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Wut
"Geschafft! Ich habe es endlich geschafft!". Das war der Gedanke, der immer und immer wieder durch seinen Kopf ging. Eine Extase erfasste ihn dabei, die er noch nie gefühlt hatte. Sein Gesicht war heiß und es prickelte auf seiner Haut, als er das Ergebnis der vielen schlaflosen, und vor allem, unbezahlten Nächte auf dem Bildschirm sah. So viele Entbehrungen, völlige Unterwerfung dem Problem und seiner Lösung gegenüber trugen endlich Früchte. "Endlich geschafft." Der Gedankte ließ ihn nicht los, er konnte sich auf nichts anderes konzentrieren, keinen klareren Gedanken fassen als diesen. Alle anderen waren Seifenblasen, welche in seinem Geist aufstiegen, nur um einen Augenblick danach zu zerplatzen, um diesen einen Satz wieder durch sein Hirn kreisen zu lassen. Er hätte es hinaus schreien können, singen, pfeifen, die Wörter nahmen eine Melodie an, die er noch nie gehört hatte.
Ein Meisterwerk seiner Kunst, welches nicht nur Zeit gekostet hat. Für dieses Projekt hat er alles aufgegeben, das zwischen ihm und der Lösung stand. Und er wäre bereit gewesen, noch mehr zu opfern. Ohne Rücksicht auf Verluste, absolute Konzentration auf das Ziel. Es war auch eine Menge Stolz dabei. Ja, er war unheimlich stolz auf sich, auf seine Willenskraft, und auf seine außergewöhnlichen Ideen, welche notwendig waren, um das Ziel in der kurzen Zeit zu erreichen. Keine Frage, jemand anderer hätte es nicht geschafft. Zumindest nicht so elegant und vor allem nicht rechtzeitig. Endlich wird es sich auszahlen, endlich bekommt er die Anerkennung, die er verdient. Die Zeiten der Unsichtbarkeit sind vorbei, ab jetzt werden alle wissen, mit wem sie es zu tun haben. Mit jemanden, der nicht ersetzbar ist, ein Meister seiner Kunst.
"Kommst du kurz in mein Büro?". Der Satz ließ ihn aufschrecken, ein Adrenalinstoß durchlief seinen Körper. Als würde er aus großer Höhe fallen, war er plötzlich hellwach. Da Stand sie, direkt hinter ihm, er konnte ihren Atem spüren und ihr Geruch erfasste ihn wie eine Droge. Ihre Hand lag auf seiner Schulter, zart und warm, die Berührung strahlte in seine Haut, in seine Muskeln, bis in die Knochen. Sein Körper wurde von einer Energie durchströmt, die so spürbar, so plastisch war, dass er alles um sich herum vergaß.
Sein Herz fing wie wild an zu rasen, und innerhalb von einer Sekunde konnte er die Schweißtropfen auf seiner Stirn spüren, welche seine Augenbrauen und seine Schläfen hinunter ronnen, als hätte sie ihn mit einem Kübel Wasser übergossen."Sofort", murmelte er geistesabwesend, plötzlich war die Hand weg, der Geruch weg, der Atem weg. Sie drehte sich einfach um und ging, diesmal konnte er noch ihre sich entfernenden Schritte dumpf auf dem Teppich hören. Er musste sich überwinden, sich nicht umzudrehen und ihr nachzuschauen, mit voller Kraft wollte er es vermeiden. Er wollte sie nicht merken lassen, wie gerne er ihr nachsah, nicht im Augenblick seines Triumphs. In wenigen Augenblicken wird er ihr das Ergebnis seiner Arbeit zeigen, er wird ihr beweisen, aus welchem Holz er in Wirklichkeit geschnitzt ist. Dann wird sie es sein, die ihm nach sieht, dann wird sie es sein, die zu ihm aufblickt und an ihn Nachts im Bett denkt. Dann wird sie es sein, welche das Verlangen und die Unsicherheit tragen muss, mit jemanden zusammen in einem Raum zu sein, der nicht in ihrer Liga spielt. Und gerade jetzt wollte er nicht, dass ein verstohlener Blick ihr all diese Gefühle nehmen sollte, mit welchen er seit Jahren konfrontiert wurde. Nur noch eine Minute.
Langsam, aber nicht zu langsam, darauf achtete er besonders, erhob er sich von seinem Platz und machte sich auf den Weg in ihr Büro. Die Tür stand offen, also trat er ohne weitere Umschweife ein. Da stand sie nun, mit ihrem Telefon am Ohr und lächelte leicht, während sie ihrem unsichtbaren Gesprächspartner zunickte.Ihr langes Haar schimmerte leicht in den Sonnenstrahlen, die durch das Fenster eindrangen, ihre Finger umspielten das Bild eines Mannes, welches in einem schweren Eisenrahmen auf dem riesigen Schreibtisch mitten im Zimmer stand. Ein Mann, wie aus einem Hochglanzmagazin, strahlend weiße Zähne, eine Frisur, die mehr Haarfestiger zeigte als Haare, weißes Hemd, im Hintergrund eine Yacht und das Meer. Alles an diesem Mann schleuderte dem Betrachter seine Überlegenheit, seinen Erfolg, seine Stärke entgegen. Er hasste diesen Mann, ohne ihn jemals getroffen zu haben, sobald er jedoch seine Augen von dem Bild abwandte, war dieser Hass ohne jeden Nachgeschmack verflogen. Dieser Typ war ihm jetzt nicht mal mehr ebenbürtig.
Der ganze Raum roch nach Ihrem Parfüm, und er fühlte sich plötzlich so wohl, dass er sich am liebsten auf die im Eck stehende Couch hinlegen würde, gemütlich machen, um diesen Augenblick vollständig genießen zu können. Und wer weiß, vielleicht würde sie sich dazu legen... Dieser Gedanke, und die Gewissheit seines Erfolges, überrannten ihn. Wie in Trance schlich sich ein nicht kontrollierbares, leichtes Lächeln auf seine Lippen. Er war absolut glücklich in diesem Augenblick.
"Ich glaube nicht, dass diese Fröhlichkeit angebracht ist", sagte sie plötzlich. Erst jetzt bemerkte er, dass sie ihr Telefonat beendet hat und ihn nun mit ihren großen, grünen Augen ansah. In diesem Moment konnte er nicht sagen, wie lange sie schon so da stand und ihn anstarrte, noch konnte er die Worte verstehen, die sie zu ihm sagte. Er hat es gehört, aber er konnte sich keinen Reim darauf machen, was sie eigentlich meinte, es war so überraschend,dass sein Geist einfach keinen Bezug zu dem gehörten aufbauen konnte. Er versuchte darüber nachzudenken, das einzige, was ihm dazu einfallen konnte,war, dass es ein Scherz, ein Witz ihrerseits sein müsste. Nicht besonders gut,und auch nicht besonders witzig. Aber was soll's, nicht jeder kann seine Eloquenz haben. "Ich bin ganz und gar nicht zufrieden mit deinen Leistungen", legte sie sogleich nach. Jetzt war er endgültig verwirrt. Wieso unzufrieden? Welche Leistungen? Die Lösung des Problems kann es ja nicht gewesen sein, die kann sie doch gar nicht so weit beurteilen, dass sie damit zufrieden oder unzufrieden sein könnte. Sie ist ja kaum mehr als eine Sekretärin, die sich auf den Posten seiner Vorgesetzten hochgeflirtet hat. "Ich... ich verstehe nicht ganz?" stotterte er.
Jetzt begannen ihre Lippen ein leichtes Lächeln zu formen, aber ein spöttisches, eines, das mehr Überheblichkeit als Freude ausdrucken sollte. "Das passiert dir oft, oder?", fragte sie ihn, der Hohn war in ihrer Stimme deutlich zu hören. Auf ein mal zischte sie durch ihre zusammengebissenen Zähne, fast so, als wollte sie diese Worte schärfen, um ihn damit aufzuschneiden: "Für jemanden, der dafür bezahlt wird, komplexe Probleme zu lösen, kommst du mir ziemlich hilflos vor. Ich meine, dass ich mit den Leistungen, welche du erbringst, ganz und gar unzufrieden bin. Weder ich, noch die anderen oben, halten viel von Angestellten, wie du einer bist." Und die Worte verfehlten ihr Ziel nicht. Er spürte, wie auf ein mal das Blut in seinen Kopf stieg, wie sein Gesicht heiß wurde, wie seine Hände zu zittern begannen. Er war ihr in dieser Sekunde wehrlos ausgeliefert, konnte dem Gesagten nichts entgegen stellen, was sie auch nur im Entferntesten an seiner Unterlegenheit hätte zweifeln lassen können. Ihr Gesicht hingegen zeigte unverblümt, wie sehr sie ihren Triumph genoß, wie bewusst es ihr war, dass sie ihn innerhalb weniger Sekunden aus dem Gleichgewicht bringen konnte. Obwohl etwas kleiner als er, schien sie nun auf ihn herab zu blicken, ihre Nase zeigte weiter nach oben als sonst, ihre Augenbrauen leicht zusammen gekniffen, die Augen auf seine fixiert, die Pupillen groß und schwarz, geradezu dunkel und kalt. "Wieso... wieso denkst du, dass...", hörte er sich plötzlich sagen, willenlos, als hätte es jemand anderer mit seinem Mund gesprochen. Sie unterbrach ihn sofort. "Du solltest eine Vorgesetzte mit sie ansprechen, das wäre angebrachter", sagte sie schnell und teilnahmslos, während sie um ihren Schreibtisch ging und sich in den Stuhl dahinter sinken ließ.
Jetzt verstand er, welches Spiel sie spielte. Sollte das eine Art Rache sein, dafür, dass er in der Besprechung, in der das Problem vorgestellt wurde, ihre Idee vor versammelter Mannschaft als albern abgetan hatte? Damals konnte er in Ihren Augen einen kurz aufflammenden Hass sehen, was er allerdings für eine kindische Überreaktion hielt und darüber weder nachgedacht hat, noch sich nach einer Minute erinnern konnte. Sie hat ihm damals sofort die Verantwortung für die Lösung übergeben und verließ den Raum. Und nun stand er vor ihr, ausgeliefert, wie nackt, völlig unvorbereitet. Niemals hätte er ihr diese Rachsucht zugemutet, und auch nicht die Ausdauer, nach so vielen Wochen wegen so einer Kleinigkeit ihn so verletzen zu wollen. Dabei kannten sie sich schon so lange, so viel hat er bereits für sie getan. Sie haben zusammen studiert, und ohne ihn hätte sie es nie geschafft, auch nur eine der Prüfungen zu bestehen. Er hatte sie auch in diese Firma erst rein gebracht, er hatte sie empfohlen, obwohl er wusste, dass sie es auf diesem Gebiet nicht mal zu Mittelmäßigkeit brachte. Noch nie konnte er ihr etwas abschlagen, und als sie nach dem Abschluss, den sie ohne seine Hilfe niemals geschafft hätte, in die Verzweiflung rutschte, weil ihr Vater das Partyleben nicht mehr finanzieren wollte, war er für sie da. Er hat ihr trotz besseren Wissens den rettenden Strohalm gereicht, dabei so vieles für sie riskiert. Doch das war damals, jetzt war er ihr Angestellter. Und sie war sauer auf ihn, wie ein kleines Mädchen, dem man die Barbiepuppe geköpft hatte.
Langsam und mit einer weit übertrieben freundlichen Stimme fing sie wieder an zusprechen: "Schau mal, weil wir uns schon so lange kennen, habe ich mein Möglichstes für dich getan und konnte bei uns oben eine letzte Chance für dich aushandeln. Weil du dem Druck einfach nicht gewachsen bist, kann ich dir einfachere Aufgaben geben, etwas, das deine Fähigkeiten nicht ganz so übersteigt. Klarerweise können wir dir dann auch nicht mehr so viel bezahlen, aber mehr war nicht zu machen. Und ich glaube, du fühlst dich ja ganz wohl bei uns." Er konnte die Arroganz fast greifen, ihre Stimme, der Klang ihrer Worte, ihr ganzer Körper zeigte ihm, wie sehr sie sich ihm überlegen fühlte. Sie schöpfte dabei solch eine Befriedigung daraus, dass sie es vor ihm kaum verbergen konnte. Er war vernichtet, sie war die Siegerin, und trotzdem hatte sie ihm ihre Gnade geschenkt, wie eine Samariterin dem nutzlosen Wurm das Leben gerettet.
Langsam erhob sie sich von ihrem Thron, schritt auf ihn zu, ohne dabei die Augen von seinem gedemütigten, verständnislosen Gesicht abzuwenden. Als sie so knapp vor ihm stand, so nah wie noch nie, holte sie zu ihrem letzten Satz aus. "Ich bin sicher, dass du es zu schätzen weißt, was ich für dich getan...", er hörte nur noch einen dumpfen Schlag, sie sank zu Boden, direkt vor seine Füße. Ungläubig sah er das schwere Bild in seiner Hand an, das Glas war zerbrochen, der Rahmen rot vor Blut. "Nicht mit mir, du... dumme Kuh!", das war alles, was er noch zu ihr sagen wollte, zu sagen in der Lage war, bevor sich ihre Augen langsam schlossen.