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Worte, von denen du verdienst, sie zu kennen
Als ich das erste Mal vor seiner Tür stand und die Klingel drückte, dachte ich nicht, dass mich so ein Mann, wie er es war, erwarten würde. Ich kannte ihn seit Monaten durch einen gemeinsamen Freund, doch gesehen hatten wir uns noch nie.
Mark war ein netter Kerl, unglaublich hilfsbereit und immer zu erreichen. Als ein Freund mir riet, mich bei technischen Problemen an ihn zu wenden, hatte ich mich schon gewundert, warum sich ein völlig Fremder für mich interessieren sollte. Schon bald würde ich feststellen, dass Mark etwas ganz besonderes war.
In seiner Freizeit betrieb er einen kleinen Online-Shop in dem er verschiedene Filme, CDs und Spiele hortete, die sich Bekannte von ihm ausleihen konnte. Es war kein seltenes Hobby, denn auch wenn man selbst keinerlei Profit damit machte, gab es zahlreiche solcher Shops, die sich gegenseitig mit ihrer Vielfalt an Produkten und Exklusivität zu überbieten versuchten. Durch zufällige Begegnungen und glückliche Fügungen konnte ich bereits in mehreren solcher Shops ein- und ausgehen und hatte mir auch selbst ein bemerkenswertes Repertoire zusammengestellt.
Angefangen hatte alles an einem Tag, wie jedem anderen, an dem ich auf der Suche nach einem bestimmten Film war und eine Notiz ans schwarze Brett meiner Universität heftete. Kurze Zeit später ereignete sich die Situation, bei der mir ein Freund empfahl, mich doch an Mark zu wenden und mir kurze Zeit später seine E-Mail Adresse überbrachte. Natürlich wunderte ich mich erst, doch schließlich nahm ich das Angebot an und erreichte Mark auch sofort. Etwas schüchtern erzählte ich wonach ich suchte und es dauerte nicht lang, bis er mir erlaubte mich in seinem Shop umzusehen. Auf diese Weise blieben wir in unregelmäßigem Kontakt.
Um nicht allzu ausbeuterisch zu wirken, versuchte ich ab und zu ein Gespräch zu beginnen und erfuhr ein paar wenige Details aus seinem Leben, die mir nicht weiter etwas bedeuteten, da ich nicht vorhatte ihn je näher kennenzulernen. Der Grund für diese ablehnende Haltung war sträflicher Weise ein schlichtes Vorurteil, dass besagte, dass die Besitzer von solchen Online-Shops meist recht seltsame Gestalten waren, die mehr mit sich und ihrem Computer, als anderen Menschen beschäftigten. Marks Nettigkeit erklärte ich mir, indem ich mir vorstellte wie er als pummeliger Brillenträger mit Chips und Cola, unrasiert in einem Schlabbershirt, vor seinem Computer saß und innerhalb von Sekunden meine Identität übers Internet in Erfahrung gebracht hatte. Ich war mir also sicher, dass er wusste wen er vor sich hatte und sich deshalb erhoffte, eine Freundschaft zu mir aufzubauen. Es mag scheinen, als hätte ich versucht seine Gutmütigkeit auszunutzen und mich insgeheim über ihn lustig machte, doch so war es nicht.
Jede Frau mag es, schön gefunden zu werden, es schmeichelt ihnen, wenn Männer schüchtern werden und wenn sie versuchen, der Frau jeden Wunsch zu erfüllen. Sie genießen diese besondere Form der Zuneigung, die Bewunderung und die Überlegenheit. Der Unterschied zwischen Genießen und Benutzen liegt jedoch in der Betrachtung und dem Umgang mit dieser Position. Ich für meinen Teil gab mich stets damit zufrieden, genoss es und bedankte mich stets so, dass ich mir sicher war, Mark würde gern wieder etwas für mich raussuchen. Dennoch geriet ich nie in die Versuchung mich dafür zu interessieren, wie er aussah und wer er war. Ich fragte mich nicht, ob ich ihm schon mal begegnet war oder ob wir uns gut verstehen würden. Ich erfreute mich an gelegentlichen Unterhaltungen und seiner Nettigkeit, die nie in einen Flirt überging, lebte mein Leben in Ruhe, konzentrierte mich auf meine Ausbildung und die Mission, mal wieder einen Mann zu finden.
Als es langsam Weihnachten wurde, gönnte ich mir selbst einen neuen Laptop, der ausgestattet mit dem neuesten Schnickschnack, hell und weiß glänzte und meine fröhliche Grundstimmung noch zu unterstreichen vermochte. Leider hielt die Euphorie nicht lange an und das schöne Teil verärgerte mich mit langsamen Laufzeiten, regelmäßigen Abstürzen und fehlerhaften Anwendungen. Kurzer Hand befragte ich also Mark nach seiner Meinung zu diesen Problemen und er machte mir deutlich, dass dies wohl nur zu klären sei, wenn er sich selbst einmal ansah. Es überraschte mich wie unwohl ich mir dabei vorkam, als ich mir vorstellte, zu ihm in die Wohnung zu gehen, die nicht nur im gleichen Wohnblock lag, sondern nur zwei Eingänge entfernt war. Stillschweigend ignorierte ich also vorerst die Misere und versuche mich selbst daran, doch einige Nervenraubende Wochen später, entschied ich mich, Mark nochmals auf sein Angebot anzusprechen. Natürlich versicherte er mir, dass es kein Problem sei und er sich meinen Laptop gern ansehen würde, aber er hätte momentan wenig Zeit, was an der bevorstehenden Prüfungszeit lag. Auch ich musste mich darauf konzentrieren, gute Erfolge zu erzielen, also schoben wir die Laptopsache weitere Wochen vor uns hin und verloren den Kontakt zunehmend. Es war auch zu dieser Zeit, dass sich still und heimlich Carl in mein Leben schlich und fortwährend dafür sorgte, dass mein Laptop das Letzte war, woran ich denken konnte. Glücklich vergeben startete ich also in meine Prüfungen, verliebt über beide Ohren in einen Mann, der gar nicht wusste wie ihm geschah.
Carl ist ein sehr impulsiver Mensch, er hat feste Einstellungen, ist selbstbewusst und gutaussehend. Er hasst es zu Shoppen, macht viel Sport und tut sich schwer mit Gefühlen und Nettigkeiten. In meiner Datinglaufbahn war er zwar der Attraktivste, aber zugleich auch das Gegenteil aller anderen Männer, mit denen ich je zusammen gewesen war. Ich vergnügte mich für gewöhnlich mit liebevollen Schäfchen, die mir die Welt zu Füßen legten, mich mit ihren überschwänglichen Gefühlen erdrückten oder schlichtweg langweilten. Sie waren leidenschaftliche Romanzen, erfüllt von Glück und Enthusiasmus, angeheizt von der Hoffnung, alles würde für immer so einfach bleiben, doch sie vergingen alle samt und ich habe Ihnen nie lang nachweinen können. Ich versuchte stets, Enttäuschungen hinter mir zu lassen und neu anzufangen, ich habe ich an die Liebe geglaubt und dieser Glaube ließ mich stets wieder aufstehen und in neue Arme laufen, fest davon überzeugt, aller würde diesmal anders laufen. Natürlich tat es das nicht.
Mit meinem Umzug, von dem ich mir eine Veränderung meines viel zu langem Singlestatus erhoffte, wechselte zwar die Umgebung, doch das Loch in meinem Inneren konnte er nicht füllen. Nachdem ich mich nach einigen weiteren Monaten damit abgefunden hatte, das Glück nicht zu erzwingen, lebte es sich hier auch wesentlich einfacher. Umso glücklicher machte mich auch Carls Erscheinen und ließ mich, auf Grund seiner Differenz zu meinem früheren Leben, glauben, dass ich mich verändert und sich das Warten gelohnt hatte. Das Problem an sturköpfigen Männern ist jedoch, dass sie meistens nicht das tun, was du gern von ihnen hättest, dass du sie mit Betteln nicht beeindrucken kannst und dass sie sich einfach nicht melden und du stundenlang zuhause sitzt und nicht weißt, ob du den Abend verplanen sollst. Bereits nach wenigen Wochen bemerkte ich, wie sehr ich die Rolle des Schäfchens einnahm und mein Leben nach ihm ausrichtete. Ich bemerkte, dass ich ihm hinterherlief, dass mich seine Stimmungsschwankungen zum Weinen brachten, dass ich schreckliche Angst empfand ihn zu verlieren und dass er mich grundsätzlich behandelte, als wäre ich einer seiner Kumpels.
Es mag so klingen, als hätte ich keine eigene Meinung, als wäre ich auf ihn angewiesen gewesen und ich muss zugeben, in gewisser Weise stimmte das auch. Mit ihm hatte mein Leben sich verändert, denn es kreiste komplett um ihn und unseren gemeinsamen Freundeskreis. Es schien mir nicht möglich, das Band zu kappen, ohne alles andere auch zu verlieren und ich muss dazu gestehen, dass ich sehr verliebt in ihn war, dass ich, je weiter er sich entfernte, umso mehr versuchte ihn an mich zu ziehen, dass ich Fehler sah, wo keine waren und dass unsere Beziehung zum Tode verurteilt war, noch bevor ich überhaupt darüber nachdachte, mich von ihm zu trennen.
Die Sache mit der Tür jedoch, die passierte, als alles noch in Ordnung war, als ich im siebten Himmel schwebte und mich darauf freute, ihn am Abend wiederzusehen. Immer noch quälte mich mein nicht akkurat funktionierender Laptop und nach mehrfach gescheiterten Absprachen, hatten Mark und ich uns darauf geeinigt, dass ich heute vorbei komme könnte um das gute Stück durchchecken zu lassen. Ich packte also in aller Ruhe meine Sachen, ich sah nicht sonderlich gut aus, aber das war mir egal, ungeschminkt und mit für untypisch schlichten Sachen, verließ ich meine Wohnung. Ich war völlig entspannt und in Gedanken bei Carl, als Mark die Tür öffnete und aus dem spießigen Computerfreak, plötzlich ein adretter, gut gekleideter und unnormal gutaussehender junger Mann wurde. „Ich, ähm, wollte zu Mark“, stammelte ich und der Mann vor mir lächelte und bat mich herein. Es dauerte nur eine Sekunde bis ich mich innerlich ohrfeigte und mich fragte, was das sollte, wieso ich solche Vorurteile gehabt hatte, aber vor allem dachte ich an Carl und bekam ein schlechtes Gewissen. Heute frage ich mich, wieso ich mich damals dafür schämte, jemanden attraktiv zu finden und ich bekomme das Gefühl, dass ich bereits zu diesem Zeitpunkt merkte, wie wackelig die Verbindung zwischen Carl und mir damals gewesen war.
Nachdem Mark meinen Computer repariert hatte, blieb ich keine Sekunde zu lang und bedankte mich flüchtig. „Wenn wieder war damit ist, kannst du dich ja melden“, sagte er noch, bevor ich die Treppen runter ging und ich mich fragte, ob ich ihn heute zum ersten und auch zum letzten Mal gesehen hatte.
Einige Monate und eine Trennung später, fand ich mich auf der alten Couch in Marks Zimmer wieder, auf der ich mich umher rollte, während er mir Cappuccino kochte und ihn zusammen mit einem Glas Wasser und einem Löffel in der Tasse zu mir auf den Tisch stellte. „Darf ich zu dir kommen?“, würde er stets fragen und ich würde glücklich nicken, zur Seite springen und meinen Kopf an seine Brust legen.
Es war unwirklich, was da zwischen uns war, es war fern von allen Regeln und Gesetzen. Noch nie hatte ich mich Hals über Kopf so verliebt, so hoffnungslos, so grenzenlos, so kurz nach meiner Trennung von Carl. Ich wusste, dass es ihn verletzen würde, genauso wie es mich verletzt hätte. Ich wusste, dass die Leute über mich redeten, dass sie es nicht verstehen konnten und dass es auch irgendwie falsch war. Dennoch fühlte es sich so richtig an, so richtig, bei ihm zu sein. Er, der mich so glücklich machte, der es schaffte, dass ich komplett ich selbst war. Er, mit dem ich stundenlang reden konnte, oder den ganzen Tag im Bett verbrachte. Er, dessen Griff so stark und Gefühle so ehrlich waren. Er, den ich später so verletzen würde.
Ich verbrachte jede freie Sekunde mit ihm, ging mit ihm zur Uni, aß mit ihm zu Mittag, ging mit ihm zum Sport, Einkaufen, Spazieren und schlief zusammen mit ihm ein. Über ihn vergaß ich alles um mich herum und ich wollte mir von niemand sagen lassen, wen ich zu lieben hatte. Auch wenn alles so schnell gegangen war, hatte ich es nie bereut, ich hatte nicht das Gefühl, irgendwas zu überstürzen und vor allem, ich vermisste Carl zu keiner Zeit.
Heute weiß ich, dass das wahrscheinlich daran gelegen hat, dass ich Carl ständig sah, ihn stets um mich hatte und wir als Freunde gar nicht mal schlecht funktionierten. Ich hatte ihn nie zurück gewollt, ich hatte nicht das Bedürfnis gehabt, ihn zu küssen oder stets bei ihm zu sein. Er war einfach nur da. Da wie ein Stück, das in mein Leben gehört, ein Teil des Ganzen und ich war glücklich damit, genau so wie es war.
Mit Mark hingegen erlebte ich die Zeit meines Lebens, pures Glück und ungebändigte Lust. Ich fühlte mich mit ihm verbunden, ich vertraute ihm und ich wusste, dass er mir auch vertraute. Nie habe ich einen Mann gekannt, der so sehr war wie ich. Er schien mein Spiegelbild zu sein, in guter und in schlechter Weise. Obwohl er unglaublich gut aussah, war er mit sich selbst nicht zufrieden, er wirkte stark, doch war sehr verletzlich, er hatte viel erlebt, viel durchgemacht. Genau wie ich liebte er die Familie, interessierte sich für Kunst genauso wie für Fakten, er schien in allem irgendwie gut zu sein und er war so unglaublich klug. Für mich war das Wichtigste an einem Mann immer die Tatsache gewesen, dass er mir etwas beibringen konnte, dass er mir in irgendeiner Weise überlegen war und mich begeisterte. Mark war ein Schatz, herzensgut, er meinte es so ehrlich mit mir, wie wohl kaum jemand zuvor. Es machte ihm keine Angst über die Zukunft zu sprechen und obwohl ich es hasste, Pläne zu machen, war es an seiner Seite irgendwie leicht, über das spätere Haus und „unsere“ Kinder zu reden. Wir machten uns keine Gedanken darüber, dass wir es übertrieben, dass wir hoffnungslos romantisch, ja beinahe naiv waren, denn es waren ganz allein unsere Träume und niemand kannte sie, außer uns. Er trug mich fort in eine andere Welt, alles schien so schrecklich einfach, es schien als wäre ich angekommen, als wäre ich bei der einen Person, bei der ich glücklich werden könnte. Ich hatte keine Angst, ich meinte jedes Wort das ich sprach und jeden Kuss, den ich ihm gab. Wenn ich von „uns“ sprach, wenn ich sagte, wir seien zusammen, wenn ich sagte ich sei glücklich, so waren es keine Lügen. Es war Wirklichkeit. Es war Verliebtheit, die ich nie zuvor erlebt hatte. Vielleicht sogar ein Funken wahrer Liebe, ein Moment vom großen Glück, der vergeht wie eine Sternschnuppe am Himmel und an die wir uns nur noch erinnern können.
Das Einzige was stärker ist als Glück, ist der Verlust. Als ich Carl in einem Streit mitteilte, dass ich jemanden kennengelernt hatte, veränderte das alles. Ich weiß nicht, was in dieser Nacht in ihm vorging, welche Sicherung durchbrannte oder welcher Schalter umgelegt wurde, aber er wurde ein anderer Mensch.
Da wir immer noch Freunde waren, was ohnehin die meisten für falsch hielten, sprachen wir auch über die neue Situation. Er sagte, er würde sich für mich freuen, auch wenn er eifersüchtig war, er sagte, ich solle das tun, was mich glücklich machte. Ich war froh, dass endlich Klarheit bestand und dass ich Mark nicht mehr verbergen musste. Soweit schien alles erstmal geklärt zu sein.
Als ich an einem Feiertag in meiner Heimat war, wurde ich beim Herumstöbern auf etwas aufmerksam, was Carl schon lange gesucht hatte. Ohne darüber nachzudenken rief ich ihn an, um ihm davon zu erzählen. Als Carl meine Stimme hörte, stockte er und fragte mich, warum ich wirklich anrief. Ich verstand nicht was er meinte, doch er erklärte mir, dass er nicht fassen könnte, wie glücklich es ihn machte, von mir zu hören. Ich war verwirrt, wir waren doch nur Freunde, es war doch alles geklärt und ich hatte ihn sicher nicht angerufen, weil ich ihn vermisst hatte.
Da er mir als Freund viel bedeutete, entschloss ich mich, die Sache mit ihm zu besprechen und ich fragte ihn, was los sei und dass er ehrlich sein solle. Hätte ich gewusst, was ich damit auslöste, hätte ich ihn wahrscheinlich gar nicht erst angerufen, doch nun steckte ich in einer Situation, die ich nicht mehr einfach ignorieren konnte. Carl erzählte mir, wie sehr ihn die Information mit Mark getroffen hatte, wie viel er darüber nachgedacht hatte und wie seltsam er sich dabei fühlte. Ich versuchte ihm einzureden, dass das nur an seiner Eifersucht lag, weil plötzlich jemand anderes da war, doch er war sich nicht sicher, ob das der einzige Grund war. Auch wenn ich es nicht hören wollte, erzählte er mir, wie viel er an mich dachte, wie sehr er mich vermisste und dass er versucht hatte, sich so sehr zu betrinken, dass er endlich einen freien Kopf bekommen konnte.
Langsam wurde ich sauer, ich wollte es mir nicht mehr anhören, ich wollte nicht, dass er eifersüchtig war und vor allem wollte ich, dass alles so blieb wie es war: Ich bei Mark und er als ein guter Freund. Ich riet ihm deshalb, erstmal abzuwarten und sich nicht einzureden, dass er noch etwas für mich empfand. Nach diesem Gespräch fühlte ich mich schlecht, es fühlte sich an, als würde ich Mark betrügen und ich konnte nicht anders, als ihn anzurufen. Glücklicherweise bewirkte seine Stimme, dass ich mich schnell beruhigte und mir sicher war, dass er es war, zu dem ich gehörte.
Carls Gefühle änderten sich nicht. Im Gegenteil, sie wurden noch viel schlimmer. Es zerrte an meinen Nerven, wenn er unter Tränen in meiner Tür stand und mir sagte, er würde mich vermissen. Es kostete so viel Kraft, immer wieder darüber zu reden, ihm immer wieder zu sagen, dass es zu spät sei, dass ich glücklich sei und dass er und wir nur noch Freunde sein konnten. Es ist unbeschreiblich, wie sehr es weh tut, jemanden so leiden zu sehen, wenn man bemerkt, dass die Freunde der Person einen anders ansehen, wenn sie dir böse Blicke zuwerfen, die dir sagen: „Lass ihn doch einfach in Ruhe!“ Aber ich konnte ihn nicht in Ruhe lassen, ich konnte ihn nicht gehen lassen, niemals. Nicht jetzt, wo wir so gute Freunde waren, jetzt, wo er zu meinem Leben dazu gehörte.
„Er braucht Zeit, dich zu vergessen“, haben sie zu mir gesagt, aber er sollte mich doch nicht vergessen, er konnte doch nicht ohne mich weiterleben, wie sollte das denn gehen? Sie sagten ihm immer wieder, er solle den Kontakt abbrechen, sie sagten ihm er solle es aufgeben, doch er konnte nicht. Immer wieder trafen wir uns, immer wieder redete ich ihm ein, dass wir es als Freunde schaffen konnten, dass es okay sein würde mit der Zeit. Und er glaubte mir, er glaubte jedes Wort und er hoffte, es würde besser werden, doch das wurde es nicht.
Je öfter er Mark und mich zusammen sah, umso schlechter ging es ihm. Er betrank sich, er schrie, er weinte und er hasste sich dafür, er hasste es, sich so hilflos zu fühlen, so abhängig zu sein und an nichts anderes mehr denken zu können. Er hatte niemals so gefühlt, so gelitten, so gehasst und so geliebt.
Nach einer Party brachte er mich heim, wie schon so oft, unsere Blicke trafen sich und keiner sagte ein Wort. Ich wusste wie es ihm ging, doch ich versuchte zu lächeln, versuchte ihm das Gefühl zu geben, dass alles in Ordnung sei auch wenn die Tränen, die auf meine Hände gefallen waren, fast noch glitzerten. Wie aus Reflex fragte ich, ob alles okay sei, doch er lachte nur, lachte und sah nach unten, umklammerte das Treppengeländer und spannte seine Muskeln an. „Warum tust du das?“, schrie er mich an, fragte mich, ob es mir Spaß machte, ihn leiden zu sehen und warum ich nicht endlich damit aufhören konnte. Er sagte mir, ja flehte mich an, ich solle ihn gehen lassen, solle sagen, dass es keine Hoffnung mehr gäbe.
Gezeichnet vom Schmerz, zitternd und kaum mehr aufrecht stehend bat er mich, es zu beenden, bat mich endlich Schluss zu machen, wie wir es vor zwei Monaten hätten tun sollen. Ich stand nur da, verängstigt und geschockt, im Hinterkopf daran denkend, dass Mark noch wach war und darauf wartete, dass ich zu ihm kam. Ich wäre nicht allein gewesen, Mark hätte ich mich aufgefangen, mich in den Arm genommen und mir versichert, dass alles gut werden würde, aber ich konnte es nicht.
Tränen liefen über unsere beiden Wangen und ich wusste, ich würde es nicht ertragen ohne ihn zu sein, ohne ihn als Freund, der immer da war. Ich weiß nicht, was es war, das mich bei ihm hielt, ich weiß nicht, warum ich ihn nicht gehen lassen konnte. Ich weiß nicht, warum ich ihn jedes Mal wieder gebeten habe, nicht zu gehen. Ich weiß es einfach nicht.
Fakt ist, er musste gehen und er tat es auch. Er packte seine Sachen, meine Sachen, und schnitt unsere Leben sauber entzwei. „Es ist der einzige Weg“, sagte er mir und innerlich hoffte ich, dass er Recht hatte.
Die ganze Zeit über, war Mark bei mir gewesen, tolerant und gerecht, wie ein Engel auf Erden. Nie urteilte er über Carl, nie verbot er mir, ihn zu sehen und anstatt eifersüchtig zu sein, ließ es mir jeden Freiraum den ich brauchte. Er ertrug es, wenn wir fünf Meter neben ihm standen und Carl in meinen Armen zusammenbrach, weil er es nicht aushielt, Mark und mich zu sehen. Er ertrug meine Gedanken und diese seltsame Freundschaft zu Carl, auch wenn es schrecklich für ihn gewesen sein muss. Er tat es, weil er wusste, dass es der einzige Weg war, mich zu halten, weil er wusste, ich würde es ihm danken und weil ich ihm wirklich etwas bedeutete. Alles an ihm war wirklich, er war erwachsen und gewillt, seine Welt mit mir zu teilen. Er hatte es nicht verdient, verletzt zu werden, nicht von mir, nicht schon wieder.
Der Tag, an dem mir klar wurde, dass ich es ohne Carl nicht schaffen würde, war der Tag, an dem ich an einem Bratwurststand aushalf.
Es war wunderbares Wetter, mir ging es eigentlich gut, ich hatte die Nacht bei Mark verbracht, der sich hatte anhören müssen, dass Carl und ich den Kontakt abgebrochen hatten. Mit relativ klarem Kopf saß ich mit Freunden am Stand und reichte Passanten Brötchen zu ihren Bratwürsten. Es traf mich wie der Schlag, als ich Carl und einen Freund von ihm am gegen-überliegenden Getränkestand stehen sah. Durch seine Sonnenbrille hindurch trafen sich unsere Blicke, verweilten eine Sekunde, bis er sich abwandte und kein Wort sagte. Er blickte nicht mehr zu mir, er kam nicht, um mich zu begrüßen und wir sprachen auch kein Wort.
In meinem Magen drehte sich alles, wie eine gewaltige Leere schien sich etwas in mir auszubreiten und mir schossen die Tränen in die Augen. Ich zuckte zusammen und schrie innerlich nach Carl, doch er kam nicht. Kreidebleich und mit zitternden Knien lief ich ins Haus und sperrte mich für einige Zeit im Bad ein. Ich zog meine Knie an mich, senkte den Kopf und fragte mich, was ich nur tun sollte. Blitzartig durchfuhren mich tausend Fragen, Fragen nach der Zukunft, nach Mark, nach meinem Leben und vor allem nach Carl.
Ich hasste mich in dem Moment, als mir klar wurde, dass ich Mark verlassen würde, verlassen ohne jeden Grund, ohne dass er mir je wehgetan oder etwas falsch gemacht hatte.
Wie konnte ich ihn je wieder ansehen, wie konnte er mir je wieder verzeihen, wo ich es doch selbst nicht konnte? Ich konnte es weder verzeihen noch verstehen, ich konnte es nicht begründen und auch nicht erklären, ich wollte sterben, wollte einfach nicht mehr da sein, wollte ihm nicht wehtun.
Mark war das Beste, was mir in letzter Zeit je passiert war und er machte mich so unglaublich glücklich, doch die Traurigkeit, die ich verspürte, wenn Carl nicht da war, zerstörte dieses Glück unwiederbringlich. Natürlich konnte ich mit niemanden darüber sprechen, außer mit meiner Freundin Lara, die mich verstand und die wollte, dass ich das tat, was gut für mich sein, doch helfen konnte auch sie mir nicht.
Zu einem Ex zurück zu gehen, war etwas, was ich in meinem Leben noch nie getan hatte, was ich selbst schrecklich fand und was grundsätzlich der furchtbarste Grund ist, Schluss zu machen. Furchtbar deshalb, weil es meistens keine Gründe gibt, die irgendjemand außer einem selbst verstehen kann. Furchtbar, weil die Worte „es ist nicht deine Schuld“ viel zu oft missbraucht wurden, als dass jemand sie glauben könnte. Furchtbar, weil es nichts gab, was dein Partner tun kann, um dich zu halten.
Ich werde nie die Reue vergessen, die ich empfand, als ich das letzte Mal zu Mark ging, als ich auf der gleichen Couch saß, das gleiche Wasser trank und in das gleiche Gesicht sah. In ein Gesicht, das Angst hatte, das wusste, dass etwas schlimmes passieren wurde und ein Gesicht, dass so unendlich enttäuscht von mir war. Wie gerne hätte ich mich von ihm anschreien lassen, doch er tat es nicht. Wie gern, hätte ich mir angehört, wie sehr er mich dafür hasste, doch es sagte es nicht. Er warf mich nicht raus, er beleidigte mich nicht und er weinte nicht. Er zeigte mir seinen Schmerz nur in wachsender Abwehrhaltung, durch Selbstironie und gespielte Gelassenheit.
Ich wollte ihn in den Arm nehmen, ich wollte ihn küssen und sagen, er würde nicht allein sein, doch das war eine Lüge. Ich wollte ihn zur gleichen Zeit trösten, wie ich gehen wollte. Er durfte doch nicht leiden, bitte, bitte, lasst ihn nicht leiden. Er ist so ein guter Mann, er hat es nicht verdient. Ich kann meine Schuld nicht ablegen, ich kann nicht aufhören daran zu denken, wie verletzt er war und wie benutzt er sich vor kam. Ich wusste, dass er kein schwacher Charakter war, dass er darüber hinweg kommen würde und dass er vielleicht schon bald jemand neues finden würde, aber beruhigen konnte mich das nie.
Ja, es war nur ein wunderschöner Monat, eine Sommerliebe, Verliebtheit, fast schon wie eine Romanze, an die man sich gern erinnert, aber nie darüber spricht. Doch Mark ist mehr für mich gewesen, und zwischen uns hätte es gut gehen sollen, er hätte es verdient gehabt.
Noch heute frage ich mich, wie anders mein Leben wohl wäre. Ich sehe dich gehen und sitzen und lachen und ich stelle mir vor, wie ich neben dir bin. Frage mich, ob ich glücklicher wäre, doch es bleibt mir verborgen.
Es bleiben Gedanken, lebende Träume und Hoffnungen für neues Glück. Es ist Ungewissheit, die wir brauchen, um uns stets fragen zu können, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind. Ich gehe aufrecht, mit erhobenem Kopf und grüße die Menschen auf meiner Reise. Unsere Wege haben sich getrennt und ich weiß, dass es schrecklich war. Ich weiß, dass die Entscheidungen getroffen sind und dass wir beide vorwärts gehen. Meine Hand liegt in Carls und er hält sie mit Stolz. Doch die Erfurcht vor dir, sie hält ständig an. Er ist nicht wie du und er ist auch nicht besser, doch er ist Teil meines Lebens und hält noch immer mein Herz.
Empfang diese Zeilen von Wahrheit und Reue, Gefühle, die mich immer noch quälen. Empfang sie und nimm mir die elende Schuld.
Ich sage dir die Worte, die lang in mir brennen, ich sage sie, weil du es verdienst sie zu kennen.