gleitdecke auf dem Boden gebildet hatte. Das Aquaplaning genügte, um die erforderliche Takeoff-Geschwindigkeit zu erreichen. Steil zog der Schlitten nach oben, bis er auf die normale Reiseflughöhe von fünfhundert Metern angekommen war. Der Chef schaltete um auf Autopilot, das heißt, er knotete die Zügel am Schlitten fest. Dann wandte er sich an Copilot und Passagier.
"Klaus, das ist Rupi, Rupi, das ist Klaus. Er wird uns eine Weile begleiten. Hier scheinen sich ja eine Menge Dinge verändert zu haben!"
"Seit wann?" fragte Klaus.
"Tja, wir sind seit hundert Jahren nicht mehr auf dem Laufenden..."
"Hundert Jahre? Was habt ihr denn die ganze Zeit über gemacht?"
"Das erklärt Rupi dir mal am Besten!"
Rupi erklärte es ihm. Klaus grinste.
"Mann, ihr scheint aber einen gesunden Schlaf zu haben! Na, da kann ich mir vorstellen, dass ihr jetzt ganz schön in Schwierigkeiten steckt. Was habt ihr denn jetzt vor?"
Der Chef zögerte. "Wissen wir noch nicht. Vielleicht sollten wir uns einfach mal ein wenig umsehen, und du erklärst uns alles. Was meinst du?"
"Können wir machen. Allerdings würde ich euch raten, euren Schlitten etwas abseits vom Hauptverkehr zu parken. Ihr habt da für ein ziemliches Durcheinander gesorgt eben."
Sie landeten in einer verlassen und reichlich trostlos wirkenden Gegend. Die Häuser bedurften dringend einer Generalrenovierung oder besser noch eines kompletten Neuaufbaus. Niemand schien hier zu wohnen.
Die drei stiegen aus, berieten sich kurz über die einzuschlagende Richtung und marschierten los.


Zwei ziemlich zwielichtige Gestalten beobachteten das Geschehen aus dem Fenster des gegenüberliegenden, nur scheinbar verlassenen Hauses.
"Hast du das gesehen?" fragte der eine überflüssigerweise.
"Was?" erwiderte der andere, wodurch die Frage des ersten doch noch einen Sinn erhielt.
"Was meinst du, was so ein Teil da einbringen wird?"
Der zweite legte die Stirn gewichtig in Falten und bewegte lautlos die Lippen, als berechne er gerade den Marktwert des Modells da unten auf dem internationalen Rentierschlittenmarkt. Er wackelte unschlüssig mit dem Kopf. Anscheinend widerstrebte es ihm stark, eine Schätzung mit solch wenigen Informationen abzugeben.
"Äh, fünfhundert?"
"Fünfhundert? Das Ding kann fliegen, Mann!"
"Sechshundert?"
Der erste sah den zweiten an, schüttelte den Kopf und schloss die Augen. Schließlich meinte er müde:
"Los, gehen wir runter und schnappen wir's uns."
Sie verließen das Haus und näherten sich dem Schlitten auf ziemlich zwielichtige Weise. Verstohlen blickten beide nach rechts und links, bevor sie aufstiegen. Der erste ergriff die Zügel, schien aber unsicher zu sein, was er damit anfangen sollte. Versuchsweise bewegte er sie mal kurz auf und ab, aber nichts passierte.
"Äh.. Hüh!" sagte er.
Es passierte immer noch nichts. Die Rentiere standen nur da und wirkten absolut desinteressiert.

Vielleicht wäre dies der geeignete Zeitpunkt, auf eine kaum bekannte Tatsache bezüglich der Rentiere des Weihnachtsmanns hinzuweisen. Ihre doch eigentlich recht erstaunliche Fähigkeit, einen Schlitten durch die Luft zu ziehen, als wär das garnichts, verdanken sie nicht etwa Zauberei oder Magie. Nein, sie sind einfach überdurchschnittlich intelligent, selbst wenn man sie mit anderen Rentieren vergleicht statt lediglich mit Menschen.
Sie sind höchst geniale Denker, vor allem in der Physik und der Mathematik. In den langen Winterabenden, wenn sie nicht grade ihrer Arbeit nachgehen, diskutieren sie untereinander in der Rentiersprache über Astronomie, Nuklearphysik, Infinitesimalrechnung und Hilbert-Räume. Wenn sie Langeweile haben, berechnen sie die derzeitigen Schwankungen in der Raumzeitkrümmung um unser Sonnensystem im Kopf und auf zehn Stellen hinter dem Komma. Die fieberhaft von allen menschlichen Physikern gesuchte Weltformel ist für sie ein alter Hut, deshalb ist es schade, dass niemand sie
verstehen kann.
Irgendwann einmal haben sie eine hochkomplexe Theorie über die Gravitation entwickelt, die im Wesentlichen besagt, dass auch sie nur relativ und vom Standpunkt des Betrachters abhängig ist. Sie veränderten nun - grob vereinfacht gesprochen - lediglich ihren Standpunkt, wodurch sie die normalen Gravitationsgesetze elegant umgingen. Dieses Verfahren ist allerdings nur für wirklich multidimensional denkende Wesen nachvollziehbar.

Als die beiden Diebe sich in den Schlitten setzten, führten die Rentiere ein paar umfangreiche Berechnungen durch, was der Grund für ihre scheinbare Teilnahmslosigkeit war. Sie waren gerade fertig, als der erste Dieb einen weiteren Versuch unternahm, sie zur Zusammenarbeit zu bewegen.
"Hüüh!" rief er erneut, diesmal mit gleichzeitiger Bewegung der Zügel.
Der Schlitten zog mit atemberaubender Geschwindigkeit los, fegte einige Meter über die Schneedecke und hob ab. Die beiden Diebe klebten bewegungsunfähig in den Sitzen, die Beschleunigung zog ihre Gesichtszüge grotesk nach hinten; sie sahen aus wie Tornado-Piloten beim extremen Kurvenflug.
Im Tiefflug jagte der Schlitten durch die Stadt, während die Rentiere ununterbrochen Echtzeitberechnungen durchführten: Luftreibung, Windverhältnisse, Entfernung, Geschwindigkeit... Jetzt! Der Schlitten stoppte abrupt, und sieben Rentierköpfe schossen in perfekter Synchronisation nach oben, als die beiden Diebe über ihnen auftauchten. Sie verfolgten die ziemlich zwielichtige Bahn der beiden menschlichen Geschosse bis zu ihrem genau vorherberechneten Zielpunkt, einem die Stadt durchquerenden Güterzug. Die Diebe landeten unsanft, aber ohne weitere Schäden in einem mit Kohle beladenen Waggon, und zwar in dem Moment, als ihre Geschwindigkeit genau der des Zuges entsprach.
Die Rentiere betrachteten ihr Werk, sahen, dass es gut war und schnaubten zufrieden. Schließlich kehrten sie wieder zurück, um auf die Rückkehr ihrer drei Freunde zu warten.

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"Die Sache mit der Rolltreppe im Kaufhaus hätte uns leicht in Schwierigkeiten bringen können." Klaus wirkte etwas gestresst.
Sie waren auf dem Rückweg zum Schlitten, Klaus und Rupi vorneweg. Der Chef spazierte ein Stückchen hinter ihnen her und war mit irgendwas in seinen Händen beschäftigt. Er achtete kaum darauf, wo er hinging. Rupi vergewisserte sich von Zeit zu Zeit mit einem Blick nach hinten, dass er noch da war und ihnen folgte.
"Na, mittlerweile kennst du ihn ja einigermaßen", erwiderte Rupi, "er kann ziemlich impulsiv sein..."
"Allerdings. Aber einfach die Fahrtrichtung der Treppe umkehren, weil sie nach unten lief und er nach oben wollte... Er hätte es wenigstens wieder rückgängig machen können, als wir oben waren. Das war die einzige Treppe, mit denen die Leute nach unten gelangen konnten. Es hätte beinahe einen Aufruhr gegeben."
"Er hat es ja gemacht..."
"Ja, die andere Rolltreppe, die normalerweise aufwärts fährt, und das auch erst zwei Stunden später, nachdem wir die Spielwarenabteilung durch hatten."
"Schon gut, du hast ja recht." räumte Rupi schließlich ein. "Die Frage ist jetzt nur, wie es weitergehen soll. Seitdem du ihm dieses Ding da erklärt hast..."
"Den Gameboy."
"...ist er ja kaum noch ansprechbar. Wie kriege ich ihn bloß wieder in die Realität zurück?"
"Ach, das lässt mit der Zeit von ganz alleine nach."
"Die Zeit wird aber knapp, in ein paar Tagen ist Weihnachten, und es ist noch so viel zu tun. Es muss eine andere Lösung geben..."
"He, schau mich nicht so komisch an!"
"Ich schau doch garnicht komisch." erwiderte Rupi und schaute Klaus komisch an.
"Ich kann den Job nicht übernehmen! Ich hab doch überhaupt keine Ahnung, was da zu tun ist!"
"Das wäre kein Problem, das könnte ich dir schnell beibringen."
"Mir wird schwindelig auf dem Schlitten!"
"Das ist nur am Anfang so, das vergeht..."
"Mein Bart ist unecht!"
"Das hat den Menschen bisher auch nichts ausgemacht."
"Ich... Ich..." Klaus suchte verzweifelt nach weiteren Argumenten.
"Ich mag keine Schornsteine! Ich habe eine Schornsteinphobie!"
"Jetzt hör aber auf.."
"Frau und Kinder warten hier auf mich!"
"Tun sie nicht, du bist nicht verheiratet und hast keine Kinder."
"Woher willst du das wissen?"
"Ich weiß es."
"Meine Katze..."
"Kannst du mitnehmen. Hör zu, es ist ja nur für dieses Jahr. Nächstes Jahr siehts mit ihm da hoffentlich schon wieder ganz anders aus. Na komm schon, sag ja, du wirst gebraucht!"
Klaus seufzte tief. Im Grunde genommen war ihm die Vorstellung, einmal der richtige Weihnachtsmann zu sein, gar nicht so unangenehm. Er hätte auf jeden Fall eine weitere Weihnachtsgeschichte, die er den Kindern später erzählen könnte.
"Also meinetwegen, ich komme mit. Aber eins sage ich dir..."
Rupi spitzte die Ohren.
"Ich bring den Kindern keinen einzigen Gameboy mit!"
Rupi grinste, das erste Mal, dass Klaus sowas bei ihm sah. Schließlich stiegen sie in den Schlitten, hoben ab und flogen davon in die verschneite Nacht , ein Tetris-besessener Weihnachtsmann, ein Weihnachtsmann wider Willen und ein zufriedener Knecht.

 

Hallo rainman,

bitte mach die Zeilenumbrüche raus - die haben hier nix zu suchen sondern machen nur das lesen anstrengend. Zeilenumbrüche nur da, wo Du einen echten Absatz haben möchtest.

Zu Deiner Geschichte: Locker und flott geschrieben, einige witzige Stellen, an denen ich mich ziemlich amüsiert habe, stilsicher - aber mE nix für Kinder. Die ganzen Sachen zur Physik, Satzbau, auch Witz ist mE eher was für ältere - Jugendliche oder Erwachsene ... mal warten, was andere Leser dazu meinen. Meiner Ansicht nach würde sie in die Rubrik "Weihnachten" oder "Sonstige" besser passen. An welches Alter hattest Du denn gedacht?

schöne Grüße
Anne

 

Hallo Maus,

danke für deinen Kommentar. Ich stehe allerdings im Moment etwas auf dem Schlauch, was die Umbrüche betrifft. Kannst du mir ein konkretes Beispiel nennen?

Ich hatte an Kinder ab 12 gedacht, weil unserer in dem Alter ist und sie verstanden hat. Na, vielleicht hat er nur so getan, weil er mir einen Gefallen tun wollte :)
Die Rubrik Weihnachten hab ich bis eben garnicht gesehen. Vielleicht wäre es wirklich sinnvoll, die Geschichte da hinein zu verlegen.

Gruß
Heinz

 

eigentlich jede Zeile hat einen Umbruch. Wenn man die Bildschirmgröße ändert, bleibt der Text schmal. Das liegt an den Umbrüchen. Wenn Du die rausmachst, passt sich der Text exakt der Breite des Textfensters an .... bei Deiner Antwort sieht man das gut - Du hast "enter" (= Zielenumbruch) nach dem Smili gedrückt und bei dem Absatz. Da sind die Zeilen kurz - ansonsten passen sie sich an.

 

Hallo rainman,
mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen! Ich habe oft geschmunzelt.Meiner Meinung nach ist das so eine richtige Geschichte für Kinder von ca. 12 und älter. Erfrischend anders!
Viele Grüße
zauberfee

 

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