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Wo warst du eigentlich, als der Däne auf den Sack gekriegt hat?
sieben wahren begebenheiten.
"Ja, früher. Aber heute nicht mehr. Ich mein, warum soll ich bei ner Frau noch großartig auf die Titten achten? Das ist noch nix Besonders, haben die ja alle, mehr oder weniger. Tausendmal gesehen. Viel wichtiger ist doch plopp, ob sie zum Beispiel eine gute Minestrone zaubern kann."
"Suppe?"
"Zum Beispiel. Ich mein, früher, weißte ja selbst, früher waren wir noch jung."
"Ja, das warn noch Zeiten. Jung und voller... hier, sach ma eben... Esprit."
"Genau. Und da ging das noch. Da biste dann am Freitag in irgendnen Klub gegangen, hast ne Olle angegraben und sie am nächsten Morgen wieder heim geschickt. Und dazwischen wurde dann halt gevögelt."
"Stundenlang manchmal", stimme ich zu. "Bis die Nachbarn anne Wand geklopft haben."
"Mindestens. Und, soweit ich mich erinnern kann, hatten die alle Titten."
"Meine Nachbarn?"
"Auch. Teilweise. Aber Minestrone, weißte, danach hab ich nie eine von denen gefragt."
"Das geht mir ganz genauso." Und dieser Satz ist ungewöhnlich, denn er ist wahr. Aber dazu später mehr.
Wichtiger und darum an dieser Stelle auch erwähnenswert ist die Tatsache, dass in diesem Moment irgendwo im Haus jemand Vuvuzela spielt. Nein, falsch. Vuvuzelas spielt man nicht, man pustet sie. Ton entsteht durch Luftkompression, schwadroniert durch den Äther, konvulsiert sich in die Gehörgänge und defäkiert einem ins Stammhirn. Oder so.
Eins zu null für Deutschland. EM Vorrunde gegen den Dänen. Sportart Fußball, aber das ist eh klar.
Wir, das sind mein Bekannter und ich, sitzen bei ihm im Wohnzimmer, schlürfen gemütlich kalte Brause und gucken demonstrativ alte Folgen von Kampfstern Galactica. Unser kleiner Beitrag zum Widerstand. Er trägt keinen Namen, besteht aus zwei Leuten und richtet sich gegen nichts Besonderes, aber er rollt plopp unaufhaltsam.
"Ich will einfach", hatte er letzte Woche gesagt, "dass ich am Tag nach dem Spiel dann was Interessantes sagen kann, weißte? Wenn ich von meinen Kollegen gefragt werde, hömma, wo warst du eigentlich, als der Däne auf den Sack gekriegt hat. Dann will ich sagen können, zuhause."
"Das klingt verwegen", hab ich dann geantwortet, nicht ahnend, damit meine Teilhabe an dieser Aktion quasi blutgeschworen zu haben.
"Und nicht nur einfach so doof rumsitzen, nein. Ich werde nämlich ein Zeichen setzen und dabei Kampfschiff Galactica gu..."
"Stern."
"Was?"
"Kampfstern Galactica."
"Sag ich doch. Kampfschiff Galactica."
"Nein, hast du nicht gesagt."
"Wohl. Kampschiff Gala... ach, leck mich doch!"
"Okay, Eselsbrücke. Das ist nämlich wie der Todestern, nur mit weniger Tod und mehr Kampf", habe ich erklärt und dem kleinen Nerd in mir kameradschaftlich auf die Schulter geklopft, während der ebenfalls in mir weilende Klugscheißer so tat, als ginge ihn das alles gar nichts an und unschuldig pfeifend von Dannen zog.
"Du redest wirr", sagte mein Bekannter. "Und du hast mich rausgebracht."
"Du wolltest Kampfstern Galactica gucken anstatt Fußball."
"Ja. Genau. Und zwar nicht diese neue coole Serie mit der nackten Blonden, sondern die langweilige mit dem Alten von Bonanza. Einfach, um zu demonstrieren, wie scheißegal mir das alles ist."
"Aber es ist dir doch nicht egal", wandte ich ein, mit, wie ich lobend erwähnen möchte, erstaunlicher Verve in der Stimme.
"Diese Verve kannst du dir sparen, das ist hier nicht angebracht. Und natürlich ist es mir nicht egal. Ich meine, es ist schließlich Fußball und Fußball ist geil. Aber, ich meine..."
"Ja, ich weiß. Ich weiß."
Und so kam das. Und jetzt prosten wir Zylonen mit Brause zu, während der Däne gehörig... genau. Alkohol, so unsere einhellige Meinung, würde das Vorhaben unterminieren. Irgendwie.
"Was ich sagen will", fährt mein Bekannter nach einem kleinen Zitronenbäuerchen fort, "ist folgendes. Man wird nicht jünger. Du nicht, ich nicht und auch sonst keiner."
"Das ist richtig. Zeit dreht sich immer in die eine Richtung. Und das ist ähh... rechtsrum."
"Eben. Und weil das eben so ist, brauch ich dieses ganze Rumgevögel nicht mehr haben, weißte? Ich will was Richtiges, Kinder und Familie. Von mir aus auch beides gleichzeitig."
"Und Minestrone?"
"Das war doch nur ein Beispiel, Typ. Hör doch zu. Häuslichkeit, Geborgenheit. Nachts zusammen vor dem Fernseher einpennen, so was halt."
"Vor dem Fernseher einpennen können wir auch", grinse ich. Und womit? Mit Recht. Ein Spitzengag ist ein Spitzengag bleibt ein Spitzengag.
"Das is aber nicht so romantisch."
Da es in diesem Moment an der Tür klingelt, kommt Bewegung in diesen Abend. Nicht jedoch in meinen Bekannten, da er der Meinung ist, es wäre an mir als Gast, die Tür zu öffnen, schließlich hatte ich sie auch als letzter zugemacht.
"Schmidt ist mein Name", sagt Herr Schmidt, streicht sich eine imaginäre Bügelfalte aus seinem grauen Jacket und reicht mir eine weniger imaginäre Visitenploppkarte, auf der auch tatsächlich "Schmidt" steht. Und Jürgen. Und einige sehr lange Worte mit i vorne. "Ich komme vom Ministerium für interdimensionale Interaktionsangelegenheiten, Abteilung immanente Irritationsvermeidung." Genau. Diese Worte.
"Ach so", sage ich, weil mir nichts Besseres einfällt.
"Und das", er deutet mit vager Geste auf seinen Begleiter, einen bärbeißigen Bartträger in orangefarbenem Overall, "ist Gunnar."
"Tach", sagt Gunnar und ich nicke zurück.
"Wir würden uns dann gerne das Loch ansehen."
"Das Loch", sage ich nicht nur mit verwirrt klingender Stimme, sondern auch mit verwirrtem Geist.
"Genau. Das Loch in Ihrer Realität", antwortet Herr Schmidt, als wäre es das normalste der Welt. War es vielleicht auch, was weiß ich denn schon.
"Ich hab kein Loch in meiner Realität." Und zu meinem Bekannten: "Hast du ein Loch in deiner Realität?"
"Was?" Es folgt ein nachdenkliches Zitronenbäuerchen aus der Couchgegend. "Nee."
"Das ist durchaus möglich", fährt Herr Schmidt fort. "Wissen Sie, ich habe berufsbedingt öfter mit ähnlichen Phänomenen zu tun. Löcher in der Realität neigen dazu, sich am Rande der Wahrnehmung zu manifestieren. Sie machen sich nicht durch visuelle Reize bemerkbar, sondern vielmehr durch audible und telekinetische Signale."
"Audible."
"Ganz genau. Haben Sie zum Beispiel bemerkt, dass auf einmal Dinge in Ihrer Umgebung fehlen? Sachen sich in Luft auflösen oder Gegenstände einfach nicht mehr da sind?"
"Dinge? Nö. Alles da, soweit ich... aber ich wohn hier auch nicht und bin nur zu Gast."
"Verstehe. Männerabend. Fußball, richtig?" Ich schüttle energisch den Kopf, aber der Mann ignoriert es. "Haben Sie in letzter Zeit vielleicht ungewöhnliche Geräusche vernommen?"
"Zum Beispiel?"
"Ein vages Plopp vielleicht?" plopp "Ja! Genau das Geräusch." Mit diesen Worten drängt Herr Schmidt mich zur Seite, wobei ich aufgrund einer Mischung aus Verwirrung und körperschwächebedingtem Pazifismus zugegeben recht wenig Widerstand leiste, und betritt das Wohnzimmer. Der grummelige Gunnar nutzt die Chance und schlüpft mit engelsgleicher Eleganz durch die kurz aufgeblitzte Lücke unserer lediglich aus mir bestehenden Defensivreihe ebenfalls in die Wohnung. Angekommen, zieht er einen Kasten mit Antenne - und ich kann das tatsächlich nicht besser beschreiben, als "Kasten mit Antenne" - aus seiner Overalljacke, kratzt sich handwerkerlich am braunmelierten Bart und beginnt, mit ebenjener Antenne den Raum abzufahren.
"Ey, wo isn meine StarWars-Box hin?", stellt mein Bekannter erstaunt fest und deutet auf die Lücke in Form einer StarWars-Box in seinem DVD-Regal. "Die war grad noch da. Das war die Special Alleviated Edition, wo sie JarJar rausgeschnitten haben."
"Verstehe." Herr Schmidt hält auf einmal ein Klemmbrett in der Hand und macht einen Haken mit seinem Kugelschreiber.
"Haben Sie da grad StarWars abgehakt?", frage ich, rein aus Interesse.
"Ich stelle also fest", sagt er und sieht sich einen Moment im Raum um, "dass die Ploppung bereits eingetreten ist. Vielleicht bereits mehr als einmal. Ferner beginnen Dinge durch ihr Fehlen aufzufallen. Ein deutliches Zeichen, dass die Realität ihre Verankerung in sich selbst zu verlieren droht."
"Klar. Aber warum StarWars?"
"Die Natur der verschwindenden Gegenstände ist beliebig, wird jedoch im Laufe der Zeit in Größe und Masse zunehmen, wenn wir nicht einschreiten. Proportional zur Ausdehnung des Loches."
"Ja, das Loch", antworte ich. "Dazu habe ich übrigens noch ne Frage."
"Fragen Sie nur, dafür bin ich hier."
"Was für ein Loch?"
"Das Loch aus der Parallelwelt." Herr Schmidt zuckt gelangweilt mit den Schultern, als wolle er sagen, dass man sich das mit ein wenig Kombinationsgeschick auch durchaus selbst hätte denken können. "Man hat, also in einer Paralleldimension, da hat man unser Universum entdeckt. Und dann hat man beschlossen, ein Loch hinein zu bohren. Warum auch nicht."
"Ein Loch. In unsere Realität? In seinem Wohnzimmer?"
"Ganz genau. Sie wären überrascht, wie oft so etwas vorkommt. Und nun reißt das Loch langsam einen Riss in die Realität. Kennen sie diese Carglas-Werbung mit dem Steinschlag? Genau so, nur nicht so penetrant."
In diesem Moment geschehen zwei Dinge. Erstens plopp verschwindet die handgeklöppelte Replik der Original Serenity meines Bekannten und hinterlässt nichts als Tränen und schlechte Einschaltquoten. Und als wäre das nicht schon schlimm und sinnlos genug, schießt der Däne auch noch den Ausgleich. Letzteres bekommen wir mit, weil irgendein Nachbar "Scheiße" ruft. Die Galactica steht übrigens gerade unter Feindbeschuss, aber wen interessiert das schon in Zeiten wie diesen?
Gunnar übernimmt kurz das Zepter und sagt mit aggressiver Anteilnahmslosigkeit in der Stimme folgendes: "Habs gefunden."
"Hervorragend", freut sich Herr Schmidt. "Dann verdübeln Sie das Loch bitte fachmännisch und danach können Sie Feierabend machen und zum Public Viewing. Oder was auch immer Sie für heute Abend geplant haben."
"Pfannkuchen und dazu ne kalte Brause süffeln", kommt die gekonnt genuschelte Antwort. Dann zieht der hochbegabte Handwerker einen dreier Spreizdübel aus seinem Overall und steckt ihn in das Loch, was aufgrund der Unsichtbarkeit desselben auf den unbedarften Beobachter den Anschein erweckt, als würde der Dübel nun in der Luft schweben. Aber wir wissen es natürlich besser, denn Herr Schmidt hat es uns ja erklärt.
"Wars das?", frage ich plopp, als der Dübel auf einmal nicht mehr in der Luft hängt, sondern sich in ebendiese auflöst.
"Ich fürchte, nein." Die Gesichtsfarbe Herrn Schmidts weicht einem ungesunden Bleichton, als er hektisch in den Aufzeichnungen auf seinem Klemmbrett blättert. "So etwas ist noch nie... passiert. So etwas darf nicht passieren", stammelt er. "Das ist gegen die Regeln. Das Loch erscheint und wir dübeln es zu. So ist es immer. Warum passiert denn jetzt so was?" Er fährt sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn. "Gunnar, haben Sie eine Idee?"
"Ich kann hier ein Senkgewinde an die Muffe dengeln und das dann rückseitig mit dem siebener Drehhobel anflanschen. Wird aber nich billig. Oder solange Lötzinn ans Loch rantüddeln, bis dicht ist."
"Warum kein Silikon?", wendet mein Bekannter fachkundig ein. Er hat ja immer gesagt, dass sich die Ausbildung im Sanitärbereich irgendwann mal lohnen würde.
"Hab ich nich da", grummelt Gunnar. "Da muss ich runter zum Auto."
"Ja, dann tun Sie sich keinen Zwang an." Doch bevor Gunnar diese Anweisung des Mannes vom Ministerium für interdimensionale Interaktionsangelegenheiten, Abteilung immanente Irritationsvermeidung in die Tat umsetzen kann, löst er sich mit einem plötzlichen plopp Plopp in Luft auf.
"Die Häufigkeit der Vorkommnisse nimmt zu", erkennt Herr Schmidt messerscharf. "Und ohne Silikon können wir das Loch nicht schließen."
"Wo ist Pamela Ander..." Doch mein Bekannter hat zuviel Stil, diesen wirklich sehr albernen Witz zu beenden, und so belässt er es bei einem zwar dezenten, aber dennoch der Situation unangemessenen Kichern.
"Hör auf zu Kichern, Mann! Hier geht grad die Realität den Bach runter", weise ich ihn zurecht, während mein Nachbar das Zwei zu Eins gegen den Dänen mit Vuvuploppzela feiert. Ton entsteht durch Luftdruck, schwadroniert und so weiter. Der Fernseher ist übrigens weg und wir werden nie erfahren, wie die Zylonen schließlich in die Flucht geschlagen wurden.
"Was passiert eigentlich, wenn in der Bude hier alles weg ist? Ich meine, hört der Quatsch dann auf?"
"Unwahrscheinlich." Herr Schmidt, der auch Jürgen heisst, zuckt mit den Schultern. Vermutlich so was wie sein Erkennungszeichen, diese Bewegung, einfach und elegant in der Durchführung, ebenso schnell wie kaloriensparend und dabei doch angebracht in allen Lebenslagen. "Das Loch wird vermutlich immer weiter wachsen und schließlich die ganze Realität plopp aufsaugen. Und ohne Gunnars Dengelungsgeschick gibt es nichts, was wir dagegen tun können."
"Das ist ja nicht so gut", höre ich mich antworten. "Die brauch ich nämlich noch." Wäre ich Bruce Willis in einem seiner Filme, wären das wahrscheinlich genau die Worte, die er an dieser Stelle gesagt hätte. Wäre ich stattdessen Schwarzenegger in einem seiner Filme, hätte ich vermutlich jemanden verprügelt und als Stallone mich ganz nachdenklich am Kinn gekratzt, aber zurück zum Thema.
plopp
Genau.
"Du", sagt mein Bekannter. "Ich muss dir was sagen. Ich meine, wo jetzt hier gleich Ende ist und wir nichts mehr tun können und so. Ich... ich will einfach eine reine Weste machen."
"Okay."
"Ich hab gelogen. Vorhin. Das mit der nächtelangen Vögelei. Alles gestunken und erlogen. Ich bin nämlich gar nicht so der Frauenheld, weißt du? Das hab ich nur erzählt, weil ich ein wenig auf die Kacke hauen wollte und das zu so nem Männerabend mit Kampfschiff Galactica und Brause halt dazu gehört. Und natürlich sind die Titten das wichtigste. Scheiß doch auf Suppe."
"Ich weiß, Bernie. Ich weiß. Scheiß auf Suppe."
Dann ist Abpfiff. Irgendwo konvulsiert eine Vuvuzela, irgendwo anders explodiert eine Feuerwerksrakete, während andernorts hektisch nach dem Autoschlüssel gesucht wird.
Wo warst du eigentlich, als der Däne auf den Sack gekriegt hat, würde ich gefragt werden. Am Ende der Realität, würde ich antworten.
Ach ja, es gibt übrigens eine Programmänderung für den heutigen Abend. Nur, damit es hinterher nicht zu Irritationen kommt.
Jetzt: Autokorso.
Danach: Nichts.