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Wurg - oder warum die Dinosaurier aussterben mußten
Im Anfang war das Nichts. Doch es sollte noch schlimmer kommen: Nach einem immensen Urknall erschienen die ersten Galaxien auf der Bildfläche in denen junge, unbeholfene Sterne, in Nebelschleier gehüllt, zaghaft rotierten. Verstaubte Planeten, düsteren Mißgeburten gleich, trieben im Licht dieser Sternenkinder. Auf ihren pockennarbigen Oberflächen kochte und brodelte es wie in gigantischen Küchen.
Wärme- und kosmische Strahlung brauten auf einem dieser Himmelskörper die Grundsubstanz einer abscheulichen Wesenheit, die in fernen Zeiten einmal weite Teile der Galaxis tyrannisieren sollte: In den methanreichen Pfützen und Tümpeln entwickelten sich schlammartige Flüssigwesen, welche die Vorfahren vieler abscheulicher Kreaturen wurden, wie zum Beispiel des ekelerregenden Kampfnebels – einer Art sich selbst organisierenden Ansammlung gasförmigen Methans - die mittels elektromagnetischer Felder in festen Zustand geraten konnte und nicht einmal mittels eines 4,5 Gigawatt-Strahlenwerfers zu zerstören war.
Ferner wurde der Planet die Heimat von Schleimpfützen, Würgeefeus, Vielaugen, Vielärmern, Echsenwesen und Gehörnten Flugschnecken. All diese Kreaturen hatten eines gemeinsam: Sie ernährten sich von der weichen, warmen Schleimmasse namens Wurg, welche die kosmische Strahlung im Überfluß auf dem Planeten entstehen ließ. Auch die Kreaturen wuchsen und gediehen – sie vermehrten sich zahlreich und in dem Maße wie sie sich vermehrten, wurde auch die schleimige Nahrung knapper und knapper. In diesem Zeiten allgemeinen Elends setzten sich die führenden Intellektuellen des Planeten zusammen und berieten. Da es keine Regierung gab, die in diesem Falle etwas hätte unternehmen können, beschlossen die beiden, etwas derartiges zu gründen. Als geeignetes Regierungsoberhaupt wählten sie einen verträumten, sich viel versprechenden Vieltentakeligen, von dem die Intellektuellen meinten, er sei recht repräsentativ und sicher auch leicht zu überzeugen. Ihm sollte in Zukunft die gesamte Verantwortung für die Bevölkerung übertragen werden.
Die Intellektuellen gaben ihm den Titel „Oberster Gott“ und befahlen ihm, erfolgreich zu regieren.
Ja, in Zeiten wie diesen war guter Rat wirklich teuer! Soviel der Oberste Gott auch überlegte, tüftelte und sinnierte, ihm fiel nichts Neues ein – bis auf eine Kleinigkeit: Er führte das Gesetz ein, daß Obersten Göttern die doppelte Portion an Nahrung zustand wie gewöhnlichen Sterblichen. Das gefiel den übrigen Wesenheiten natürlich nicht, aber der Oberste Gott war nun einmal der von Rechts wegen eingesetzte Oberste Gott und er hatte alle Machtbefugnisse. Die beiden Intellektuellen nutzten ihre Chance und deklarierten sich ebenfalls zu Obersten Göttern. Gemeinsam mit dem ersten der Obersten Götter erarbeiteten sie allerlei Lösungsstrategien. Der eine der beiden Intellektuellen, der sich inzwischen der
„Vernichter-Der-Beinahe-Alles-Ißt“ nannte, hatte den Plan, die Hälfte seines Volkes zu überreden in Winterschlaf zu treten. Sie würden im Winterschlaf nicht der Nahrung bedürfen, so daß man Wurg sparen könne und ferner, so meinte er, wenn es hart auf hart käme, könne man die Schlafenden ja essen. Der andere, der inzwischen den Namen der „Esser-Immenser-Mengen“ angenommen hatte, war dagegen. Er meinte es sei gerechter, wenn die Hälfte der Bevölkerung auf einen anderen Planeten ziehe, um dort nach neuer Nahrung zu suchen. Der zu Hause bleibende Rest könne den Wurg gerecht unter sich aufteilen und falls dort alle des Hungers sterben sollten, hätte wenigstens die Hälfte, die unterwegs sei noch eine kleine Chance zu überleben. Der „Vernichter-Der-Beinahe-Alles-Ißt“ lachte darüber nur und entgegnete, daß auch die Hälfte der Planetenbevölkerung den gesamten Wurgbestand bis auf die letzte Pfütze zu verputzen vermochte und daß diese Lösung eine intellektuelle Fehlleistung sei. Der „Esser-Immenser-Mengen“ wurde sauer und entgegnete, es sei kein feiner Zug, das Verspeisen von fünfzig Prozent seiner Untertanen in Kauf zu nehmen. Der „Vernichter-Der-Beinahe-Alles-Ißt“ lachte hämisch und nannte den anderen ein Weichei.
So kam es, daß sich die beiden wild stritten, was in eine verbissene Prügelei ausartete. Daneben stand der einstmals einzige Oberste Gott und starrte verzweifelt auf seine sich knuffenden und puffenden Kollegen.
Laut und vernehmlich räusperte er sich. Als die beiden Streithähne kurz innehielten um nach Luft zu schnappen erklärte er, er in seiner Eigenschaft als einstmals einziger Oberster Gott wolle die weise Entscheidung treffen, welcher der beiden Vorschläge durchzuführen sei. Desweiteren, so sprach er, wolle er jetzt offiziell den Titel der „Einstmals-Einzige-Oberste-Gott“ tragen. Widerstrebend stimmten die beiden anderen Götter dem Vorschlag des „Einstmals einzigen Obersten Gottes“ zu.
Der „Einstmals-Einzige-Oberste-Gott“ dachte lange nach, bis er endgültig zu einem Entschluß kam. Als dieser gefällt war, rief er seiner Mitgötter zu sich.
Er mußte sich zuvor gründlich räuspern, um die Spannung vor seiner Ankündigung zu erhöhen, doch dann brach es aus ihm hervor: Die Vorschläge seiner Kollegen gefielen ihm beide, so sprach er. Deswegen wolle er, der „Einstmals-Einzige-Oberste-Gott“, eine Synthese beider Lösungen zur Rettung des Volkes anstreben. Sein Plan sah folgendermaßen aus:
Man werde ein großes Raumschiff bauen, welches Platz genug für alle Lebewesen des Planeten böte und ebenfalls genug Lagerraum für allen Wurg, der zur Zeit verfügbar war. Sodann würden sie alle einsteigen und zu einem fernen Planeten fliegen, auf dem genug Platz und Nahrung für alle Lebewesen vorhanden sei. Falls es auf der langen Reise zu einer Wurgknappheit kommen solle, könne man immer noch die Strategie des Winterschlafes und des Aufessens praktizieren.
Der „Vernichter-Der-Beinahe-Alles-Ißt“ und der „Esser-Immenser-Mengen“ fanden diese Idee nicht gerade berauschend. Schließlich und letztendlich einigte man sich darauf, wenigstens einen kleinen Bestand an Würgeefeus und drei Kampfnebel auf dem Heimatplaneten zurückzulassen.
Das Raumschiff war schnell gebaut. Fast alle Bewohner des Planeten halfen beim Wurgernten, Trocknen und Einlagern. Als sich das Raumschiff dann durch die dünne Atmosphäre in die schwarze Unendlichkeit des Alls erhob, blickten die Wesen und ihre Götter ein letztes Mal auf die pockennarbige Oberfläche ihrer Heimat hinab in dem Bewußtsein, nie wieder zu ihr zurückzukehren. Es dauerte nicht lange und dann sah der Planet aus der Ferne nur noch wie eine staubige gelbe Funzel aus, die matt im Licht ihres jungen blauen Sternes schimmerte bis er sich zuletzt in der Leere des Alls verlor.
Und wie lange es dauerte das All zu durchreisen! Immer auf der Suche nach Futter und einer schönen neuen Heimat verbrachten sie viele Generationen auf dem Sternenschiff. Längst war auch der Plan „Winterschlaf“ in die Tat umgesetzt worden. Und wer dabei nicht gefressen worden war, der löste nach einiger Zeit die anderen bei der Suche nach Planeten ab.
Und eines Tages geschah das Wunder! Man hatte sich, steter Hoffnung folgend, einer kleinen gelben Sonne genähert, die über eine stattliche Anzahl an Planeten verfügte. Auf dem äußersten, einem kleinen staubigen Eisball, wurde erst einmal Rast gemacht um Methaneis zu essen und sich die steifen Tentakel zu vertreten. Vereinzelt wurden Stimmen unter den Wesen laut, dies sei der beste Planet seit Äonen und man solle doch um Himmels Willen hier bleiben. Aber die Götter waren der Ansicht, daß ein zukünftiger Heimatplanet sowohl größer als auch wärmer sein solle. Und so flog man weiter auf die gelbe Sonne zu. An vier stattlichen Gasplaneten vorbei ging die Reise. Von diesen war man einhellig der Meinung, einer sei schöner als der andere, doch den Göttern waren sie ebenfalls zu kalt. Der nächste Planet schien rot im Licht der näher rückenden Sonne. Diesen befand der „Einstmals-Einzige-Oberste-Gott“ für zu staubig.
Allgemeiner Unmut machte sich unter der Bevölkerung breit. Keine Welt war den Göttern recht. Der nächste Planet den man ansteuerte war ein kleiner blauer Planet, gerade doppelt so groß wie die Heimatwelt. Hier wurde endlich eine große Menge an kohlenstoffreicher Nahrung gesichtet und man beschloß, diesen Planeten zu besiedeln.
Das Raumschiff landete und man strömte ins Freie. Die hungrigen Wesen begannen im Nu, die Bäume und Sträucher mit Stumpf und Stiel aufzufressen. Es dauerte nicht lange, da hatte man erkannt, daß die einheimischen Tiere ebenfalls wohlschmeckend und nahrhaft waren. Kampfnebel, Vielaugen, Flugschnecken und allen voran die drei Götter wurden im Laufe der Zeit ziemlich fett, denn bis auf einige wenige Tiere waren die meisten nicht sehr wehrhaft und somit eine leichte Beute für die außerirdischen Jäger. Zuletzt waren diese so faul geworden, daß sie nur noch Jagd auf die größeren Tiere machten. Denn die kleineren, besonders die Warmblütigen, waren inzwischen viel zu flink für die mittlerweile sehr umfangreichen Invasoren. Doch diese mußten bemerken, daß der Vorrat auch auf dem blauen Planeten zur Neige ging.
Und wieder war es an der Zeit für einen Krisenstab wie schon viele Äonen zuvor. Und der „Einstmals-Einzige-Oberste-Gott“ rief seine göttlichen Kollegen zusammen und sagte, daß es an der Zeit sei das Terrain zu wechseln und einen größeren Planeten zu suchen, welcher der inzwischen stark angewachsenen Population an Außerirdischen Platz und genügend Nahrung bieten solle. Und man kam überein sämtliche Tiere mitzunehmen, die leicht zu fangen und zu erlegen waren – besonders die großen, nahrhaften Exemplare. Denn man wollte in den unendlichen Weiten des Alls ja nicht verhungern.
Und wie es beschlossen wurde, so wurde es auch getan. Ein großes Raumschiff wurde im Handumdrehen erbaut und alles Getier, dessen man habhaft werden konnte in riesigen Kühlräumen eingelagert. Alle der außerirdischen Invasoren packten tatkräftig mit an. Schleimpfützen, Vielaugen, Vielärmer schaufelten ebenso Fleischberge herbei wie es die Echsenwesen und Gehörnten Flugschnecken taten.
Letztendlich blieb nicht viel übrig, denn auch viele Pflanzen nahm man mit. Einen kleinen Bestand an Würgeefeus und drei Kampfnebel ließ man hingegen zurück. Bald erhob sich das Raumschiff, welches um ein vielfaches größer war als das, mit dem man gekommen war in die blaue Luft und verschwand in der Tiefe des Weltalls. Von den Dinosauriern, die einst diese Welt beherrscht hatten, war kein einziger auf dem blauen Planeten zurückgeblieben. Nur ein paar rattenartige Warmblüter bemerkten wie das Raumschiff der Tyrannen in einer großen Rauchwolke davonflog um nie wiederzukehren. Und die kleinen, flinken Tierchen drehten sich geschwind um und begannen den Grundstein zu legen für eine neue Generation von Tyrannen. Diese würde vielleicht in fernen Zeiten ebenfalls mit dem Raumschiff davonfliegen, getrieben von der Beschränktheit ihres kleinen blauen Planeten, um die Galaxis zu erobern und vielleicht noch viel mehr.