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Wohngemeinschaft ohne Grenzen (Folge 1)
Guten Appetit
Thomas, einer meiner Mitbewohner, gab, nachdem wir einen Monat zusammenwohnten, unserer Wohngemeinschaft einen Namen. Er nannte sie Mordor, weil er nur bei „Herr der Ringe“ einen ähnlich unzumutbaren Ort gesehen hatte. Wahrscheinlich hatte er recht. Wir hatten versucht ordentlich zu sein, aber dann hielt sich einer nicht dran, sodass niemand in die Rolle des Hausmädchens schlüpfen wollte, um die Drecksarbeit zu erledigen.
Ein Extrem erreichten wir, als Spaghetti von einigen Küchenschränken runterhingen. Keiner wollte sich schuldig bekennen. Falls man Lust auf Pizza hatte, brauchte man nur unter der Couch im Wohnzimmer zu schauen. Latif und ich komplettierten die WG. Man sollte es für möglich halten, dass sich drei Menschen einigen können. In unserem Falle einigten wir uns jedes Mal darauf, dass der andere unrecht hatte.
Latif kam irgendwann zumindest auf die Lösung unseres Frühstückproblems. Da er seine Unterwäsche seltener wechselte als die Frauen, kam er auf die Idee, dass er sie bitten könnte für ihn das Frühstück zu machen. Nach ersten Erfolgen hatte er deren Aufgabenbereich erweitert und uns in seine Frühstücksplanung einbezogen.
So kamen wir schnell auf die Idee, dass wir uns nicht ein allgemeines Ziel geben sollten, sondern es sinnvoller wäre in Bereiche zu unterteilen. War auch ein besseres System um Schuldzuweisungen zu bekräftigen. Thomas war für das Abendessen zuständig und ich räumte gelegentlich in der Wohnung auf. Ob Latif eine Freundin fand, die das Frühstück macht, oder er selbst Hand anlegte, war uns egal.
Ich stand immer sehr früh auf, obwohl meine Vorlesungen frühestens drei Stunden später anfingen. So konnte ich mir meine Aufzeichnungen vorher anschauen, um mich nicht blind dem Geschwafel des Professors hinzugeben. Außerdem gelang es mir so mit den Anderen zu frühstücken.
Thomas arbeitete als Kameramann bei Pro Sieben hauptsächlich bei Galileo Mystery und Latif kümmerte sich um IT-Systeme bei Cancom. Unterschiedlicher bei der Karrierewahl konnten wir nicht sein, dennoch waren wir drei kleine Jungs aus der Nachbarschaft, die zur gleichen Zeit ausziehen wollten und sich sehr gut verstanden, solange nichts organisatorisches anfiel.
***
Man hörte Wasserplätschern vom Bad. Latif stand unter der Dusche. Heute bereitete eine Südamerikanerin das Frühstück vor. Ihre Figur war makellos und sie scheute sich anscheinend nicht diese zu zeigen. Thomas und ich versuchten herauszufinden, ob ihr Rock unter einen Schredder gekommen war, da es keinen festen zusammenhängenden Stoff besaß, dass sie um die Hüfte trug, eher eine Aneinanderreihung von Streifen.
Thomas blickte faszinierend auf ihren Hintern, sodass ich mich mental auf das Fremdschämen vorbereiten konnte. Erst mit leiser Stimme sprechend sammelte er Mut, um sie anzusprechen.
„Ähm… Entschuldigung wie nennt man das, was sie da anhaben?“
Sie drehte sich um, blickte ihn nur verwirrt an und gestikulierte mit den Händen. Thomas und ich verstanden nicht so richtig, was sie damit meinte. Daraufhin zog Thomas an den Streifen ihres Rockes, um zu signalisieren, worauf er hinauswollte. Sie fing an zu erzählen. In Spanisch oder Portugiesisch. So gut kannte ich mich da nicht aus. Sie schien unsere Sprache nicht zu verstehen.
Latif kam aus der Dusche und würde wahrscheinlich gleich Licht ins Dunkel bringen.
Währenddessen klingelte es an der Tür. So früh am Morgen. Äußerst unüblich. Es stand die Freundin von Thomas, Linda Schneider, vor der Tür. Eine Greenpeace-Aktivistin, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, allen bedrohten Tierarten zu helfen, weil sie zu reiche Eltern hatte und nicht arbeiten zu gehen brauchte. Sie konnte einem ziemlich auf die Nerven gehen, wenn man eine andere Meinung annahm als sie selbst. Ansonsten war sie ganz nett.
„Ist Thomas zuhause? Ich will mit ihm sprechen.“
„Ja… er ist da… was willst du denn?“
„Mit ihm sprechen. Bist du taub? Was macht er denn?“
Ich lehnte mich zurück, schaute zur Küche und sah wie Latif und Thomas an den Streifen der Südamerikanerin zogen.
„Er frühstückt. Kennst ihn doch… er will dabei nicht gestört werden.“
Es kam Gelächter aus der Küche, wodurch meine Erklärung nicht unbedingt an Überzeugung gewann.
„Wäre mir neu. Darf ich reinkommen?“
Es schien sich um eine rhetorische Frage zu handeln. Sie kam rein ohne auf meine Antwort zu warten. In der Küche standen Thomas und Latif, die, wie es aussah, in der Zwischenzeit damit beschäftigt waren einige Streifen des Rockes abzureißen.
„Kannst du mir sagen, was das soll. Wieso steht hier eine halbnackte Nutte in der Küche?“ Linda sprach mit aggressiver aber beherrschter Stimme. Es war von vornerein klar, dass keine Antwort der Welt sie zufrieden stimmen würde.
„Sie ist keine Nutte. Sie ist Latifs Freundin. Sie hat sich über das Material ihres Rockes beschwert und wir wollten den Grund dafür nachvollziehen“, meinte Thomas, um Linda zu beruhigen. Es klang eher lächerlich, aber mir wäre wohl spontan auch nichts Besseres eingefallen.
Linda kochte vor Wut.
„Sagt eurer wildfremden Tussi, dass sie verschwinden soll! Thomas hast du sie angefasst und lüg mich nicht an.“
Einerseits wusste ich, dass Thomas die nächsten Tage mehr denn je unter der Tyrannei seiner Freundin leiden würde, andererseits erwägte Linda nie ihn zu verlassen, unabhängig davon was er anstellte, sodass ich ihre Streitereien in der Regel in die pseudodramatische Sparte zuordnete.
„Ich hab sie nicht angefasst. Und sie ist nicht wildfremd. Sie heißt… sie heißt… wie heißt sie Latif?“
„Ich weiß nicht wie sie heißt, aber sie kommt aus Brasilien.“
„Dann frag sie doch“, sagte Linda mit wartender Haltung.
„Ich kann doch kein portugiesisch“, erwiderte Latif.
„Soviel zu den Problemen mit ihrem Rock. Wie hast du sie dann kennengelernt?“
„Wir standen an einer Strandbar und ich hab ihr mein Auto gezeigt.“
„Du bist echt das allerletzte… ist dir klar wie du Frauen behandelst?“ Lindas Konfrontationskurs wich von Thomas zu Latif ab. Thomas wirkte beruhigt. Ich schaute mir das Gespräch vom Esstisch aus an, wobei ich mit der Brasilianerin frühstückte, die vollkommen unberührt ihren Tee trank.
„Ich behandele sie wie Tiere. Was sagst du nun? Außerdem hatte sie nichts dagegen“ Latif drängte oft, wenn es eng wurde, auf Lindas Greenpeace Mitgliedschaft. Er bezeichnete oft Greenpeace als den einzigen Frieden, den die Welt nicht interessiert und Tiere nur zum Essen daseien.
„Allein dein Vergleich zeigt, dass du sowohl Frauen als auch Tiere nicht zu schätzen weißt und solche Menschen wie du beeinflussen meinen Thomas nur negativ.“
„Genau du beeinflusst mich negativ Latif“, warf Thomas ein.
Linda schaute zu Thomas, wonach er wieder verstummte.
„Entweder sie zieht sich was an oder sie verschwindet jetzt“, drängte Linda.
„Du kannst doch nicht bestimmen, was ich mit meiner Freundin anstelle. Obwohl kommt drauf an wobei.“
„Schick sie weg!“
„Como estas!“, schrie Latif und zeigte zur Tür.
„Das heißt wie geht es dir und ist spanisch… ich bin nicht blöd Latif.“
„Ich hab doch gesagt, dass ich kein portugiesisch kann. Außerdem hat sie aus eigenen Stücken Frühstück gemacht… ich kann sie nicht einfach gehen lassen.“
„Weswegen bist du eigentlich hier?“, fragte ich zu Linda, um vom Thema abzulenken.
„Ah genau… Schatz ich wollt dich fragen, ob du heut mit zum Zoo kommst.“
Thomas reagierte, als wäre jemand aus der Familie verstorben. Er akzeptierte die Vorliebe seiner Freundin zu Tieren, wollte jedoch damit nichts zu tun haben.
„Schatz ich würde ja so gerne, aber heute in der Arbeit ist soviel zu tun.“
„Dir ist schon klar, dass du an dem Rock einer Wildfremden rumgespielt hast und somit kein Kredit zum verspielen hast. Ich rufe beim Sender an, wenn es sein muss.“
„Wann soll ich dich abholen?“
„Um 18 Uhr. Wie ist es mit euch beiden Jungs?“ Wir drehten uns beide weg. Abends wollte ich mit Latif paar Bier trinken, noch einmal Hangover angucken und womöglich den Film nachher in unserer Stadt nachspielen. Hatte mich schon darauf gefreut.
„Latif dir würde es auch nicht schaden den Unterschied zwischen Tieren und Frauen kennenzulernen.“
„Ich hab aber etwas Besseres zu tun, als ein paar Viecher beim Rumgammeln zu beobachten“, antwortete er. Ich musste mich wohl gleich rechtfertigen.
„Was Besseres? Was denn zum Beispiel? Deinem Chef erzählen, dass du mit seiner Frau geschlafen hast“, erwiderte Linda. Sie hatte exzellente Trümpfe. Ob sie auch gegen mich solch ein Druckmittel besaß?
„Du würdest nicht. Du bist böse. Du kannst das doch unmöglich wissen.“
„Wer stand dann letzte Woche beim Abendessen auf dem Tisch und meinte ich hab es meinem Boss so richtig gezeigt. Uh uh machte glaub ich seine Frau.“
„Verdammt. Ich will aber nicht in dein blödes Zoo.“
Bevor Linda in meiner Vergangenheit rumwühlte, entschied ich mich sofort ihrem Willen zu beugen.
„Lass uns nach der Arbeit beziehungsweise nach meiner Uni schnell noch etwas Essen. Machen wir uns fertig. Ist ja nur ein Abend.“
Linda konnte zwar gemein sein, jedoch würde sie solche Druckmittel nur einmal benutzen. Zumindest bei mir und Latif. Thomas war dem öfters ausgesetzt. Sie war recht attraktiv, auch wenn sie nicht gerade darauf bedacht war ihre Vorzüge zum Vorschein zu bringen. Thomas war eher der ruhige und unscheinbare Typ. Er war glücklich sie als Freundin zu haben, ließ sich aber einiges von ihr gefallen.
„Latif und ich müssen zur Arbeit. Schatz, wir können dich absetzen, falls du willst“, meinte Thomas. Er verschwand in seinem Zimmer, um sich umzuziehen.
„Und was machst du mit deiner Brasilianerin Latif?“, fragte ich, da sie sich einen weiteren Tee genehmigte und anscheinend nicht beabsichtigte zu gehen.
„Weiß ich nicht, kann sie nicht einfach hier bleiben. Husch Husch Frau“, antwortete Latif und versuchte mit einer halbherzigen Geste ihr es verständlich zu machen.
Sie blickte wieder nur verwirrt und schmierte sich noch ein Brötchen.
„Na gut. Maurice. Bis du zur Uni gehst, wirst du sie ja wohl aus dem Haus bekommen. Tu mir den Gefallen.
Ich hatte nicht bemerkt, dass Thomas sich schon angezogen hatte. Bis ich reagieren konnte, verschwanden alle drei schon aus der Tür. Da saß ich nun am Esstisch mit einer halbnackten Brasilianerin, die kein Wort verstand.
„Hi… na… wie gefällt dir unsere Wohnung?“, fragte ich und machte eine kreisende Bewegung, da ich nicht wusste, was ich sonst zu ihr sagen konnte.
Sie schaute nun zur Decke. Hatte mich wohl missverstanden. Es klingelte wieder an der Tür. Wahrscheinlich haben die Anderen etwas vergessen. Doch stand zu meiner Überraschung meine Ex-Freundin vor mir.
***
Meine Ex-Freundin Anastasia war sehr eifersüchtig. Ihr Trennungsgrund war eine angebliche Affäre, die mir bis heute nachgesagt wurde. Seit drei Monaten hatte ich sie nicht gesehen. Hätte nicht erwartet sie überhaupt noch einmal zu sehen. Sehen war vielleicht übertrieben. Sie mied Augenkontakt.
„Ich habe gehört ihr wollt heute einen Ausflug machen“, meinte Anastasia sehr zurückhaltend.
„Bist sozusagen Linda begegnet. Ja… in die wunderschöne Tierwelt. Bist du neidisch und willst mitkommen? Brauchst dich vor der Konkurrenz nicht zu verstecken. Höchstens vor den Hyänen vielleicht.“
Zynismus war normalerweise nicht meine Stärke. Doch ihre Eifersucht, unter der ich die letzten drei Monate gelitten hatte, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer lebendigen Zielscheibe.
„Ja ich will auch mitkommen“, sagte sie mit leiser Stimme. Irgendetwas stimmte nicht, außer der Tatsache, dass sie mit ins Tiergehege wollte. Sie verhielt sich äußert seltsam.
„Mit was hat dich Linda denn gelockt?“
„Mit unserer Kaffeegeschichte und dem Mongolen.“ Jetzt kannte ich Lindas Druckmittel, welches sie gegen mich benutzt hätte.
„Die Frau scheut auch vor nichts zurück. Deswegen bist du nicht hier oder? Kaffee hätte ich hier und einen Mongolen könnte ich auftreiben.“
„Lass das bitte. Eigentlich bin ich gekommen, um mich zu entschuldigen. Du machst es mir zwar nicht gerade leicht, aber ich habe gestern Franziska mit eurem Nachbarn im Supermarkt getroffen. Sie sahen glücklich aus.“
„Jetzt kamst du auf die Idee, dass Franziska gar nicht jeden Tag zu mir kam und ich ihr an jenem Abend wirklich nur Geld für ein Eis geliehen hatte. Es war Vanille, wenn mein Gesicht sich recht erinnern kann.“
Ein Hauch von Triumph lag in der Luft. Ich hatte lange auf so ein Gespräch gewartet.
„Kann ich reinkommen?“ Diese Frage bereitete mir heute zum zweiten Mal eine Menge Probleme. Die Brasilianerin lief mittlerweile zu allem Übel ohne Oberteil rum. Sie fühlte sich wohl heimisch und es hätte mich eigentlich auch nicht gestört, wenn nicht Anastasia vor der Tür warten würde.
„Würde ich dir nicht raten. In der Wohnung sieht es schrecklich aus und stinkt zum Himmel.“
„Das mit dem Geruch ist neu und was ist mit der klebrigen Masse an den Wänden?“
„Die haben wir abgekratzt. Wissen aber nicht, was es war. Wir gehen lieber raus.“
Zum ersten Mal war die alltägliche Unordnung in der Wohnung zu etwas zu gebrauchen. Ich konnte Anastasia dazu bringen vor der Tür weiterzureden.
***
Da standen wir nun. Wie vier kleine Kinder, die von ihrer Mutter Linda gezwungen wurden, einen Ausflug zu unternehmen. Anastasia wollte befreundet bleiben und schauen wie es sich weiterentwickelt. Hoffte nur, dass wir die Phase der Freundschaft so schnell wie möglich überspringen konnten.
Latif wirkte, als wäre er angeschossen worden. Lustlos und kraftlos trat er gegen die Pflastersteine. Seine Drohbriefe gegen Knut durfte er auch nicht mitnehmen, weil sie Linda kurz zuvor gefunden hatte.
„Langweilig. Man kriegt rein gar nichts für sein Geld. Zumindest einen Affen rasieren oder einen Mexikaner in einen Leopardenkäfig stecken. Ich wollte schon immer mal Godzilla erschießen“, maulte Latif rum. Es blieb abzuwarten wie viele Verbesserungsvorschläge ihm im Laufe des Tages einfallen würden.
„Tun dir die Tiere nicht leid. Sie sind Lebewesen wie du und ich. Menschen müssen ein Verbrechen begehen, um hinter Gitter zu kommen. Diese Tiere haben keine Wahl. Sie werden gezwungen“, entgegnete Linda.
„Werden wahrscheinlich von einer Linda erpresst.“ Stress zwischen Latif und Linda war vorprogrammiert. Der Rest versuchte sich zu enthalten.
„Wie kommt es eigentlich, dass Anastasia mit von der Partie ist. Ist sie wieder mit dir zusammen?“, fuhr Latif fort.
„Sie ist aus dem gleichen Grund wie wir alle hier“, sagte ich, um Diskussionen zu vermeiden.
„Nein, wir haben keine Kaffeegeschichte mit Mongolen auf Lager. Würd gerne wissen, was es damit auf sich hat. Linda will es nicht rausrücken“, antwortete Thomas.
„Dabei soll es auch bleiben.“
„Hast du die Brasilianerin aus dem Haus bekommen?“, fragte Latif.
Anastasia schaute mich an, als würde sie je nach Antwort die Eifersuchtsschiene ausfahren.
„Du meinst die neue Putze. Sie war noch nicht fertig mit ihrer Arbeit.“ Ich konnte nur beten, dass die Anderen mitspielten.
„Sie muss wohl noch einmal bezahlt werden, bevor sie geht“, murmelte mir Latif zu.
Ich lenkte die Aufmerksamkeit zu den Elefantenbabys, die mit den Pflegern Katz und Maus spielten. Lindas Gesicht litt förmlich bei jedem Tier, dass sie hinter einem Käfig sah. Wieso tat sie sich das an? Warum tat sie es uns an? Unsere Anwesenheit im Zoo machte uns völlig fertig. Thomas versuchte sich mit letzter Kraft an Linda festzuhalten. Latif hatte längst jeden Lebenswillen verloren. Eine Liaison mit Anastasia rückte durch diesen denkwürdigen Abend in weite Ferne.
„Da ist der rote Panda!“ Linda rannte urplötzlich zu einem der Käfige. Sie zerrte Thomas mit, der kaum ihr Tempo mithalten konnte und zu stolpern drohte. Unbeeindruckt von ihrer Hysterie versuchten wir den Beiden zu folgen.
„Es gibt ungefähr nur noch zehntausend seiner Art. Heimisch in der östlichen Himalajaregion. Er ist so weit weg von seinem ursprünglichen Lebensraum.“
„Er sieht gar nicht so bedroht aus“, meinte Latif.
„Hier vielleicht nicht, aber in Indien müssen sie ihr Leben lassen… nur damit die Menschen sich ausbreiten können.“
„Dann ist es doch nicht falsch, dass er hier im Käfig lebt… hier ist er doch sicher“, fügte Thomas hinzu.
„Schatz, würdest du dich einsperren lassen, damit du keine Verbrecher fürchten musst?“
Latif griff urplötzlich zu den Gitterstäben, rüttelte an ihnen und wirkte wie verwandelt.
„Holt den Panda hier raus!“, schrie er.
Wir schauten verwundert und verängstigt zu ihm. Besonders Linda war perplex. Ich näherte mich ihm vorsichtig und fragte was los sei.
„Siehst du die süße Pflegerin bei dem Panda. Wenn ich so tue, als würde ich mich für diese Viecher interessieren, kriege ich sie vielleicht rum. Kein Wort zu den Anderen“, flüsterte er mir zu.
„Keine Sorge. Dir ist nicht mehr zu helfen“, antwortete ich.
Anastasia hatte gewartet. Linda und Thomas schauten sich irgendeinen Tiger an.
„Du bist die ganze Zeit so still. Ist alles in Ordnung?“, fragte ich. Für eine Person, die normalerweise an allem etwas auszusetzen hatte, blieb sie erstaunlich ruhig.
„Ja mir geht es gut. Ich muss mich nur an alles wieder gewöhnen. Auch wenn sich, wie es aussieht, rein gar nichts verändert hat.“
„Lass dir nur Zeit. Wir müssen nichts überstürzen.“ Fast hätte ich mich dabei erwischt eine ehrliche Antwort gegeben zu haben. Zwar wollte ich so schnell wie möglich, dass wir wieder zusammen kamen, jedoch würde ich auch warten, wenn es nicht anders ginge.
Wir holten zu Linda auf. Latif blieb bei der Tierpflegerin.
Sumatra-Tiger stand auf der Informationstafel. Fleischfresser, hundertzwanzig Kilo schwer und lebt üblicherweise auf der indonesischen Insel Sumatra. Selbst im Schlaf wirkte das Tier sehr bedrohlich. Ich schaute zum Panda rüber. Latif war aus unserem Blickfeld verschwunden.
„Wollen wir uns nicht auf eine Bank setzen und auf Latif warten. Eine Pause würde uns nicht schaden“, meinte ich, um endlich nicht mehr rumlaufen zu müssen.
„Danach geht es aber zu den Berggorillas“, entgegnete Linda.
„Würde doch nie die Berggorillas vernachlässigen. Nur eine kleine Pause.“
Wir setzten uns hin. Thomas holte ein Fotoapparat aus Lindas Tasche.
„Schaut mal… der Tiger wacht auf“, meinte Thomas. Er machte sofort mehrere Fotos, da er gerne spektakuläre Momente festhielt.
Ich sah wie Latif aus einem kleinen Raum kam. Was hatte er da zu suchen? An der Tür stand Security Room. Nachdem ich die Tierpflegerin rausgehen gesehen hatte, verpuffte meine Verwunderung sofort wieder. Latif hatte ein Eiltempo drauf. Dabei verfolgte ihn die Pflegerin gar nicht.
Latif zog mich von den Anderen weg. Er wirkte völlig aufgebracht.
„Wir müssen hier sofort weg.“
„Das sagst du, seitdem wir hier sind. Linda kriegst du nicht unter.“
„Ich wollte der Pflegerin meinen Löwen zeigen, wenn du weißt was ich meine und es ging heftig zur Sache…“
„Erspar mir die Details. Weswegen bist du so in Panik?“
„Ich hab sie mehrmals gegen die Sicherheitsverriegelungen gestoßen, sodass irgendwann die Anzeige von rot auf grün wechselte. Ich konnte es ihr nicht sagen. Sie war grad in Höchstform und hätte aufgehört. Ich dachte mir ist bestimmt nicht schlimm. Grün steht doch immer für positive Sachen.“
„Oder dafür, dass etwas geschlossen war und jetzt offen ist. Aber keine Panik… woher sollen es die Tiere denn merken. Die Türen sehen verschlossen aus."
„Da war aber noch so ein Countdown… “
In dem Moment gingen alle Gittertüren auf. Hatten wohl automatische Verriegelungen. Der Panda sprang als erstes von seinem Käfig. Von überall kam Geschrei. Anastasia rannte zu mir. Selbst Linda verlor die Fassung. Thomas knipste wie wild mit seinem Fotoapparat. Schimpansen rannten uns durch die Füße. Langsam kam der Tiger in Rage.
Sozusagen das Startsignal, um loszurennen. Linda blieb plötzlich stehen. Sie schaute zum Panda. Der Tiger näherte sich langsam dem Tierchen. Thomas schlich sich von hinten an, um Fotos zu machen. Bevor Linda einen Rettungsversuch unternehmen konnte, hatte der Tiger den roten Panda schon in seinen Fängen. Wie das Tier sein Ende fand, wurde durch das Blitzlichtgewitter von Thomas dokumentiert.
„Und Latif… war doch gar nicht so langweilig“, bemerkte ich. Er schwieg.