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Wut im Bauch

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05.07.2020
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Wut im Bauch

Das Rattern der Förderbänder, das Hämmern der Faltpressen, der großen Industrietrockner und Waschmaschinen, alles vermischt sich zu einem Dröhnen. Stetig, ohne Unterbrechung von Schichtanfang bis Schichtende. Die Luft ist feucht und heiß, das Atmen fällt schwer. Ich stehe am Band in Halle A und meine Arbeitskleidung klebt mir am Körper. Mit zehn Kollegen sortiere ich gesäuberte Wäsche in verschiedene Großbehälter. Bettbezüge kommen in Grün. Frotteewäsche in Rot. Nachthemden, weiße Hosen und Kittel, alles muss sortiert werden. Wir kommen nicht hinterher. Die Wäsche staut sich. Dann hält das Band. Ein akustisches Signal, ein hoher Piepton alarmiert den Vorarbeiter. Der kommt verschwitzt wie wir alle um die Ecke, und mit hervortretenden Halsvenen schreit er uns an. Er verlangt, dass wir uns jetzt endlich ranhalten. Ein Witz. Aber keiner lacht. Keiner flucht und keiner widerspricht. Keiner sagt überhaupt irgendetwas. Dazu fehlt die Zeit. Gebeugt stehen wir über dem Band und versuchen die Berge an Wäsche wegzuschaffen. Immer schneller bewegen wir uns. Immer mehr wird gegriffen, manches jetzt unsauber sortiert; Hauptsache weg. Ein Kittel wiegt nichts, zwei Arme voll davon sind was anderes. Um die Teile ganz hinten greifen zu können, muss man sich nach vorne beugen. Nach einer Stunde meldet sich der untere Rücken.
Das Band läuft wieder an. Jetzt keine Pause. Keine Unterbrechung. Wir müssen das Tempo halten, damit es nicht wieder zu einem Stillstand kommt.

Im Bus sitzen noch andere, aber nach Schicht kennt man sich nicht. Ich bin müde. Mein Kopf wie Brei. Wir fahren an grauen Häusern vorbei über graue Straßen, irgendwann kommen Felder. Dann die Weststadt. Am Rand haben sie Container aufgestellt. Drum herum haben sie Zäune hochgezogen. Hinter den Zäunen und den Containern stehen große Betonbunker. Dazwischen ist eine Straße mit einem Netto, einem Fitnessstudio und drei Spielotheken. Ich sehe das. Aber nachdenken darüber kann ich nicht mehr. Ich sehe es und habe es auch schon wieder vergessen.
Krotzinger steige ich aus. Den Mülleimer beim Wartehäuschen haben sie abgenommen. Die drei Sitzschalen aus Plastik abgefackelt und mit Edding beschmiert. Was drauf steht, kann ich nicht lesen und es ist mir auch egal. Ich gehe nach Hause, mache mir einen Tee, trinke keinen Schluck davon, weil ich zu müde bin und merke, dass ich vergessen habe, einkaufen zu gehen. Ich müsste noch mal los, aber lasse es bleiben.

Krotzinger steige ich wieder ein. Es ist noch dunkel. Weil es Nacht ist. Und weil Nacht ist, bin ich müde. Von der Endhaltestelle laufe ich frierend zweihundert Meter über den Bahndamm, rauche eine Zigarette, obwohl sie nicht schmeckt und im Hals brennt, wenn ich daran ziehe, biege auf das Gelände der Wäscherei, gehe über die Treppe in der großen Halle in die Umkleideräume und beginne mich umzuziehen. Dreißig Kollegen stehen eng beieinander und schweigen sich an. Von einem Drittel kenne ich den Vornamen. Man nickt sich zu. Das Geraschel der Klamotten, das leise Klimpern von Gürtelschnallen, das Zuschlagen der Spinde ist zu hören und ich rieche alten Schweiß, schwer und süßlich. Einer hustet. Ein anderer zieht die Nase hoch und ich gehe durch die Tür zur Halle A, wo ich weiß, dass die wieder zu viel über das Band schicken werden, weshalb wir alle viel zu spät hier rauskommen.

Eine der blauen Doppeltüren steht offen. Draußen regnet es. Ich lehne mich gegen den Rahmen. Die kühle Luft, die in die Halle hereinweht, ist angenehm. Regentropfen arbeiten sich langsam den Maschendrahtzaun herunter und ich sehe dabei zu. Die Pappe der Zigarettenpackung ist feucht, aber die Kippen, die gehen noch. Meine Finger sind gereizt und aufgeschwemmt. An den Nägeln löst sich die Haut. Die ständige Feuchtigkeit, dann wieder der Trockenbereich, das ist nichts. Ich nehme einen tiefen Zug. Meine Arme sind schwer. Ich blase den Rauch aus, ziehe die Nase hoch und spucke Schleim in eine Pfütze vor der Halle.
„Was glaubst, was du hier machst?“
Es ist Kohn, der Vorarbeiter. Er steht hinter mir.
„Ich hab dich was gefragt.“
Ich drehe mich um. Sehe ihm ins Gesicht. Was werde ich schon machen?
„Pause mach ich.“
Er nickt. „Schön, Pause machst also. Und die anderen? Die lässt du dann mal so lange für dich weiterschuften, oder was?“
„Reg dich ab. In zwei Minuten bin ich zurück.“
Er schüttelt den Kopf. „Du gehst jetzt zurück, Sulaiman. Jetzt. Sonst brauchst morgen erst gar nicht mehr wiederkommen.“
Wir sehen uns an. Für einen Moment ist alles offen, das weiß er auch. Dann nehme ich noch einen Zug, werfe die halbgerauchte Zigarette nach draußen und gehe zurück. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich stehe am Band, funktioniere, sortiere mit zitternden Händen die Wäsche und mein Kopf rotiert.

Ich sitze im Bus. Der Regen schlägt gegen die Scheiben und mit aller Kraft versuche ich meine Augen offenzuhalten, aber ich habe keine Chance. Das Kinn rutscht mir auf die Brust. Ich schlafe ein, schrecke hoch, sehe aus dem Fenster, merke, dass mir die Augen erneut zufallen. Schrecke wieder hoch, merke, dass mir der Mund offenstand wie bei einem Idioten. Verstohlen sehe ich mich um, aber niemanden scheint es zu interessieren.
Seit drei Monaten bin ich hier. Davor fünf Monate Lagerlogistik. Drei Monate Reinigungsdienst. Vier Monate bei einem weiteren Lagerlogistikdienstleister. Seit Jahren geht das so. Ich habe nie eine Ausbildung gemacht. Habe keinen Schulabschluss und kriege nichts anderes. Als Leiharbeiter zahlen sie dir einen Bruchteil von dem, was die Festen kriegen. Für die bist du Dreck, weil die wissen, dass du am Ende auch deren Löhne drückst. Wenn du die zusätzliche Arbeitszeit reinrechnest, bist du unter Mindestlohn, egal was sie dir im Büro sagen. Wenn du dich beschwerst, bist du weg. Der nächste wartet schon und weil er vielleicht kein Wort Deutsch kann, hat der schlimmstenfalls nicht mal eine Ahnung von Mindestlohn oder Rechtsanspruch und beschweren kann der sich nicht. Also hältst du auch deine Schnauze und am Monatsende, wenn du auf deinen Schein schaust, rechnest du zusammen und dann begreifst du, wie wenig eigentlich rauskommt. Viel zu wenig. Aber nicht ganz so wenig, als dass du es nicht mehr machen würdest.
Irgendwann ist so oder so Schluss. Denn ab neun Monaten müssten sie dir das zahlen, was die Festen bekommen. Also werfen sie dich vorher raus, und dann stehst du wieder auf der Matte beim Personaldienstleister, füllst einen Bogen mit deinen Daten aus, obwohl du sicher bist, dass die dich doch irgendwo in ihrer Kartei längst haben müssten, und unterschreibst einen Vertrag für die nächsten acht oder zwölf oder sechzehn Wochen. Falls du dein Maul nicht doch mal zu weit aufgemacht hast, wegen der ganzen unbezahlten Überstunden, wegen der Arbeitsbelastung oder wegen des Arbeitsschutzes, denn sonst dauert es dieses Mal vielleicht etwas länger, bis sie was für dich finden.

In Halle B stoppt eine der Maschinen. In Halle A kommen wir nicht nach. Also steht das Band. Das Signal alarmiert den Vorarbeiter. Der kommt und schreit und wir Idioten spuren und schuften uns blöde und wenn einer aufs Klo muss, schauen wir ihm böse hinterher, weil wir wissen, dass jede Hand fehlt, auch für die paar Minuten schon. Ein paar meinen, dass es jedes Mal dasselbe ist, wenn die Maschinen in Halle B streiken. Dass dann einfach zu viel bei uns über das Band läuft, und um das auszugleichen wir dann erst recht ranklotzen müssen, um das Pensum zu schaffen, obwohl man eine Stunde mehr sowieso locker wird draufrechnen müssen. Jedes Mal sagen sie und meinen jedes Mal, wenn die Maschine in B den Geist aufgibt. Dabei war es nie anders, seit ich hier bin. An keinem einzigen Tag. Aber statt zu schreien, halte ich die Schnauze. Ich halte mich ran, damit das Band nicht stoppt. Ich fahre müde mit dem Bus in die Weststadt, schaue auf mein Handy, ohne mir zu merken, was ich sehe und bevor ich weiß, was los ist, ist es auch schon Zeit schlafen zu gehen, sonst wird der Morgen, wenn der Wecker klingelt, zu einer Zeit, an der kein Wecker klingeln sollte, noch schwerer als ohnehin schon. Ich halte die Schnauze und wenn ich eine rauche und der Vorarbeiter meint, ich solle meine halbfertige Zigarette in den Dreck werfen, dann tue ich auch das. Und wenn beim nächsten Mal die Maschinen in Halle B streiken, werde ich mich darüber beschweren, dass jetzt wieder alles bei uns landen wird, und dass die das nie hinkriegen und dass es jedes Mal dasselbe ist mit diesen Maschinen in B. Dann ist alles ein kleines bisschen leichter.

 

Hallo @Habentus,

biege auf das Geländer der Wäscherei,
... meinste sicher Gelände ...

Super Text, hat mich sehr berührt - nein, er beeinflusst mich nicht negativ, obwohl ich denke, wer in einer solchen Lebenssituation IST, der hält den Nackenschlag kaum aus. Erdrückend, erschreckend, lähmend und sehr resignierend. Das Bild eines Menschen, der, gefangen in einem System, mehr vegetiert als lebt - wo ist die Sonne in seinem Herzen, was für ein Mechanismus treibt ihn an - Lebenslust kann das nicht mehr sein. Durch die ständige Wiederholung wird die Stimmung bis zu einem Mantra ausgehöhlt, eine Endlosschleife - selbst das Gefühl, nur noch verkleidet in belanglosen Gedanken, erfroren und jedem Widerstand beraubt.
Manchmal denke ich, es gibt solche Lebenssituationen gar nicht, das kann nicht wahr sein und doch treten sie häufig auf. Installiert? Gewachsen? Reingeschlittert? Vorsatz? Bewusst?
Allemal ein Phänomen, dessen Ursache sich im Nebel der Vergangenheit auflöst. Ändern?
Wie? Bildung? Erinnert mich auch ein bisschen an einen Text von Pink Floyd:
Run, rabbit run!
Dig that hole,
Forget the sun
And when at last the work is done
Don't sit down it's time to dig another one

Fehlersuche ist nicht mein Ding - ehrlich? Bis auf den einen hab ich auch nix gefunden - danke für den Text - gern gelesen.
Beste Grüße
Detlev

 

Hallo @Detlev und vielen Dank für deinen Kommentar! Der erste ist ja auch immer so eine Sache und ich war gespannt, wie der Text ankommt. So gesehen haben mich deine wohlwollenden Worte fürs erste beruhigt! Danke dafür!
Den von dir angemerkten Fehler habe ich behoben.
Zum Inhalt: Ich kenne das Beschriebene tatsächlich aus erster Hand. Ich habe eine gewisse Zeit in einer Großwäscherei gearbeitet und kann dir sagen, dass da teilweise echt ein harscher Ton, eine massive Belastung und ein hoher Druck herrschen. Ich hatte beruflich auch immer mal wieder Berührungspunkte mit Leiharbeitern. Das ist wirklich ein elendiges System dahinter und (meines Erachtens nach) auch weitestgehend unbekannt. Da gehört Ausbeutung, Erpressung und Resignation nach einer bestimmten Zeit (zumindest in bestimmten Sparten) beinahe zwingend dazu. Der Text war der Versuch, das inhaltlich aufzugreifen und zu verbinden. Wenn es bei dir funktioniert hat, freut es mich. Ist ja auch immer ein Risiko, Persönliches zu verarbeiten.

Beste Grüße
Habentus

 

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