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Wozu Dämme bauen?

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08.08.2002
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Wozu Dämme bauen?

Dichtes Moos bedeckte den Boden. Als hätten Waldgeister einen kostbaren, grünen Teppich gewoben. Marlene spielte selbstvergessen mit einem kleinen abgebrochenen Zweig den sie unterwegs von einem Strauch gebrochen hatte. Sie genoss den Spaziergang. Es roch nach feuchtem Holz, nach vergessenen Tagen der Kindheit. Zartrosa Blüten suchten den Weg ans Licht durch das niedere Gewächs. Vor ihr lief ihr Sohn, Patrick, kaum fünf Jahre alt. Seine dunklen Haare kringelten sich um sein erhitztes Gesicht. Die großen braunen Augen des Kindes waren ihr eine ständige Erinnerung an eine Liebe, die nicht für die Ewigkeit gedacht war.

„Hast du was Mami?“ Patrick war stehen geblieben und sah Marlene mit einer Miene an, die mehr versteckten Zorn, denn Besorgnis verriet. Er hatte seine kleinen Hände in die Hüfte gestemmt. Die ständige Traurigkeit seiner Mutter nervte ihn. „Nein, nein mein Herz, es geht mir gut, wirklich“. Marlene strich ihm mit der Hand sanft eine dunkle Locke aus dem gebräunten Gesicht. Sie musste unwillkürlich lächeln.

Die Sonne schien warm und lud zum Verweilen ein. Marlene legte sich behaglich ins Moos. „Komm, leg dich neben mich und breite deine Arme ganz weit aus. So, siehst du?“ Der Bub tat es seiner Mutter gleich, legte sich auf den weichen Boden. „Wow, das ist aber toll“ sagte Patrick als er nach oben in die Baumkronen sah. Die Stämme der Bäume schienen ins Unendliche hineinzuwachsen. Der Bub blinzelte in die Sonnenstrahlen, welche sich einen Weg durch die Blätter brachen. Ihre zarte orange Färbung wies auf den nahenden Abend hin. Ein Vogel sang sein Lied, unerkannt, verborgen in den vielen Verzweigungen der Äste.

Wie angenehm war es, die Wärme aufzunehmen, durch die Poren einfließen zu lassen in die, vom Winter noch etwas klamme Seele. Marlene genoss die leicht dampfende, weiche Unterlage. Sie schloss behaglich die Augen.

Fast augenblicklich war seine Nähe spürbar. Seine zärtliche Hand strich über ihr Haar, streichelte sanft über ihren Hals. Suchte den Weg über ihre Brust, legte sich behutsam, wie schützend, auf ihren Bauch. Ihre Sinne waren wach, ihr Körper voll Sehnsucht. Sein Mund war ganz nah, sie spürte seinen Atem auf der Haut - da zerriss ihr Sohn den Tagtraum, indem er wie ein kleines Schweinchen grunzend, auf die Mutter zu krabbelte.

„Ich hab dich, jetzt wirst du gefressen, ich bin der Wolf“ und schon warf er sich mit seinem weichen Körper auf die junge Frau und begann ungestüm, mit lauten Schmatzgeräuschen die Arme seiner Mutter anzuknabbern. „Hör auf, du kleines Monster“ lachte Marlene und schüttelte gleichzeitig den Jungen und ihre verwirrenden Phantasien ab.

„Schau ein Marienkäfer“ jauchzte Patrick und ließ ihn vom Blatt auf seinem Arm krabbeln. „Kann ich ihn mitnehmen?“ Marlene schüttelte den Kopf: „Ich denke, er ist lieber hier im Wald, bei seiner Familie“ meinte sie und ließ sich bequem zurück ins Moos fallen, stützte den Kopf in ihre Hand. „Darf er seinen Papa auch nur alle zwei Wochen sehen?“ fragte das Kind harmlos. Marlene verkrampfte sich, empfand sofort die noch frische Wunde wieder, die sie so gerne ignorieren wollte.

Patrick ersparte ihr eine Antwort: „Pst, hörst du, da rauscht irgendwo Wasser?“ Er hob die kleinen Schultern hoch und legte den Finger auf die Lippen als wäre es allein dadurch möglich, die Welt verstummen zu lassen. Sie richtete sich auf und nahm ihren Sohn auf den Arm. Sie trug ihn ein Stück durch den Wald, streichelte mit der freien Hand liebevoll über seinen Rücken. Sie verbarg ihr Gesicht in seinem Haar und atmete tief ein. „Wie gut das riecht“ dachte sie bei sich. Diese warme, erhitzte Kinderhaut, welch ein Duft. Wie konnte er nur darauf verzichten?

„Lass mich runter, da vorne ist ein Bach“. Marlene stellte den Kleinen auf den Boden und sah zu wie er zum Wasser lief. Sie setzte sich auf einen Baumstumpf und beobachtete die vergeblichen Versuche ihres Kindes, das Wasser mit einem Holzstück am Weiterfließen zu hindern. Es funktionierte nicht. Sie dachte an ihre eigenen vergeblichen Bemühungen, in Fluss gekommenes, aufzuhalten. Das schon verloren Scheinende noch schnell festzumachen, irgendwo an einem Haken der Zeit.

Im Grunde wusste sie es schon damals, als er ihr sagte, er fühle sich einfach zu jung, zu dynamisch für ein Kind. Das sei einfach nicht sein Ding, es gäbe noch so vieles zu sehen, zu erleben, ob sie es denn nicht einfach wegmachen könne? Sie konnte nicht, verdrängte jahrelang, dass er ihr gemeinsames Kind nicht leben sehen wollte. Irgendwann am Beginn des Frühlings, stürzte er sich in die ausgebreiteten Arme eines hübschen Mädchens, die ihm das Gefühl gab, ihr Held zu sein. Nun brauchte er nicht erwachsen zu werden, keine Verantwortung mehr tragen.

Marlenes Augen füllten sich mit Tränen. Sie blinzelte sie weg. Gekonnt nach monatelangem Training, gelang es ihr fast auf Anhieb, den Schmerz in die kleine schwarze Ecke ihrer Seele hinunterzuschlucken. Sie hockte sich neben Patrick ins Gras. Gerne wollte sie das Kind umarmen. Es war so verlockend, dem Jungen all die Liebe aufzudrängen welche in ihr schlummerte. Sie widerstand dem Impuls, ballte die Hände kurz zu Fäusten, grub die Nägel in ihr Fleisch. Fast augenblicklich entspannte sie sich wieder.

Patrick warf das Holzstück ins Wasser und ließ es davon treiben. „Möchtest du ein größeres Stück Holz oder Steine, um einen Damm zu bauen?“ fragte sie Patrick und setzte sich ins Gras. Der Junge kuschelte sich an seine Mutter und schaute gelöst ins Wasser. „Nein Mami,lassen wir es einfach fließen.“

 

Sieh an, die Schnee.eule ist wieder da ... :)
Eine hübsche und vor allem sehr sensible Geschichte. Ich sehe die beiden deutlich vor mir; den verspielten kleinen Jungen, der durch den Wald huscht und seine Mami zum Lachen bringen will, und die melancholische Mutter, deren Gedanken immer wieder zu ihrem ehemaligen Partner gleiten. Schönes Porträt eines Ausfluges, der wohl gleichzeitig auch symbolisch zu verstehen ist, ganz besonders der letzte Satz. Auch die Gefühle der beiden Personen sind für den Leser überzeugend und spürbar dargestellt.
Hat mir gefallen.

Gruß, Ginny

 

Hallo Eva, schön, wieder was von Dir zu lesen...

wie ein wunderbarer Film hast Du gezeichnet, schneeeule, mit vielen Bildern, die kleinen Details liebevollmit eingeflochten.
Sehr einfühlsam die Darstellung und Charakterisierungen der Mutter und des Sohnes. Wunderbar flüssig zu lesen, irendwie hat mich die Stimmung verzaubert... auch am Schluss di eErkenntnis, der Bezug zum Titel, das passt, ist richtig. Ein toller Text in meinen Augen.
Ein/zwei Kommas, hast Du, glaub ich, noch drin...

liebe Grüße, Anne

 

Hallo Schnee eule.
Wunderschön... ich war dabei... lass es fliessen... ganz richtig so.
Du bist im Fluss... der Leser Deiner Geschichte auch.
Lord

 

Servus Ginny!

Ja, es gibt mich halt wieder. Weit genug von meiner Person entfernt, aber dennoch mit meiner Gefühlswelt verbunden geblieben.
Freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat. Vor allem, dass du das Geschriebene vor dir sehen konntest.

Lieben Gruß an dich - Eva

Servus Maus!

Schön, wenn sich dir die Geschichte in Bildern dargeboten hat. Wenn es mir gelungen ist, mit der Stimmung einen kleinen Zauber zu fabrizieren und die kleine Erkenntnis transportieren konnte - wunderbar.
Kommas, ihr Eigenleben ist faszinierend, nicht? Mal kommen zu viele, andere bleiben aus ...

Lieben Gruß an dich - Eva

Servus Lord!

Du beschreibst das Gefühl sehr schön. Alles in Fluss!

Einen schönen Tag für dich - Eva

 

Hallo Eva,

ja der letzte Satz ist eine schöne Metapher. Ich finde, das hier ist wieder - im Gegensatz zu der anderen neuen Geschichte von dir - eine typische Schnee.eulen Story. Deshalb ist sie auch so gut.
Du erinnerst dich immer so verdammt schön melancholisch genau. Das Verweilen in der Natur und die Erinnerungen dabei an eine vergangene Liebe.

Sie dachte an ihre eigenen vergeblichen Bemühungen, in Fluss gekommenes, aufzuhalten. Das schon verloren Scheinende noch schnell festzumachen, irgendwo an einem Haken der Zeit.
Wow! Und vor allem das stimmt. Ich kann mich auch erinnern, wie ich als Kind versuchte, den Stock noch zu halten, der mir gerade ins Wasser fiel.

Liebe Grüße

Jan

 

Hallo schnee.eule,

mit feinen, aber eindeutigen Pinselstrichen malst Du diese beruhigende Szene. Trotzdem gibt es Kontraste, Moos- Ruhe - fließender Bach; aktives Kind - träumende Mutter. Dann die Aufhebung der Gegensätze - Mutter und Kind agieren zusammen, beobachten das Fließen, haben aber Abstand gewonnen, müssen nicht zwanghaft ändern, was nicht zu ändern ist. Die Souveränität der Mutter spiegelt sich auch darin, daß sie nicht der Verlockung erliegt, dem „Jungen all die Liebe aufzuzwingen“. Sich selbst zurückzunehmen, zum Wohl einer anderen Person, das ist wirklich Stärke. Diese Fähigkeit deutet sich schon am Anfang an, die Mutter eröffnet dem Jungen eine neue Welt, zeigt, daß ein Perspektivwechsel vertrautes in neuem Licht erscheinen läßt.
So bleibt, auch für die Geschichte, nur die Erkenntnis „wow, das ist aber toll.“

Liebe Grüße,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Schnee-Eule,
eine schöne Geschichte, voller Bilder und Worten zwischen den Zeilen.
"...an einem Haken der Zeit", das ist für mich der eigentliche Satz, die Vergangenheit zu halten, obwohl das Leben fließt, wie der Junge so treffend und einfach sagt.
Schön, luftig, moosiggrün mit Vogelgezwitscher und Traurigkeit.
***********Merlinwolf*********

 

Servus Jan!

Das ist großartig, wenn du in diesen Stimmungsbildern eigene Kindheitserinnerungen aufspüren konntest. Das melancholische Verweilen in Vergangenem, um es im selben Moment loszulassen und sich dem Fluss des Lebens zu überlassen, die Kraft des Weiters zu verspüren, ist etwas Wunderbares. Deine Worte machen echt happy.

Lieben Gruß an dich - Eva

Servus Siegbert!

Nichts ist dir verborgen geblieben, von dem, was diese beiden Menschen in der Natur verweilend, trägt. Sogar der Perspektivenwechsel den sie ihrem Kind anbietet, ist dir in seiner Wichtigkeit aufgefallen. Dass du, um die Erkenntnis dieser Geschichte zum Ausdruck zu bringen, Worte daraus entnimmst, nämlich diese Worte, ist eine ganz besondere Geste über die ich mich sehr freue.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Servus Merlinwolf!

Schön, dass du dich eingefunden hast in der Landschaft meiner Phantasie und dich wohl fühltest darin. Ja, am Haken der Zeit Dinge festmachen die vergänglich sind ... und sie dann stattdessen freilassen.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Analyse der Kurzgeschichte „Wozu Dämme bauen?“ von Eva Marinkovits

Die Kurzgeschichte „Wozu Dämme bauen“ von Eva Marinkovits stammt von der Internetseite www.kurzgeschichten.de, das nur als Hinweis, da Autor und Geschichte sicher unbekannt sind. Die Handlung dreht sich um die junge Mutter Marlene, die mit ihrem 4 Jahre alten Sohn Patrick im Wald spazieren geht. Marlene, in Gedanken verloren legt sich mit ihm zusammen ins Gras, genießt seine Wärme und versucht ihre Trauer vor dem Sohn zu verbergen, der mit seiner Nähe und vereinzelte Fragen den Schmerz der Trennung von ihrem einstigen Partner unbewusst verschlimmert.

Schon mit den ersten beiden kurzen Sätzen fühlt man sich als Leser an einen anderen Ort versetzt, ungeahnt verspürt man diesen frischen Geruch des Waldes in der Nase und das Gefühl der damit verbundenen Ausgeglichenheit. Die Geschichte hätte auch sofort mit dem 3. Satz beginnen können, wesentliche Inhalte hätte man somit nicht verpasst und doch fehlt ohne sie der zum Lesen auf mir unbekannte Weise aufzwingende beruhigte, fast schon glückliche Gefühlszustand. Noch weitere Ausführungen erwartend zwängt sich stattdessen die erste Person ins Bild: Marlene. Die darauf folgende Beschreibung von zartrosa Blüten, Geruch von feuchtem Moos und nicht zuletzt die Erinnerung von der Mutter an ihre Kindheit klärt, dass kein melancholischer Erzähler, sondern ihre Empfindungen die Geschichte eingeleitet haben. Doch zur Perspektive später. Der Absatz schließt mit einer Beschreibung ihres Sohnes, wodurch wieder ein Teil ihrer Geschichte bekannt wird, oder zumindest der Leser eine Ahnung davon bekommt.
Die Mutter scheint ihrem Kind nie etwas von ihrem Kummer zumuten zu wollen, er fragt sie unbescholten ob etwas nicht stimme, wobei er wohl keine Antwort erwartet, diese Frage hat er sicher schon des Öfteren gestellt. Aber er bekommt eine, es ist die, die er jedes Mal bekommt und ihm schon wie eine Lüge vorkommt. Sie versteckt sich vor ihrem Sohn, unwillkürlich wie sie zum Lächeln gezwungen scheint drängt sich dem Leser immer mehr auf was die Frau eigentlich für ein Problem hat. Es folgt ein Sprung, die kurze Nähe im Gespräch wechselt in eine weitere Beschreibung der Szene. Um den Jungen zu beruhigen lässt sie sich mit ihm auf dem Boden nieder und versucht ihn und auch sich selbst mit einem Blick in die Baumkronen abzulenken. Zusammen mit dem nächsten Absatz bemerkt man bald, dass Marlene immer wieder versucht ihre Trauer zu vergessen und sich auf andere Sachen zu konzentrieren. Der ständige Wechsel zwischen schmerzhafter Erinnerung und Schönheit der Natur lässt durchschimmern, dass sie damit keinen großen Erfolg verzeichnet. Die unscheinbare Dramatik des Textes gestaltet sich auch bis zum Ende der Seite damit, zwar sofort zu verraten, dass es ihr alles andere als gut geht, aber erst nach und nach zu lüften aus welchem Grund eigentlich. In Gedanken verloren und mit geschlossenen Augen bemerkt sie fast erschrocken die Nähe ihres Sohnes. Fast schon zu intim wird klar, wie sehr sich Marlene die Nähe ihres Partners wünscht, woraus man schon herauslesen kann wer die Trennung veranlasst hat und dass Marlene ihrem Partner nachtrauert statt ihn zu hassen – so kann sie ihn auch nicht vergessen.
Mit geschlossenen Augen spürt sie Patricks Hand, seinen Atem und droht fast ihn zu verwechseln. Doch er kommt ihr zuvor und lässt sie schlagartig in die Wirklichkeit zurückfinden. Wieder verstellt sie sich und versucht ihre Gedanken zu vergessen. Nahezu zynisch wirkt die folgende Szene mit dem Marienkäfer: Schon die Mutter schadet sich fast selbst mit ihrer Aussage, der Marienkäfer wäre sicher lieber bei seine Familie, bekommt jedoch mit der ungeahnt schmerzenden Frage ihres Sohnes den letzten Anstoß wieder in Depressionen zu versinken. Anders der Leser: Aufatmen, Klarheit ist angesagt, die Mutter trauert ganz offensichtlich über ihren Partner. Das Kind darf seinen Vater nur alle 2 Wochen sehen, wer ihn da hinbringt und was für die Mutter damit verbunden ist liegt auf der Hand. Doch ganz so harmlos scheint das Kind die Frage wohl doch nicht gemeint haben, er regt sich ein weiteres Mal über das Verhalten seiner Mutter auf, erkennt seinen Fehler jedoch früh genug und schneidet selbst ein anderes Thema an. Auf dem Weg zum Bach wird klar, wie es zu der Trennung kam, bzw. was der Anlass war: Das Kind. Nicht begreifend, warum der Partner Patrick nicht wollte gelangen beide am Bach an. Der Versuch ihres Sohnes den Bach mit einem Stock zu stauen bedeutet für Marlene eine symbolische Wirkungen, sie vergleicht ihn mit ihren Mühen und es wird klar, dass sie genug Schaden an der Trennung genommen hat um aber auch durch alles und jeden wieder an sie erinnert zu werden, fraglich ist doch daran wie sie es schafft in diesem Zustand noch ein halbwegs normales Leben führen zu wollen.
Wie brutal der Vater wohl gegen die Geburt des Jungen gewesen sein muss wird im darauf folgenden Absatz klar, der dem Leser wohl am stärksten ihre Situation verdeutlicht. Der Vater hatte sie aus mehreren Gründen verlassen, Patrick war der Anfang, doch der auslösende Faktor war wohl das Mädchen, womit er Marlene auch noch direkt abgewiesen hat. Seine Unfähigkeit sich niederzulassen und ein Kind zu lieben schmerzt sie bereits ausreichend, er hat sich sicher nicht die Mühe gemacht ihr geduldig zu erklären was ihn daran stört und so wenigstens ein bisschen Verständnis zu schaffen. Marlene kompensiert ihre Trauer und begräbt sie in sich, wird nicht lange dauern bis das Fass übergelaufen ist und sie anfängt unüberlegt zu handeln.
Der Abschluss der Geschichte faszinierte mich besonders. Einfach fließen lassen, nicht versuchen etwas zu ändern, dass man nicht ändern kann und damit leben. Die Mutter drängt ihren Sohn nicht den Bach in Ruhe zu lassen, sondern will ihm dabei helfen, ein scheinbarer Versuch eigene Fehler zu verdrängen in dem man andere unterstützt. Der Sohn aber scheint in seinem zarten Alter langsam ihrer beide Situation zu verstehen und das Beste daraus zu machen.

Der Autor baut eine kleine Geschichte wunderbar aus. Dabei schafft er es sich auf klare Gedanken und Handlungen zu beschränken und doch eine leichte Spannung aufzubauen. Diese gestaltet sich vor allem dadurch einen ständigen Wechsel zwischen den Gefühlen der Mutter und der diese auslösenden Aktionen. Auch schaukelt sie sich durch die zögernde Preisgabe von Fakten um den Grund ihrer Trauer herum auf und gibt dem Leser das Gefühl vollkommen unwissend eine Handlung zu verfolgen, die er nur nach und nach versteht und ihn immer hungriger werden lässt – ein gelungener Versuch ihn an die Geschichte zu binden und trotz einer zugegebenermaßen etwas auseinander gezogenen kurzen Handlung zum Weiterlesen zu bewegen. Dabei verstrickt er sich nie zu lange in den Gedanken der Mutter sondern schafft mit den Aktionen des Sohnes und der Darstellung der Szenerie eine auffrischende Abwechslung die den Leser selbst vor Depressionen schützt/schützen soll. Auch faszinierend ist die Frage, ob der Sohn der Mutter mehr nützt oder mehr schadet; Auf der einen Seite hat sie ihn gewollt und erfreut sich an seiner Nähe und Wärme. Auf der anderen Seite weckt er dauernd die Erinnerung mit welchem Preis sie sein Dasein bezahlen musste und ist unfähig ihm das klarzumachen, in dem Alter aber auch verständlich. Das Ende der Geschichte lässt dem Leser genügend Freiraum eigene Gedanken über den weiteren Verlauf zu entwickeln. Ich mag solche Geschichten, man vergisst sie nicht gleich, findet Parallelen zum eigenen Leben, denkt manchmal noch Tage nach dem Lesen an sie und denkt an ihr ähnlichen Situationen an sie, ein echter Gewinn.

1.200 Wörter


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bibliothecarius, ladewig famulus, alchemist

Leipzig, den 06.01.2003, Frohes Neues !

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Riwale!

Vorweg bin ich froh, dass du meine Geschichte zum Analysieren ausgesucht hast. Und zwar aus einem dir vielleicht noch unbegreiflichen Grund. Ich bin nämlich sicher, nicht jeder akzeptiert problemlos, wenn du seinen Text nimmst und woanders hinträgst. Ich sehe es aber sehr gelöst und es ist mir eine Ehre, dass diese Zeilen dich animiert haben damit weiterzugehen.

Du hast sehr komplex deine angesprochenen Gefühle, die handelnden Personen, ihre Nöte, Ängste und Freuden hervorgehoben. Ihre vermeintlichen Absichten und Irrtümer einzufangen versucht und auch aufzuzeigen versucht, wie die Autorin selbst der Geschichte gegenüber steht. Du hast dir damit viel Arbeit gemacht und ich weiß, dass du die absolute Traumnote von jenen Menschen bekommen wirst, die das Recht bekommen haben, zu urteilen, über das was du mit deiner Analyse zum Ausdruck gebracht hast.

Um all deinem Geschriebenen gerecht zu werden möchte ich mir aber ein bisschen Zeit nehmen und dir danach ausführlich mein Stimmungsbild dazu abgeben. Wo sich unsere Sichtweisen decken oder wo ich überrascht bin wie man das Handeln auch verstehen kann und du mich zum Nachdenken anregst.

Jedenfalls find ich es sehr schön, dass dich der Text beeindruckt hat. Dass du auch eine Zeit vom Text entfernt wieder daran denkst und er in dir verhaftet blieb ist ein großes Kompliment und nicht selbstverständlich. Vielen Dank, freu mich schon sehr, auch von dir selbst Verfasstes hier lesen zu dürfen.

Bis bald - lieben Gruß - Eva

 

Servus Riwale!

So, jetzt werde ich mich dir und deiner Arbeit widmen!

Vorweg scheinst du die Amtosphäre genossen zu haben. Das ist wunderbar. Vor allem weil du dich dabei nicht nur von Naturbeschreibungen, sondern vor allem von Marlenes Empfindungen leiten ließest, die schmerzlichen Gefühle gespürt hast die beim Betrachten des Sohnes wieder aufgekommen sind. Das Hinleiten zu neuen Perspektiven und sei es erst nur eine rettende Ablenkung von der Hilflosigkeit. Die Tagträume aus denen sie der Sohn unsanft herausreißt. Alles hast du herausgefiltert.

Dann die Schlussfolgerung deinerseits, dass sie durch Traurigkeit nicht vergessen kann. Würde sie hassen, schiene es dir möglich. Hass ist in seiner Intensität mindest ein gleich starkes, wenn nicht noch weit mehr, gegen einen selbst gerichtetes Gefühl und demnach ebenso selbstzerstörerisch wie unverarbeitete Traurigkeit. Beides kann keine Lösung sein, und würde auch die Essenz der Geschichte, dem Loslassen, keinen Raum lassen.

Äußerst interessant fand ich deine Darstellung der Marienkäferepisode. Die Klarheit die sie dir vermittelte und vor allem das Weiterspinnen der Gedanken im Bezug auf Besuchsregelung regen mich zum Nachdenken an.

Der zweite für mich, aus deiner Sicht, sehr interessante Aspekt ist dein Blick auf die Rolle des Mädchens in dessen Arme der Mann geflüchtet ist.
Dass sie, über die Verletzungen bzgl. der Ablehnung des Kindes, auch eine zusätzliche Abweisung Marlene, also ihrer eigenen Person bedeuten, war mir in dieser Intensität gar nicht klar gewesen und ist tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Beim Schreiben erschien mir dieses Mädchen als nebensächlicher Faktor, wenngleich es der Auslöser für die endgültige Trennung war.

Die abschließende Szenerie in der Geschichte hast du in der ganzen Tragweite gut erkannt und nachempfunden.
In deiner zusammenfassenden Endbetrachtung sprichst du den gefühlsorientierten Spannungsbogen an, was mir eine große Freude ist, scheint er doch gelungen zu sein. Dein Rückschluss, dass sie für das Dasein des Sohnes einen Preis zu zahlen hat, hat mich betroffen gemacht. Meiner Meinung nach, hat sie den Anteil der Verantwortung des Vaters übernommen. Sie hat ihn mit der Schwangerschaft nicht übervorteilt, sich aber für das Kind entschieden und dafür ist keine Buße notwendig.

Du hast die erwähnten Freiräume gut genützt und viele eigene Überlegungen eingebracht. Ich habe die seltene Möglichkeit als Autor eine komplett durchanalysierte Geschichte mit den Augen eines Lesers zu sehen. Das ist ein großer Gewinn für mich persönlich und ich danke dir herzlichst dafür, dich mit diesem Text derart intensiv auseinandergesetzt zu haben.

In der Sicherheit, dass deiner Arbeit notenmäßig Respekt und Achtung entgegengebracht wurde, gratuliere ich dir persönlich zu deiner tollen Leistung.

Ganz lieben Gruß an dich - Eva

 

Hi Eva!

Danke für die Kritik an meiner Analyse, solange meine Lehrerin das auch so sieht kann ich morgen sehr optimistisch die Schule betreten. Denn wäre ich nach ihrem Schema vorgegangen, hätte sie an gewissem Reiz verloren, mit festgelegter Richtlinie, Beschränkung auf sture Interpretation und Konzentration auf stil. Mittel hätte ich nicht so viel Spaß daran gehabt.
Meine Arbeit bekomme ich morgen wieder, mein Kumpel muss noch eine schreiben ... ich schreib ihm grad nebenbei eine über "Wo gehst Du denn hin", mache die Nacht durch und versuche noch fertig zu werden. Muss sie morgen noch überarbeiten, dann schick ich sie Dir (vielleicht ...). Sie lässt mindestens genausoviel Freiräume, vorallem der Aspekt, dass die Frau einen Liebhaber haben könnte (sie hat einen!).
Egal, find Deine Geschichten Klasse, muss mir den Rest noch raussuchen (kann man die auch gleich nach Autor ordnen lassen oder so??) und mal ansehen, kann ne gute Note brauchen :D

Lieben Gruß, Richard

 

Servus Rivale!

Schön, wenn du weiter in meinen Geschichten rumgrabst!
Du meinst wie du alle Geschichten eines Autors auf einmal auflisten kannst? Du gehst auf eine seiner Geschichten oder einen seiner Beiträge und klickst an dessen Ende auf Stories. Dann kriegst du automatisch alle seine Geschichten im Überblick und kannst sie von da weg direkt aufrufen. Dass du gerade "Wo gehst du denn hin" gewählt hast freut mich. Im Antwortendurchlauf dieser Geschiche steht unter anderem ein zusätzliches Ende welches manche als notwendig erachtet haben. Vielleicht kannst du das brauchen. Alles Liebe und Gute für euch -

herzlichen Gruß, Eva

 

Hallo schnee.eule!

Ich bin über Empfehlungen auf Deine Geschichte aufmerksam geworden. In den anderen Beiträgen wurde bereits gesagt, was mir im Moment dazu einfällt.
Deshalb nur kurz:
Wunderschön geschrieben. Ich mag Deinen Stil.

Lieben Gruß
Silke

 

Servus Silke!

Vielen Dank für diese Geschichtenwiederbelebung. Ein angenehmer Grund für mich selbst wieder hineinzulesen.

Einen schönen Tag für dich - Eva

 

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