Mitglied
- Beitritt
- 04.09.2018
- Beiträge
- 11
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 13
Wo warst Du?
Die Bushaltestelle lag außerhalb des Ortes. Sechs lackierte Eisenpfähle hielten ein winziges Kunststoffdach. Am linken Pfahl war eine Bodenplatte gesprungen. Dort lugte ein Löwenzahn hervor und streckte seine gelbe Blüte der Sonne entgegen.
Erika steuerte wie immer in den letzten Tagen auf die Bank zu, um auf den Bus zu warten. Das kleine Wildkaninchen, welches gerne den Löwenzahn vertilgt hätte, machte sich schnell auf die Flucht in den Sanddornstrauch, der hinter der Bank stand.
Der Bus kam und nahm Erika mit. So vergingen die Wochen und auch der Sommer. Der Löwenzahn war längst verblüht, aber Erika fuhr immer noch zur gleichen Zeit zur Arbeit.
Sie wartete wieder und ein junger Mann kam zur Haltestelle, lächelte das Mädchen an und setzte sich auf die Bank. Auch in den folgenden Tagen ging das so. Irgendwann wurde aus dem Lächeln ein Hallo und man kam ins Gespräch. Nun wurde das Warten auf den Bus richtig nett und ihr Herz fing an stärker zu klopfen . Sie erzählte von sich und er schwärmte von seinem Karatekurs.
Dann kam er eines Tages nicht, erzählte aber am nächsten Tag von einem Arztbesuch. Die folgenden Tage waren nun wie immer. Dann blieb sein Platz leer, sie hatte keine Anschrift und konnte auch nicht erforschen, was geschehen war. So vergingen Wochen und auch die Jahre. Der Löwenzahn blieb ihr treu und blühte jedes Jahr, wenn das Kaninchen es zuließ. Im Kopf und im Herzen des Mädchens entfernte der junge Mann sich immer mehr.
Nun war er zurück und wartete zur gewohnten Zeit am Bus. Sein Warten wurde nicht belohnt, sie kam nicht. Einige Male versuchte er die junge Dame am Bus zu treffen, aber immer erfolglos.
Sie hatte in dieser Zeit eine Stelle bei der Polizei angenommen und dadurch auch eine andere Arbeitszeit. Sie ordnete Akten mit ungelösten Fällen. Manchmal langweilig, aber oft auch spannend. Im Geist löste sie selber einige Fälle, das ging natürlich nur, wenn man vorher die Akten gelesen hat. Nur heute nicht, da hatte sie einen Arzttermin und rief ein Taxi.
Auf der Rückbank sitzend, sah sie in den Spiegel des Wagens und erkannte den Fahrer. Noch einmal schaute sie genau hin und zuckte zusammen. Das war er, der junge Mann vom Bus. Wieso Taxifahrer, er wollte doch Ingenieur werden? Ihr Herz rumorte wieder und nach einiger Zeit sprach sie ihn an. Aus dem Arztbesuch wurde nichts.
" Wir haben uns damals jeden Tag gesehen, ich habe mich immer gefreut und dann bist Du nicht mehr erschienen. Wo warst Du?"
" Ich bin sehr krank geworden und wurde in den USA operiert, danach Reha, das hat sehr lange gedauert. Nun habe ich immer am Bus gewartet aber ohne Erfolg.
Jetzt haben wir uns wieder gefunden, ich möchte Dich gar nicht mehr aus den Augen lassen. Allerdings muss ich noch weiter Taxi fahren. Die Operation war sehr teuer und ich helfe, die Schulden zu tilgen.
Das mit der Operation hat mich total aus der Bahn geworfen und das Studium liegt in weiter Ferne."
Im Cafe wurde die Vergangenheit aufgerollt. Aber es war so, als wären sie nie getrennt. Die Hände hielten einander fest.
"Nun, Du warst weg und ich habe lange getrauert. Dann habe ich mich um einen besseren Job bemüht. Das hat mich auf den richtigen Kurs gebracht, aber Jetzt haben wir uns wieder gefunden. Ich finde das ist ein großes Glück und wir sollten die Zukunft gemeinsam gestalten. Natürlich nur wenn Du auch noch so empfindest wie ich.
Sie trafen sich nun wieder und wieder und es wurde beschlossen, die verlorene Zeit nachzuholen.
Gemeinsam, Hand in Hand.
HB