Wo ich meine heimlich geweinte Träne von der Wange wische
wo ich meine heimlich geweinte Träne von der Wange wische
Gedankenverloren sitze ich im Pausenraum, halte mich an meiner heißen
Tasse Kaffee fest und beobachte, wie immer, die drei hoch gewachsenen
Bäume und den Windsack der sich wild flatternd gegen sein "am Masten
festgebunden", zu wehren scheint. Ich hab keine Ahnung ob ich denke,
träume, in meinem Kopf oder meiner Seele verschwunden bin, doch holt mich
das trappeln schneller, vieler kleiner Kinderfüße in die Realität und
ins Bewusstsein sich am Arbeitsplatz zu befinden, zurück. Schnellen
Schrittes eile ich zur Station zurück, wo sich mittlerweile eine Horde
Volkschulkinder versammelt haben und einige von ihnen schüchtern von
einem Bein auf's andere treten. Ich beobachte sie, diese kleinen süßen
Zwerge, und stelle fest dass sie alle so verschieden wie auch einzigartig
sind. Zu dritt tragen sie jeweils Gedichte vor, mit monotoner
Kinderstimme. Als ob sie es langsam ablesen würden und der Finger die
noch zu sprechenden Buchstaben entlang rutschen würde. Die Lehrerin, in
sicherer Nähe vor ihnen aufgestellt, mit stummen, vorsagendem und
übergroß bewegendem Mund, damit auch keines der Kinder den Text
vergisst, oder stecken bleibt. Zwischen den Gedichten, spielen drei
langhaarige Mädchen auf ihrer Flöte, wo die kleinen, zarten Finger
Mühe haben, alle Löcher gleichzeitig zuzuhalten, wenn das Stück es
erfordert.
Mein Blick wandert auf jeden einzelnen unserer alten Herrschaften, zu
deren Ehren die Kleinen heute gekommen sind. Und mir wird schwer ums
Herz. Einige Verwirrte rufen "Bravo", klatschen, auch wo es nichts zu
klatschen gibt, lächeln und fassen mit gestreckten Armen nach den Kindern
oder aber brechen in Tränen aus. Das Flötenspiel und die monoton
vorgetragenen Gedichte nehme ich nur mehr von weiter Ferne wahr, und
beginne wieder in mein Inneres zu fallen, während ich auf die mit Falten
übersäten, alten Gesichter starre. "Was sie wohl denken?" Denken sie
daran, wie es war, als sie selbst noch Lieder unter dem Weihnachtsbaum
gesungen haben? Zusammen mit ihrem Kindern? Enkeln? Wie sie den Heiligen
Abend begonnen haben, die Frauen das Festmahl vorbereitet und die
Männer den Christbaum ins Haus geschleppt haben?
Denken sie daran, dass sie einsam sind, sich
alleine fühlen und diese Jahr wieder niemand kommen wird um mit ihnen
Weihnachten zu feiern? Oder genießen sie einfach nur die junge
Gesellschaft, und weinen vor Freude? Ich kann es nicht beurteilen, und
ich kann sie auch nicht fragen, weil sie mir keine Antwort die mich
zufrieden stellen würde, geben könnten. Aber ich spüre sie, die Einsamkeit
und die Verzweiflung der Alten. Wie eine düstere, bedrückende Wolke kurz
vor einem Gewitter hängt sie im ganzen Haus. Sie greift nach mir und
lässt mich im Dienstzimmer verschwinden, wo ich meine heimlich geweinte
Träne von der Wange wische.