Wonach wir uns am meisten sehnen...
Warum wollte ich gehen? Warum war ich nicht geblieben? Was hätte schon passieren können? Es hatte nicht schlimmer werden können. Oder vielleicht doch.
Nun allerdings gab es kein Zurück mehr... Diese Entscheidung hatte mich auf eine Einbahnstraße geführt, der zu folgen ich von nun an gezwungen war.
An diesem Punkt meiner Geschichte bedauerlicherweise nur allzu wörtlich. Hinter mir lagen Kilometer staubiger Straße, von denen mir nicht ein Fetzen Erinnerung geblieben war und vielleicht auch nicht hatte bleiben sollen.
War dies tatsächlich mein letzter Ausweg gewesen? Eine Flucht in die Ungewissheit, nur um hier zu landen. Warum fühlte ich keine Erleichterung? Ein weiteres Mal eine Entscheidung, die keine gewesen war, da ihre Konsequenzen sich nicht vom Ausgangszustand abhoben.
Wie ich es bereits die letzte Woche hindurch getan hatte, lief ich auch nun, während Zweifel mich befiel, an mir nagte und meinen erschöpften Verstand vernebelte. Unwillkürlich stolperte ich und aufgrund meines miserablen Zustands blieb mir lediglich, der Gravitation das Feld zu überlassen, da mir selbst die Kraft fehlte, mich abzufangen. Erst in diesem Moment eines Bruchs in meiner Monotonie fühlte ich die Schwere in meinen Gliedern. Eine lähmende Taubheit, die mich längst zur Aufgabe hätte bewegen müssen. Was hatte ich erwartet, wohin mich das führen würde, wenn nicht ins Nichts. Verzweiflung hatte mich weit getrieben.
Jedoch jener zum Trotz erhob ich mich schwerfälliger als mein junger, einst athletischer Körper es hätte dürfen, setzte unbeholfen meine ersten Schritte und ließ den Blick schweifen. Niemand zu erblicken. Einsamkeit. Nur Felder, die in der Sonne lagen und in der ungewöhnlich intensiven Hitze allmählich zu verdorren begannen.
Zum Zeitpunkt meines Aufbruchs hatte noch nicht eine Ähre gestanden. Wieviel Zeit mochte vergangen sein? Dennoch hatten sie nie nach mir gesucht, nicht einmal als ich noch durch dieses verkommene Moloch einer Stadt gestreunert war. Ich verfluchte sie. “Ihr tragt die Verantwortung. Ihr pflanztet diesen Samen, ließt ihn keimen und ranken. Nichtsdestotrotz oder vermutlich genau deswegen gabt ihr mich auf. Überließt mich meiner Desillusion.”, ging es mir durch den Kopf. Lauthals schrie ich meine Verwünschungen in die Stille des nahezu unendlichen Niemandslandes und mit ihnen schwanden auch meine Zweifel, die sich der Übermacht meines kalten Zorns beugen mussten. Fast schon beschwingt setzte ich meinen Weg fort.
Natürlich war ich nicht einfach ohne Ziel oder Richtung aufgebrochen, allerdings wohl dennoch weitaus verblendeter und übermütiger, als es gut für mich gewesen war. Ich kannte mein Ziel, das mir eigentlich nichts zu bieten hatte. Doch welcher Ort hatte das schon. Ich hatte Alles gesehen, das sich nicht lohnt gesehen zu werden und über diesen grandiosen Zugewinn jedwede Freude am Leben verloren.
Weitere Stunden später legte sich die Dämmerung über mein persönliches Königreich und ein weiterer Kampf gegen die Müdigkeit endete aussichtslos. Als ich am nächsten Morgen erwachte, schien wie immer Laufen die Lösung meiner Probleme zu sein. Mein Proviant beschränkte sich auf eine erschreckend knappe Restmenge Wasser, aber Hunger war für mich bereits eine Ewigkeit zuvor zu einem auf bizarre Weise erwünschten Begleiter geworden. Ein letzter, wenn auch sehr primitver Motivator. Eines der wenigen Anzeichen, dafür lebendig zu sein. Ermattet trottete ich die Meilen ausgetretener Straße, die sich vor mir erstreckte entlang.
Ein Schild säumte meinen Weg, das verlautete, dass mein Ziel weitere 10 Kilometer entfernt lag. Ich schnalzte zynisch mit meiner Zunge. “Orst”. Ein Kaff, das für mich nichts bereit hielt, außer Erinnerungen an eine Zeit, in der Gewalt mir nur aus dem Fernsehprogramm bekannt gewesen war.
Mein Leben war wertlos, wenn es keinen Unterschied machte, ob ich tagelang stumpfsinnig einer verlassenen Straße durch die Pampa folgte oder mein Dasein in meinem sogenannten Heim fristete.
Darum hatte ich mich auf die Suche nach dem Fehler, nach der Ursache begeben. Nach Hoffnung.
Damals schien Flucht alternativlos. Bis zur Erkenntnis, dass diese Alternative eine Illusion war.
Exakt in dem Augenblick, als jener Gedanke sich in meinen Verstand fraß, hob ich den Kopf und erblickte Etwas, das mich zu überraschen vermochte. Die erste Überraschung seit Monaten. Die erste Überraschung meines Lebens, die mich weinen ließ, die mich sprachlos machte und überrumpelte.
Eine Abzweigung. Ein Weg, der von meinem abwich und ein Feld geradewegs in der Mitte zerteilte. Ein Weg, der dort nicht hatte sein sollen.
Perplex blieb ich stehen. Kein Schild gab Auskunft darüber, wo dieser Pfad enden würde und sofern ich mich korrekt erinnerte, lag nichts in der Nähe von Orst.
Es war die erste Abzweigung, die ich sah seit Beginn meiner Reise und dürfte die Letzte sein.
An diesem Punkt haderte ich. Ich konnte geradewegs in meinen Tod laufen, wenn ich nicht bald Nahrung zu mir nahm, aber es war ebenso möglich, dass Orst längst verlassen war oder dass Güte diesen Fleck Erde verlassen hatte.
Unfähig sich zu regen starrte ich in die Ungewissheit. An Kreuzungen eine Entscheidung zu treffen, war schon anderen zum Verhängnis geworden.
Jedoch. Mir bot sich eine Chance. Etwas, das mir nie zuvor gewährt worden war.