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Wolfsnacht

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22.03.2004
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Wolfsnacht

Kaltes Mondlicht macht den ersten Reif der Nacht auf den letzten Blättern der Bäume glitzern. In der Luft das Aroma des nahenden Winters. Ein verschrecktes Käuzchen ruft, als leise Tritte über den hart gefrorenen Waldboden nahen.

Vom Dorf scheinen Lichter empor. Ein Fackelzug bahnt sich den Weg durch enge Gassen. Leises Gemurmel, vom Wind getragen, flüstert dem Wald eine Weise.

Eisgraue Augen beobachten das Geschehen. Der volle Mond spiegelt sich in ihnen, ruhiger, gleichmäßiger Atem verdampft.

Noch wenige Meter trennen die Leute vom Dorfplatz, als leise erster Glockenklang zu vernehmen ist. Ein Schrei durchdringt die Nacht. Niemand vermag zu sagen, ob Mensch oder Tier klagt, doch die Sprache ist die gleiche. Die Stimme der Angst hallt in den Ohren des Beobachters. Er wittert das Feuer, den brennenden Reisig. Seine Augen wollen sich abwenden, doch sein von Spannung und Neugier trunkener Geist lässt ihn vortreten. Jeder Muskel gespannt unter seinem glänzenden Fell.
Die Menge unter seinem Blick bildet einen Kreis um das lodernde Feuer. Ein Mann in schwarzer Robe tritt vor und spricht. Seine Worte sind nicht zu verstehen, doch ihre Bedeutung schwingt in jeder seiner Bewegungen mit. Drohung und Verrat schwängern die Luft, die pflichtbewussten Denunzianten hoffen auf ewiges Seelenheil.

Sie haben sie entdeckt, die Geliebte des Bösen. Sahen sie liegen im Wald. Nackt, den Kopf geborgen im Schoß eines Wolfes. Wie Liebende sahen sie aus. Nur schlecht kann das sein, eines Teufels Werk. Nun soll sie brennen, die Wolfshure. Brennen, denn sie hat gestanden. Dass sie den Wolf liebe und jede Nacht bei ihm verbrächte. Und, nach langer Folter, dass es der Teufel sei, in dessen Schoß sie bei jedem Mond gelegen.
Der Menge das Futter, dem Pöbel sein Glück. Drum muss sie jetzt sterben, ihr Teufel wird sie nicht retten.

Und auf seinem Hügel, ganz nahe im Wald, sitzt der Wolf und schaut. Seine Augen weichen nicht vom Geschehen, sein Herz rast, Adrenalin schwimmt in seinem Blut wie auf tobender See.
Sie führen die Frau zum Feuer her, schreien, speien sie an, Gerten schlagen auf nackte Haut. Jeden Schlag spürt er und nährt mit ihm seinen Hass. Er weiß um seine Stunde.

Sie stoßen sie ins Feuer unter Gejohle. „Brenne! Brenne!“ tobt der Mob. Und sie brennt. Kein Laut dringt über ihre Lippen, als die Flammen ihr leuchtend rotes Haar erfassen, ihre winterweiße Haut verkohlen und das Fleisch von ihren Knochen brennen. Keine Träne, kein Fluch. Sie übergibt sich dem nahenden Tode voller Stolz. Und weiß um die Stunde des Wolfes.

Im Morgengrauen verglimmt die letzte Asche. Ein letztes Gebet gesprochen ziehen die Leute sich zurück in ihre Häuser. Gut zu ruhen erhoffen sie sich nach getaner Gottespflicht.

Erneut treten leise Schritte durch den Wald, zum Hügel hin, wo der Wolf noch immer sitzt. Er wittert vertrauten Duft, ein Beben in seinen Lenden. Sie setzt sich neben ihn, gemeinsam beobachten sie aus eisgrauen Augen das Dorf, das nun Ruhe findet. Als das letzte Licht gelöscht wird, schauen die beiden Wölfe sich an. Er wittert noch immer den Geruch des Feuers an ihr, fast ist es, als schlügen noch Funken aus ihrem flammend roten Fell.

Von der Kirche her klingt Glockenläuten. Die Menschen haben keine Furcht mehr, die Hexe ist tot. Sie lassen ihre Türen offen, damit der kühle Nachtwind ihnen den Duft ihres selbstgerechten Handelns bis ans Bett wehen kann.
Die Glocken klingen lauter und voller.

Die beiden Wölfe setzen sich in Bewegung, dem Dorfe entgegen. Ihr Tisch wird reich gedeckt sein heute Nacht, jede offene Tür, jedes offene Fenster eine Einladung.

Die Glocken läuten die letzte Stunde ein. Die Stunde der Wölfe.

 

Sei gegrüßt, Thylia.

Deine Geschichte von der Jagd auf eine Hexe, die sich nach dem Feuertod in einen Wolf verwandelt, hat mir gut gefallen.
Deine Sätze sind klar formuliert und transportieren so sehr eindringlich die Atmossphäre. Ein schöner Stil.

Du erweckst die Erwartung, daß der Wolf seiner Geliebten helfen werde, und der Leser bleibt verwirrt zurück, daß das nicht geschieht, denn mit der angesprochenen "Stunde des Wolfes" kann er zunächst nichts anfangen. So bleibt der Leser die ganze Zeit über neugierig, weshalb denn beide das Leid ertragen, ohne sich zu wehren. Erst am Ende wird das klar. Der Spannungsbogen bleibt gespannt, auch wenn er zur Abwechslung mal nicht durch Handlung, sondern deren Unterlassung entsteht.Das kannte ich bisher so nicht.

Zu einigen Kleinigkeiten hätte ich ein paar Fragen:

"Dass sie den Wolf liebe und jede Nacht bei ihm verbrächte."

Schlag mich, aber ich glaube der richtige Konjunktiv hier ist "verbringe".

"Seine Augen regen sich nicht vom Geschehen..."

Das Verb "regen" heißt glaube ich soviel wie "an Ort und Stelle bewegen" und schließt somit ein Fortbewegen aus. Man regt sich im Schlaf, aber wendet die Augen ab.

Sonst habe ich jetzt nichts zu meckern. Was mir besonders gut gefallen hat:

"...ihre winterweiße Haut..." - schönes Bild.

Daß sie erst nach langer Folter gesteht, daß es sich beim Wolf um den Teufel handele, läßt ahnen, daß sie nichts Teuflisches in ihm sieht. Damit verweist Du nochmal auf ihre Liebe. Schön gemacht.

Hat mir sehr gut gefallen, die Geschichte. Du schreibst in einem sehr schönen Stil, Mehr davon.

ElTriste

 
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Hy und hrzlch welcome on this freaky webseite!

Ich bin relysium 2.2, ein Literatur-Kritik-Programm für Linux und BeOS, und wenn ich mit deiner Story fertig bin, wirst du mit dem Rauchen aufgehört haben und nie wieder schreiben.

Have a lot of fun.

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So, aber nun mal ganz im Ernst.

Was soll ich sagen? Ich bin baff. Einfach nur baff. Diese Geschichte mag das Rad nicht neu erfinden, aber die Sprache... - mein lieber Herr Gesangsverein, DAS nenne ich LITERATUR! Reicht locker zu einer Empfehlung.
(Sogar das falsche "verbrächte" klingt irgendwie passend altertümlich, würd ich nicht ändern. Das "regen" der Augen vom Geschehen aber schon.)
Ich kann gar keinen einzelnen Satz herauspicken, der mir besonders gefällt; ich müßte den Text fast komplett zitieren.
Das ist sicher nicht die erste Geschichte, die du geschrieben hast.
Freue mich auf mehr in baldiger Zukunft.

r

PS:
Eine Sache, die mir schon lange auffällt, ist, daß manchmal neue bzw. "rubrikfremde" Leute sehr schnell kommentiert werden von Leuten, die entweder ebenfalls brandneu sind oder von denen man in dieser Rubrik noch nie gehört hat. Hat irgendeiner eine Erklärung dafür?

 

Hallo Thylia!

Von mir auch Willkommen:D hier und fühle dich wohl.
Relysium hat ein gutes Werk vollbracht mit seiner Empfehlung, recht hat er getan!:cool:

Tatsächlich keine alltägliche Geschichte, ich finde aber, sie hallt nach, wenn man drüber nachdenkt, die einzelnen Aspekte des Erzählten überlegt, man kommt zu erstaunlichen Ergebnissen.

Der Stil ist altmodisch, aber - und das ist schwierig und viele, die sich daran versuchen, scheitern daran - er wirkt nicht nachgeäfft, nicht aufgesetzt. Teilweise blitzt sogar etwas Poesie hervor.

Das letzte Gebet gesprochen ziehen die Leute sich zurück in ihre Häuser. Gut zu ruhen versprechen sie sich nach getaner Gottespflicht.

Abgesehen, dass im ersten Satz ein Komma fehlt (oder nicht?), wiederholst du im zweiten das Wort sprechen. Sollte ein leichtes sein, dafür ein Synonym zu finden.

Habe diesen Satz allerdings rausgestellt, um überhaupt etwas zum Kritisieren zu haben.

Also, schöner Einstand, weiter so!;)

Viele Grüße von hier!

 

Hallo, Thylia!

Megastark! Ich hätte die Geschichte auf jeden Fall auch empfohlen!
Wie lange hast du gebraucht, sie zu schreiben? Hast du noch mehr davon auf Lager?

Liebe Grüsse
Arry

 

Hallo Ihr Lieben,

erst mal Dankeschön für den tollen Empfang hier! Dass ich gleich mit der ersten Geschichte eine Empfehlung bekomme, macht mich sehr stolz.
Eure Anregungen/Kritiken haben mich ebenfalls sehr gefreut, zeigen sie doch, dass Ihr meine Geschichte "mit offenen Augen" gelesen habt. Ich habe den Text ein wenig überarbeitet und hoffe, dass er jetzt stimmiger ist.

@relysium:
Dies ist seit Jahren die erste Geschichte, die ich geschrieben habe. Als "Teenie" hab ich mich im schreiben versucht, fand die Geschichten aber nach zwei Tagen ziemlich übel und hab´s dann erst mal sein lassen. Manche Dinge müssen wohl erst reifen :) .

@Arya Stark:
Ich habe für die Geschichte etwa eine Stunde gebraucht (lag in der Badewanne und hatte den Kopf voller Gedanken). Die Überarbeitung dauerte dann noch mal einen Abend.

Ich arbeite gerade an zwei weiteren Geschichten, die ich hier veröffentliche, sobald ich das Gefühl habe, dass sie fertig sind.

Nochmals Danke für Eure lieben Worte und auf bald,
Thylia

 

Hi Thylia,
Deine Geschichte ist ungewöhnlich und spannend-> will mich aber nicht dem haushohen Lob meiner Vorredner anschließen. Sie ist gut, aber es gibt noch einige Dinge zu verbessern.
So wecheseln die Perspektiven der Geschichte recht schnell und so weiß ich schon im dritten Absatz nicht mehr, wo ich bin. Zuerst im Wald die Schritte, dan Im Dorf der Fackelzug. Wo befindet sich der Wolf? Er müßte am Waldrand sein, nicht im Wald

Dein Stil ist für eine Kurzgeschichte ok - auf längere Dauer, glaube ich wirken die vielen Verknappungen, Raffungen und Bilder zu anstrengend - aber das ist ohnehin Geschmackssache.

Im Detail sind mir einige Schnitzer aufgefallen:

Kaltes Mondlicht macht den ersten Reif der Nacht auf den letzten Blättern der Bäume glitzern
...glitzernd wenn schon, aber ich finde die Konstruktion zu umständlich- zu indirekt


ihrem flammend roten Fell.
Heißt das ihr Fell ist rot?
Sie haben sie entdeckt, die Geliebte des Bösen. Sahen sie liegen im Wald.
Sie hatten sie entdeckt... wobei es vielleicht ein besseres Wort gibt: Aufgedeckt, Enttarnt;
Lass doch den Satz besser ganz weg und setzte mit der Beschreibung fort, wie sie sahen, das sie neben dem Wolf lag - das wirkt anschaulicher
Niemand vermag zu sagen, ob Mensch oder Tier klagt, doch die Sprache ist die gleiche
Meiner Meinung nach müßte klar zu Unterscheiden sein, ob ein Mensch oder Tier klagt

 

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